Manuskript Beitrag: Selbstbedienungsladen Lotto – Wie Politik beim Glücksspiel kassiert Sendung vom 24. Mai 2016 von Christian Esser, Jan Fritsche und Birte Meier Anmoderation: 37 Millionen Euro als Hauptgewinn. Der prall gefüllte Jackpot lockte vor Pfingsten Zocker und Normalos in die Lottobuden. Mit jedem Kreuzchen kassiert der Staat. Denn das Geschäft mit dem Glück oder Pech der Bürger organisieren die Lottogesellschaften der Bundesländer. Ein großer Teil der Einnahmen soll zwar dem Allgemeinwohl dienen. Aber viel Geld fließt in die Taschen der Lotto-Funktionäre. Und auch die Politik greift gerne zu. Jetzt könnte ein EU-Verfahren das staatliche Glücksspiel-Monopol ins Wanken bringen – und damit auch das Monopol auf Posten und auf Pfründe. Frontal 21 hat gemeinsam mit der WirtschaftsWoche recherchiert, was für wen auf dem Spiel steht. Text: Der Regierende Bürgermeister von Berlin - wir wollen mit ihm über Lotto reden. O-Ton Frontal 21: Meier, Frontal 21. Eine Frage zu den Lottostiftungen, bitte. O-Ton Michael Müller, SPD, Regierender Bürgermeister von Berlin: Nein, danke. O-Ton Frontal 21: Warum denn nicht? Nur einer von vielen Landespolitikern, die uns ein Interview zum Staats-Lotto verweigern. Dabei hat das doch nur Gutes im Sinn – so die Eigenwerbung. O-Ton Lotto Baden-Württemberg, Quelle YouTube.com/Lottobw: Wir alle partizipieren unmittelbar oder mittelbar von dem, was Lotto in unserem Land investiert, in die Kultur, in den Sport, Denkmalschutz, in die Natur oder soziale Projekte. Kulturförderung – darauf hoffte auch dieser Berliner Verein. Die Musiker wollten ein Opernfestival organisieren. Dafür beantragten sie Lotto-Mittel mit einem umfangreichen Antrag inklusive detaillierten Finanzierungsplans. O-Ton Kirstin Hasselmann, Leiterin Hauptstadtoper, Berlin: Wir haben da drei, vier Wochen dran gearbeitet. Und es ist dann sehr traurig, wenn man dann die Absage bekommt. Und ich glaube, man hat nur ‘ne größere Chance, wenn man dies Vitamin B bei sich hat, also Beziehungen, wenn man das so sagen möchte, ja. Und die mit den Beziehungen – das sind zum Beispiel die parteinahen Stiftungen. Denen überwies die Berliner LottoStiftung seit 2006 stattliche 27,5 Millionen Euro. Geld für die eigene Klientel, denn im Stiftungsrat, der die Gelder vergibt, sitzen neben Berlins SPD-Bürgermeister Michael Müller auch weitere Berliner Spitzenpolitiker anderer Parteien - nur die Piraten bleiben außen vor. O-Ton Heiko Herberg, PIRATENPARTEI, MdA Berlin: Andere Projekte im Land Berlin, die bewerben sich jedes Jahr und haben riesige Probleme an diese Töpfe ranzukommen, da geht´s auch um viel weniger Geld. Da geht es um 25.000 Euro, um 50.000 Euro für super Projekte, die haben aber keine Chance, weil ein großer Teil dieses Geldes direkt an die Stiftungen geht, und das nur, weil sie parteinah sind. Und das müssen wir beenden. Schriftlich lässt uns der Bürgermeister wissen: Der Stiftungsrat halte sich an die gesetzlichen Vorgaben. Also bleibt alles wie es ist: Die Politik kassiert aus Lotto-Mitteln. WestLotto – noch so eine staatliche Gesellschaft, die dem Wohle der Allgemeinheit dient – zumindest in der Werbung. O-Ton Theo Goßner, Geschäftsführer WestLotto, Quelle YouTube.com/Westlotto: Seit 60 Jahren steht Westlotto für das Miteinander in Nordrhein-Westfalen. Mit unseren Lotterie-Einnahmen fördern wir eine Vielzahl von Projekten. Zum Beispiel kaufen sie Kunstwerke – auch um die eigenen Geschäftsräume zu verschönern. So können sich die Allgemeinheit und auch der normale Lotto-Spieler an den Werken kaum erfreuen. Mehr als eine Million Euro ließ sich WestLotto das kosten. Obendrein üppiges Sponsoring fürs Politiker-Vergnügen: Die Lotteriegesellschaft des Landes gab Geld für etliche Sommerfeste in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Berlin: insgesamt mehrere zehntausend