DIENSTAG, 31. MAI 2016 KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7 ** D 2,50 E URO Zippert zappt THEMEN PANORAMA Mehrere Tote und verwüstete Orte durch Unwetter Seite 24 POLITIK 100 Millionen Euro Soforthilfe für Milchbauern Seite 5 Abgehängte Republik DOROTHEA SIEMS Die Kanzlerin und ihr Nachbar PA/DPA/WOLFGANG KUMM; PA/DPA Sympathie, ja Bewunderung liegt in dem Blick, den Bundeskanzlerin Angela Merkel Fußball-Nationalspieler Jérôme Boateng zuwirft. Es ist November 2014, die Nationalmannschaft ist gerade für ihren Weltmeistertitel geehrt worden. Heute steht Boateng im Zentrum einer Debatte, die AfD-Vizechef Alexander Gauland mit seiner diskriminierenden Äußerung losgetreten hat. Und Merkel findet schnell deutliche Worte. „Dieser Satz, der gefallen ist, der ist ein niederträchtiger und ein trauriger Satz“, lässt sie über Regierungssprecher Steffen Seibert ausrichten. Gauland war von der „FAS“ mit den Worten zitiert worden, „die Leute finden ihn als Fußballspieler gut, aber wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben“. Der AfD-Politiker hat damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Boateng selbst bleibt cool: Die ganze Sache habe ihn „nicht besonders beSeiten 4, 19 und 21 schäftigt“. Deutsche Wirtschaft verliert im Wettbewerb an Biss Bundesrepublik nicht mehr unter den zehn konkurrenzfähigsten Ländern. Bröckelnde Infrastruktur, hohe Arbeitskosten und Steuern schlagen negativ zu Buche. Forscher sehen auch Risiko politischer Instabilität D er Standort Deutschland verliert an Attraktivität. Anders als im Vorjahr gehört die wirtschaftsstärkste Nation Europas aktuell nicht mehr zu den zehn wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt. Dies zeigt das internationale Ranking der 60 konkurrenzfähigsten Staaten, das das schweizerische IMD World Competitiveness Center in Lausanne veröffentlichte. Demnach rutschte Deutschland auf den zwölften Platz ab. VON DOROTHEA SIEMS WISSEN Die dicken Kinder von Europa Seite 20 FEUILLETON Wie kam es zur Skagerrak-Schlacht? Nr. 125 KOMMENTAR D eutsche Milchbauern haben gegen den Preisverfall demonstriert. Sie forderten, den Milchpreis endlich von den Umfrageergebnissen der SPD abzukoppeln. Zurzeit erhalten Landwirte etwa 19 Cent pro Liter, was dem Anteil der Wähler entspricht, die ihre Stimme für die SPD abgeben würden. Um kostendeckend zu arbeiten, benötigen die Bauern mindestens 35 Cent – eine Zahl, von der die SPD Jahrhunderte entfernt ist, die aber nötig wäre, damit Gabriel nicht mehr als Leibeigener von Merkel arbeiten muss. Die Bauern erklärten, Milch sei, im Gegensatz zur Sozialdemokratie, ein hochwertiges Produkt, dessen Herstellung sehr aufwendig sei. Das Landwirtschaftsministerium sicherte Soforthilfen in Höhe von 100 Millionen Euro für die Milchbauern zu. Landwirtschaftsminister Schmidt forderte strukturelle Änderungen auf dem Milchmarkt, er sagte, ein „Weiter so“ dürfe es nicht geben. Die SPD-Spitze reagierte und verlangte Zuwendungen in gleicher Höhe. Sigmar Gabriel lehnte jedoch strukturelle Änderungen strikt ab. Die SPD lasse sich nicht vorschreiben, wie viele Kühe sie zu halten habe. B An der Spitze der Rangliste stehen wie schon im vergangenen Jahr Hongkong, die Schweiz, Singapur und die USA. Allerdings fand auf den Medaillenplätzen ein Wechsel statt: Die Amerikaner