DIENSTAG, 14. JUNI 2016 KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7 ** D 2,50 E URO Zippert zappt THEMEN Wir gegen die Barbaren REUTERS/JOSHUA ROBERT; DPA/KLAUS-DIETMAR GABBERTS D Trauer und Erschütterung: Vor dem Weißen Haus in Washington gedenken zwei Männer der Opfer von Orlando Obama spricht von „Akt des Hasses“ Entsetzen nach Massaker in Orlando. Terror wird zu einem Top-Thema im US-Wahlkampf. Ermittler prüfen, ob Attentäter islamistische Motive hatte POLITIK Gina-Lisa Lohfink, der Prozess und der Pranger Seite 8 WIRTSCHAFT Microsoft übernimmt LinkedIn Seite 9 FEUILLETON Neue Biografie zeigt, wie Donald Trump tickt Seite 18 PANORAMA Was Männer künftig tragen Nr. 137 KOMMENTAR D eutschland hat gewonnen, aber das Spiel war nicht so richtig gut. Was könnte der Grund gewesen sein? Jogi Löw hat es wieder einmal versäumt, die Hymne zu trainieren. Mesut Özil und Jérôme Boateng wirkten so, als ob sie das Lied zum ersten Mal gehört hätten. Dabei ist das eine Standardsituation, auf die jede Mannschaft vorbereitet sein sollte. Natürlich ist der Text merkwürdig, da kommen Worte wie „Unterpfand“ vor, und dann soll etwas „im Glanze dieses Glückes“ blühen. Da fragt man sich schon, welche Drogen der Typ genommen hat, der für den Text verantwortlich war. Aber eigentlich hat nur die spanische Hymne einen guten Text. Ein weiterer Grund für den nicht ganz so großartigen Sieg war die mangelnde Fahnenschwenkkraft in der Heimat. Bei dieser EM wurden bisher 8,4 Prozent weniger Fahnen geschwenkt als bei der WM, das kann am Ende entscheidend sein. Da ist es mehr als unverantwortlich, wenn die Jugendorganisation der rheinland-pfälzischen Grünen zum Fahnenboykott aufruft und die Fahnenschwenker mit Nazis gleichsetzt. Dabei hat Hitler weder eine EM noch einen Weltkrieg gewonnen. B N ach dem verheerenden Massaker in einem Schwulenklub in Orlando rätseln die Behörden über die Motive des mutmaßlichen Attentäters. In einem Anruf an die Polizei hatte sich der 29-jährige Omar Mateen zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannt. Der IS-Radiosender al-Bajan bezeichnete Mateen als „einen der Soldaten des Kalifats in Amerika“. Auch die IS-Agentur Amaak berichtete, der Angriff sei von einem ihrer Kämpfer ausgeführt worden. Insgesamt 50 Menschen starben in dem Klub, in dem in der Nacht zum Sonntag eine Latino-Party stattfand. 53 Verletzte wurden am Montag noch behandelt und schwebten teilweise noch in Lebensgefahr. Das Attentat gilt als das schlimmste Schusswaffenmassaker in der jüngeren Geschichte der USA und löste weltweit Entsetzen aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, dass sich die Deutschen von solchen Anschlägen nicht abhalten lassen würden, weiter ein offenes und tolerantes Leben zu führen. Mateen, dessen Familie aus Afghanistan stammt, wurde in New York geboren und lebte in Fort Pierce in Florida, wo er seit 2007 für die Sicherheitsfirma GS4 arbeitete. Seit mindestens 2011 hatte er eine Waffenlizenz. Bei der US-Bundespolizei war Mateen kein Unbekannter. 2013 hatte er erstmals wegen hetzerischer Aussagen im Visier des FBI gestanden. Im Jahr da- rauf hatten Beamte mögliche Verbindungen von Mateen zu einem amerikanischen Selbstmordattentäter in Syrien geprüft. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Der Vater des mutmaßlichen Angreifers, Mir Seddique, deutete an, dass sein Sohn von Schwulenhass getrieben gewesen sein könnte. Mateen sei vor zwei Monaten wütend geworden, als er gesehen habe, dass sich zwei Männer geküsst hätten, sagte er dem Sender MSNBC. Ein islamistisches Motiv schloss er aus. Mateens Ex-Frau Sitora Yusufiy berichtete von Übergriffen ihres Ex-Mannes und schilderte ihn als gewalttätig, aufbrausend, unberechenbar und „psychisch krank“. Ein Ex-Kollege beschrieb ihn als „labil und verstört“. Er habe immer wieder gegen Schwarze und