Pressetext Ai Weiwei

Wien, Juni 2016
21er Haus
Museum für
zeitgenössische Kunst
Quartier Belvedere
Arsenalstraße 1
1030 Wien
Öffnungszeiten:
Mi: 11 – 21 Uhr
Do – So: 11 – 18 Uhr
an Feiertagen geöffnet
Pressedownloads:
21erHaus.at/presse
Pressekontakt:
Julia Aßl, Leitung
+43 1 795 57-185
+43 664 800 141 185
[email protected]
© Belvedere, Wien
AI WEIWEI
translocation - transformation
Pressekonferenz: Mittwoch, 13. Juli, 10 Uhr (Der Künstler ist anwesend)
Akkreditierung: [email protected]
Eröffnung: Mittwoch, 13. Juli, 19 Uhr
Dauer: 14. Juli bis 20. November 2016
„Alles ist Kunst – alles ist Politik“, so Ai Weiwei (* 1957), der zu den international bedeutendsten
Künstlern der Gegenwart zählt. Als Konzeptkünstler, Dokumentarist und Aktivist übt er nicht nur
Kritik am Regime seiner Heimat China, sondern reagiert mit seinem Schaffen auf die aktuelle
politische Realität wie die Flüchtlingskrise in Europa.
Vertreibung, Migration und gewollter Ortswechsel als Auslöser transformativer Prozesse in
Menschen und an Objekten ist ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch Leben und Werk
von Ai Weiwei zieht. Dieses entscheidende Thema steht im Zentrum seiner ersten
monumentalen Einzelpräsentation in Wien. Das Kernstück bildet der Ahnentempel einer
Teehändlerfamilie aus der Ming-Dynastie (1368-1644), dessen Haupthalle originalgetreu im 21er
Haus wiederaufgebaut wird. Der 14 Meter hohe Tempel aus Holz besteht aus über 1.300
Einzelteilen und wird zum ersten Mal außerhalb Chinas zu sehen sein. Seiner ursprünglichen
Funktion enthoben bekommt das Bauwerk durch den Translozierungsprozess eine neue
Bedeutung. Auch das 21er Haus war als temporärer Pavillon für die Weltausstellung 1958 in
Brüssel ursprünglich für einen anderen Ort und eine andere Funktion errichtet worden und so
gehen die beiden Gebäude auf verschiedenen Ebenen einen spannenden Dialog ein. Die von
Alfred Weidinger kuratierte Ausstellung erstreckt sich u.a. auch auf den barocken Garten des
Belvedere, wo das Ensemble Circle of Animals/Zodiac Heads mit Bronzeköpfen aus dem
chinesischen Tierkreis zu sehen ist.
Blog zur Ausstellung: aiww21.com
#aiww21
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Die Werke des chinesischen Künstlers Ai Weiwei sind Ausdruck seiner kritischen Auseinandersetzung mit Geschichte, Kultur und Politik seiner Heimat und reflektieren auf mehr oder weniger
subtile Weise seine eigene Biografie. Die vielschichtigen Verknüpfungen von Geschichte und
Gegenwart erhöhen die Faszination, die von der monumentalen Installation Circle of Animals /
Zodiac Heads ausgeht, die der Künstler am großen Wasserreservoir an der Südseite des
Belvedere aufzustellen beabsichtigt. Mit den zwölf, die Tierkreiszeichen des chinesischen
Horoskops darstellenden bronzenen Köpfen, reagiert der Künstler auf die 1860 durch
französische und britische Truppen erfolgte Zerstörung einer circa 1749 vor dem Sommerpalast
Yuanming Yuan in Peking errichteten Brunnenanlage. Der Palast war vom europäischen Barock
inspiriert worden, was das hochbarocke Gartenpalais von Prinz Eugen zu einer besonders
reizvollen Folie für die Installation Ai Weiweis macht. Der Akt mutwilliger Zerstörung und
Plünderung bedeutete eine schwere Demütigung des chinesischen Volks und markierte das
Ende des zweiten Opiumkriegs, ein mit militärischer Gewalt erzwungener Opiumimport zur
Durchsetzung der kolonialen Wirtschaftsinteressen, vor allem den Handel mit Tee, Porzellan und
Seide. Zwischen 2000 und 2007 konnte China fünf der geraubten Tierköpfe (ursprünglich waren
die gesamten Körper ausgebildet) erwerben. 2009 wurden zwei weitere aus der Sammlung von
Yves Saint Laurent in einer Auktion angeboten. Die verbleibenden Köpfe werden bis heute
vermisst. Alle Bemühungen der chinesischen Regierung, die beiden Bronzen nach China
rückzuführen, scheiterten. Ai Weiwei reagierte daraufhin mit einer Neuerschaffung des Zyklus.
