Leseprobe als PDF - Personal Schweiz

Inhalt
3
Editorial
24
Wie Staff Finder den Personalverleih revolutioniert
Experten-Interview
6
«Arbeitssicherheit ist Chefsache»
André Meier von der Suva über die Unfallprävention
«Eine völlig neue Herangehensweise»
Personalarbeit in der Praxis
26
Benchmarks für das BGM
Das Qualitätslabel Friendly Work Space bietet
Standards für das Gesundheitsmanagement
Arbeitsrecht
10
Zweifelhafte Zeugnisse
Was beim Nachweis der Arbeitsunfähigkeit
in rechtlicher Hinsicht entscheidend ist
28
Risiken frühzeitig erkennen
Ein neues Tool von Helsana unterstützt das BGM
30
Freizeitunfälle verhindern
Praktische Unterstützung für die Unfallprävention
12
Arbeitsunfähig oder nicht?
Praxisfragen zu Arbeitszeugnis und Vertrauensarzt
33
Die Erfolgsgeheimnisse von Google’s HR
Lohn
14
Richtig und gerecht rechnen
Lohnfortzahlung bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit
Sozialversicherungen
16
«Platzhalter»
Werte & Kompetenzen
34
Sicherheit und Verbundenheit
Wie das limbische System das Verhalten bestimmt
36
Orientierung geben und Sinn stiften
Weshalb Sinnstiftung in der Führung zentral ist
Eine Versicherungslücke vermeiden
Krankentaggeldversicherung nach VVG und KVG
HR-Strategie
18
Prioritäten für die nahe Zukunft
Wo für HR-Manager in den nächsten Jahren
die grössten Herausforderungen liegen
38
Betriebsinternes Potenzial fördern
Wie die Gastro-Branche Weiterbildung unterstützt
Work+
40
Work-Life-Balance geht über Karriere
Freizeit hat für viele Schweizer oberste Priorität
20
Vom Verwalter zum Gestalter
Weshalb das HR die Kollaboration fördern muss
42 Vorschau / Impressum
personalSCHWEIZ
Juni 2016
5
Experten-Interview
Unfallprävention
«Arbeitssicherheit ist Chefsache»
Durch konsequente Präventionsarbeit konnte die Suva zusammen mit den Betrieben die Zahl
der Arbeitsunfälle in den letzten Jahren kontinuierlich reduzieren. André Meier, Leiter der Abteilung Arbeitssicherheit, über die Gefahren im Berufsleben und wirksame Präventionsinstrumente.
Interview geführt von Wolf-Dietrich Zumach
personalSCHWEIZ: Herr Meier, die
Suva ist für viele einfach ein Versicherungsunternehmen. Können Sie
uns einmal skizzieren, was die Suva
darüber hinaus noch alles macht?
André Meier: Die Suva sagt von sich
selber: «Wir sind mehr als eine Versicherung.» Denn wir vereinen Prävention,
Versicherung und eine ganzheitliche
Rehabilitation. Mit den verschiedenen
Massnahmen unserer Präventionsarbeit
versuchen wir, Arbeits-, aber auch Freizeitunfälle sowie Berufskrankheiten zu
verhindern. In der Versicherung sind wir
mit gesetzlich definierten Kunden eher
klassisch unterwegs. Und bei der Rehabilitation ist unsere Spezialdisziplin die
arbeitsorientierte Integration.
Welche Branchen sind in der Schweiz
besonders von Arbeitsunfällen
betroffen? Oder anders gefragt:
Was sind die gefährlichsten Berufe
in der Schweiz?
In der Unfallstatistik UVG fällt im SuvaVersichertenbereich das Bauhaupt- und
Baunebengewerbe mit relativ hohen
Fallrisiken und langen Ausfallzeiten auf.
