Manuskript Beitrag: Die Versprechen der Leiharbeitsreform – Ende der Ausbeutung? Sendung vom 7. Juni 2016 von Tonja Pölitz Mitarbeit: Max Nahrhaft Anmoderation: Erinnern Sie sich noch an die Putzfrau, die Sigmar Gabriel den Marsch blies? Die SPD müsse die Agenda 2010 umkehren, forderte Susanne Neumann auf dem Gerechtigkeitskongress der SPD und erhielt donnernden Applaus. Parteichef Gabriel versprach dann auch prompt Gerechtigkeit durch AgendaKorrekturen. Jetzt meldete Vorzeige-Genossin Andrea Nahles Vollzug bei Leiharbeit und Werkverträgen. Stammbelegschaften würden durch die Reform künftig weniger als bislang durch billige Arbeitskräfte verdrängt. Weniger, das klingt nach einer eher kleinen Korrektur. Und weniger ungerecht, das hört sich für Betroffene noch lange nicht gerecht an, berichtet Tonja Pölitz. Text: Oschatz in Sachsen. Vor den Toren des Matratzenherstellers Frankenstolz treffen wir Detlef Spichalski. Ihm hat Frankenstolz gekündigt. Begründung: Er soll den Werksleiter geschubst haben. Spichalski bestreitet das, auch vor Gericht. Er glaubt, der Firma gehe es um ganz was anderes: O-TonDetlef Spichalski, gekündigter FrankenstolzMitarbeiter: Ich war über 16 Jahre und drei Monate hier in der Firma drin. Die Firma will unbedingt Kosten sparen und da ist ihnen jedes Mittel recht und dafür werden billige Arbeitskräfte als Leiharbeiter eingestellt. Spichalskis Vorwurf: Frankenstolz habe systematisch die Stammbelegschaft reduziert, auf weniger als die Hälfte. O-TonDetlef Spichalski, gekündigter FrankenstolzMitarbeiter: Man will ja auch versuchen, die Stammbelegschaft, was jetzt noch drin ist, von einem festen Arbeitsvertrag in die Leiharbeit rein zu zwingen. O-Ton Frontal 21: Das heißt, man soll kündigen und als Leiharbeiter wieder kommen? O-TonDetlef Spichalski, gekündigter FrankenstolzMitarbeiter: Ja, genau so ist es. Schichtwechsel. Früher sollen an die 230 Mitarbeiter direkt bei Frankenstolz angestellt gewesen sein. Wie viele heute noch zur Stammbelegschaft zählen, will uns das Unternehmen nicht verraten. Gewerkschafter schätzen: Ein Drittel des Frankenstolz-Personals seien noch eigene Mitarbeiter. Zwei Drittel seien mittlerweile werksfremd, angestellt bei einem Personaldienstleister. Viele aus Polen - für 8,50 Euro die Stunde. „Gesunder Schlaf sei unverzichtbar für die Erholung des Menschen“ - so wirbt Frankenstolz für sich und seine Matratzen. Nur, Mitarbeiter wie Detlef Spichalski schlafen eher schlecht, seit man bei Frankenstolz auf Fremdpersonal umstellt. Der Gekündigte trifft alte Kollegen. Auch Eckehard Schöne sollte nach 15 Jahren bei Frankenstolz kündigen und einen neuen Vertrag bei der Fremdfirma unterzeichnen. O-Ton Eckehard Schöne, gekündigter FrankenstolzMitarbeiter: Er hat nur gesagt: Also, überlegen Sie sich bis 14 Uhr und dann sehen wir weiter. Und ich sage: Ne, da brauchen wir gar nicht überlegen, ich mache das nicht. – „Nehmen Sie Ihre Sachen und gehen Sie wieder ins Werk 1.