Von Reisenotizbüchern um 1800 bis zum Selfie

VonReisenotizbüchernum1800biszumSelfie–ZurVerschränkungvon
MobilitätundMedialität
MatthiasThiele
Die mobilen, mit der digitalen Netzwerktechnologie verbundenen Medien bestimmen
unseregegenwärtigeLage.DieportablenMedien,allenvorandasSmartphone,sindomnipräsent und die Selfiegrafie, die mobile Medienpraxis der foto- und videografischen
Selbstaufzeichnung,istzumrepräsentativenSymbolderaktuellenMedienmobilisierung
und zum Signum eines nicht selten als Aufbruch und Zäsur diskursivierten und vorgestelltenneuenmobilenZeitalteravanciert.SeitderrasantenVerbreitungdesMobiltelefons als technische Standardausrüstung hat sich aber auch ein Blick dafür ausgebildet,
dassdieportablenMedienundambulantenMedienpraktikeneineweitzurückreichende
Geschichte haben, die sich unter Berücksichtigung medientechnikhistorischer Umwälzungen entlang zweier, oftmals verflochtener Aktivitätsstränge verfolgen lässt: einerseits entlang des Medienkonsums, also zum Beispiel des allerorts betriebenen Lesens,
Hörens,SehensundBetrachtens,andererseitsentlangderMedienproduktion,desmobilenSchreibens,Aufzeichnens,Sammelns,VerfertigensundVersendensvonunterwegs.
In meinem Vortrag möchte ich mich der Geschichte des ambulanten Aufzeichnens zuwenden.DiessollexemplarischanhandvonWeltreisendenum1800undum2000geschehen.WiewurdeimZeitalterderManuskripte,zurZeitdesHand-undDruckschriftenmonopolsaufReisenundimFeldgeschriebenundaufgezeichnet?Undwievollzieht
sichdasUnterwegs-AufzeichnenunterdemVorzeichendigitalerMedientechnik?Umdie
jeweiligenmobilenMedienpraktikendesAufzeichnenssystematischrekonstruierenund
vergleichendbetrachtenzukönnen,werdeichmichamliteraturwissenschaftlichenund
genealogischperspektiviertenKonzeptderSchreibszeneorientieren.DieserAnsatzder
literaturwissenschaftlichenSchreibprozessforschunginteressiertsichfürdasSchreiben
als Vollzugsgeschehen und bestimmt die Aktivität des Schreibens als ein entschieden
heterogenes, nicht-stabiles Ensemble von Sprache (Semantik des Schreibens), Instrumentalität(TechnologiedesSchreibens)undGeste(KörperlichkeitdesSchreibens),die
sich in jedem Schreibvorgang unauflöslich miteinander verschränken. Da bei den Reisendenum1800vorallemdieSchreibmobilität, das Schreiben fern des Schreibtisches
undaußerhalbdesSchreibzimmers,interessiert,aufihrenReisenoftmalsabernichtnur
geschriebenundnotiert,sondernzudemgezeichnetundskizziertwurdeundimdigitalenZeitalternebendemSchreibenauchFotografierenundFilmenzudenbestimmenden
TätigkeitenderReisendengehören,mussdieSchreibszenezumKonzeptderambulanten Aufzeichnungsszene erweitert werden. Entsprechend gilt es neben den drei FaktorenimWeiterendenOperationsraumunddieKo-PräsenzalsunabdingbareVoraussetzungenambultantenAufzeichnensmiteinzubeziehen.
Anhand von Alexander von Humboldts und Adelbert von Chamissos Forschungsreisen
aufdereinenSeiteunddenWeblog-WeltreiseprojektenvonKevinSites,demVideojournalisten-Pionier, und Fabian Sixtus Körner, dem Design-Wandergesellen und „Journeyman“aufderanderenSeite,sollendiehistorischdifferentenReiseaufzeichnungspraktiken und die je spezifischen Verschränkungen von Mobilität und Medialität multiperspektivischveranschaulichtwerden.