SÜDWESTRUNDFUNK Anstalt des öffentlichen Rechts Radio Fernsehen Internet PRESSE Information Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an. Jaklin Chatschadorian, Bundesvorsitzende d. Zentralrats der Armenier in Deutschland, gab heute, 02.06.16, dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema: „Armenien-Resolution im Bundestag“. Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Pascal Fournier. Mit freundlichen Grüßen Zentrale Information Chefredaktion Hörfunk Zentrale Information SWR Tagesgespräch Postadresse 76522 Baden-Baden Hausadresse Hans-Bredow-Straße 76530 Baden-Baden Telefon Telefax 07221/929-23981 07221/929-22050 Internet www.swr2.de Datum: 02.06.2016 Zentralratsvorsitzende der Armenier: Bundestags-Resolution zum „Völkermord“ ist „richtig und wichtig“ Baden-Baden: Die Bundesvorsitzende des Zentralrats der Armenier in Deutschland, Jaklin Chatschadorian, hat die geplante Armenien-Resolution des Bundestags als wichtiges Signal begrüßt. Für die Armenier in Deutschland habe die Anerkennung der Massenmorde vor über 100 Jahren als „Völkermord“ aus zwei Gründen große Bedeutung, sagte sie im Interview mit dem Südwestrundfunk (SWR). Zum einen sei sie die „notwendige Antwort auf die professionalisierte Leugnungspolitik der Türkei“. Zum anderen schaffe sie einen „geschützten Raum für die Erinnerung der Opfer“, so Chatschadorian im SWR-Tagesgespräch. Die Nachkommen der Opfer kämen durch den offiziellen Charakter der Resolution „heraus aus der Position der Rechtfertigung“. Sie begrüßte ausdrücklich, dass der Bundestag mit seiner Resolution auch die deutsche Mitschuld an den Ereignissen vor mehr als 100 Jahren klar benennt. Das sei aus historischer Sicht „richtig und wichtig“ – insbesondere, weil viele Armenier in Deutschland heute die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen. Insofern erkenne „ihr Parlament“, der Bundestag, mit der deutschen Mitverantwortung zugleich einen „Achtungsanspruchs ihrer Vergangenheit“ an. Wortlaut des Live-Gesprächs: Fournier: Warum ist diese Resolution, diese Einstufung der Ereignisse von 1915 als „Völkermord“, für die Armenier heute so wichtig? Chatschadorian: Sie ist wichtig, weil sie die notwendige Antwort auf diese professionalisierte Leugnungspolitik der Türkei, des türkischen Staates, aber auch der türkischen Gemeinschaft, jedenfalls der organisierten Teile in Deutschland ist, und sie schafft einen durch ihre offizielle Anerkennung, einen geschützten Raum für die Erinnerung der Opfer. Wir kommen einfach als Nachkomme raus aus der Opposition der Rechtfertigung. Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Fournier: Der Resolutionstext benennt auch, und zwar gleich mehrfach, die deutsche Mitverantwortung für diesen Völkermord. Das Kaiserreich hatte ja als Verbündeter des Osmanischen Reichs dem Treiben damals weitgehend tatenlos zugesehen. Wie wichtig ist denn das deutsche Bekenntnis zur Mitschuld für die Armenier? Chatschadorian: Das deutsche Bekenntnis zur Mitschuld ist aus historischer Sicht richtig und wichtig, weil man beteiligt im weitesten Sinne war, aber es ist auch wichtig aufgrund der Tatsache, dass hier in Deutschland Armenier leben, die aus der Türkei kommen. Das heißt, wir kommen von dem Ort, wo die Dinge geschehen sind, und leben jetzt hier, sind gut integriert. Die meisten Armenier haben die deutsche Staatsbürgerschaft, und selbstverständlich ist es dann von Bedeutung, dass mein Parlament, sprich: das deutsche Parlament, ein solche öffentliche Anerkennung gibt und mir als Nachkomme diesen Achtungsanspruch