Schwule gewettert und Drohungen ausgestoßen. Ein Vorstrafenregister hatte Mateen nicht. US-Präsident Barack Obama verurteilte die Tat als „Akt des Terrors“ und „Akt des Hasses“. Er verwies darauf, wie leicht es für Angreifer sei, sich in den USA eine Waffe zu besorgen, um Unschuldige in Schulen, Kirchen und Kinos zu töten. Experten gehen davon aus, dass das Terrorthema nun den US-Wahlkampf dominieren wird. Die demokratische Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton forderte ein strengeres Waffengesetz. Es müssten Maßnahmen ergriffen werden, damit Waffen nicht in die Hände von Kriminellen und Terroristen fallen. Der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Donald Trump, erklärte: „Ich habe gesagt, dass so was passieren wird, weil unsere Führungsfiguren schwach sind – und es wird nur noch schlimmer werden.“ Trump erneuerte seine auch in der eigenen Partei umstrittene Forderung nach einem pauschalen Einreiseverbot für Muslime. Die Grünen verurteilten Trumps Reaktion. „So ein Attentat zu nutzen, das ist erbärmlich, das ist widerlich“, sagte Parteichefin Simone Peter in Berlin. In dieser Ausgabe: Seite 2: Reportage aus Orlando nach dem furchtbaren Attentat. Und: Die Rolle der Schwulenklubs als Refugium. Seite 3: Eine Mutter ist machtlos: Dramatischer SMS-Hilferuf aus dem „Pulse“. Seite 4: Die Namen der Toten sind noch nicht alle veröffentlicht: Wer waren die Opfer? Seite 5: „Einsame Wölfe“ heißen die Täter, die sich im Stillen radikalisieren. Auch in Deutschland schlug einer von ihnen zu. Siehe Kommentar ULF er Terrorist Trump einen Demagogen POSCHARDT ist immer und Spalter im Anflug auf auch Amodas Weiße Haus, in Europa kläufer, weil laufen linke und rechte er seine inHetzer Sturm gegen das nere Kaputtheit und Zerstörtheit mit Ideal einer freien, toleranten, neoliberamaximaler Gewalt gegen eine unschul- len Gesellschaftsordnung. Sie freuen sich dige Mitwelt richtet. Sein Hass wird in über jede Verschärfung des Klimas, weil den rationalen Inseln seiner gekippten es ihr eigenes, destruktives Agieren aufExistenz mit politischen Ideologien an- wertet. Der Terrorist will die freie Gesellgefüttert. Der Islamismus ist dabei gera- schaft nicht besiegen, sondern er will ihr de besonders infektiös. Aus einer poli- ihre Freiheit rauben. Er will sie zerstören, tisch radikalen Auslegung religiöser An- und wer jetzt von unserer Zivilisiertheit liegen ist eine nihilistische Bewegung und Aufgeklärtheit abrückt, bereitet gegeworden, die den Koran zu einer Un- nau das vor. Der dschihadistische Terror muss mit terdrückungs- und Vernichtungstheorie umdeuten will. Natürlich haben der Isla- allen Mitteln bekämpft werden – ohne mismus, der Islamofaschismus und das dass wir unsere Werte dabei verraten. Barbarentum des IS mit dem Islam zu Was dazu dient, die Handlanger, Propatun. In einigen Ländern kommt eine gandisten, Finanziers (auch wenn es unmiese Lesart des Koran zu sich selbst, in sere Verbündeten sind) und Hauptdaranderen, leider viel zu vielen Ländern steller dieser Abscheulichkeiten schnell dieser Welt ist der Islam eine weitge- und entschieden auszuschalten, muss hend unaufgeklärte, antisäkulare und im getan werden. Wie bei den Anschlägen Vergleich zum christlich-jüdischen in Paris und Brüssel war auch der Mörder von Orlando im Blick der Behörden. Abendland intolerante Religion. Das ist ein Problem, gerade für Millio- Hier müssen sich Polizei und Geheimnen von Muslimen, die nicht nur Gläubi- dienste fragen, wie sie ihre Einschätzunge, sondern Avantgarde der freien Welt gen und Überwachungen im Zweifel sind: ganz selbstverständlich integriert, strikter interpretieren. Auch wenn dies dankbar für ihre uneingeschränkte Be- kostspielig und personalaufwendig ist. Auf internationaler Ebene muss newegungs- und Denkfreiheit. Insbesondere die homosexuellen Muslime, die