Danach folgt die Branche Transport und
Logistik. Spitzenreiter bezogen auf das
Fallrisiko ist aber die Forstwirtschaft. Falls
man die Fallzahlen von allen Unfallversicherern zusammen betrachtet, weist –
ziemlich überraschend – die Branche
der Organisatoren von Sport- und Freizeitveranstaltungen das höchste Berufsunfallrisiko auf. Damit gemeint sind insUnfallstatistik UVG
Die jährliche Unfallstatistik UVG ist die
umfassende Statistik aller Unfallversicherer in der Schweiz und zeigt die Entwicklung der Unfallzahlen und Unfallursachen,
der Berufskrankheiten und deren Kosten.
www.unfallstatistik.ch
6
personalSCHWEIZ
Juni 2016
André Meier möchte bis 2020 die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle auf 50 pro Jahr senken.
besondere Unternehmen, die Festivals,
Kulturanlässe oder Theateraufführungen
organisieren. Denken Sie zum Beispiel an
den Beruf des Bühnenbauers.
Welches sind die häufigsten Unfallursachen?
Die von der Anzahl her häufigste Unfallursache mit rund einem Drittel aller Unfälle ist das Stürzen und das Stolpern auf
ebener Fläche, also beispielsweise durch
ein Ausrutschen beim Gehen. Betrachtet
man die Schwere der Folgen eines Unfalls,
so ist das Abstürzen aus der Höhe die gefährlichste Unfallursache.
Wie haben sich die Zahlen bei den
Berufsunfällen in den letzten Jahren
entwickelt?
Bezogen auf die Zahl der Vollbeschäftigten sinkt die Anzahl der Berufsunfälle
glücklicherweise seit Jahren kontinuier-
lich, in den letzten Jahren durchschnittlich um mehr als ein Prozent pro Jahr. Das
sind für uns schöne Erfolge und sicher zu
einem grossen Teil unserer Präventionsarbeit zuzuschreiben. Dennoch registrieren
wir derzeit in Suva-versicherten Betrieben
immer noch knapp 180 000 Berufsunfälle pro Jahr. Dies entspricht einem durchschnittlichen Fallrisiko von rund 88 Fällen
pro 1000 Vollbeschäftigte. 2015 verloren
gegen 60 Arbeitnehmende ihr Leben bei
Berufsunfällen.
Mit Ihrer Kampagne «Vision 250 Leben» wollen Sie bis zum Jahr 2020
250 tödliche Berufsunfälle verhindern.
Ist das nicht ein wenig ambitioniert?
Die Kampagne wurde 2010 gestartet
und läuft bis 2020, das Ziel ist in der Tat
ambitioniert. Sollten wir dieses Ziel aber
erreichen, und davon sind wir überzeugt,
bedeutet das eine Halbierung der tödli-
Arbeitsrecht
Arztzeugnis
Zweifelhafte Zeugnisse
Arztzeugnisse bieten in der Praxis immer wieder Anlass zu Zweifeln. Welche gesetzlichen
Rahmenbedingungen beim Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit zu beachten sind.
Von Marco Habrik
M
acht der Arbeitnehmende bei Arbeitsunfähigkeit einen Lohnfortzahlungsanspruch geltend, hat er seine
unfall- oder krankheitsbedingte Verhinderung nach der allgemeinen Beweisregel
von Artikel 8 ZGB zu beweisen. Dasselbe
gilt bei einer Berufung auf die Nichtigkeit
einer Kündigung, die vom Arbeitgeber
während einer Arbeitsunfähigkeit oder
eines anderen Sperrfristtatbestandes
nach Artikel 336c OR ausgesprochen
wurde, sowie im Zusammenhang mit
Leistungen der Arbeitslosenversicherung
und bei sonstigen Ansprüchen, die auf
einer Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmenden gründen.
Eingeschränkte Beweiskraft
Beim Arztzeugnis handelt es sich um
eine Urkunde, mit welcher der Arbeitnehmende den Beweis für seine Arbeitsunfähigkeit erbringen kann. Dies heisst
jedoch nicht, dass der Beweis durch
Vorlage eines Arztzeugnisses im Streitfall auch tatsächlich als erbracht gilt.
Die Gerichte stellen wohl regelmässig
zunächst auf ein vorliegendes Arztzeugnis im Sinne eines «Anscheinsbeweises»
ab. Bei erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit eines Zeugnisses kann der damit
vermeintlich erbrachte Nachweis der
Arbeitsunfähigkeit jedoch erschüttert
werden. Es steht dem Arbeitgeber frei,
durch Zeugen, andere Urkunden oder
Gutachten nachzuweisen, dass das beigebrachte Arztzeugnis unrichtig ist und
der Arbeitnehmende in der fraglichen
Zeit arbeitsfähig war.