meiner Vergangenheit zuerkennt. Fournier: Für diese Resolution nimmt der Bundestag ja auch ein mögliches Zerwürfnis mit der Türkei in Kauf. Präsident Erdogan hat ja schon vor einer Verschlechterung der deutsch-türkischen Beziehung gewarnt, sollte die Resolution verabschiedet werden. Ganz platt gefragt: Ist es das wert? Chatschadorian: Ich würde das nicht ganz so ernst nehmen. Er wird, wie so oft, zwei Tage den Botschafter zurückziehen, aber wenn wir wieder von der Impulsivität weggucken auf die Fakten: Die Türkei braucht Deutschland, die Türkei braucht Europa. Noch ist sie nicht an dem Ziel, von dem Erdogan träumt, auch wenn sie auf einem guten Weg ist in Richtung Theokratie, Kalifat oder was auch immer. Noch sind Abhängigkeiten da und gerade auch von türkischer Seite. Deswegen werden sich die Reaktionen im Zaum halten. Fournier: Sie haben gerade das Beispiel genannt „den Botschafter abziehen“. Das hat die Türkei vor 5 Jahren getan, als Frankreich eine vergleichbare Resolution verabschiedet hat. Beziehungsweise ein Gesetz verabschiedet hat, mit dem die Leugnung des Genozids unter Strafe gestellt wird und explizit auch die Leugnung des Genozids an den Armeniern. Damals hat Ankara den Botschafter aus Paris abgezogen. Was hat denn die Resolution in den vergangenen fünf Jahren an der Lebenswirklichkeit in anderen Ländern bewirkt? Chatschadorian: Die Armenier in Frankreich sind ebenfalls gut integriert und haben einen besonderen Status durch diese Anerkennung bekommen. Es ist tatsächlich so, dass die Leugnung zumindest erst mal im Gespräch – ob es jetzt in einer Talkshow ist oder in einem persönlichen Gespräch – erstmals verpönt oder geächtet ist oder zumindest unangenehm auffällt. Und das ist der Schutz, auf den auch die armenische Gemeinschaft, wenn wir auf das Individuum zurückkommen, das ist der Schutz, den die armenische Gemeinschaft beansprucht. Fournier: Schauen wir uns doch nochmal zurück nach Deutschland. Die Resolution holt den Konflikt auch näher an Deutschland heran. Die Armenier in Deutschland sind für die Anerkennung der Massenmorde als Völkermord. Die türkische Gemeinde in Deutschland dagegen. Am Samstag haben in Berlin rund tausend Türken gegen diese Resolution demonstriert. Wie viel Unfrieden erwarten sie denn hierzulande durch die Verabschiedung? Chatschadorian: Eigentlich keinen. Übergriffe sind nicht erfolgt und auch sonstiges. Ich glaube, auf dieser Ebene nicht. Aber es wird politisch etwas weiter gehen. Verbände werden sich zusammenschließen. Jedes Beantragen eines Kreuzsteines, eines Gedenksteines in irgendeiner kleinen Kommune, wird zur Gefahr für den Frieden erklärt werden, weil man trotz deutscher Anerkennung (wenn wir denn jetzt heute soweit kommen), weil man trotz dieser Anerkennung einfach sich weigert, mit der Vergangenheit sich auseinanderzusetzen, sondern das Ganze als bösartigen Vorwurf empfindet. Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Fournier: Einige prominente Plätze werden im Bundestag heute leer bleiben. Bundeskanzlerin Merkel lässt sich wegen Terminproblemen entschuldigen, ebenso VizeKanzler Gabriel und Außenminister Steinmeier. Wie bewerten sie das? Chatschadorian: Das ist nicht schön, aber aussagekräftig ist nicht eine einzelne Person oder Personalie, sondern das Parlament. Daran halte ich sehr gerne fest und hoffe oder erwarte, dass zumindest eine große Anwesenheit der Parlamentarier festzustellen ist. - Ende Wortlaut - Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
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