SÜDWESTRUNDFUNK Anstalt des öffentlichen Rechts Radio Fernsehen Internet PRESSE Information Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an. Dietmar Bartsch (DIE LINKE), Vorsitzender der Bundestagsfraktion, gab heute, 17.05.16, dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema: „Aspekte der Flüchtlingskrise – EU-Türkei-Streit und Syrien-Konferenz in Wien.“ Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Rudolf Geissler . Mit freundlichen Grüßen Zentrale Information Chefredaktion Hörfunk Zentrale Information SWR Tagesgespräch Postadresse 76522 Baden-Baden Hausadresse Hans-Bredow-Straße 76530 Baden-Baden Telefon Telefax 07221/929-23981 07221/929-22050 Internet www.swr2.de Datum: 17.05.2016 Bartsch (LINKE): Türkische Pläne für Schutzzone in Syrien bedrohen Kurden Baden-Baden: Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linken, Dietmar Bartsch, setzt auf Fortschritte bei der Syrien-Konferenz in Wien. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Bartsch, der Königsweg auch zur Lösung der europäischen Flüchtlingskrise führe über ein Ende des Bürgerkrieges. Er hoffe, dass Bundesaußenminister Steinmeier auf die Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats einwirken könne, damit die Kriegsparteien wieder zur Feuerpause gezwungen würden. Eine Waffenruhe sei umso wichtiger, als der Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei "nicht funktionieren" werde. Auch der Vorschlag Ankaras, im syrischen Grenzgebiet eine militärisch gesicherte Schutzzone einzurichten, werde den Krieg nicht wirklich verkürzen, sagte Bartsch. Der Türkei gehe es lediglich darum, ihren Einfluss im Kurdengebiet auszudehnen. Eine Schutzzone "unter türkischer Hoheit" werde den Krieg gegen die Zivilbevölkerung "fördern" statt eindämmen Wortlaut des Live-Gesprächs: Geissler: Im Bundestag haben Sie neulich selbst eingeräumt, dass Erdogan eine Schlüsselstellung in der Flüchtlingskrise hat und er die Europäische Union durchaus erpressen kann. Wenn das so ist, welche realistische Option gibt es dann nach Lage der Dinge für die Bundesregierung als Teil der EU? Bartsch: Es ist richtig, Herr Erdogan hat eine Schlüsselstellung. Das hat mit der geopolitischen Lage der Türkei zu tun. Deswegen ist völlig klar, dass man mit ihm reden muss. Nur wir sehen in der aktuellen Entwicklung, dass er immer unverschämter wird. Es zahlt sich negativ aus, dass wir letztlich einen Despoten hofieren. Aktuell soll die Immunität von 50 Abgeordneten einfach mal so aufgehoben werden. Die Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Die Pressefreiheit. Deswegen: Despoten hofiert man nicht, sondern man muss hier nicht nur deutlich Position beziehen, sondern auch klar machen, was nicht geht. Denn der so genannte Flüchtlingsdeal funktioniert nicht. Er wird auch weiter nicht funktionieren, und Europa ist heftigst erpressbar, und das nutzt Herr Erdogan. Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Geissler: Wenn Ankara sich aber in der Sache weigert, die so genannten Anti-TerrorGesetze so beibehält wie jetzt, dann wird doch entweder die EU das akzeptieren müssen, oder aber der Flüchtlingspakt kippt. Wäre das Kippen im Zweifel die bessere Variante aus Ihrer Sicht? Bartsch: Dieser Flüchtlingspakt wird nicht funktionieren. Erdogan nutzt ihn aus, und ich sage ganz klar, dass was jetzt passiert, wie die Visa-Freiheit erkauft werden soll, wie Stück für Stück Herr Erdogan Einfluss ausdehnt – und sein Arm reicht inzwischen, wie wir feststellen bis nach Deutschland – das geht so nicht. Deswegen muss hier Position bezogen werden. Das was jetzt passiert, sechs Milliarden gehen