Gemeinsame - TNS Infratest

wissen&forschung thema handel und fmcg
Sache
machen
Gemeinsame
Lebensmittel-Industrie und Handel im Zeichen der DIGITALEN TRANSFORMATION
Der
Autor
Jens Krüger ist Managing
Director bei TNS Deutschland
für den Sektor Consumer &
Industry. Er gehört zu den
Experten der Ebay-Plattform
Zukunft des Handels.
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Sonderheft 1/2016
o früher Marken
und Werbungtreibende um die Aufmerksamkeit von
Konsumenten buhlten, geht es heute um
Vertrauen. Reputation
wird zur zentralen Währung. Sie spiegelt
das Vertrauen in Marken wider. Vertrauen
entsteht über gemeinsame Werte, die Unternehmen und Marken mit ihren Kunden
teilen. Jens Krüger, Managing Director
von TNS Deutschland, fordert, Industrie
und Handel müssten gemeinsame Sache
machen, um trotz Paradigmen-Wechsel
von der Industrie- zur Netzwerkökonomie
das Vertrauen der Kunden zu behalten.
Planbarkeit. Transparenz und Vertrauen
werden zu entscheidenden Ressourcen.
Ebenso die Fähigkeit, sich aufeinander einzulassen – Kollaboration statt Wettbewerb.
Diese schöne, neue Welt erfordert von Industrie und Handel ein konsequentes Umdenken und es stellt sich die Frage: Wie
werden sich die Geschäftsmodelle in den
nächsten fünf bis zehn Jahren aufgrund der
neuen technischen und digitalen Möglichkeiten verändern?
Derzeit wird fast ausschließlich die technische Seite betrachtet. Viele gehen davon
aus, dass alles was heute technisch möglich
erscheint, auch so kommen und das Verhalten der Konsumenten nachhaltig beeinflussen wird. Richtig ist sicher, dass die Digitalisierung unser Leben und unser Verhalten ändern kann. Doch die Vergangenheit zeigt, dass sich nicht immer alles
durchsetzt, was technisch machbar ist.
Mindestens genauso wichtig ist aber die
Frage, wie verändern sich Einstellungen
und Werte? Wie leben wir in der Zukunft?
Wie ist der Kontext, in dem sich der digitale
Wandel vollzieht? Dieser Wandel wird ganze Industrie- und Wirtschaftsmechanismen auf den Kopf stellen – wie die Beziehung und das Machtgefüge zwischen Industrie, Handel und Konsument.
Neben der Diskussion um die technologische Konnektivität geht es unserer Einschätzung nach vor allem um die Frage der
kulturellen Konnektivität, also einmal
mehr darum, den Konsumenten und seine
Motivlage innerhalb dieses Wandels zu verstehen und entsprechend mit den eigenen
Werten abzugleichen. Wohin geht die Reise? Wir haben uns dieser Frage – mehr oder
weniger explizit – in unterschiedlichen
Forschungsarbeiten gestellt, auf zwei davon
wollen wir nachfolgend eingehen: Dem
Werteindex 2016 und der Nestlé Zukunftsstudie Wie is(s)t Deutschland 2030?
Werteindex analysiert im
zweijährigen Turnus
Im Werteindex, unserem gemeinsamen
Forschungsprojekt von TNS und dem
Trendforscher Prof. Peter Wippermann,
analysieren wir seit 2009 im zweijährlichen
Turnus die Dynamik, mit der sich Werte
und ihr Kontext sowie ihre Konnotation
verändern. Die Studie basiert auf einer umfangreichen Inhaltsanalyse von Beiträgen
von Internet-Nutzern in Foren, Blogs und
sozialen Medien. Der aktuelle Werteindex
basiert auf der Analyse von knapp 7,5 Millionen Beiträgen im deutschsprachigen Internet von Mitte 2014 bis Mitte 2015. Im
Kern belegt die aktuelle Analyse des Werteindex, dass Globalisierung, Terrorangst
und die Dauerkrisen dazu führen, dass sich
der Einzelne in die Sicherheit des Bekannten und Privaten zurückzieht. Online richtet man sich in einer Welt der Gleichgesinnten ein. Die wichtigsten Werte sind Gesundheit, Freiheit und Erfolg. Gesundheit ist
die Basis für individuelle Leistungsfähigkeit und Selbstbestimmung. Freiheit erlangt in der Bedeutung von Unabhängigkeit von übergeordneten Institutionen
neue Relevanz. Die Definition von Erfolg
wird mehr von Lebensqualität und weniger
vom materiellen Status geprägt.