“ Eckehard Schöne arbeitete als Lagerarbeiter. Einen Tag vor Heiligabend wurde ihm dann gekündigt. O-Ton Eckehard Schöne, gekündigter FrankenstolzMitarbeiter: Mein Arbeitsplatz würde wegfallen. Ja, aber das muss jetzt ja einer weiter gemacht haben, nachdem ich weg war. Der 61-Jährige sagt, etliche Mitarbeiter hätten dem Druck nachgegeben und unterschrieben. Und hätte er sich nicht geweigert, zur Fremdfirma Bader Kara zu wechseln: O-Ton Eckehard Schöne, gekündigter FrankenstolzMitarbeiter: dann hätte ich meine Arbeit behalten, ja. O-Ton Frontal 21: Sie sollten bei Frankenstolz aufhören und als Leiharbeiter wieder zurückkommen? O-Ton Eckehard Schöne, gekündigter FrankenstolzMitarbeiter: Genau, stand ja auch drin in dem Schreiben von Bader Kara, dass ich meine ganze Betriebserfahrung mit einbringen kann. Kurz vor der Rente muss Eckehard Schöne nun von 600 Euro Arbeitslosengeld und der Unterstützung seiner Kinder leben. Erst festangestellt, dann Leiharbeiter – da hatte auch die Politik mal was anders versprochen. O-Ton Eckehard Schöne, gekündigter FrankenstolzMitarbeiter: Es müsste ja umgedreht sein: von der Leiharbeit in die Festeinstellung, aber nicht umgedreht. Das passt doch gar nicht. Man kann doch nicht einen Menschen - jeder sieht zu, dass er einen festen Arbeitsplatz kriegt. Nö, bei uns ist es umgedreht hier, ist Asche hier. Warum reduziert ein Unternehmen sein Stammpersonal, obwohl es welches nötig hat? Weil eine starke Belegschaft irgendwann Tariflöhne durchsetzen könnte? Weil man mit der Konkurrenz aus Polen besser Druck machen kann? Das wollen wir vor Ort klären. Doch Frankenstolz lehnt ein Interview ab. Bestätigt aber: 200 Arbeitnehmer sind über eine Fremdfirma beschäftigt. Ist das noch legal oder schon Missbrauch? Frankenstolz schreibt dazu, Zitat: „Die Unterstellung, das Unternehmen würde rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten missbrauchen, weisen wir entschieden zurück.“ Den Einsatz von derart viel Fremdpersonal auf dem eigenen Werksgelände erklärt das Unternehmen so: Zitat: „Dies ist zulässig und entspricht dem gesetzlichen Leitbild.“ Im Übrigen greife man nur deshalb auf polnisches Personal zurück, da sonst keine qualifizierten Mitarbeiter für den Nähbereich zu finden seien. Um das zu testen, haben wir uns schriftlich direkt bei Frankenstolz beworben. Wollten als Matratzennäherin anfangen. Keine Antwort. Als wir Wochen später bei Frankenstolz nachfragen, was aus der Bewerbung wurde, stellt man uns direkt durch - zu Bader Kara, der Fremdfirma. O-Ton Frontal 21: Ich bin jetzt nicht bei Frankenstolz oder doch? O-Ton: Nein, Sie sind bei Bader Kara. Wir sind der Personaldienstleister für Frankenstolz. Aber ich hol mir gleich mal Ihre Bewerbung. O-Ton Frontal 21: Und was heißt das? O-Ton: Na, das heißt, alles was an Einstellungen und Personalbedarf bei Frankenstolz gebraucht wird, läuft über uns. Wir machen alles mit Personal. O-Ton Frontal 21: Also, jede Einstellung kommt eh zu Ihnen? O-Ton: Genau, so ist es! O-Ton Frontal 21: Ich verstehe, gut. Also, da habe ich mich also bei Frankenstolz falsch beworben, ich hätte mich gleich bei Ihnen bewerben sollen? O-Ton Nein, das ist egal. Ihre Bewerbung landet sowieso bei uns. Die angeblich so dringend gesuchten Fachkräfte schickt Frankenstolz also weiter zur Fremdfirma. Für Detlef Spichalski ist es schon die 15. Verhandlung vorm Arbeitsgericht. Spichalski gegen Frankenstolz. Sämtliche Kündigungen wurden bereits rechtskräftig für unwirksam erklärt – bei Frankenstolz arbeiten darf er trotzdem nicht. Heute geht es um seinen Lohn: O-Ton Mirko Schneidewind, DGB-Rechtsschutz Leipzig: Solange Sie nicht aufgefordert werden, wieder zur Arbeit zu kommen, müssen die halt trotzdem zahlen. Das ist dann letztlich nicht Ihr Problem, das ist dann erst mal das Problem des Arbeitgebers. Trotz eines gültigen Arbeitsvertrages muss Detlef Spichalski von Arbeitslosengeld leben, seinen