Der Tagesspiegel

Asne Seierstad über Anders Breivik: Die Geschichte eines Massenmörders – Seite 21
Harter Aufschlag: Angelique Kerber
scheidet in der ersten Runde
der French Open aus – Die Dritte Seite
BERLIN, MITTWOCH, 25. MAI 2016 / 72. JAHRGANG / NR. 22 767
Verkehr der Zukunft:
Was Autos mit Autopilot
dürfen – Seite 13
WWW.TAGESSPIEGEL.DE
Sag niemals nie: Gibt es
bald einen weiblichen
James Bond? – Seite 24
BERLIN / BRANDENBURG 1,50 €, AUSWÄRTS 2,00 €, AUSLAND 2,20 €
Foto aus Mekka
Idomeni wird geräumt
Anstoß
von Özil
Mit Bussen wurden am Dienstag
mehr als 1500 Menschen aus dem Flüchtlingslager
an der griechisch-mazedonischen Grenze gebracht.
Zu Ausschreitungen kam es nicht – Seite 5
Von Malte Lehming
Foto: Sakis Mitrolidis/AFP
D
Berlin - An den Berliner Schulen werden
in den nächsten acht Jahren 3000 mehr
neue Lehrer benötigt, als noch vor einem
Jahr erwartet worden war. Insgesamt
müssen bis zum Schuljahr 2023/24 mehr
als 16 000 Neueinstellungen erfolgen.
Das geht aus einer aktuellen Modellrechnung der Senatsbildungsverwaltung hervor. Der hohe Bedarf hängt mit dem enormen Anstieg der Schülerzahlen zusammen. Die Senatsprognose geht von zusätzlichen 75 000 Schülern aus – ein Anstieg von 25 Prozent. Die höchsten Zuwächse gibt es im Bezirk Lichtenberg.
Um den Bedarf zu decken, wirbt die Bildungsverwaltung auch um Lehrer aus
Österreich und den Niederlanden. svo
— Seite 7
Mittelstand rechnet mit einem Superjahr
Unternehmen planen Rekordinvestitionen / Wirtschaftswachstum auf höchstem Stand seit 24 Monaten
Von Johannes Bockenheimer, Berlin,
und Rolf Obertreis, Frankfurt a. M.
Die fetten Jahre sind noch lange nicht vorbei: Während Konzerne wie die Deutsche Bank oder Volkswagen mit Skandalen und Umstrukturierungen kämpfen,
hoffen die kleinen und mittelgroßen Unternehmen auf ein richtig gutes Geschäftsjahr. Die Stimmung im deutschen
Mittelstand hat sich laut einer neuen Studie der WGZ Bank, die dem Tagesspiegel
vorliegt, im Vergleich zum vergangenen
Herbst deutlich erholt und liegt mittlerweile auf einem „sehr hohem Niveau“.
Der Studie zufolge sind die Geschäftserwartungen zum Jahresauftakt zudem
deutlich gestiegen, während die Investitionsplanungen gar ein Rekordhoch erreicht haben. Auch für den Arbeitsmarkt
sind das gute Nachrichten: Mehrheitlich
planen die Unternehmen demnach weitere Einstellungen.
Neue Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) machen zusätzlich Hoffnung, dass den Unternehmen ein gutes
Jahr bevorsteht. Kauffreudige Verbrau-
C
HINWEIS
D
Liebe Leserin, lieber Leser,
wegen eines Tarifstreiks der Drucker
kann Ihnen der Tagesspiegel nicht in der
gewohnten Aktualität geliefert werden.
Dafür bitten wir um Verständnis
cher und investierende Firmen hätten der
Wirtschaft im ersten Quartal zum stärksten Wachstum seit zwei Jahren verholfen.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg im
Vergleich zum Vorquartal um 0,7 Pro-
Chinesisches Kernkraftwerk im Sudan
Atomenergie für den Despoten
Präsident Omar al Baschir
hat nicht so viel zu lachen.
Seine Mitbürger, die Menschen von Sudan, haben allerdings noch viel weniger
Grund dazu. Es liegt ein internationaler
Haftbefehl vom Strafgerichtshof in Den
Haag gegen al Baschir vor. Er soll
Kriegsverbrechen begangen haben,
auch Völkermord wirft man ihm vor.
Das schränkt ihn auf Auslandsreisen
doch empfindlich ein. Nun aber darf
sich der 72-jährige Despot, der sich vor
27 Jahren an die Macht geputscht hat,
endlich mal über einen politischen
Coup freuen: Wie die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua verkündete, hat der Direktor der chinesischen Energiebehörde, Nur Bekri, während eines dreitägigen Besuchs in Khartum ein Rahmenabkommen zum Bau
des ersten Atomkraftwerks in dem nordostafrikanischen Land unterzeichnet.
Ein Akw. Im Sudan. Unglaublich.
