DAS KATHOLISCHE PORTAL FÜR DEN DEUTSCHEN SPRACHRAUM GESELLSCHAFT Die Ukraine – eine Nation findet ihren Weg - 16.06.2016 Das Land ist im Aufbruch, es kommt einem Energie, Offenheit und im Service eine hohe Aufmerksamkeit von den Menschen entgegen. Obwohl in einer wichtigen Region gekämpft wird, fühlt man sich in einem sicheren Land, sicherer als in manchen Stadtbezirken westlicher Länder. Die wirtschaftlichen Probleme, vor allem nach dem Abbruch des Handels mit Russland, sind erdrückend. Jedoch reagieren die Ukrainer ganz anders als die Griechen. Wir waren eine 12-köpfige Reisegruppe der Nikolausinitiative und der Polit.-Soz. Akademie des Bistums Mainz, Haus am Maiberg in Heppenheim. Wir erwarteten, vor allem durch den Einbruch der Wirtschaft Entmutigung, eine gedrückte Stimmung, innere Zerrissenheit in der Frage, ob das Land sich an Russland anlehnen oder sich nach Westen orientieren soll. Wir waren überrascht, denn wir beobachteten eine große Entschiedenheit in Bezug auf die Zukunft des Landes. Die Ukraine will Majdan, der zentrale Platz des Landes ein eigenständiger Staat sein, der nach westlichen Werten und als Demokratie ausgestaltet werden soll; nicht zum Sowjetsystem zurückkehren, nicht zuletzt ein Ende der Kämpfe. Weiter wollen die Menschen Zugang zum europäischen Wirtschaftsraum. Es geht um die Überwindung der Korruption, von nicht wenigen Ukrainern als die größere Beeinträchtigung im Vergleich zu den Kämpfen im Donbass eingeschätzt. Mit einer Anlehnung an Russland wäre die Korruption nicht zu überwinden. Die Korruption, faktisch die Enteignung der Bürger durch ihre Staatsführung, war das Hauptmotiv für den Dauerprotest auf dem Majdan im Winter 2013/14. Vor allem die jungen Leute wollen den Westen kennenlernen, sich dort qualifizieren, die Sprachen lernen und die Werte mitnehmen. Die Hinwendung auch der östlichen Ukraine zum Westen ist nicht zuletzt deshalb erfolgt, weil mit Russland sich kaum eine Perspektive öffnet und dessen Machthaber die Wiederherstellung des früheren Systems betreiben: Beschränkung der Freiheitsrechte, Ausweitung des Aktionsradius‘ der Sicherheitsdienste, Regulierung der Medien und Abschirmung vom Westen. Auch wer im Alltag Russisch spricht, fühlt sich nicht zu Russland gehörig. Der Präsident Janukowytsch hatte die Selbstbereicherung so auf die Spitze getrieben, so dass sich das Land in seiner Ehre getroffen fühlte. Russland hat dem Land nicht aus der Krise geholfen, sondern diese noch verschärft. Worüber könnten wir durch die Gespräche Klarheit gewinnen: Entscheidend für den Majdan-Protest war nicht die wirtschaftliche Erholung des Landes, sondern die Freiheit. Es soll keine Rückkehr zu einem sowjetähnlichen Staat geben. Russischsprechende Ukrainer, das ist die Mehrheit im östlichen Teil des Landes, fühlen sich ebenso als Ukrainer wie die Menschen in den Gebieten, die früher zum Habsburger Reich und nach dem Ersten Weltkrieg zu Polen gehörten. Die These Putins, wer Russisch im Alltag spreche, gehöre zu Russland, ist in der Ukraine nicht zu belegen. Das ist wohl in Moldawien/Transnistrien anders. Ältere Menschen, die mit ihrer Rente ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können, sehen in dem Sowjetsystem die bessere Alternative, weil sie da ihren Lebensabend ohne materielle Sorgen hätten verbringen können. Wer jedoch etwas vorhat, für den sind die westlichen Werte und Freiheitsspielräume so eindeutig, dass keine Überzeugungsarbeit mehr notwendig ist. Die jungen Menschen müssen deshalb nur Zugang zu Praktikums- und Studienplätzen bekommen und sich für höherwertige Tätigkeiten qualifizieren können. Da das Hauptindustriegebiet, der Donbass, wohl die nächsten Jahre und möglicherweise überhaupt nicht mehr unter die Kontrolle des Staates zurückkehren wird, muss das Land eine Industrie aufbauen, die nicht auf Kohle und Stahl beruht. Dafür braucht die Ukraine Unterstützung, nicht einfach Geld. Das religiöse Leben ist wieder erwacht, im Westen des Landes eher auf einer volksreligiösen Basis, im Osten als Rückkehr zu den christlichen Werten wie zu der sakralen Dimension, die Kirchenräume und die Liturgie eröffnen. Die Kirchen werden den ganzen Tag besucht, nicht zuletzt zu dem gesungenen Stundengebet. Die Spiritualität bezieht den Körper mit ein, häufiges Sich-Verneigen und - Bekreuzigen, das Küssen der Ikonen. Auf die Kirchen wirken sich die Spannungen aus. Die meisten Gemeinden gehören zum Moskauer Patriarchat. Diese Kirche, so konnten wir uns bei einem Besuch in der Theologischen Akademie beim Metropoliten überzeugen, geht auf Distanz zur Politik und dafür mehr auf die Menschen zu, anders als für den in Russland liegenden Teil dieser Kirche, wo viele Priester auf eine religiöse Durchdringung des Staates setzen. Das Kiewer Patriarchat, das sich nach der Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat abgespalten hat, wird nach dem Majdan durch den Staat gefördert und versteht sich als Teil der ukrainischen Nation. Beide Kirchen haben die Kontakte untereinander abgebrochen. Da das Kiewer Patriarchat weder vom Patriarchen in Konstantinopel/-Istanbul noch von anderen orthodoxen Kirchen anerkannt wurde, erhält es keinen Zugang zu der bevorstehenden gesamtorthodoxen Synode. Es sollte eine Gesprächsebene im Ausland angeboten werden, wo sich Vertreter der Kirchen informell treffen können. Zu den Gesprächen sollten die Diözesen im Westen des Landes hinzukommen, die sich 1596 dem Papst unterstellt hatten. Weiter müssen die in der Orthodoxie anerkannten ukrainischen Auslandskirchen in Nordamerika und in Europa einbezogen werden. Schlussfolgerungen: Der Jugend einen europäischen Horizont erschließen: Die effektivere Investition ist nach Auswertung unserer Gespräche die Förderung der jungen Leute. Ihnen einen breiteren Horizont zu eröffnen, die Prinzipien der Demokratie und der Sozialen Marktwirtschaft zu vermitteln, eine Aufenthalt zu ermöglichen, um im Deutschen flüssig sprechen zu können. Weiter sollten Kontakte zwischen Nachwuchskräften verschiedener Sprachgruppen organisiert werden. Gerade die jungen Ukrainer müssen sich von den EU-Ländern aufgenommen fühlen. Es geht in erster Linie nicht um Geld, sondern um Praktikumsplätze, um Beherbergung für Sprachaufenthalte, Stipendien, die Finanzierung von Studienaufenthalten. Tweet Dr. Eckhard Bieger SJ © Aschendorff Verlag, Münster
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