Einem Arztzeugnis kommt folglich kein
absoluter Beweiswert zu. Es stellt den
Arbeitgeber nicht per se vor vollendete
Tatsachen, sondern unterliegt der freien
richterlichen Beweiswürdigung: Wenn
aus den konkreten Umständen des Ein-
10
personalSCHWEIZ
Juni 2016
Ernsthaft krank oder kerngesund? Arztzeugnisse sind häufig nicht über alle Zweifel erhaben.
zelfalles darauf geschlossen werden
kann, dass effektiv keine unfall- oder
krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit
bestanden hat, kann sich der Richter über
den ärztlichen Befund im Arztzeugnis
hinwegsetzen. Solche Fälle waren in den
letzten Jahren vermehrt anzutreffen.1 So
hatte das Arbeitsgericht Zürich beispielsweise einen Fall zu beurteilen, in dem der
Arzt, welcher das bestrittene Arztzeugnis
ausgestellt hatte, den Arbeitnehmenden
während dessen Arbeitsunfähigkeit nie
persönlich untersuchte und vor Gericht
als Zeuge widersprüchliche Aussagen
machte. Das Arbeitsgericht Zürich erachtete den Beweis der Arbeitsunfähigkeit
als nicht erbracht.2
Form und Inhalt des Zeugnisses
Zum Arztzeugnis finden sich (mit Ausnahme von Artikel 28 Absatz 5 AVIG)
keine gesetzlichen Vorschriften. Auch an
seine Form werden keine gesetzlichen
Anforderungen gestellt. Die Arbeitsunfähigkeit kann somit grundsätzlich auch
mündlich attestiert werden, soweit der
Arbeitsvertrag oder ein einschlägiger Gesamtarbeitsvertrag keine abweichenden
Regelungen enthält. Zudem steht es dem
Arbeitnehmenden offen, seine Arbeitsunfähigkeit mit anderen Beweismitteln zu
belegen, solange er damit den Arbeitgeber und im Streitfall das Gericht von seiner Arbeitsunfähigkeit überzeugen kann.
Lohn
Lohnfortzahlung
Richtig und gerecht rechnen
Die Lohnfortzahlung sorgt in der Praxis immer wieder für Unsicherheiten. Insbesondere bei einer teilweisen Arbeitsunfähigkeit ist häufig nicht klar, wie diese genau anzurechnen ist. Folgende Berechnungsbeispiele zeigen, wie richtig gerechnet wird.
Von Thomas Wachter
G
emäss OR Art. 324a hat der Arbeitgeber bei der Lohnfortzahlung den
Lohn für eine beschränkte Zeit zu entrichten – und nicht während einer beschränkten Zeit. Daraus folgt, dass bei teilweiser
Arbeitsunfähigkeit ohne Gegenleistung
der Lohn für die gesamte «beschränkte
Zeit» geschuldet ist, auch wenn sich die
teilweisen Absenzen über eine längere
Zeitdauer erstrecken.
In der Praxis wird die Lohnfortzahlung
bei einer teilweisen Arbeitsunfähigkeit
häufig falsch gerechnet, nämlich so, als
wäre die Lohnfortzahlung während einer
beschränkten Zeit zu entrichten. Das folgende Beispiel veranschaulicht dies:
Praxisbeispiel
Ein Arbeitnehmer ist im ersten Dienstjahr
zu 50 Prozent krankgeschrieben. Der Arbeitgeber bezahlt ihm den vollen Lohn
während drei Wochen und anschliessend
nur noch den Lohn für die erbrachte Arbeitsleistung von 50 Prozent.
Die Anwendung der Lohnfortzahlung
in diesem Beispiel ist nicht korrekt. Der
Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf
Lohnfortzahlung für drei volle Wochen.
Die Lohnfortzahlung dauert im vorliegenden Fall deshalb nicht drei Wochen,
sondern vielmehr sechs, da sie für eine
beschränkte Zeit zu entrichten ist.
