SWR2 Tagesgespräch

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Jaklin Chatschadorian, Bundesvorsitzende d. Zentralrats
der Armenier in Deutschland, gab heute, 02.06.16,
dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema:
„Armenien-Resolution im Bundestag“.
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Pascal Fournier.
Mit freundlichen Grüßen
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Datum:
02.06.2016
Zentralratsvorsitzende der Armenier: Bundestags-Resolution zum „Völkermord“ ist
„richtig und wichtig“
Baden-Baden: Die Bundesvorsitzende des Zentralrats der Armenier in Deutschland, Jaklin
Chatschadorian, hat die geplante Armenien-Resolution des Bundestags als wichtiges Signal
begrüßt. Für die Armenier in Deutschland habe die Anerkennung der Massenmorde vor über
100 Jahren als „Völkermord“ aus zwei Gründen große Bedeutung, sagte sie im Interview mit
dem Südwestrundfunk (SWR). Zum einen sei sie die „notwendige Antwort auf die
professionalisierte Leugnungspolitik der Türkei“. Zum anderen schaffe sie einen „geschützten
Raum für die Erinnerung der Opfer“, so Chatschadorian im SWR-Tagesgespräch. Die
Nachkommen der Opfer kämen durch den offiziellen Charakter der Resolution „heraus aus der
Position der Rechtfertigung“.
Sie begrüßte ausdrücklich, dass der Bundestag mit seiner Resolution auch die deutsche
Mitschuld an den Ereignissen vor mehr als 100 Jahren klar benennt. Das sei aus historischer
Sicht „richtig und wichtig“ – insbesondere, weil viele Armenier in Deutschland heute die
deutsche Staatsangehörigkeit besäßen. Insofern erkenne „ihr Parlament“, der Bundestag, mit
der deutschen Mitverantwortung zugleich einen „Achtungsanspruchs ihrer Vergangenheit“ an.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Fournier: Warum ist diese Resolution, diese Einstufung der Ereignisse von 1915 als
„Völkermord“, für die Armenier heute so wichtig?
Chatschadorian: Sie ist wichtig, weil sie die notwendige Antwort auf diese professionalisierte
Leugnungspolitik der Türkei, des türkischen Staates, aber auch der türkischen Gemeinschaft,
jedenfalls der organisierten Teile in Deutschland ist, und sie schafft einen durch ihre offizielle
Anerkennung, einen geschützten Raum für die Erinnerung der Opfer. Wir kommen einfach als
Nachkomme raus aus der Opposition der Rechtfertigung.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Fournier: Der Resolutionstext benennt auch, und zwar gleich mehrfach, die deutsche
Mitverantwortung für diesen Völkermord. Das Kaiserreich hatte ja als Verbündeter des
Osmanischen Reichs dem Treiben damals weitgehend tatenlos zugesehen. Wie wichtig
ist denn das deutsche Bekenntnis zur Mitschuld für die Armenier?
Chatschadorian: Das deutsche Bekenntnis zur Mitschuld ist aus historischer Sicht richtig und
wichtig, weil man beteiligt im weitesten Sinne war, aber es ist auch wichtig aufgrund der
Tatsache, dass hier in Deutschland Armenier leben, die aus der Türkei kommen. Das heißt, wir
kommen von dem Ort, wo die Dinge geschehen sind, und leben jetzt hier, sind gut integriert.
Die meisten Armenier haben die deutsche Staatsbürgerschaft, und selbstverständlich ist es
dann von Bedeutung, dass mein Parlament, sprich: das deutsche Parlament, ein solche
öffentliche Anerkennung gibt und mir als Nachkomme diesen Achtungsanspruch meiner
Vergangenheit zuerkennt.
Fournier: Für diese Resolution nimmt der Bundestag ja auch ein mögliches Zerwürfnis
mit der Türkei in Kauf. Präsident Erdogan hat ja schon vor einer Verschlechterung der
deutsch-türkischen Beziehung gewarnt, sollte die Resolution verabschiedet werden.
Ganz platt gefragt: Ist es das wert?
Chatschadorian: Ich würde das nicht ganz so ernst nehmen. Er wird, wie so oft, zwei Tage den
Botschafter zurückziehen, aber wenn wir wieder von der Impulsivität weggucken auf die Fakten:
Die Türkei braucht Deutschland, die Türkei braucht Europa. Noch ist sie nicht an dem Ziel, von
dem Erdogan träumt, auch wenn sie auf einem guten Weg ist in Richtung Theokratie, Kalifat
oder was auch immer. Noch sind Abhängigkeiten da und gerade auch von türkischer Seite.
Deswegen werden sich die Reaktionen im Zaum halten.
Fournier: Sie haben gerade das Beispiel genannt „den Botschafter abziehen“. Das hat
die Türkei vor 5 Jahren getan, als Frankreich eine vergleichbare Resolution
verabschiedet hat. Beziehungsweise ein Gesetz verabschiedet hat, mit dem die
Leugnung des Genozids unter Strafe gestellt wird und explizit auch die Leugnung des
Genozids an den Armeniern. Damals hat Ankara den Botschafter aus Paris abgezogen.
Was hat denn die Resolution in den vergangenen fünf Jahren an der Lebenswirklichkeit
in anderen Ländern bewirkt?
Chatschadorian: Die Armenier in Frankreich sind ebenfalls gut integriert und haben einen
besonderen Status durch diese Anerkennung bekommen. Es ist tatsächlich so, dass die
Leugnung zumindest erst mal im Gespräch – ob es jetzt in einer Talkshow ist oder in einem
persönlichen Gespräch – erstmals verpönt oder geächtet ist oder zumindest unangenehm
auffällt. Und das ist der Schutz, auf den auch die armenische Gemeinschaft, wenn wir auf das
Individuum zurückkommen, das ist der Schutz, den die armenische Gemeinschaft beansprucht.
Fournier: Schauen wir uns doch nochmal zurück nach Deutschland. Die Resolution holt
den Konflikt auch näher an Deutschland heran. Die Armenier in Deutschland sind für die
Anerkennung der Massenmorde als Völkermord. Die türkische Gemeinde in Deutschland
dagegen. Am Samstag haben in Berlin rund tausend Türken gegen diese Resolution
demonstriert. Wie viel Unfrieden erwarten sie denn hierzulande durch die
Verabschiedung?
Chatschadorian: Eigentlich keinen. Übergriffe sind nicht erfolgt und auch sonstiges. Ich
glaube, auf dieser Ebene nicht. Aber es wird politisch etwas weiter gehen. Verbände werden
sich zusammenschließen. Jedes Beantragen eines Kreuzsteines, eines Gedenksteines in
irgendeiner kleinen Kommune, wird zur Gefahr für den Frieden erklärt werden, weil man trotz
deutscher Anerkennung (wenn wir denn jetzt heute soweit kommen), weil man trotz dieser
Anerkennung einfach sich weigert, mit der Vergangenheit sich auseinanderzusetzen, sondern
das Ganze als bösartigen Vorwurf empfindet.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Fournier: Einige prominente Plätze werden im Bundestag heute leer bleiben.
Bundeskanzlerin Merkel lässt sich wegen Terminproblemen entschuldigen, ebenso VizeKanzler Gabriel und Außenminister Steinmeier. Wie bewerten sie das?
Chatschadorian: Das ist nicht schön, aber aussagekräftig ist nicht eine einzelne Person oder
Personalie, sondern das Parlament. Daran halte ich sehr gerne fest und hoffe oder erwarte,
dass zumindest eine große Anwesenheit der Parlamentarier festzustellen ist.
- Ende Wortlaut -
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)