Die Bronzen sind keine vollkommenen Kopien, sondern eine eigene künstlerische Interpretation
und damit nicht nur physisch, sondern auch konzeptuell ein Produkt des 21. Jahrhunderts. Ganz
bewusst spießt der Künstler die von den Plünderern sprichwörtlich geköpften Häupter auf
Stangen und stellt sie, als Auftakt zur Ausstellung im 21er Haus, am Hauptbrunnen des Oberen
Belvedere zur Schau.
Ai Weiweis Kunst im historischen und politischen Kontext
So wie der vor 160 Jahren ausgelöste Zweite Opiumkrieg das Ende des Kaiserreichs China
vorbereitete und damit für das Land der aufgehenden Sonne eine neue Geschichtsschreibung
begann, bedeutete die von Mao Zedong 1966 initiierte und mit seinem Tod 1976 endende
Chinesische Kulturrevolution einen weiteren folgenschweren kulturellen Wandel. Um sich dem
idealen Sozialismus entschieden anzunähern, sollten die gesamte Gesellschaft und die Partei
proletarisch erneuert werden. Die u. a. auf den Lehren von Laozi, Buddha und Konfuzius
beruhende, jahrtausendealte chinesische Kultur wurde durch den politischen Zwang nahezu
ausgelöscht. Die drakonischen Maßnahmen waren gegen grundlegende traditionelle Werte
gerichtet und führten zu Entwurzelung, Vertreibung, Zerstörung der Familientraditionen,
Auflösung von Eigentum und im schlimmsten Fall Vernichtung. Ai Qing, ein chinesischer Poet
und Weiweis Vater, war in dieser Zeit schlimmen Repressalien ausgesetzt. Die Partei erteilte ihm
Publikationsverbot und deportierte ihn und seine Familie in entlegene Provinzen. Die nahezu
zwei Jahrzehnte andauernde demütigende Behandlung hat deutliche Spuren hinterlassen und
das Schaffen von Ai Weiwei entschieden geprägt.
Vertreibung, Migration und gewollter Ortswechsel als Auslöser transformativer Prozesse in
Menschen und an Objekten ist ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch Leben und Werk
von Ai Weiwei zieht. Das betrifft seine Jugend genauso wie seine Zeit als Künstler in den USA,
die Phase nach seiner Rückkehr nach China sowie seine Migration nach Berlin. Auf jede
Translozierung folgt ein Prozess der Neuverortung. Dieser geht einher mit innerer Migration und
Veränderung von Identität. Trotz oder gerade wegen seines Nomadendaseins ist Ai Weiwei ein
Gesellschaftswesen, ein Zoon politikon, und als solches nicht abstrahiert von seiner Umgebung,
seinen Mitmenschen, von Gesellschaft, Tradition und Kultur denkbar.
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Entwurzelte Architektur: Tempel der Ming Dynastie im 21er Haus
Vor diesem Hintergrund ist Ai Weiweis Interesse an der Geschichte des 21er Haus zu verstehen.
Das als ephemerer Länderpavillon für die Weltausstellung 1958 in Brüssel konstruierte Bauwerk
sollte zunächst verschrottet werden, wurde dann jedoch nach Wien verlegt und als Museum für
zeitgenössische Kunst adaptiert. Die Parallele zur Geschichte einer Ahnenhalle aus der MingDynastie war ausschlaggebend für Ai Weiweis Auswahl des Hauptwerks der Ausstellung im 21er
Haus, die ab 14. Juli 2016 zu sehen sein wird. Während der Ming-Dynastie hatte der Tempel eine
bedeutende Funktion innerhalb der Familie zu erfüllen. Im gegebenen Fall handelt es sich um
das Ahnenhaus der ersten Siedler eines Dorfs in der südlichen Provinz Jiangxi. Die Wang-Familie
zählte zu den bedeutendsten Teehändlern in der Region und unterhielt ihr Ahnenhaus bis zur
Chinesischen Kulturrevolution. Die Familie wurde vertrieben, und die Ahnenhalle verlor damit
ihre Funktion. Über die Jahrzehnte wurde das einst so mächtige und bedeutende Gebäude zu
einer einsturzgefährdeten Ruine; ein Schicksal, das es mit einer großen Anzahl von Ahnenhallen
in diesem Gebiet teilt. Ai Weiwei erwarb den inzwischen fortgebrachten Tempel, dislozierte ihn
erneut und übertrug ihm durch seine Zurschaustellung eine neue kulturelle Aufgabe. Es kann
kaum ein besseres Beispiel geben, um auf die Folgen der Jahrzehnte nach Maos Tod immer
noch allgegenwärtigen Chinesischen Kulturrevolution hinzuweisen. Weitere Arbeiten werden
diese großvolumige Installation der Ahnenhalle komplementieren. Einige davon beziehen sich
auf die Teekultur Chinas (auch auf deren politische Komponente) und stehen somit in enger
Verbindung mit der Geschichte der ursprünglichen Besitzer des Tempels.
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