Eine Frage der Gerechtigkeit
Zum gleichen Resultat kam das Obergericht des Kantons Solothurn, das sich
mit der Frage auseinandergesetzt hat,
wie die Lohnfortzahlung bei teilweiser
Arbeitsunfähigkeit zu handhaben ist. Die
Überlegung des Gerichts war folgende:
Es kann nicht sein, dass ein Arbeitnehmer
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personalSCHWEIZ
Juni 2016
Häufig unklar: Wie ist die Lohnfortzahlung bei einer teilweisen Arbeitsunfähigkeit umzusetzen?
beispielsweise wegen einer Arbeitsunfähigkeit von 20 Prozent schon nach kurzer
Zeit den Anspruch auf die Lohnfortzahlung verwirkt hat. Dies würde zu Ungerechtigkeiten und Zufälligkeiten führen,
indem je nach Reihenfolge von verschiedenen Absenzen die Lohnfortzahlung
völlig unterschiedlich ausfallen würde.
Analog zum Urteil des Obergerichts des
Kantons Solothurn geht die heute vorherrschende Lehre davon aus, dass bei
der Lohnfortzahlung nach OR 324a das
Geldminimum gilt. Bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit ist also der Lohnfortzahlungsanspruch auf einen längeren Zeitraum
umzurechnen, wie folgende Beispiele
zeigen:
Schauen wir uns das erste Beispiel aus
der Tabelle unten einmal im Detail an. Bei
einer Lohnfortzahlung von 15 Wochen
gemäss Skala beträgt die aufgerechnete
Lohnfortzahlung bei einer Arbeitsunfähigkeit von 50 Prozent 30 Wochen:
Beginn Arbeitsunfähigkeit
15.4.2016
Grad Arbeitsunfähigkeit
50%
Lohn
CHF 6000.–
Lohnfortzahlung nach Skala
15 Wochen
Lohnfortzahlung bei 50%
30 Wochen
Ende Lohnfortzahlung
10.11.2016
Die Lohnfortzahlung ist wie in der Tabelle
auf S. 15 dargestellt umzusetzen.
Lohnfortzahlung nach Skala
Arbeitsunfähigkeit
aufgerechnete Lohnfortzahlung
15 Wochen
50 %
30 Wochen
12 Wochen
60 %
20 Wochen
3 Wochen
80 %
3,8 Wochen
Sozialversicherungen
Krankentaggeldversicherung
Eine Versicherungslücke vermeiden
Unternehmen können eine Krankentaggeldversicherung als Kollektivversicherung entweder nach
VVG oder nach KVG abschliessen. Welche Unterschiede bestehen zwischen den beiden Varianten?
Von Simona Wantz und Sara Licci
Z
wischen dem Ende der Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgebenden
(Art. 324a OR) und dem Beginn der Invaliditätsleistungen nach IVG oder BVG
trifft Arbeitnehmende regelmässig eine
Versicherungslücke. Arbeitgeber können
diese Lücke vermeiden, indem sie für ihre
Mitarbeitenden eine Krankentaggeldversicherung abschliessen.
Der Abschluss einer Krankentaggeldversicherung, welche den Ausfall des Erwerbseinkommens während einer Krankheit
deckt, ist nicht vorgeschrieben. Das Gesetz lässt diese Möglichkeit jedoch offen
(Art. 324a Abs. 4 OR), weshalb in vielen
Arbeitsverhältnissen Taggeldlösungen gestützt auf eine gesamtarbeits-, normalarbeits- oder einzelarbeitsvertragliche Pflicht
zur Anwendung kommen.
Arbeitgebende können die Krankentaggeldversicherung als Kollektivversicherung nach VVG (Versicherungsvertragsgesetz) oder KVG (Krankenversicherungsgesetz) abschliessen. In der Praxis
hat die Versicherungslösung nach KVG
eine geringe Bedeutung, da sich die Versicherungslösung nach VVG viel besser an
die Bedürfnisse der Unternehmen anpassen lässt und aufgrund weniger gesetzlicher Vorschriften zudem tiefere Prämien
vorsieht. Nachstehend werden die Unterschiede im Detail aufgezeigt.
KVG oder VVG? Die Krankentaggeldversicherung nach VVG bietet Arbeitgebern mehr Flexibilität.
