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SÜDWESTRUNDFUNK
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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Dietmar Bartsch (DIE LINKE), Vorsitzender der
Bundestagsfraktion, gab heute, 17.05.16,
dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema:
„Aspekte der Flüchtlingskrise – EU-Türkei-Streit und
Syrien-Konferenz in Wien.“ Das „SWR2 Tagesgespräch“
führte Rudolf Geissler .
Mit freundlichen Grüßen
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Datum:
17.05.2016
Bartsch (LINKE): Türkische Pläne für Schutzzone in Syrien bedrohen Kurden
Baden-Baden: Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linken, Dietmar Bartsch, setzt auf Fortschritte
bei der Syrien-Konferenz in Wien. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Bartsch, der Königsweg auch zur
Lösung der europäischen Flüchtlingskrise führe über ein Ende des Bürgerkrieges. Er hoffe, dass
Bundesaußenminister Steinmeier auf die Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats einwirken könne, damit die
Kriegsparteien wieder zur Feuerpause gezwungen würden. Eine Waffenruhe sei umso wichtiger, als der
Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei "nicht funktionieren" werde. Auch der Vorschlag
Ankaras, im syrischen Grenzgebiet eine militärisch gesicherte Schutzzone einzurichten, werde den Krieg
nicht wirklich verkürzen, sagte Bartsch. Der Türkei gehe es lediglich darum, ihren Einfluss im
Kurdengebiet auszudehnen. Eine Schutzzone "unter türkischer Hoheit" werde den Krieg gegen die
Zivilbevölkerung "fördern" statt eindämmen
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Geissler: Im Bundestag haben Sie neulich selbst eingeräumt, dass Erdogan eine
Schlüsselstellung in der Flüchtlingskrise hat und er die Europäische Union durchaus
erpressen kann. Wenn das so ist, welche realistische Option gibt es dann nach Lage der
Dinge für die Bundesregierung als Teil der EU?
Bartsch: Es ist richtig, Herr Erdogan hat eine Schlüsselstellung. Das hat mit der geopolitischen
Lage der Türkei zu tun. Deswegen ist völlig klar, dass man mit ihm reden muss. Nur wir sehen
in der aktuellen Entwicklung, dass er immer unverschämter wird. Es zahlt sich negativ aus,
dass wir letztlich einen Despoten hofieren. Aktuell soll die Immunität von 50 Abgeordneten
einfach mal so aufgehoben werden. Die Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Die
Pressefreiheit. Deswegen: Despoten hofiert man nicht, sondern man muss hier nicht nur
deutlich Position beziehen, sondern auch klar machen, was nicht geht. Denn der so genannte
Flüchtlingsdeal funktioniert nicht. Er wird auch weiter nicht funktionieren, und Europa ist heftigst
erpressbar, und das nutzt Herr Erdogan.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Geissler: Wenn Ankara sich aber in der Sache weigert, die so genannten Anti-TerrorGesetze so beibehält wie jetzt, dann wird doch entweder die EU das akzeptieren müssen,
oder aber der Flüchtlingspakt kippt. Wäre das Kippen im Zweifel die bessere Variante aus
Ihrer Sicht?
Bartsch: Dieser Flüchtlingspakt wird nicht funktionieren. Erdogan nutzt ihn aus, und ich sage
ganz klar, dass was jetzt passiert, wie die Visa-Freiheit erkauft werden soll, wie Stück für Stück
Herr Erdogan Einfluss ausdehnt – und sein Arm reicht inzwischen, wie wir feststellen bis nach
Deutschland – das geht so nicht. Deswegen muss hier Position bezogen werden. Das was jetzt
passiert, sechs Milliarden gehen an die Türkei, ich bin dafür, dass man in den Flüchtlingslagern
entsprechende Bedingungen realisiert, aber auch das nicht über Erdogan. Das ganze Prinzip
der Verhandlungen EU-Türkei muss wieder auf die Füße gestellt werden. Die Türkei hat
Interessen, und wir dürfen uns nicht erpessbar machen lassen.