Euro. WestLotto habe, so teilt man uns mit, für das sogenannte “LottoPrinzip“ werben wollen. Die Politiker-Sausen: Für WestLotto offenbar Gutes tun für einen gemeinnützigen Zweck. FDP-Mann Wolfgang Kubicki macht sich schon seit Jahren für private Glückspiel-Anbieter stark, kritisiert das staatliche LottoMonopol. O-Ton Wolfgang Kubicki, FDP, Fraktionsvorsitzender Schleswig-Holstein: Selbstverständlich tut man sich wechselseitig Gutes. Also, wenn ein Ministerpräsident eine Veranstaltung organisieren will, ein Konzert, eine Konzertreihe, wie auch immer, und es fehlt noch ein bisschen an Geld, fragt man in aller Regel den Lottochef des eigenen Landes an, ob Lotto nicht bereit ist, das zu sponsern. Und da gibt's natürlich ein entsprechendes Sponsoring. Wenn das im privaten Bereich, also nicht im staatsnahen Bereich, so wäre, dann würde man sagen, das hat korruptive Elemente. Und diese Verwobenheit führt eben einfach dazu, dass dann auch jede Form von Unrechtsbewusstsein weg ist. Ihren Kritikern liefern die Lotto-Monopolisten immer wieder Vorlagen - mit Pfründen und Posten für die Politik. Beispiel Brandenburg. Hier wacht Ex-Finanzstaatssekretär Horst Mentrup, SPD, über den Spielbetrieb. Martin Stadelmeier, Ex-SPDStaatssekretär in Rheinland-Pfalz, ist heute Cheflobbyist des Deutschen Lotto- und Totoblocks. Für Marion Caspers-Merk, SPD, einst Drogenbeauftragte der Bundesregierung, erfüllte sich 2013 der Traum vom Lotto-Glück. O-Ton Frontal 21: Ihre Stelle als Geschäftsführerin von Lotto BadenWürttemberg, die war nicht ausgeschrieben. Sie bekommen ein Gehalt von rund 185.000 Euro im Jahr, das ist mehr als ein Landesminister. Können Sie nachvollziehen, dass da der Eindruck entsteht, da ist ein Ruhestandsposten geschaffen worden für eine verdiente Politikerin? O-Ton Marion Caspers-Merk, Geschäftsführerin Toto-Lotto Baden-Württemberg: Ich möchte dazu zwei Dinge festhalten: Das erste ist, dass wir in Deutschland 16 Lotteriegesellschaften haben. Ich habe rund 200 Mitarbeiter und einen Umsatz von 900 Millionen Euro. Und insofern denke ich, da mein Gehalt ja überall transparent gemacht wird, wie alle Landesbeteiligungen, können Sie auch meine Einkünfte im Internet nachprüfen. Deswegen geht hier alles transparent und fair zu. O-Ton Frontal 21: Das heißt, Sie empfinden 185.000 Euro Jahresgehalt als angemessen? O-Ton Pressesprecher von Marion Caspers-Merk: Ich denke, das sollten wir nicht weiter vertiefen. O-Ton Frontal 21: Empfinden Sie es als angemessen? Die Lotto-Funktionärin – nur eine von vielen Spitzenverdienern. So kassierte 2015 der jüngst in den Ruhestand verabschiedete WestLotto-Chef Theo Goßner rund 323.000 Euro - sein Nachfolger Andreas Kötter als Mitglied der Geschäftsführung rund 295.000 Euro. Auch in Berlin musste das Führungsdoppel mit jeweils rund 190.000 Euro nicht darben. Viele verdienen gut am staatlichen Glücksspiel-Monopol. Das aber gibt es aus einem ganz Grund: Nur wenn der Staat kontrolliert, werden Spieler vor Sucht geschützt. Dabei bieten private Wettanbieter längst ihre Dienste an. Allerdings operieren sie meist am Rande der Legalität, fast ohne Kontrolle – und können so viele süchtig machen. Der Wirtschaftswissenschaftler Ingo Fiedler hat den SportwettenMarkt untersucht. Sein Verdacht: Die Politik nehme das Chaos in Kauf, weil sie die private Konkurrenz fürchte. O-Ton Ingo Fiedler, Glücksspielforscher, Universität Hamburg: Das ist ein strategisches Kalkül: Wenn erst der SportwettenMarkt und vielleicht im nächsten Schritt auch noch Poker liberalisiert wird, dann kommt vielleicht irgendwann die Lotterie. Wir halten das lieber sehr früh auf. Das LottoMonopol ist einer der größten Spieler im deutschen Markt und selbstverständlich, jeder, der davon profitiert, hat ein großes Interesse daran, dass dieses Lotto-Monopol beibehalten wird. Der hessische Innenminister Peter