PDF-Download - Katholische Kirche beim hr

Diakon Mathias Wolf, Oberursel
Übrigens in hr4 am Mittwoch, 25.5.2016
„Seht, da ist der Mensch!“
Aus allen Himmelsrichtungen kommen sie heute Abend in Bussen, Sonderzügen und
mit Autos nach Leipzig: die Besucherinnen und Besucher des 100. Katholikentages. Bis
Sonntag wird diese Stadt dann wie verwandelt sein.
Vor Jahren habe ich das selbst in Dresden erlebt. 1994 war dort Katholikentag. In
Straßenbahnen und auf Straßen und Plätzen habe ich damals fremde Menschen
getroffen, die mir doch irgendwie auch nah waren. Aber nicht nur das: Ich hatte das
Gefühl: Auch die Dresdener haben uns freundlich angesehen. Offen und hilfsbereit
haben sie mir den Weg erklärt; geduldig haben sie die Massen an Fremden ertragen in den Bussen und Bahnen der Stadt oder beim Einkaufen in der Schlange.
Auf dem Weg nach Hause habe ich dann die Stadt und ihre Menschen in ganz
anderem Licht gesehen. Ums Sehen geht’s diesmal beim Katholikentag sogar im Motto
„Seht, da ist der Mensch!“ heißt es.
Wir sehen den ganzen Tag vieles. Aber bis man es wirklich sieht, das kann dauern.
Der Dichter Christian Morgenstern hat es einmal so gesagt: „Man sieht oft etwas
hundertmal, tausendmal, ehe man es zum allererstenmal wirklich sieht.“
Das kenne ich von mir: Ich laufe oder fahre durch die Gegend, und da fällt mir plötzlich
ein kleines Detail an einem Haus oder am Weg auf. Von da an sehe ich es anders. Aber
das ist nicht nur bei Gegenständen so. Mir geht es viel häufiger so mit Menschen.
In der großen Runde der Firmlinge erlebe ich einen der Jugendlichen eher verschlossen
und scheu. Und dann in der Kleingruppe ist er ganz anders: Hier vertraut er den
anderen seine bewegende Lebensgeschichte an. Er erzählt von der Krankheit seiner
Mutter und der Sorge, weil sie wieder im Krankenhaus ist. Von jetzt an sehe ich ihn mit
ganz anderen Augen. Und vor allem: Ich verstehe ihn viel besser. Ich fühle mit ihm mit.
Ich sehe ihn mit dem, was ihn als Menschen bewegt und prägt.
„Seht, da ist der Mensch!“ lautet das Katholikentags-Motto. Mit dem Sehen geht es los.
Ich wünsch das in den nächsten Tagen den Menschen beim Katholikentag in Leipzig,
aber auch anderswo und auch uns in Hessen: dass wir neu sehen und hinsehen und
dabei Neues und Überraschendes an den Menschen entdecken.