Mit «Gott verliert sein Antlitz und wird ständig weniger christlich» fasst Johannes Rösler, Theologe und Journalist, die Ergebnisse einer belgischen Studie zusammen. Claudia Mennen trägt Paulus’ Predigt auf dem Areopag vor. Gott wird ständig weniger christlich Johannes Rösler, der Chefredaktor von «Christ in der Gegenwart», referierte in der Propstei zum Thema «Die neue Frage nach Gott». Theologische Bescheidenheit sei ein Gebot der Stunde, meinte Rösler, und was die Liturgie anbelangt, wünschte er sich mehr Zusammenarbeit mit Kunst und Wissenschaft. WISLIKOFEN (uz) – Fronleichnam: Die Wislikofer Schule für Bibliodrama und Seelsorge (siehe Kasten) nahm den Feiertag zum Anlass, ihr dreitägiges Symposium «Gott ist an diesem Ort, und ich wusste es nicht» zu eröffnen. Der Auftakt dazu war ein hochkarätiger: Theologe und Journalist Johannes Rösler, Chefredaktor der renommierten deutschen Zeitung «Christ in der Gegenwart», referierte zum Thema «Die neue Frage nach Gott». Rösler lud seine Zuhörerinnen und Zuhörer ein, über die Themen Gottesbild und Glaubenskrise nachzudenken. Brüchig geworden Ausgangspunkt für Röslers Referat war eine belgische Studie. Untersucht hat diese Studie, was Zeitgenossen über Gott denken und wie sich dieses Denken im Verlauf der letzten Jahrzehnte veränderte. Die Ergebnisse überraschen nicht: Die überlieferten Gottesbilder greifen nicht mehr; sie sind brüchig geworden, und das aufgeklärte und an Naturwissenschaft und Technik orientierte Denken hat die menschliche Wahrnehmung der Welt gründlich entmythologisiert. Die Mehrheit der Befragten sieht Gott nicht mehr als ein im weitesten Sinne menschengestaltiges Gegenüber, sondern eher als Geist oder Energie. Ausserdem wächst die Zahl der Atheisten, wobei gleichzei- tig das Gespür für ein «Geheimnis hinter allem» nicht schwindet. «Gott verliert sein Antlitz und wird ständig weniger christlich», fasste Johannes Rösler die Ergebnisse der Studie zusammen. Glaubenssätze kontra Welterfahrung Die Gründe für den Status quo ortete der Referent bei den Kirchen selber. Allzulange habe man vorgegeben, sehr viel über Gott zu wissen. Dieses angebliche Wissen – in Glaubenssätzen fest formuliert – entspräche aber schon längst nicht mehr und immer weniger den modernen Erkenntnissen und der Welterfahrung von heute, und auch die Sprache und die Formen der Liturgie hätten mit der Gegenwart nicht Schritt gehalten. Die Schere zwischen kirchlicher Lehrmeinung und gelebter Wirklichkeit klaffe zunehmend auseinander und ein den Alltag prägendes Christentum werde immer mehr zu einer Randerscheinung und der Welt fremd. Er wohnt nicht in Tempeln Johannes Rösler unterbrach dann sein Referat und führte zur Apostelgeschichte, einem biblischen Buch, das in der griechisch geprägten Welt vor 2000 Jahren spielt. Es erzählt von den Missionsreisen des Paulus und seiner Gefährten. Eine Episode trägt sich in Athen zu, auf dem sogenannten Areopag. Der Areopag ist ein felsiger Hügel und liegt direkt bei der Akropolis. Auf dem Areopag tagte der Rat der Stadt und es wurde öffentlich Gericht gehalten. Paulus soll auf diesem Hügel eine Rede gehalten und Gott und den auferstandenen Christus gepredigt haben. Gott wird von ihm als «der Unbekannte» bezeichnet, als einer der nicht in Tempeln wohne, keinem fremd sei und von Dichtern mit den Worten beschrieben wurde «in ihm leben wir, sind wir und bewegen wir uns». Mit Paulus in Athen Die Reihe war dann an Nicolaas Derksen und Claudia Mennen, zwei Leitende