Geissler: Nun wird im Zweifelsfall ja der Königsweg aus der aktuellen Flüchtlingskrise
über ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien führen. Aber danach sieht es nicht aus, die
Waffenruhe funktioniert nicht. In Wien kommt heute Vormittag unter amerikanischer und
russischer Leitung die Syrien-Kontaktgruppe zusammen. Lassen Sie uns da noch
hinschauen. Haben Sie den Eindruck, dass beide, Moskau und Washington, wirklich alles
tun, um das Land befrieden zu helfen?
Bartsch: Sie haben erst mal völlig Recht, dass das der Königsweg ist, der einzige Weg. In
Syrien, in Libyen, in Afghanistan. Und es ist richtig und gut, dass insbesondere die ständigen
Sicherheitsratsmitglieder hier ihrer Verantwortung gerecht werden. Und da hoffe ich, dass auch
unser Bundesaußenminister Steinmeier alles tut, dass das gefördert wird. Ich habe das Gefühl,
dass im Moment noch andere Interessen eine Rolle spielen, dass anhand von kleineren
Problemen dieser Prozess nicht mit Konsequenz weitergeführt wird, sondern sogar behindert
wird.
Geissler: Wodurch?
Bartsch: Wenn es darum geht, dass einzelne Gruppen nicht teilnehmen sollen. Wichtig ist
doch, dass der Waffenstillstand durchgehalten wird. In Aleppo hat das einige Zeit funktioniert,
und es kann nur diesen Weg gehen.
Geissler: Nur die UNO verlangt, dass die vielen Attacken auf Zivilisten, auf
Krankenhäuser jetzt auch Konsequenzen haben müssen für die Urheber. Ist das nur
mehr ein frommer Wunsch in Ihren Augen vor dem Hintergrund dessen, was sie Sie
gesagt haben. Oder wie könnten solche Konsequenzen aussehen, nach Lage der Dinge?
Bartsch: Das ist kein frommer Wunsch. Das ist möglich. Es ist doch so, dass im Moment
andere Länder agieren. Schauen Sie Saudi Arabien liefert weiterhin in Größenordnung an die
syrische Opposition. Richtig ist, hier muss mit Konsequenz gehandelt werden. Alle diese
Gruppen sind allein nicht lebensfähig. Sie werden unterstützt von ihren jeweiligen Paten. Das
muss aufhören, da muss Waffenstillstand her, und dann muss es einen Prozess geben, der
Syrien zu einem friedlichen Land macht. Das klingt im Moment einerseits leicht, andererseits
absurd, aber ist der einzige Weg.
Geisssler: Wer sollte den Waffenstillstand erzwingen, wen haben Sie da im Auge?
Bartsch: Der Waffenstillstand ist ja in der ersten Runde von den USA und Russland erzwungen
worden. Da ist allerdings auch entsprechender Druck sowohl auf Saudi Arabien im Übrigen wie
auch auf die Türkei ausgeübt worden, weil diese Länder alle Interessen verfolgen und diese
Interessen ja auf dem Rücken von Zivilisten in Syrien ausgetragen werden. Das darf so nicht
fortgesetzt werden.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Geissler: Nun gibt es den Vorschlag der Türkei, auf syrischem Boden selbst zum Schutz
der Binnenflüchtlinge, also grenznah zur Türkei eine Schutzzone für Flüchtlinge
einzurichten, militärisch gesichert und abgesichert. Klingt eigentlich vernünftig. Spricht
das was dagegen, aus Ihrer Sicht?
Bartsch: Auch da ist es wieder so. Die Türkei will dort Einfluss ausdehnen. Was sie aktuell dort
veranstaltet gegenüber den Kurdinnen und Kurden ist nichts anderes als ein Krieg, und eine
solche Schutzzone würde die Chancen für diesen barbarischen Krieg auch wiederum gegen
Zivilbevölkerung fördern. Deswegen ist eine solche Schutzzone, vor allen Dingen unter
türkischer Hoheit, überhaupt nicht das Mittel. Im Moment funktioniert ja Gott sei Dank in der
Luft, dass Russland die Vereinigten Staaten, Frankreich und andere, die dort alle Krieg führen,
dass dort keine schlimmen Zwischenfälle passieren. Die Schutzzone ist nicht der Weg.
Waffenstillstand muss her, das möglichst schnell. Im Übrigen ist es ja in einigen Gebieten
gelungen, das zu realisieren. Das muss dauerhaft werden.
- Ende Wortlaut -
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)