Es wäre Afrikas zweites Kernkraftwerk. Zwei Reaktorblöcke brachte Südafrikas Apartheidsregime bereits 1984
in Koeberg nördlich von Kapstadt ans
Netz. Damals strebte das Land noch
nach der „Bombe“. Seither ist nicht viel
passiert – außer weiteren Absichtserklärungen. So gibt es auch Pläne im ÖlStaat Nigeria und in Kenia. Letzteres
Land, das als ein wenig fortschrittlicher
gilt, hat allerdings mittlerweile ein Energiekonzept verabschiedet, in dem Windenenergie und Geothermie (Erdwärme) eine große Rolle spielen. Atomkraft nicht mehr.
Anders im Sudan. Das heimische Öl
ist von minderer Qualität, auf dem Weltmarkt kaum zu verkaufen. Als Sudans
Regierung unlängst die Subventionen
für Benzin kappte, gab es Revolten. Und
Stromausfälle vereiteln – wie fast überall von Botswana bis Ägypten – eine stetige wirtschaftliche Entwicklung. Da
kommen die Chinesen wie gerufen.
Sie wollen ab 2021 im Sudan ihre heimische Entwicklung, Modell „Hualong
1“, auf den Sand bauen und bis 2027 ans
Netz bringen. Es wäre das erste Mal im
Ausland. Geplant sind zwei Druckwasserreaktoren mit je 600 Megawatt. Das
entspricht der Leistung mittlerweile abgeschalteter deutscher Akw der 1960er
Jahre. Gleichwohl wäre Sudan, heute
Platz 166 von 187 im Human Development Index der Vereinten Nationen,
plötzlich eine kleine Energiemacht.
Insgesamt 444 Reaktoren stehen derzeit in 30 entwickelten Ländern, weiß
die china-freundliche Internationale
Atomenergiebehörde. (Eigentlich sind
es 31 Länder. Sechs Reaktoren stehen in
Taiwan.) Wer aber verhindert, dass der
sudanesische Meiler Terroristen als
Selbstbedienungsladen
dient? Darum kümmert
sich al Baschir wohl nicht
mehr. Er wäre in elf Jahren
83.
Kevin P. Hoffmann
zent, berichtete die Behörde. Und es
könnte es mit dem Aufschwung noch eine
Weile weitergehen. „Alle Zutaten für eine
Fortsetzung des soliden deutschen Aufschwungs sind vorhanden: Zur verlässlich
guten Inlandsnachfrage wird sich nach
und nach eine Aufhellung des außenwirtschaftlichen Umfelds gesellen“, kommentierte Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der
KfW, die neuen Zahlen. Schwung brachte
laut Destatis dabei vor allem der private
Konsum, der um 0,4 Prozent zulegte.
Auch die öffentliche Hand gab deutlich
mehr Geld aus, um Flüchtlinge unterzubringen, zu verpflegen und in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Der Staatskonsum
stieg um 0,5 Prozent.
Doch nicht nur Staat und Bürger, auch
die Privatwirtschaft zeigte sich zum Jahresbeginn in Investitionslaune. Deutschlands Unternehmen steckten 1,9 Prozent
C
INDEX
mehr Geld in Maschinen und Anlagen.
Das ist der stärkste Zuwachs seit einem
Jahr. Glaubt man Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank aus Liechtenstein,
hat das einen einfachen Grund: „Hohe
Kassenbestände und niedrige Zinsen machen Investitionen attraktiv.“
Eitel Sonnenschein also allerorten?
Nicht ganz, denn an manchen Ecken hakt
es. So schwächte sich etwa der Außenhandel im Auftaktquartal ab, weil die Importe mit 1,4 Prozent stärker stiegen als
die Exporte mit 1,0 Prozent. Die Ausfuhren leiden vor allem unter der schwächelnden Nachfrage aus den Schwellenländern. Beim Deutschen Industrie- und
Handelskammertag rechnet man künftig
daher nur noch mit einem Wirtschaftswachstum mit „gedrosseltem Tempo“.
— Seite 14
D
Senat lehnt
Volksbegehren
für Tegel ab
WIRTSCHAFT & BÖRSEN . . . . . . . . 13 – 15
Gute Laune an der Börse: Dax
Am Dienstag
schloss der Dax
2,2 Prozent höher
bei 10 057 Punkten.
WETTER
........................................... 2
Am Mittwoch ist es in Berlin
und Umgebung erst bewölkt,
21 / 15 später kommt gelegentlich
auch mal die Sonne durch.
Kurze Gewitter sind möglich,
meist bleibt es jedoch trocken.
SPORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 + 18
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ISSN 1865-2263
30021
Foto: Jürgen Hasenkopf/AFP
Berlin gehen
die Lehrer
aus
Berlin - Der Berliner Senat hat das Volksbegehren zur Offenhaltung des Flughafens Tegel abgelehnt. Die Stellungnahme
wurde von der Stadtentwicklungsverwaltung vorgelegt. Darüber diskutiert wurde
nach Tagesspiegel-Informationen während der Sitzung am Dienstag nicht mehr.