der Wislikofer Schule für Bibliodrama und Seelsorge. Derksen und Mennen wandten die Methode «Bibliodrama» an. Sie liessen den Vortragssaal zum Areopag in Athen werden, baten die Zuhörer wahrzunehmen, was sie anrührt beim Hören der Rede des Paulus auf dem Areopag und welche Fragen in ihnen auftauchen. Dann sollten sich alle auf den Areopag versetzen, wie wenn sie damals dabei gewesen wären, und eine ihnen entsprechende Rolle einnehmen. Auf Nachfragen von Derksen, legten die Zuhörer schliesslich ihre Haltungen und Fragen auf die Rede des Paulus dar, sprachen dabei als Athener von einst und fanden so einen ganz persönlichen Zugang zum behandelten Abschnitt der Apostelgeschichte. Die Aussagen der «Athener» bestätigten die Ergebnisse der eingangs erwähnten belgischen Studie: Der «unbekannte Gott» entsprach im Allgemeinen eher der Wahrnehmung der Anwesenden, als ein Gott dessen Wesen in Lehrsätzen definiert und aufgesagt werden kann. Begreifen geht nicht Rösler fuhr mit seinem Referat fort und sprach von theologischer Bescheidenheit als einem Gebot der Stunde. Er zitierte Gregor von Nazianz, einen Bischof und Kirchenlehrer des 4. Jahrhunderts, der das masslose Lehren der Theologen seiner Zeit rügte und hielt es mit «Wenn du begreifst, dann ist es nicht Gott», einer Aussage des Augustinus, einem Zeitgenossen Gregors und wie dieser ebenfalls Bischof und Kirchenlehrer. Kunst und Wissenschaft als Partner Angesichts eines Universums, dass nach neusten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen in ständiger Entwicklung begriffen sei, kam Rösler auf den Schweizer Astrophysiker Arnold Benz zu sprechen. «Alles ist in Bewegung», sage Benz, «nichts ist fertig und die Religion sollte es auch nicht sein». Mit Benz plädierte Rösler für ein Verlassen statischer Glaubenssätze, hin zu mehr Dynamik und wünschte sich Ähnliches auch für Gebetssprache und Liturgie. Reform sei nötig, aber Theologen alleine würden keine befriedigende Reform zuwege bringen, zeigte sich der Referent überzeugt. Nur die Zusammenarbeit mit den besten Kräften aus Kunst und Wissenschaft könne Erfolg versprechen. Das Christentum braucht Dichter Das Christentum habe eine Zukunft, kam Rösler zum Schluss, gerettet werde es aber weder von einer optimierten und professionalisierten Dienstleistungsorganisation Kirche und schon gar nicht von Verwaltung, Bürokraten und Beamten, sondern nur von «Heiligen», die wohl eher am Rand der Kirche zu finden seien, oder ganz ausserhalb, wenn auch nicht allzu weit entfernt. Und sicher brauche es Dichter, um von Gott zu sprechen, meinte Rösler, Dichter wie jene griechischen, die Paulus auf dem Areopag zitierte, wenn er sagt: «In ihm, Gott, leben wir, bewegen wir uns und sind wir.» Bibliodrama Bibliodrama ist eine Methode, um sich biblische Texte über Rollenspiel zu erschliessen. Die eigenen Lebensfragen können mithilfe von Bibliodrama in den Texten erkannt und die Haltungen der Bibel als Antworten auf die eigenen Fragen erlebt und verstanden werden. Die Methode wurde in den 80erJahren von Nicolaas Derksen und Herman Andriessen entworfen und hat sich seither stetig weiterentwickelt. Seit 2007 ist das Seminarhotel und Bildungshaus Propstei Wislikofen Sitz der Wislikofer Schule für Bibliodrama und Seelsorge. 2 Infos unter www.bibliodramaundseelsorge.ch Röslers Referat war keine leichte Kost. Mitschreiben und intensives Zuhören waren angesagt. Die Zeitung für das Zurzibiet 28. Mai 2016
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