Kontrahierungszwang/Vorbehalt
Im Rahmen des KVG sind die Versicherer
durch den sogenannten Kontrahierungszwang dazu verpflichtet, mit jedem zum
Beitritt berechtigten Bewerber eine Taggeldversicherung abzuschliessen (Art. 68
KVG). Im Weiteren dürfen sie Vorbehalte
zu Krankheiten anbringen, die bei der
Aufnahme bestehen oder zu Rückfällen
führen können. Diese sind auf maximal
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personalSCHWEIZ
Juni 2016
Versicherung nach KVG
Versicherung nach VVG
In der freiwilligen Taggeldversicherung nach
KVG (Art. 67–77 und Art. 107 ff. KVV) regelt
das Gesetz lediglich die Eckpfeiler, während
die weiteren Bestimmungen vertraglich vereinbart werden. Neben dem KVG ist auch
das ATSG massgebend und die KVG-Taggeldversicherer sind als Träger hoheitlicher
Befugnisse an die Grundsätze des staatlichen Handelns gebunden.
Die Taggeldversicherung nach VVG basiert
grundsätzlich auf dem Versicherungsvertrag, dessen Inhalte häufig durch Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) und
Besondere Bedingungen (BB) vordefiniert
ist. Zum Schutz der Versicherten finden sich
nur gerade drei Bestimmungen (Art. 87,
Art. 100 Abs. 2, Art. 3 Abs. 3) im VVG.
Personalarbeit in der Praxis
Betriebliches Gesundheitsmanagement
Benchmarks für das BGM
Was zeichnet ein gutes betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) aus? Das Label Friendly
Work Space bietet einheitliche Standards, an denen sich Unternehmen bei der Einführung oder
Optimierung ihres BGM messen können.
Von Ralph Hofbauer
M
assnahmen im Bereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements
(BGM) beruhen in der Schweiz – im Gegensatz zu manchen Nachbarländern –
auf Freiwilligkeit. Dennoch geraten
Schweizer Unternehmen zunehmend
unter Druck, ein professionelles BGM
umzusetzen. Zum einen steigen die Erwartungen von Mitarbeitenden bezüglich
Gesundheitsförderung und Work-LifeBalance. Zum anderen spüren die Unternehmen, dass die zunehmenden Belastungen in der heutigen Arbeitswelt für die
Belegschaft nicht ohne Folgen bleiben.
Ganzheitliche Betrachtung: Das Label Friendly Work Space berücksichtigt sechs Themenbereiche.
So ergreifen immer mehr Unternehmen
gesundheitsfördernde Massnahmen, wobei nicht alle gleichermassen zielführend
sind. Doch was zeichnet denn eigentlich
ein gutes BGM aus? Friendly Work Space,
das einzige anerkannte Schweizer Qualitätssiegel für erfolgreiches BGM, bietet
einheitliche Standards, an denen sich Unternehmen orientieren und messen können. Entwickelt wurde das Qualitätslabel
gemeinsam von Gesundheitsförderung
Schweiz und Unternehmen wie Migros,
Post, SBB und Swica.
Einheitliche Qualitätsstandards
Die Kriterien von Friendly Work Space
lassen sich in Anlehnung an die Qualitätskriterien des European Network for
Workplace Health Promotion in sechs
Bereiche einteilen, die zusammengenommen ein umfassendes Bild von der Qualität des BGM ergeben (siehe Abbildung).
Das Modell basiert auf dem Total-QualityAnsatz der European Foundation for Quality Management (EFQM), wodurch sich
die Anforderungen leicht in bestehende
Qualitätsprozesse integrieren lassen und
von Betrieben unterschiedlicher Branchen und Grössen angewendet werden
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personalSCHWEIZ
Juni 2016
können. Gesundheitsförderung Schweiz,
eine Stiftung mit dem gesetzlich verankerten Auftrag zur Prävention, garantiert
für eine neutrale Vergabestellung und gut
ausgebildete Assessoren.
Neben anerkannten und thematisch umfassenden Kriterien bietet das Gütesiegel
Friendly Work Space praktische Umsetzungshilfen.