Lohn immer wieder einklagen. Dietmar Richter war Betriebsratsvorsitzender bei Frankenstolz. Hat gekämpft für mehr Lohn, für mehr Arbeitnehmerrechte und Mitbestimmung. Den Kampf hat er verloren, sagt er. Richter hat irgendwann selbst gekündigt. O-Ton Dietmar Richter, ehemaliger Betriebsrat Frankenstolz: Es gab ja immer Befristungen bei Frankenstolz. Nach den zwei Jahren, wo die rum waren, hätte Frankenstolz die Leute einstellen müssen, festangestellt. Man hat das dann aber ganz geschickt gemacht: Man hat nach den zwei Jahren den Vertrag auslaufen lassen und die Leute sind dann über die Leiharbeitsfirma wieder reingekommen. Da gibt es Beispiele für. Für Dietmar Richter hat die Politik längst den Überblick verloren, was hinter Werkstoren los ist. Das muss er auch der SPD vorwerfen. O-Ton Dietmar Richter, ehemaliger Betriebsrat Frankenstolz: Sie waren auch die, die das mit der Leiharbeit durchgesetzt haben überhaupt erst mal, aber jetzt kriegen sie es nicht mehr hin. Das ist aus dem Ufer gelaufen. Sicher war die Absicht damals, die Arbeitslosigkeit etwas runterzubekommen, erstmal okay, aber jetzt ist es aus dem Ruder gelaufen, jetzt schaffen wir es nicht mehr. Berlin. Hier, wo die Gesetze zur Leiharbeit beschlossen wurden, weiß man inzwischen, dass man nachbessern muss. Die Bundesarbeitsministerin hat dazu ein neues Gesetz erarbeitet. Das soll den Missbrauch in Zukunft verhindern. O-Ton Andrea Nahles, SPD, Bundesarbeitsministerin: Ich glaube, dass wir weniger ausbeuterische Werkverträge haben werden. Wir werden ja sehen, wie sich die jetzige gesetzliche Regelung entwickelt, wie sie wirkt. Und ob wir noch eine Schippe oben drauf legen müssen, entscheiden wir dann in einigen Jahren, wenn wir sehen, wie diese Regelungen jetzt auch in der Praxis wirken. In einigen Jahren? Dazu müssten die politisch Verantwortlichen sich dafür interessieren, wie es hinter den Werkstoren aussieht auch die Politiker vor Ort. Doch für den Oberbürgermeister von Oschatz ist der Matratzenhersteller Frankenstolz vor allem eins: ein erfolgreiches Unternehmen. O-Ton Frontal 21: Können Sie jetzt froh sein, als Bürgermeister, wenn Sie jetzt wissen, dass zwei Drittel nur noch Leiharbeiter sind? O-Ton Andreas Kretschmar, Oberbürgermeister Oschatz: Mir genügen festangestellte Leute, die hier in der Stadt leben und ihre Arbeit haben. Und da gibt es verschiedene Formen, die gesetzlich zugelassen sind. Und da brauch ich als Bürgermeister das infrage stellen oder das nicht infrage stellen, das bringt nichts. Aber interessiert ihn auch, was das für Arbeitsplätze sind? O-Ton Andreas Kretschmar, Oberbürgermeister Oschatz: Das ist schwer einzuschätzen von draußen, wie viele Leiharbeiter, wie viele Festangestellte. O-Ton Frontal 21: Wie? Das wissen Sie nicht? O-Ton Andreas Kretschmar, Oberbürgermeister Oschatz: Ne, das wissen Sie nicht. Das wissen Sie bei keinem Unternehmen. Sie wissen sicherlich viel als Bürgermeister, aber nicht alles. Zu fünft wohnen die polnischen Arbeiter in angemieteten Wohnungen des Personaldienstleisters Bader Kara. Die 90 Euro fürs Bett werden vom Lohn einbehalten. Sie würden häufiger „ausgewechselt“, erzählen uns die Nachbarn. Dass die Polen hier arbeiten, verständlich, aber nicht, dass dafür Leute von hier ihre Jobs verlieren. O-Ton Hans-Jürgen Berger, Nachbar: Da muss die Regierung eindeutig Gesetze schaffen. Wir haben Arbeitskräfte auf dem Markt, wenn wir keine mehr hätten, könnte