Der Senat argumentiert, eine Offenhaltung des Flughafens entspreche nicht den
politischen Zielsetzungen und dem Landesentwicklungsplan, der unter anderem
den Ausbau des Flughafens Schönefeld
zum Single-Airport und die Schließung
vonTegelvorsieht. DieOrganisatorenwollen aber nicht aufgeben. „Wir sammeln
weiter Unterschriften, nachdem sich das
Abgeordnetenhausdamit befasst hat“,sagten Marcel Luthe, Gründer des Trägervereins Pro Tegel, und FDP-Generalsekretär
Sebastian Czaja dem Tagesspiegel.
sib
4 190662 202006
— Seite 7
as gab’s noch nie. Ein 27-jähriger
Fußballnationalspieler, geboren
in Gelsenkirchen, pilgert als Muslim nach Mekka, lässt sich dort im traditionellen weißen Gewand vor der Kaaba,
dem zentralen Heiligtum des Islam, ablichten, veröffentlicht das Foto auf Facebook – und innerhalb weniger Stunden
reagieren mehr als eine Million Menschen. Viele sind begeistert, einige meinen, Religion und Sport sollte man auseinanderhalten. Kalt lässt das Bild kaum jemanden. Es fasziniert auf eine fremde,
fast exotische Weise. Mesut Özil posiert
als frommer, gläubiger Mensch. Das ist
ungewohnt, verwirrend, zumal in
Deutschland und Europa, dem religiös analphabetisierten alten Kontinent.
Hier ahnt man zwar noch, was Glaube
ist, praktiziert ihn aber kaum. Er fühlt
sich an wie ein Relikt aus vergangener
Zeit. Die Zahl der Konfessionsmitglieder
geht seit Jahren zurück, von Gebeten, Liedern und christlichen Ritualen haben
sich viele entfremdet. Als Orientierungshilfe in ethischen Fragen gelten die Kirchen längst nicht mehr. Ein Bild wie das
von Özil erinnert nun daran, dass der
Glaube, global gesehen, die Norm ist, der
Nichtglaube dagegen die Abweichung.
Deutschland und Europa sind säkulare Inseln in einem Meer der Religiosität. Die
Unterscheidungen zwischen öffentlich
und privat, schrifttreu und historisch-kritisch, spirituell und aufgeklärt gelten außerhalb des in Europa gepflegten rationalisierten Diskurses über das Wesen der
Religion nur sehr eingeschränkt.
Der Kontrast zwischen der an sich banalen Bekundung seiner muslimischen
Frömmigkeit und dem Fehlen jeder Art
von christlichem Pendant verstärkt die Irritation, die Özils Mekka-Bild verursacht. Hat man je Angela Merkel beim
Abendmahl gesehen? Hat sich Jürgen
Klopp je bei einer Karfreitagsprozession
fotografieren lassen? Unter Özils Bild
könnte, frei nach Klaus Wowereit, die
Botschaft stehen: „Ich bin gläubiger Muslim, und das ist auch gut so.“ Vielleicht
würde ein etwas weniger verschämtes
Auftreten christlicher Personen des öffentlichen Lebens die Irritationen, die
von solchen Botschaften ausgehen, abschwächen. Von einer säkularisierten Gesellschaft werden fromme Muslime allenfalls geduldet, nicht aber in ihrem Identitätskern im emphatischen Sinne verstanden. Möglichst unsichtbar und lautlos: So
sollte der Glaube nach Meinung vieler
Nichtgläubiger sein.
Was diesem Ideal widerspricht, wird
als Anmaßung empfunden. In vermeintliche Integrationskonflikte sind daher
auch antireligiöse Reflexe gemischt. Das
erklärt die Vehemenz, mit der über Kopftücher, Moscheebauten, Gebetsräume
oder das Schächten gestritten wird. Eine
selbstbewusste Gesellschaft verträgt ein
gewisses Maß an religiöser Fremdheit. In
jedem Muezzinruf dagegen den Untergang des Abendlandes zu wittern, zeugt
von einer labilen Grundverfasstheit.
Insofern überrascht es nicht, dass die
in Europa zunehmende Glaubensabgewandtheit die frommen Menschen verschiedener Konfessionen zusammenschweißt. Christen helfen Flüchtlingen
aus muslimischen Ländern, Juden und
Muslime kämpfen gemeinsam für das religiöse Recht auf Beschneidung ihres
männlichen Nachwuchses, alle zusammen schmieden Allianzen gegen Grabschändungen, Brandanschläge und Intoleranz. Das Bild von Özil in Mekka könnte
Teil dieser ganz großen Ökumene sein.
Anstößig im besten Sinne des Wortes.
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