Gesundheitsförderung
Schweiz begleitet die interessierten Firmen und zeigt die Etappen auf ihrem Weg
zum Label auf: «Die Firmen überprüfen in
einem Self-Assessment zuerst selbst, wo
sie stehen. Gewisse Firmen sind bereits
reif für das Label, andere entscheiden sich,
noch weiter in ihr BGM zu investieren,
bevor sie sich später dem Auszeichnungsprozess stellen», sagt Andreas Wieser von
Gesundheitsförderung Schweiz.
Erfolgsfaktor Gesundheitsförderung
Seit der Einführung von Friendly Work
Space im April 2009 wurden bisher rund
60 Betriebe mit insgesamt 190 000 Mitarbeitenden ausgezeichnet. Kambly gehörte 2010 zu den ersten Unternehmen,
welche die Auszeichnung erhalten ha-
ben. Jürg Aemmer, Leiter Human Resources, zieht aus dem Zertifizierungsprozess
ein positives Fazit: «Das Assessment bot
uns die Chance, unser BGM zu bündeln
und von einer kompetenten, externen
Stelle im Sinne des Prozess-Regelkreises
beurteilen zu lassen als Basis für weitere
Verbesserungen.»
Kambly misst der Gesundheitsförderung
schon seit längerem grosse Bedeutung
zu. Beim renommierten Feingebäckhersteller hat sich das BGM schrittweise aus
dem Themenbereich Arbeitssicherheit
entwickelt. «Ohne betriebliche Gesundheitsförderung kein langfristiger Unternehmenserfolg», ist Aemmer überzeugt.
Seit der Zertifizierung hat das Unternehmen die Massnahmen im Bereich BGM
kontinuierlich verbessert und hat mittlerweile die Re-Zertifizierung erhalten.
«Wir möchten das hohe Niveau halten
und dabei ständig sehr gezielt weitere
Verbesserungen umsetzen», so Aemmer.
Roadmap zum systematischen BGM
Doch was, wenn ein Unternehmen in
der Gesundheitsförderung noch ganz am
Personalarbeit in der Praxis
HR-Manager in der Praxis
«Täglich tausende Bewerbungen»
Google hat keine Probleme, den stetig wachsenden Personalbedarf in der Zürcher Niederlassung
zu decken. HR-Managerin Elodie Lhuillier verrät einige Erfolgsgeheimnisse des IT-Unternehmens.
Interview geführt von Ralph Hofbauer
personalSCHWEIZ: Google wurde
von Great Place to Work kürzlich
zum vierten Mal als bester Arbeitgeber der Schweiz ausgezeichnet.
Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Elodie Lhuillier: Wir konzentrieren uns
darauf, die Arbeitserfahrung für unsere
Mitarbeitenden so positiv wie möglich zu
gestalten und ihr eine echte Bedeutung
zu geben. Konkret versuchen wir, dies
durch drei Elemente unserer Kultur zu erreichen: Mission, Transparenz und Stimme. Diese drei Elemente verleihen dem
Tun und Schaffen unserer Mitarbeitenden
Bedeutung und motivieren sie, sinnvollen
und bedeutungsvollen Tätigkeiten nachzugehen.
Was ist das Besondere an der
Arbeitskultur von Google?
Viele Aspekte, die bei Google in puncto
Arbeitskultur gut funktionieren, beschreiben wir auf unserer neuen Plattform
Re:Work. Ein wichtiger Grundsatz ist
beispielsweise, dass wir dem einzelnen
Mitarbeitenden viele Freiheiten übergeben, was immer auch mit Verantwortung
einhergeht. Wir wollen, dass die Mitarbeitenden eigenverantwortlich handeln –
nach dem Grundsatz «act like an owner».
Welche Rolle spielen dabei Hierarchien?
2002 haben wir in einem Eigenversuch
geschaut, ob und wozu wir Führungskräfte brauchen und haben sie kurzerhand für einen grossen Teil der Mitarbeitenden abgeschafft. Schnell wurde aber
klar, dass die Hierarchielosigkeit sowohl
Best-Practice-Plattform
Auf der neuen Plattform Re:Work gibt
Google Best-Practice-Erfahrungen zu Recruiting, Management und Arbeitskultur
weiter:
rework.withgoogle.com
die eigene Arbeit als auch die Zusammenarbeit erschwert: Mitarbeitende fanden
kein Gehör mehr, vermissten die Führungskraft als Trainer, Coach, Mentor und
Ressourcenbeschaffer. Daher kehrten wir
nach wenigen Monaten wieder zu einer
Führungsstruktur zurück und achten seit
dem noch mehr auf die Führungskräfteauswahl und -entwicklung.