ich einen Gastarbeiter nehmen. Wir haben Arbeitskräfte. Dazu kommt: Die eigene Stammbelegschaft hat Frankenstolz zwar drastisch verkleinert, sich gleichzeitig aber ein neues Werk gegönnt - größer, schöner, moderner - und dafür Fördergelder kassiert: rund vier Millionen Euro von der EU und vom Land Sachsen. Daran geknüpft ist die Bedingung, dass man Dauerarbeitsplätze schafft. Doch das scheint im Falle Frankenstolz bisher niemand überprüft zu haben. Unterwegs zum sächsischen Wirtschaftsminister. Hat er bei Frankenstolz Leiharbeit und Werkverträge gefördert, mit insgesamt fast vier Millionen Euro? Damit konfrontiert, verspricht Sachsens Wirtschaftsminister Aufklärung: Wer sein Stammpersonal reduziert, nur um Arbeitsplätze in eine Fremdfirma auszulagern, dürfe nicht auch noch vom Staat gefördert werden. O-Ton Frontal 21: Was bedeutet das denn für die Firma Frankenstolz in dem Fall? O-Ton Martin Dulig, SPD, Wirtschaftsminister Sachsen: Wir sind dem Hinweis von Ihnen nachgegangen und es gab auch noch eine Sonderprüfung der Firma Frankenstolz. Und die muss jetzt nachweisen, dass sie sich nach der Richtlinie gehalten hat. Und wenn sie sich nicht dran gehalten hat, muss sie natürlich mit Rückforderungen rechnen. O-Ton Frontal 21: Was wäre passiert, wenn wir jetzt nicht mit diesem Fall konkret auf Sie zugekommen wären, nichts? O-Ton Martin Dulig, SPD, Wirtschaftsminister Sachsen: Naja, wir haben immer wieder auch mit Unternehmen zu tun, die jedes Schlupfloch nutzen, um selber dann die für sie günstigste Variante zu finden, aber immer auf dem Rücken von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Da wollen wir einen Riegel vorschieben, weil wir wollen nicht, dass sozusagen Lohndumping unterstützt wird, sondern wir wollen hier faire Arbeitsbedingungen. Zurück in Oschatz. Seit der Kündigung bei Frankenstolz steht für Eckehard Schöne fest: Verantwortliche Politiker haben zugesehen beim Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen – und das schon viel zu lange. O-Ton Eckehard Schöne, gekündigter FrankenstolzMitarbeiter: Also, soll ich ehrlich sein? Ich war die letzten zehn Jahre nicht wählen. Das war auch falsch, würde ich nie wieder machen. O-Ton Frontal 21: Aber warum nicht? O-Ton Eckehard Schöne, gekündigter FrankenstolzMitarbeiter: Na, wir schimpfen bloß, aber machen tun wir nicht. So ist es aber wirklich. Das nächste Mal, ich weiß nicht, wen ich wählen soll, AFD, oder was weiß ich. Die Merkel kriegt von mir keine Stimme, also, das weiß ich hundertprozentig. O-Ton Frontal 21: Und die SPD? O-Ton Eckehard Schöne, gekündigter FrankenstolzMitarbeiter: SPD, ja, ist ja eigentlich die Partei der Arbeiter, aber… Detlef Spichalski hat gerade erfahren, er hat vor dem Arbeitsgericht schon wieder gewonnen. Sein Lohn muss nachgezahlt werden. Arbeit hat er deshalb noch lange nicht. O-Ton Detlef Spichalski, gekündigter FrankenstolzMitarbeiter: Die Arbeitgeber können ja machen, wie sie wollen, die können ja die Leute entlassen, einstellen, wie sie wollen. Richtig genommen hat man kein richtiges Recht mehr. Man müsste das regelrecht kontrollieren, in die Betriebe mal reingucken, wie es wirklich da zugeht. In Oschatz meinen sie: Wenn die Politik nicht genauer hinschaut, wird der Abbau sicherer Arbeitsplätze hinter den Werkstoren weitergehen – trotz beschlossener Reformen. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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