ih- ben den sinnvollen militärischen Operare Liebe fast nur im freien Westen aus- tionen im Nahen Osten auch über das leben können. Hinzu kommen die Mil- stillschweigende Tolerieren beziehungslionen freiheitssehnsüchtigen Muslime weise Finanzieren des Dschihadismus in zurückgebliebenen Gesellschaften. gesprochen werden. Was ist mit den Sie bilden das revolutionäre Subjekt für Geldquellen in Katar und Saudi-Arakünftige Erhebungen, wenn es darum bien? Ohne Geschäftspartner hat der geht, die repressiven, reaktionären Mit- Terror keine ökonomische Basis. Im Intelalterbastionen wegzufegen. Sie müs- land müssen die Koranschulen und Mosen der strategische Partner des Wes- scheen stärker unter Druck geraten, die tens sein und als solche gefördert wer- Schwulenhass, Frauenverachtung, Wut den. Unsere Freiheit wird nicht nur am auf unsere Lebensart predigen. Doch all Hindukusch verteidigt, sondern auch dies muss kühl und affektfrei geschehen. bei den Bürgerrechtlern und Oppositio- Diejenigen, die jetzt ihr generalisierennellen in Teheran, Riad, Kairo und Ka- des, rassistisches Ressentiment grölend bul, allesamt Orte, bei denen es keinen an Stammtischen und in sozialen NetzCSD, keine Gay Pride Parade gibt, wie werken loswerden müssen, unterlaufen die „taz“ richtig bemerkte. Die einzige die Würdeanforderungen des freien Schwulenparade der Region gibt es in Westens. Gerade wenn der Westen hart und Tel Aviv. Der IS ist der mächtigste und infams- kompromisslos gegen die Wurzeln des te Denunziant des Islam. Er verbindet Terrors vorgeht, muss die instrumenteleine Religion, die auch friedlich inter- le Vernunft von Rachegefühlen befreit pretiert werden kann, mit Blutbädern sein. Der Westen kann selbstbewusst und feigen Attacken. Das Selbstbild ei- sein. Der Dschihadismus ist ein Todesnes vermeintlichen Helden, der schwer kult ohne politische Option und ohne jebewaffnet auf die wehrlosen Vertreter de ökonomische Idee. Der amerikanieiner freien Gesellschaft feuert, auf sche Soziologe Richard Florida konnte Drag Queens, Lesben und junge Bur- nachweisen, dass dort am meisten Innoschen, die einfach nur eine andere Sehn- vation und Wertschöpfung geschieht, sucht verspüren, marschiert an den wo sich kreative Eliten wohlfühlen. Ein Nullpunkt der Zivilisation. Er versün- selbstbestimmtes schwules Leben ist digt sich an der Humanität. Und: Er dabei einer der zentralen Parameter. Wo stellt sich jenseits jeden Dialogs, jeder Schwule glücklich und unbehelligt leben Auseinandersetzung, jeder Logik abseits können, geht es allen Bürgern signifivon Polizeisondereinheiten im Land kant besser. Das gilt auch umgekehrt: und Elitesoldaten in den IS-Hochburgen Die ökonomische Ausweglosigkeit weiim Nahen Osten. ter Teile der arabischen Welt, aber auch Kommen wir zu uns. Dem freien Wes- Russlands hat mit einer Kultur der Unten. Wie können wir auf die „radikalen freiheit zu tun. Der Verrat der Freiheit Verlierer“, wie Hans Magnus Enzensber- fängt im Kleinen an. Dazu gehört auch ger die Dschihadisten nannte, antworten? die Homophobie. Was macht die Barbarei mit uns? Der TerEs ist ein Privileg, in Freiheit lieben ror trifft nach 15 Jahren Krieg gegen den und leben zu dürfen. Wir müssen dieses Terror, nach Währungs-, Wirtschafts- Privileg in jede Richtung wehrhaft verund Flüchtlingskrisen auf gereizte Gesell- teidigen. Es wird nicht leichter. [email protected] schaften. Die USA haben mit Donald Seite 20 DAX Deutsche Tugenden Im Minus Seite 15 Dax Schluss Euro EZB-Kurs Punkte US-$ 9657,44 –1,80% ↘ Steif in der Hüfte, aber tapfer den Kopf hingehalten: Was uns der erste Auftritt der „Mannschaft“ bei der EM verrät Dow Jones 17.40 Uhr 1,1268 17.833,38 –0,31% ↘ –0,18% ↘ Punkte ANZEIGE Erdbebensicher Die neue Bay Bridge von San Francisco Heute um 21.05 Uhr Wir twittern Diskutieren live aus dem Sie mit uns Newsroom: auf Facebook: twitter.com/welt facebook.com/welt „Die Welt“ digital Lesen Sie „Die Welt“ digital auf allen Kanälen – mit der „Welt“-App auf dem Smartphone oder Tablet. Attraktive Angebote finden Sie auf welt.de/digital oder auch mit den neuesten Tablets auf welt.de/bundle W ird eigentlich zu viel über die Sekundärbedeutungen des Fußballs geredet statt über das Spiel? Wird der Fußball regelmäßig überfrachtet und für Zweit- und Drittwitze benutzt? Aber ja. Und sollte man damit aufhören? Aber ja. Wir vom – Achtung, Intellektuellenanspielung – Son(n)tags-Verein „Gegen Interpretation“ rufen deshalb zur Mäßigung auf und wollen zudem eine andere Sichtweise des Eröffnungsspiels vorschlagen, zugegebenermaßen als Interpretation. Der Schlusspfiffjubel nach dem 2:0 in Lille war noch nicht verhallt, da applaudierte die interessierte Öffentlichkeit den tragenden Teilen der deutschen Nationalmannschaft, also etwa dem überraschenden Torschützen Shkodran Mustafi und dem fulminanten Tatortreiniger Jérôme Boateng. Es ging vorwiegend um deren Migrationshintergründigkeit. Ha, ha, ein Mann mit Eltern aus Albanien schießt das erste Tor. Hui, Boateng hält Neuers Kasten sauber. Wer glaubte, alle Nachbarwitze in Bezug auf Boateng seien bereits gerissen, wurde gleich eines Besseren belehrt. Man kann nun mit der Nationalmannschaft verschiedene AfD-Scharmützel befeuern. Man kann und wird wohl die leidige Debatte über die Wurzelung der Nationalspieler weiterführen. Mit Fußball hat das aber wenig zu tun. Festhalten wollen wir, dass mit dem gleichen Recht am Sonntag alle bekannten deutschen Tugenden auf dem Platz zu sehen waren. Als da sind: Kopf hinhalten: Was anderes als eine Kopfballungeheuerlichkeit war es, die zum 1:0 führte? Shkodran Mustafi hat sich einen Ehrenplatz in der Horst-Hrubesch-Ruhmeshalle erspielt. So war deutscher Fußball immer. Siehe Mats Hummels 2014 gegen Frankreich. Gewaltschusstechnik: Sami Khedira schoss hart und geradeaus, scheiterte gleich zwei Mal am Torwart. Astreine Vorläufer beim Draufhalten: Bernd „Doktor Hammer“ Nickel. Thomas „The Hitz“ Hitzlsperger. Abzüge in der B-Note: Selbst in den schwächeren Teilen war es eine typisch deutsche Mannschaft, samt teutonischer Hüftsteifigkeit in Reinform und pessimistischer Weitsicht bei Mesut Özil. Thomas Müller über ihn: „Mehr deutsch geht kaum.“ Ins Netz schmeißen: Jérôme Boatengs hochelegante Rettung vor dem eigenen Ball war sowieso typisch deutsch. Sich reinschmeißen. Alles geben. Mund abwischen und weitermachen. Ingenieurkunst: Sowie einen höchst zuverlässigen Maschinenwart in Gestalt von Toni Kroos im Team zu haben. Uhrwerk-Tugenden und Selbstbewusstsein ohne Arroganz. Punkt. Ist das deshalb das deutscheste Team ever? Wer vermag es zu sagen? Wir wollen das Spiel nicht weiter überfrachten. Am Morgen nach dem Sieg amüsierte sich die interessierte Öffentlichkeit im Netz über eine per Video verbreitete Hygiene-Geste des Bundestrainers. HOLGER KREITLING Es wird zu viel über Zweitrangiges geredet. DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410 Täglich weltweit in über 130 Ländern verbreitet. Pflichtblatt an allen deutschen Wertpapierbörsen. Telefon: 030 / 2 59 10 Fax 030 / 259 17 16 06 E-Mail: [email protected] Anzeigen: 030 / 58 58 90 Fax 030 / 58 58 91 E-Mail [email protected] Kundenservice: DIE WELT, Brieffach 2440, 10867 Berlin Telefon: 0800 / 9 35 85 37 Fax: 0800 / 9 35 87 37 E-Mail [email protected] A 3,20 & / B 3,20 & / CH 5,00 CHF / CZ 95 CZK / CY 3,40 & / DK 25 DKR / E 3,20 & / I.C. 3,20 & / F 3,20 & / GB 3,00 GBP / GR 3,40 & / I 3,20 & / IRL 3,20 & / L 3,20 & / MLT 3,20 & / NL 3,20 & / P 3,20 & (Cont.) / PL 15 PLN / SK 3,20 € + © Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung DW-2016-06-14-zgb-ekz- 50de92ccf22364cd0863117428ec585a ISSN 0173-8437 137-24 ZKZ 7109
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