müssen sich, nachdem sie drei Jahre lang Platz eins belegt hatten, dieses Mal mit Bronze zufriedengeben. Denn Hongkong konnte sich an die Spitze setzen, gefolgt von der Schweiz auf Platz zwei. Singapur belegt den vierten Rang. Zur Gruppe der Top Ten zählen zudem die EU-Mitglieder Schweden, Dänemark, Irland und die Niederlande sowie die Norweger und Kanadier. Den Deutschen – die 2015 noch auf dem zehnten Platz lagen – bescheinigt das IMD gleich auf mehreren Feldern eine schlechtere Performance als im Vor- jahr. Während die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit stagniert, rutscht die Bundesrepublik bei der Effizienz des staatlichen Handelns weiter ab. Auch die Infrastruktur wird schlechter bewertet. Blickt man auf einige der rund 340 Kriterien, die in das Ranking eingeflossen sind, so hat etwa die Exportstärke der hiesigen Unternehmen gelitten. Die Perspektive der Langzeitarbeitslosen hat sich ebenfalls eingetrübt. Insgesamt bewerten die Forscher die Entscheidungen der Regierung aktuell negativer als im Vorjahr. Und auch das Risiko politischer Instabilität wird größer eingeschätzt. Der Grund dürfte in der stark nachlassenden Zustimmung in der Bevölkerung für die Volksparteien SPD und Union und dem Erstarken der rechtspopulistischen AfD liegen. Denn in Zukunft könnte es schwieriger werden, stabile Regierungskoalitionen zu bilden. An der insgesamt ungünstigeren Bewertung der hiesigen Wettbewerbsstärke tragen aber auch Deutschlands Manager eine Mitschuld. Denn die Chefetagen deutscher Unternehmen schneiden diesmal schlechter ab als noch vor einem Maschinenbauer skeptisch Gedämpfte Exportaussichten sorgen für verhaltene Stimmung bei den deutschen Maschinenbauern. Krisen wie die Russland-Sanktionen oder die Bürgerkriege im Nahen Osten, aber auch langsameres Wachstum in China oder die Rezession in Brasilien trübten die Geschäftsaussichten, sagte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes VDMA, Thilo Brodtmann. Daher könne der deutsche Maschinenbau nur mit einem Nullwachstum im Vergleich zum Vorjahr rechnen. Jahr, was angesichts der großen Skandale um VW oder Deutsche Bank kaum verwundert. Erheblich abgerutscht ist Deutschland zudem bei der Wirtschaftsleistung im Verhältnis zum Kapital – ein Trend, der vor allem auf die höheren Arbeitskosten zurückzuführen ist. Negativ schlagen sich auch die vergleichsweise hohen Energiekosten der Industrie in der Gesamtwertung nieder. Doch es gibt auch positive Entwicklungen. Bei den genutzten Patenten rückten die Deutschen weiter nach vorne. Auch das Klima für Gründer hat sich laut IMD verbessert. Zudem wird die künftige Energiesicherheit wieder etwas positiver gewertet als noch vor einem Jahr. Bessere Noten gibt es auch für die öffentlichen Finanzen, zumal nicht nur der Bund, sondern auch der Staat insgesamt 2015 mit einem Einnahmeüberschuss abgeschlossen hatte. Einen positiven Effekt hat nach dem Urteil der Forscher auch die starke Zuwanderung: Weil es vor allem junge Leute nach Deutschland zieht, wird die Alterung der hiesigen Gesellschaft abgemildert. Siehe Kommentar und Seite 9 D eutschlands wirtschaftliche Stärke ist beeindruckend. Die Unternehmen konkurrieren erfolgreich auf den Weltmärkten; die Arbeitnehmer sind überwiegend hoch qualifiziert und produktiv. Man hat sich hierzulande daran