In den letzten fünf Jahren hat
sich die Belegschaft in der Zürcher
Niederlassung mehr als verdoppelt.
Können Sie den grossen Bedarf an
Fachkräften problemlos decken?
Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir
täglich tausende Bewerbungen für die
Stellen erhalten, die auf unserer Karrierewebsite google.com/jobs ausgeschriebenen sind. Unser Standort in Zürich
entwickelt sich in der Tat sehr gut, mittlerweile ist dies unser grösstes Entwicklungszentrum ausserhalb der USA mit
über 1800 Mitarbeitenden aus 75 Nationen. Neben den gut ausgebildeten
Informatikabgängern bietet die Schweiz
einem Unternehmen wie Google zahlreiche Vorzüge – dazu gehören die zentrale
Lage in Europa, die vorzügliche Verkehrsanbindung und Infrastruktur oder auch
die exzellente Lebensqualität.
Welche Philosophie vertritt Google
im Recruiting?
Recruiting ist für uns der wichtigste Personalprozess. Deshalb führen wir strukturierte Interviews durch, die auf einem
vorgegebenen Fragenmuster und Bewertungssystem beruhen, welche die
Erfolgsaussichten eines Recruitingsprozesses deutlich erhöhen. Mit diesem
Ansatz verfolgen wir einen Prozess, der
einem mehrstufigen, konsensbasierten
Ablauf folgt, und der sicherstellt, dass
niemand allein entscheidet. Zudem hat
sich unser Empfehlungssystem, bei dem
unsere Mitarbeitenden Kandidaten für
Erfolgsfaktoren bei Interviews
Der Ansatz von Google bei strukturierten
Interviews basiert auf vier Aspekten:
• Qualitativ hochwertige Fragen, die für
den Job relevant sind (keine Rätsel!).
• Umfassendes Feedback zu den Antworten niederschreiben, sodass weitere Bewerter im Prozess die Antworten
einfach nachvollziehen können.
• Bewertung mit standardisierten Rubriken, sodass alle Bewerter im Prozess
das gleiche Verständnis davon haben,
wie gute, mittelmässige, bescheidene
Antworten aussehen.
• Interviewer sollten Recruiting-Training
und Kalibrierung erhalten, sodass diese
selbstbewusst und konsistent in ihren
Bewertungen agieren.
offene Stellen empfehlen, bewährt. So
finden wir oft Leute mit Lernbereitschaft
und Wissbegierde. Aber natürlich sind wir
auch aktiv in der Öffentlichkeit, nicht zuletzt durch zahlreiche Vorträge, aber auch
ganz spezifisch bei der Förderung der Informatikbegeisterung von Jugendlichen.
Wir sehen Recruiting also als einen sehr
holistischen Prozess, der weit über den
Interviewprozess hinausgeht.
Zur Person
Elodie Lhuillier ist seit 2011 bei Google
Schweiz und seit 2013 Human Resources
Lead.
personalSCHWEIZ
Juni 2016
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Werte & Kompetenzen
Sinnorientierte Führung
Orientierung geben und Sinn stiften
Wer einen Sinn in seiner Arbeit sieht, arbeitet motivierter. Deshalb ist es von grosser Bedeutung,
dass die Führung Sinn stiftet. Dies bedingt vor allem auch, dass Führungskräfte ihren Mitarbeitenden klare Orientierung geben.
Von Matthias Hettl
D
ie aktuellen Herausforderungen der
Mitarbeiterführung lassen sich mit
den Begriffen Komplexität, Dynamik,
Wissensexplosion und Informationsvielfalt beschreiben. Sie und Ihre Mitarbeitenden erleben als einzige Konstante
in dieser Entwicklung die Veränderung.
Dabei nimmt die subjektiv empfundene
Geschwindigkeit der Veränderung zu.