Die wichtigsten Aufsteiger-Werte sind
Natur und Sicherheit. Natur wird von der
Diskussion der Notwendigkeit von Klimaund Umweltschutz getrieben. Bei Sicherheit geht es verstärkt um alltagspraktische
Lösungen wie etwa sichere Produkte. Aktuell werden dafür deutlicher als zuvor die
Politik und die Wirtschaft in die Pflicht
genommen. Dafür, Veränderungen in unserem Gesellschaftssystem herbeizuführen
wie für ein ökologisch verträglicheres
Wirtschaftswachstum zu sorgen, reicht der
Hebel des Einzelnen nicht aus. Hier wird
zunehmend ein ganzheitlicher Anspruch
an eine fundamentale Systemerneuerung
formuliert – gerade wenn es um Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit geht.
Zukunft hat nur ein Wirtschaftssystem,
das ganzheitlich am Wohle aller Menschen
orientiert ist. Diesen Systemwechsel erachten viele als essenziell. Teile der Wirtschaft
haben begonnen, diesen Forderungen bereits nachzukommen. Im Kern geht es darum, dass wir alle mehr gemeinsam an einem Strang ziehen, um den Erwartungen
der Konsumenten gerecht zu werden
Nestlé Zukunftsstudie zeigt
Ernährung von morgen
Ernährung und Ernährungsverhalten sind
keine isoliert zu betrachtenden Phänomene. Auch wie wir heute essen, hängt ganz
wesentlich von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und auch technischen
Entwicklungen ab. Neben dem demografischen Wandel werden auch die Veränderungen im Bereich der Medizin, Technologie und nicht zuletzt unserer Arbeitswelt
Einfluss auf unsere Ernährung haben.
Mit der Leitfrage Wie is(s)t Deutschland
im Jahr 2030? haben sich kreative Konsumenten – bei uns Supergrouper genannt –
während eines zweitägigen Co-CreationWorkshops beschäftigt, versorgt mit umfangreichen Informationen und Prognosen von Experten aus verschiedenen Branchen wie Architekten, Städteplaner, Mediziner, Designer und andere.
Ergebnis dieses Konsumenten-Workshops sind detaillierte Zukunftsbilder für
die Ernährung von morgen. Die zunehmende Komplexität unserer Gesellschaft
und Lebenswelt wird auch eine Individualisierung unserer Ernährungsstile zur
Folge haben. Sie wurden zusammengefasst
in fünf Zukunftsszenarien, deren Alltags-
Im Zeitalter der Industrieökonomie funktionierte die Symbiose und Hierarchie zwischen Markenartikler und Händler noch.
Produkte wurden kommunikativ in Werbespots und Anzeigen inszeniert und im
Handel platziert. Und der Konsument hat
konsumiert, was ihm (an-)geboten wurde.
Die zentrale Währung war Aufmerksamkeit und Platzierung. Je größer die Aufmerksamkeit für ein Produkt, desto besser
die Platzierung im Handel. Je besser die
Platzierung, desto größer der wirtschaftliche Erfolg.
In der Netzwerkökonomie mit neuen
technischen und medialen Möglichkeiten
der Verknüpfung zählt die Qualität von Beziehungen. Sie sorgt für Kontinuität und
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und Praxistauglichkeit im Rahmen einer
Repräsentativbefragung (n=1.024) überprüft wurde.
Zukünftig wird die Konnektivität der
Informationstechnologie deutlich zunehmen, die Menschen in Deutschland werden sich noch stärker vernetzen. Auch unser Ernährungs- und Einkaufsverhalten
wird sich hierdurch verändern: Für knapp
60 Prozent der Bevölkerung wird es künftig
selbstverständlich, dass Ernährungs-Apps,
die auf das persönliche Gesundheitsprofil
ausgerichtet sind, bei der Auswahl der richtigen Lebensmittel unterstützen. Gesundheitsarmbänder werden bei der Kontrolle
unserer Körperfunktionen helfen.
Zwei gesellschaftliche Veränderungen
werden diese Entwicklungen verstärken:
Der Erhalt der Gesundheit wird ein zunehmend relevanter gesellschaftlicher Kostenfaktor und dies führt unweigerlich zu präventiven Lebensstilen. Zum anderen gehen
die Experten davon aus, dass jeder zukünftig seine Gene analysieren lassen und erfahren kann, wie hoch das persönliche Risiko
für unterschiedliche Erkrankungen ist.