gewöhnt, im Ausland als Europas Wachstumslokomotive bewundert und beneidet zu werden. Doch die guten Zeiten könnten schon bald vorbei sein. Denn das weltweit am meisten beachtete Wettbewerbs-Ranking, präsentiert vom schweizerischen IMD World Competitiveness Center, zeigt in dramatischer Deutlichkeit, dass die Deutschen bei Weitem nicht genug dafür tun, um auch in Zukunft zu den wohlhabendsten Ländern der Welt zu gehören. Dass es die Bundesrepublik in diesem Jahr nicht einmal mehr unter die Top Ten geschafft hat, ist ein Alarmzeichen, das die hiesige Politik unbedingt zur Kenntnis nehmen sollte. Vor allem die Performance des Staates wird von den Forschern zunehmend negativ beurteilt. Das Steuersystem ist zu kompliziert und infolge der hohen Belastung wenig leistungsfördernd. Der Arbeitsmarkt gilt gleichfalls als stark überreguliert. Bedenklich ist zudem, dass die Staatsausgaben größtenteils als Sozialleistungen in den Konsum fließen, während die Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur seit Jahren zu kurz kommen: Man lässt es sich jetzt richtig gut gehen – und verfrühstückt munter die eigene Zukunft. Da Deutschlands Bevölkerung rasant altert, wird es in den nächsten Jahren zunehmend schwieriger werden, die Weichen wieder in Richtung Standortstärkung zu stellen. Statt die Sozialsysteme an die Herausforderungen einer digitalen und globalen Wirtschaftswelt anzupassen, buhlen die Parteien kurzsichtig mit immer neuen Rentenversprechen und besseren Pflegeleistungen um die Gunst der älteren Wähler. Dass das Erwirtschaften vor dem Verteilen kommt, scheint längst in Vergessenheit geraten zu sein. An der Spitze des Länder-Rankings stehen mit Hongkong, der Schweiz, den USA und Singapur seit Jahren diejenigen Staaten, die den internationalen Konkurrenzkampf als Chance sehen, die eigene Wirtschaft zu immer besseren Leistungen anzuspornen. Erfolgreiche Arbeitgeber werden nicht als Ausbeuter verteufelt, und die Politik sieht den Staat nicht als besseren Unternehmer. Doch auch Wohlfahrtsstaaten wie den Niederlanden und Schweden gelingt es, Deutschland abzuhängen. Dies zeigt, dass soziale Marktwirtschaft dynamisch und zukunftsfähig sein kann, wenn die Politik darauf achtet, dass die Balance am Ende stimmt. [email protected] Seite 22 Im Plus „Top Gear“ im Dienste Ihrer Majestät Seite 15 Wie die berühmteste Autoshow dazu beiträgt, den britischen Status als Weltmacht zu verteidigen. Neuauflage wird aber grandios verrissen DAX Dax Schluss Euro EZB-Kurs Dow Jones 27.05.16 Punkte US-$ Punkte 10.333,23 1,1139 +0,46% ↗ –0,25% → 17.873,22 +0,25% ↗ ANZEIGE Meilensteine der Automobilgeschichte „N24 Drive“ Heute um 18.25 Uhr Wir twittern Diskutieren live aus dem Sie mit uns Newsroom: auf Facebook: twitter.com/welt facebook.com/welt „Die Welt“ digital Lesen Sie „Die Welt“ digital auf allen Kanälen – mit der „Welt“-App auf dem Smartphone oder Tablet. Attraktive Angebote finden Sie auf welt.de/digital oder auch mit den neuesten Tablets auf welt.de/bundle E s ist nicht ausgeschlossen, dass Großbritannien sich in drei Wochen selbst abschafft. Die Regierung könnte kollabieren, das Vereinigte Königreich auseinanderbrechen, der letzte Rest des Empire sich endgültig in nichts auflösen. Kommt es zum Brexit, wird politisch nichts mehr so sein, wie es ist. Anders ausgedrückt: Es bleibt