In einem derart dynamischen Führungsumfeld ist es nicht einfach, den Mitarbeitenden klare Orientierung zu vermitteln,
denn dies setzt voraus, selber Orientierung zu haben – und dies ist die Grundvoraussetzung, um als Führungskraft Sinn
stiften zu können.
Friedrich Nietzsche hat einmal gesagt,
dass ein Mensch alles aushält, wenn er
nur den Sinn dahinter erkennen kann. Ihre Mitarbeitenden wollen von Ihnen wissen, wofür ihr Unternehmen steht und
welchen Sinn ihre Arbeit hat. Sie werden
Sie fragen, warum ihre Arbeit für das
Unternehmen wichtig ist. Sie wollen von
Ihnen wissen, wie ihr persönlicher Beitrag
zum Erfolg aussieht, wohin sich die Abteilung entwickelt und ganz grundsätzlich auch, wofür die Abteilung steht. Sie
müssen Ihren Mitarbeitenden das Warum
ihrer Aufgabe vermitteln und ihnen damit
eine für sie sinnvolle Antwort geben. Die
Frage nach dem Sinn zu beantworten,
ist wichtig für die Orientierung und die
Identifikation, die Ihre Mitarbeitenden in
ihrem Arbeitsleben suchen.
Sinn gibt Motivation zum Handeln
Sinn ist das, was in Ihrem Arbeitsleben
und dem Ihrer Mitarbeitenden als gehaltvoll, wesentlich und wichtig erscheint. Mit
der Beantwortung der Sinnfrage geben
Sie sich selbst und Ihren Mitarbeitenden
Handlungsanleitungen für das tägliche
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personalSCHWEIZ
Juni 2016
Ein klares Ziel vor Augen: Führungskräfte müssen Orientierung geben und Sinn stiften.
Tun. Vor allem ist Sinn die Umsetzung gemeinsamer Werte als Orientierungsmassstab für Handlungen. Sie sind Leitlinien,
die sich im Unternehmensleitbild und den
Führungsgrundsätzen finden. Als Leader
müssen Sie nicht nur wissen, wohin Ihr
Unternehmen bzw. Ihr Team will, sondern auch, auf welchem Weg und nach
welchen Spielregeln Sie dorthin gelangen wollen. Nur dann können Sie Ihren
Mitarbeitenden die nötige Orientierung
vermitteln.
alles?» zu geben. Sinn kann dabei nicht
verordnet werden. Sinn kann nur vom
Einzelnen und in der Situation, der Aufgabe, gefunden, entdeckt und empfunden
werden. Die Beantwortung der Sinnfrage
ist für jeden Mitarbeitenden unterschiedlich und kann sich im Laufe der Zeit auch
ändern. Der authentische und verständlich kommunizierte Sinn stiftet nicht nur
Identität, sondern motiviert auch Ihre
Mitarbeitenden zum zielführenden Handeln. Die Kenntnis, dass dieses wirksame
Handeln zur Entstehung dessen, was man
erreichen möchte, beiträgt, bietet eine
stabile und vor allem dauerhafte Motivationsbasis. Deshalb ist es Ihre Aufgabe
als Leader, Ihren Mitarbeitenden jeweils
ihren Beitrag zum Ganzen klarzumachen.
Sie müssen dafür sorgen, dass möglichst
alle den «Sinn» sehen und Klarheit über
ihren Auftrag haben.
Sinn erfahren Sie und Ihre Mitarbeitenden auf der emotionalen Ebene durch
die Wertigkeit und die Bedeutung Ihres
eigenen Tuns und der Sichtbarkeit Ihres
eigenen Beitrags zum Ganzen. Sie sollten
Ihren Mitarbeitenden diesen Beitrag zum
Ganzen verdeutlichen und selbst Ihren
Beitrag dazu leisten. Die Mitarbeitenden
müssen sehen, wozu sie beitragen und
was ihr persönlicher Anteil daran ist.
Sinn und Zweck sind nicht dasselbe
Die Aufgabe eines Leaders ist es, mit dem
Sinn die Antwort auf die Frage «Wozu das
Während der betriebswirtschaftliche
«Zweck» des Unternehmens die Gewinn-