Nationalrat, XXV. GP 16. März 2016 117. Sitzung / 1 13.42 Abgeordnete Tanja Windbüchler-Souschill (Grüne): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von Menschlichkeit und Ordnung, so das viel zitierte Mantra heute, kann in der Entwicklung der Europäischen Union und in der unilateralen Prägung der einzelstaatlichen Vorstellungen leider nicht mehr die Rede sein. Es geht auch nicht um Kontrolle, wie heute viel zitiert wurde, sondern eigentlich und in letzter Konsequenz darum, Europa und somit auch die Nationalstaaten tatsächlich abzuschotten. Das wird unter anderem von Außenminister Sebastian Kurz forciert, von Innenministerin Mikl-Leitner, aber auch von Verteidigungsminister, Kanzler und Vizekanzler. Österreich agiert unilateral und antieuropäisch. Diese Kritik ist nicht neu, ist aber weiterhin aufrecht und bedarf auch einer Erläuterung. Was ist denn passiert? – Es gab die Schließung der Grenzen Österreichs und die Festlegung von absoluten Obergrenzen von Spielfeld bis zum Brenner. Die Ausrichtung einer Balkankonferenz unter Ausschluss Griechenlands und Deutschlands wurde wissend, dass es vor allem mit Griechenland zu diplomatischen Verwerfungen kommen wird, durchgeführt. Weiters: das Betreiben von Grenzschließungen auf der gesamten Balkanroute durch Außenminister und Innenministerin (Abg. Schönegger: Die Staaten am Balkan liegen ...!); die abrupte Schließung der Grenzen von Mazedonien gegenüber Griechenland; die bilaterale Aktion Österreichs nun auch auf Bulgarien ausgeweitet – gerade vonseiten des Verteidigungsministers und vonseiten der Innenministerin, die auch dort Schließungen gegenüber Griechenland vonseiten Bulgariens fordern –; die Übertragung der Hauptverantwortung der Erstaufnahme der Flüchtlinge ausschließlich an Griechenland; eine Abwendung von der Politik einer Zusammenarbeit im europäischen Kontext. Das alles, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat nichts mit der Tradition der österreichischen Außen- und Europapolitik zu tun. Das ist ausschließlich zynisch, das ist ausschließlich innenpolitisch motiviert und von unserer Seite striktest abzulehnen. (Beifall bei den Grünen.) Diese Auswirkungen der Politik der Abschottung können wir ja tagtäglich vor allem in den Medien verfolgen. Die Bilder betreffen uns mit Sicherheit alle, davon bin ich überzeugt. Die Frage ist nur, wie wir damit umgehen. Mehr als 35 000 Menschen sitzen jetzt in Griechenland fest, sitzen im Schlamm, in Zelten vor Stacheldrahtzäunen. Eine humanitäre Katastrophe attestiert die Caritas vor Ort, die Hilfsorganisation, die auch tatsächlich Menschen in Not hilft. Version vom 14. Juni 2016, 13:12 nach § 52(2) GOG autorisiert Nationalrat, XXV. GP 16. März 2016 117. Sitzung / 2 Immer dort, meine sehr verehrten Damen und Herren, und immer dann, wenn die Politik versagt, muss die Zivilgesellschaft helfen, muss die Zivilgesellschaft eingreifen – in Österreich, in Slowenien, aber auch in Griechenland, unter anderem auch in Idomeni. Meine sehr verehrten Damen und Herren der FPÖ! Flüchtende Menschen sterben nicht, weil ihnen geholfen wird. Flüchtende Menschen sterben, weil es eine Abschottungs- und eine Grenzpolitik gibt, weil es keine Möglichkeit gibt, legale Wege nach Europa zu nehmen, und weil es eine Politik Europas gibt, die Kriegsflüchtlinge tatsächlich nicht in Europa haben will. (Beifall bei den Grünen. – Abg. BelakowitschJenewein: ... Ostzug!) Gleichzeitig wird jetzt vorgesehen, einen Deal mit der Türkei auszuhandeln. Allerdings betrifft der Deal mit der Türkei nicht jene, die jetzt schon in Griechenland festsitzen, die vielen Menschen, die jetzt im Schlamm in der humanitären Notlage festsitzen. Sondern der Deal der Türkei bezieht sich auf einen noch nicht vorgesehenen Stichtag – nennen wir ihn 1. Juli. All jene, die dann mit dem Boot an griechischen Küsten ankommen, werden genommen – egal, woher sie kommen, ob aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak –, möglicherweise in die Hercules-Maschine gesteckt und in die Türkei zurückgebracht, wobei dann die gleiche Anzahl an Flüchtlingen von der Türkei wieder in die Europäische Union gebracht wird, und dann in erster Linie Syrer und Syrerinnen. Dieses System ist nicht rechtskonform, es widerspricht allen Grundrechten der Europäischen Union, es widerspricht allen menschenrechtsbasierten Grundlagen, auf denen wir unsere Europäische Union aufgebaut haben und ist mehr als zynisch. Dieses System wird ganz klar von Kanzler Faymann und Vizekanzler Mitterlehner und der gesamten Bundesregierung verfolgt. Das ist abzulehnen! Einem solchen Deal, der nicht auf den Grundwerten der Europäischen Union basiert, kann nicht zugestimmt werden, meine sehr verehrten Damen und Herren! (Beifall bei den Grünen.) Die Türkei soll der Gatekeeper für die Europäische Union sein. 6 Milliarden €, VisaLiberalisierung, Flüchtlingsaustausch wie eben genannt, Weiterführung der EUBeitrittsverhandlungen – das wird vonseiten der Türkei gefordert. Das geschieht ohne ein Wort über die Menschenrechtssituation in der Türkei selbst, ohne Bedingungen vonseiten der Europäischen Union, vonseiten der Kommission oder auch vonseiten Österreichs der Türkei gegenüber. Der Friedensprozess mit den Kurden und Kurdinnen wurde mit allen militärischen Mitteln vonseiten der AKP-Regierung zerstört. AKP- und Erdoğan-kritische Zeitungen werden tatsächlich beschlagnahmt. Medien-, Meinungsund Versammlungsfreiheit existieren tatsächlich nicht. Version vom 14. Juni 2016, 13:12 nach § 52(2) GOG autorisiert Nationalrat, XXV. GP 16. März 2016 117. Sitzung / 3 Ein Deal mit der Türkei ohne Bedingungen kann nicht funktionieren! Das wird europapolitisch, außenpolitisch, menschenrechtspolitisch Folgen haben, die wir dann hier wahrscheinlich wieder zu diskutieren haben, die aber gravierend für die Flüchtlingspolitik in ganz Europa sein werden. (Beifall bei den Grünen.) 13.48 Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Doppler. – Bitte. Version vom 14. Juni 2016, 13:12 nach § 52(2) GOG autorisiert
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