Die Ideologisierung
des Essens
Diese Entwicklungen werden den Konsumenten stärker in die (Eigen-)Verantwortung nehmen. Wenn wir uns immer mehr
kontrollieren, werden auch neue Produkte
und Dienstleistungen entstehen. Denkbar
sind personalisierte Produkte, die nicht nur
der Gesunderhaltung, sondern der persönlichen Leistungssteigerung dienen. Künftig
könnte es eine große Auswahl an personalisierten Lebensmitteln geben, die individuell auf den persönlichen Bedarf abgestimmt sind. Die Lebensmittelhersteller
werden bei der Auswahl der richtigen Produkte unterstützen, indem sie diese einfach
und deutlich kennzeichnen. Im Handel
werden geschulte Mitarbeiter bei der Auswahl der richtigen Lebensmittel beratend
zur Seite stehen. Die Hälfte der Befragten
hält dies für realistisch. Essen wird immer
ideologischer. Überspitzt gesagt, die Festlegung auf einen Ernährungsstil, wie beispielsweise der Verzicht auf Fleisch bis hin
zu einer veganen Ernährung, ist in Zukunft
vergleichbar mit der Zugehörigkeit zu einer politischen Partei.
Diese Differenzierung stellt Lebensmittelhersteller – vor allem aber Gastgeber einer heterogenen Tischgesellschaft – vor eine echte Herausforderung. Künftig wird es
nicht reichen, eine Mahlzeit auf den Tisch
zu stellen. Stattdessen wird die Herausforderung sein, die verschiedenen ideologisch
geprägten Esser mit individuellen Angebo-
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ten zufriedenzustellen. Die Ideologisierung
des Essens ist verbunden mit der Konsequenz, dass Essen zum Sozialprestige beiträgt. Jeder Zweite in Deutschland gibt an,
dass die Ernährung künftig zum Statussymbol und Ausdruck des persönlichen Lebensstils wird.
Ethischer Konsum und
Werteorientierung
Damit geraten letztlich auch die Werte von
Unternehmen – sowohl bei der Industrie
als auch beim Handel – zunehmend in den
Fokus der Konsumenten. Käufer interessieren sich nicht mehr nur für das Produkt
im Regal, sondern auch für die dahinter
stehenden Prozesse. Beispielsweise interessieren sich Verbraucher dafür, wie die Lieferketten aussehen und ob die Produktion
ressourcenschonend erfolgt. Die Thematik
ist weitaus differenzierter geworden und
geht über Bio hinaus. Es geht in weiten
Teilen der Bevölkerung um die ethischmoralische Verantwortung gegenüber anderen – auch beim Thema Essen. In Zukunft wird sich dieser Trend verstärken.
Jedem Zweiten in Deutschland gefällt diese
Vorstellung von einer besseren, ressourcenschonenden Welt und knapp 60 Prozent
der Befragten halten diese Zukunftsvision
für realistisch.
Konsumenten erwarten
neue Produkte und Dienste
Der Wandel von der Industrie- zur Netzwerkökonomie, den wir derzeit erleben,
wird ganze Branchen auf den Kopf stellen.
Ausgelöst durch die digitale Revolution
und die neuen Möglichkeiten für Konsumenten, sich individuell zu vernetzen, sich
technologie-basiert selber zu optimieren,
um in einer im Vergleich zu heute deutlich
fragmentierten Arbeitswelt leistungsfähig
zu sein, wird der Ausgangpunkt für neue
Produkte – besser: Lösungen – sein, die
einem noch stärker individualisierten Lebensstil gerecht werden. Die Industrie hat
heute schon das Know-how, solche neuen
Produkte zu entwickeln. Der Handel hat –
immer noch – den direkteren Zugang zu
den Konsumenten. Und der Konsument –
er erwartet, dass ihm Angebote gemacht
werden, die zu ihm, seinem Leben, seiner
Lebens- und Arbeitssituation passen. Gemeinsam und technikbasiert können Handel und Industrie gemeinsame Sache machen. Der Wettlauf um neue Rollen, wie
etwa einen individuellen Gesundheitsmanager, hat begonnen. Wir sind uns sicher –
es kann und wird nicht nur ein einziges
Unternehmen sein, das diesen Wettlauf gewinnt, sondern das beste Joint Venture, das
auch den Kunden mit einbezieht.
Aktuell stellt sich der Handel die Frage,
wie ein profitables Online- beziehungsweise Multichannel-Angebot aussieht. Also,
welche Technik einzusetzen ist. Die Industrie fragt sich, welche Anforderungen neue
Produkte für die Zukunft haben müssen.
Die eigentliche Frage ist aber, wer es schafft,
den Konsumenten ganzheitlich zu verstehen (ethisch, werteorientiert, selbstbewusst, aufgeklärt und kritisch), ihn direkt anzusprechen und ihm die richtigen
Angebote macht. Das wird nur gemeinsam
gehen. Mit dem Know-how der Industrie
und der Nähe zum Kunden beim Handel.
Macht was draus, sonst macht es Google.
Welche Zukunftsszenarien sind wahrscheinlich
Konsumentenwertung in Prozent
52
Ressourcenschonende Ernährung
50
Gemeinschaftliches Essen
35
Reflektierter Genuss
34
Ernährung zur Selbstoptimierung
Einfaches Sattwerden
Quelle: Wie is(s)t Deutschland 2030?
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