alles beim Alten. VON EVA LADIPO AUS LONDON Denn was bedeutet heutzutage noch das konventionelle politische Geschäft? Wenig. Seinen Weltmachtstatus hat Großbritannien nicht der Flotte von Atom-U-Booten zu verdanken. Oder seiner Allianz mit Amerika oder dem Kotau gegenüber China. Nein. Politisch hat London nicht mehr viel mitzureden. Es ist eine andere Art von Macht, mit der sich das Land als Supermacht behauptet. „Soft power“ nen- nen Experten jene Form von Einfluss, die nicht mit Gewalt oder Geld gewonnen wird, sondern mit der Fähigkeit, andere für sich zu interessieren. So gesehen spielt es für den globalen Einfluss Londons kaum eine Rolle, ob das Land Mitglied der EU bleibt oder nicht – solange es den Rest der Welt weiter mit der Premier League bespielt, mit James Bond und Harry Potter, der Royal Family und nicht zuletzt mit „Top Gear“, der berühmtesten Autoshow der Welt. „Top Gear“ erreicht schätzungsweise 350 Millionen Zuschauer weltweit. Die Show wird auf allen Kontinenten in 83 verschiedenen Ländern gezeigt. Eine effektivere Art, sich rund um den Globus beliebt zu machen, kann sich kein Außenministerium ausdenken. Die lang erwartete neue Staffel der Autoshow ist deshalb mehr als nur ein Stück Fernsehgeschichte. Die Rezensionen am Tag danach nehmen zu Recht mehr Platz ein als die jüngsten Pirouetten der Brexit-Debatte. Schließlich hat Großbritannien an „weicher“ Macht mehr zu verlieren als an harter. Die Kritik am neuen Moderator Chris Evans ist freilich verheerend: „Die ganze Show fühlt sich an, als hätte jemand ,Top Gear‘ auf Suaheli übersetzt und dann zurück auf Englisch. Die Absicht stimmt, aber die Ausführung ist zu schlecht, um wahr zu sein “, urteilt der „Guardian“. Auch anderswo wird die Show genussvoll verrissen. Die „Times“ schreibt: „Die Wiederbelebung wirkt fieberhaft“, und analysiert, dass die lieb gewonnene politische Unkorrektheit von Evans’ Vorgänger Jeremy Clarkson fehlt: „Eine neue Ära der multikulturellen Toleranz – das ist wirklich nicht sehr gut. Das alte ,Top Gear‘ war männlich, provinziell und würde wahrscheinlich für den Brexit stimmen. Das neue hat eine deutsche Rennfahrerin dabei, einen amerikanischen Schauspieler, indische Köche und zwei Transvestiten. ,Top Gear‘ ist metrosexuell geworden.“ Ihre Freude an der Show können die Kritiker dennoch nicht verhehlen. Fest steht, dass beim nächsten Mal alle wieder einschalten. Keiner will eine Episode verpassen, alle wollen mitreden. DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410 Täglich weltweit in über 130 Ländern verbreitet. Pflichtblatt an allen deutschen Wertpapierbörsen. Telefon: 030 / 2 59 10 Fax 030 / 259 17 16 06 E-Mail: [email protected] Anzeigen: 030 / 58 58 90 Fax 030 / 58 58 91 E-Mail [email protected] Kundenservice: DIE WELT, Brieffach 2440, 10867 Berlin Telefon: 0800 / 9 35 85 37 Fax: 0800 / 9 35 87 37 E-Mail [email protected] A 3,20 & / B 3,20 & / CH 5,00 CHF / CZ 95 CZK / CY 3,40 & / DK 25 DKR / E 3,20 & / I.C. 3,20 & / F 3,20 & / GB 3,00 GBP / GR 3,40 & / I 3,20 & / IRL 3,20 & / L 3,20 & / MLT 3,20 & / NL 3,20 & / P 3,20 & (Cont.) / PL 15 PLN / SK 3,20 € + © Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung DW-2016-05-31-zgb-ekz- 32b45ddf23b124c573be2b5d543e801f ISSN 0173-8437 125-22 ZKZ 7109
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