im blickpunkt europa grossbritannien Ein Brexit schadet auch dem Maschinenbau Seit Jahrzehnten produziert der Werkzeugmaschinenhersteller Heller im englischen Redditch. Nun fragt man sich im Unternehmen: Was passiert, falls Großbritannien aus der EU austritt? „Niemand kann den Unternehmern bislang erklären, wie ein EU-Austritt konkret aussehen würde.“ Matthias Meyer Heller j Gehen oder bleiben? Am 23. Juni stimmen Engländer, Schotten, Waliser und Nordiren darüber ab, ob sie weiterhin Teil der EU bleiben möchten. Das Ergebnis wird wohl nicht nur für Großbritannien Konsequenzen haben – sondern auch für den Maschinenbau und den Arbeitgeber des Autors, die Gebr. Heller Maschinenfabrik GmbH aus Nürtingen. Seit 42 Jahren produziert der Hersteller von Werkzeugmaschinen auch am Standort Redditch. Mit 150 Mitarbeitern werden dort rund 200 Werkzeugmaschinen im Jahr gebaut, ein großer Teil davon für den deutschen Markt. Eine Voraussetzung ist dabei, dass zwischen England und dem Hauptsitz in Nürtingen ungehindert Produkte und Materialien ausgetauscht werden und sich beide Produktionsstätten gegenseitig mit Fachpersonal unterstützen können. Die Vorstellung, dass das englische Werk demnächst au- Großbritannien braucht die EU sicher mehr als umgekehrt. Dennoch: Viele Briten meinen es mit dem Austritt ernst. Fo to :k a xjm rto / Fo tolia 16 vdma-Nachrichten juni 2016 ßerhalb der EU liegen könnte, löst im Unternehmen einige Besorgnis aus. In der täglichen Arbeit sind die Gebr. Heller Maschinenfabrik GmbH und die Heller Machine Tools Ltd. eng verwachsen. In Redditch wird eine komplette Produktfamilie für die gesamte Gruppe gefertigt. Jede Woche machen sich drei bis vier Lkw mit Maschinen auf den Weg nach Deutschland. Als Premierminister David Cameron Anfang 2013 das Referendum über die EU-Mitgliedschaft angekündigt hat, hat man sich bei Heller gefragt, ob es für das Unternehmen künftig Probleme geben wird. Die bittere Antwort ist: Man weiß es bis heute nicht. Viele Fragen, kaum Antworten Zwar gibt es um den Brexit in der britischen Öffentlichkeit eine lebhafte Diskussion – die allerdings vor allem politisches Theater ist. Die Debatte dreht sich europa meist um das emotionale Thema Migration, und Vertreter aller Parteien versuchen, sich mit ihren Forderungen zu profilieren. Die vergleichsweise schillernde britische Presselandschaft trägt wenig zu einem sachlichen Austausch von Argumenten bei. Alarmierend ist allerdings, dass abseits des politischen Spektakels noch niemand den Unternehmern erklären konnte, wie ein EU-Austritt aussehen würde. Wäre Großbritannien noch Teil des EUBinnenmarktes? Müsste das Land seine Handelsabkommen neu verhandeln? Würde sich etwas für EU-Ausländer, die in England arbeiten, ändern? Solche Fragen haben Auswirkungen darauf, wie sich ein Unternehmen strategisch ausrichtet. Großbritannien aber kann sie derzeit nicht beantworten. im blickpunkt Fotos: Heller In England wird für den deutschen Markt produziert. Dafür müssen sich beide Produktionsstätten gegenseitig mit Fachpersonal unterstützen können. unternehmen in Großbritannien haben sich gerade erst für den europäischen Markt geöffnet. Wohl kaum ein britischer Unternehmer hält den Brexit für eine gute Idee. Bislang jedenfalls hat die Diskussion um einen Austritt dem Land und seiner Abenteuer mit ungewissem Ausgang Von den Befürwortern des Brexits wer- ohnehin gebeutelten Industrie eher geden Bedenken aus der Wirtschaft oft schadet. Es gibt Unternehmen, die derweggewischt mit dem Verweis auf die zeit abwarten und sich mit Investitionen Schweiz oder Norwegen. Beiden Ländern zurückhalten. Manche spielen offen mit dem Gedanken, Großbritangehe es schließlich blendend, nien im Falle eines Austritts auch ohne Teil der EU zu sein. „Bislang hat Doch diese Sicht ist naiv. Es die Diskussion aus der EU zu verlassen. macht einen Unterschied, ob um Brexit Heller will bleiben ein Land niemals Mitglied der dem Land Für Heller steht zwar fest, EU war oder als erstes über- und seiner dem Standort Redditch treu haupt der Gemeinschaft den Industrie zu bleiben. Das Unternehmen Rücken kehrt. Abspaltung be- geschadet.“ investiert gerade 2 Millionen deutet eben, sich abzuspalten. Pfund, um seine Kapazitäten Die Briten realisieren gar Matthias Meyer Heller in England auszubauen. Aber nicht, wie sehr sie viele andere Länder in Europa damit vor den Kopf das Management von Heller hat sich entstoßen. Wirtschaftlich, politisch und ju- schlossen, bei den Mitarbeitern und in ristisch ist der Brexit ein Abenteuer mit der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen. Der Brexit ist Thema im Werk, ob nun im ungewissem Ausgang. Wenn sich die Briten darauf einlas- Führungskreis oder in der Kantine. Das sen sollten, wäre das nicht nur ein Prob- Unternehmen hält es für wichtig, seinen lem für das Unternehmen Heller. Im ver- Angestellten offen und ehrlich zu erklägangenen Jahr war Großbritannien der ren, warum ihr Arbeitgeber durch einen viertgrößte Absatzmarkt für den Maschi- Austritt aus der Europäischen Union Pronenbau in Deutschland mit einem Han- bleme bekommen könnte. Allerdings hat der Autor dieses Beidelsvolumen von knapp 7,2 Milliarden Euro – nur in die USA, China und Frank- trags den festen Glauben, dass es nicht so reich haben die deutschen Unternehmen weit kommen wird. Zum einen, weil hofmehr verkauft. Trotzdem braucht Groß- fentlich noch viele Wähler begreifen, britannien die EU sicher mehr als die dass sie sich mit einem Austritt wirtEU Großbritannien. Viele Industrie- schaftlich schaden würden. Zum ande- ren sind die Briten ein offenes und herzliches Volk, zu dem es eigentlich nicht passt, einfach vom Tisch aufzustehen und zu verschwinden. Es wäre für Europa und den Maschinenbau gut, wenn sich die Menschen in Großbritannien am 23. Juni darauf besinnen würden – und am Ende bleiben, statt zu gehen. W autor Matthias Meyer Geschäftsführer der Heller Machine Tools Ltd., Redditch kontakt Eike Radszuhn VDMA European Office Telefon +32 2 70681-23 [email protected] profil Gebr. Heller Maschinenfabrik GmbH, Nürtingen Die Unternehmensgruppe entwickelt und produziert weltweit moderne Werkzeugmaschinen und komplette Fertigungssysteme für die spanende Bearbeitung. Entstanden ist sie im Jahr 1894 in Nürtingen als kleiner Handwerksbetrieb mit sieben Gesellen und drei Lehrlingen. Heute beschäftigt die Gruppe weltweit 2 530 Mitarbeiter. link www.heller.biz vdma-Nachrichten juni 2016 17
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