Beuth fordert jetzt einen Neuanfang in der Glücksspiel-Regulierung. O-Ton Peter Beuth, CDU, Innenminister Hessen, CDU: Wir haben die Situation, dass der Glücksspiel-Staatsvertrag aus dem Jahre 2012 in seiner Substanz völlig gescheitert ist. Es gibt weiterhin Wildwuchs auf diesem Markt und wir können damit Spielerschutz, Jugendschutz, wir können all die Fragen, Manipulation, Integrität des Sports und Ähnliches, das können wir alles nicht sicherstellen. Von Spielerschutz ist auch bei großen Staats-Monopolisten wenig zu spüren. Beispiel Bayern. Hier gibt es sogar eine staatseigene Lotto-Akademie. Sie steht in Nürnberg, hat über eine Million Euro gekostet und schult zum Beispiel Betreiber von LottoAnnahmestellen. Wir wollen wissen, wie es hier um die Suchprävention steht. Ein Video aus Akademie-Schulung. Heute auf dem Lehrplan: „Aktives Verkaufen“. O-Ton Dozent Lottoakademie, Gedächtnisprotokoll: Wir müssen bei der Lotto-Kundenkarte richtig Gas geben. Da läuft ja gerade unsere Aktion. Locken Sie den Kunden mit zwei Gratis-Tipps, fragen Sie ihn: Wollen Sie kostenlos Lotto spielen? Dann fragt der: Was muss ich dafür tun? Und sie so: Nix - nur die Kundenkarte beantragen. Zack, sind sie mit dem Kunden im Gespräch und haben wieder einen Verkaufsanker gesetzt und so wird er zum Stammkunden für Lotto. In diesem Seminar – statt Suchprävention aktives GlücksspielMarketing von Staats wegen – übrigens verantwortet vom bayerischen Finanzminister Markus Söder. Denn Lotto Bayern ist im Geschäftsbereich seines Ministeriums angesiedelt. Der Minister will dazu kein Interview geben. Dafür die Betreiberin einer Lotto-Annahmestelle, die auch schon an der bayerischen Akademie geschult wurde. Sie will nicht erkannt werden. O-Ton Annahmestellenleiterin: Es geht darum, mehr Lotto-Produkte zu verkaufen, mehr Umsatz zu machen. Das nervt mich. Ich habe keine Lust, Rentnerinnen, die eh schon so wenig haben, das Geld aus der Tasche zu ziehen. Die warten auf das große Glück, aber dass sie gewinnen, ist ja eher unwahrscheinlich. Trotzdem wurde in der Akademie propagiert, dass wir denen sagen sollen, dass sie möglichst viel ankreuzen sollen, damit sie ihre Chancen steigern. Aber ich sehe das nicht ein, die Kunden vertrauen mir ja. Und das hat auch wenig mit Suchtbekämpfung zu tun. Lotto Bayern teilt auf Nachfrage mit, mit den Seminaren wolle man die Annahmestellen „nachhaltig und ganzheitlich stärken“. Die Landtagsabgeordnete Claudia Stamm von der Opposition sieht das kritisch. O-Ton Claudia Stamm, B‘90/GRÜNE, MdL Bayern: Das ist so, dass eben auf der einen Seite immer gesagt wird, wir haben das Monopol wegen Suchtverhalten. Und auf der anderen Seite ist es eben so, dass dann die Menschen geschult werden, ganz viel Scheine zu verkaufen und das ist ein Widerspruch hoch drei. Also, das passt ja null zusammen. Was die Annahmestellen-Leiterin noch ärgert: Je mehr Lottoscheine sie verkauft, desto mehr kassieren die bayerischen Bezirksstellen. Die verwalten und beraten die Annahmestellen für fürstliche Provisionen: Jede einzelne erhielt 2015 im Schnitt knapp 600.000 Euro – insgesamt rund 15 Millionen. Den Missstand beanstandete schon vor Jahren der Bayerische Oberste Rechnungshof. Geholfen hat das den Kioskbesitzern bislang wenig. O-Ton Annahmestellenleiterin: Die Bezirksstellenleiter sind steinreich. Die verdienen Unsummen, obwohl die Betreuung unserer Annahmestellen kaum Aufwand ist. Die haben keinen Verkaufsstress, den Stress haben wir. Dass die ganzen Lotto-Einnahmen für gute Zwecke ausgegeben werden, ist ein Irrglaube. Über 60 Jahre Lotto in Deutschland – für die Tipper liegt die Chance auf einen Hauptgewinn bei 1:140 Millionen. Für Politik und Lotto-Funktionäre ist der Gewinn jedenfalls sicher. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. 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