an die Türkei, ich bin dafür, dass man in den Flüchtlingslagern entsprechende Bedingungen realisiert, aber auch das nicht über Erdogan. Das ganze Prinzip der Verhandlungen EU-Türkei muss wieder auf die Füße gestellt werden. Die Türkei hat Interessen, und wir dürfen uns nicht erpessbar machen lassen. Geissler: Nun wird im Zweifelsfall ja der Königsweg aus der aktuellen Flüchtlingskrise über ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien führen. Aber danach sieht es nicht aus, die Waffenruhe funktioniert nicht. In Wien kommt heute Vormittag unter amerikanischer und russischer Leitung die Syrien-Kontaktgruppe zusammen. Lassen Sie uns da noch hinschauen. Haben Sie den Eindruck, dass beide, Moskau und Washington, wirklich alles tun, um das Land befrieden zu helfen? Bartsch: Sie haben erst mal völlig Recht, dass das der Königsweg ist, der einzige Weg. In Syrien, in Libyen, in Afghanistan. Und es ist richtig und gut, dass insbesondere die ständigen Sicherheitsratsmitglieder hier ihrer Verantwortung gerecht werden. Und da hoffe ich, dass auch unser Bundesaußenminister Steinmeier alles tut, dass das gefördert wird. Ich habe das Gefühl, dass im Moment noch andere Interessen eine Rolle spielen, dass anhand von kleineren Problemen dieser Prozess nicht mit Konsequenz weitergeführt wird, sondern sogar behindert wird. Geissler: Wodurch? Bartsch: Wenn es darum geht, dass einzelne Gruppen nicht teilnehmen sollen. Wichtig ist doch, dass der Waffenstillstand durchgehalten wird. In Aleppo hat das einige Zeit funktioniert, und es kann nur diesen Weg gehen. Geissler: Nur die UNO verlangt, dass die vielen Attacken auf Zivilisten, auf Krankenhäuser jetzt auch Konsequenzen haben müssen für die Urheber. Ist das nur mehr ein frommer Wunsch in Ihren Augen vor dem Hintergrund dessen, was sie Sie gesagt haben. Oder wie könnten solche Konsequenzen aussehen, nach Lage der Dinge? Bartsch: Das ist kein frommer Wunsch. Das ist möglich. Es ist doch so, dass im Moment andere Länder agieren. Schauen Sie Saudi Arabien liefert weiterhin in Größenordnung an die syrische Opposition. Richtig ist, hier muss mit Konsequenz gehandelt werden. Alle diese Gruppen sind allein nicht lebensfähig. Sie werden unterstützt von ihren jeweiligen Paten. Das muss aufhören, da muss Waffenstillstand her, und dann muss es einen Prozess geben, der Syrien zu einem friedlichen Land macht. Das klingt im Moment einerseits leicht, andererseits absurd, aber ist der einzige Weg. Geisssler: Wer sollte den Waffenstillstand erzwingen, wen haben Sie da im Auge? Bartsch: Der Waffenstillstand ist ja in der ersten Runde von den USA und Russland erzwungen worden. Da ist allerdings auch entsprechender Druck sowohl auf Saudi Arabien im Übrigen wie auch auf die Türkei ausgeübt worden, weil diese Länder alle Interessen verfolgen und diese Interessen ja auf dem Rücken von Zivilisten in Syrien ausgetragen werden. Das darf so nicht fortgesetzt werden. Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Geissler: Nun gibt es den Vorschlag der Türkei, auf syrischem Boden selbst zum Schutz der Binnenflüchtlinge, also grenznah zur Türkei eine Schutzzone für Flüchtlinge einzurichten, militärisch gesichert und abgesichert. Klingt eigentlich vernünftig. Spricht das was dagegen, aus Ihrer Sicht? Bartsch: Auch da ist es wieder so. Die Türkei will dort Einfluss ausdehnen. Was sie aktuell dort veranstaltet gegenüber den Kurdinnen und Kurden ist nichts anderes als ein Krieg, und eine solche Schutzzone würde die Chancen für diesen barbarischen Krieg auch wiederum gegen Zivilbevölkerung fördern. Deswegen ist eine solche Schutzzone, vor allen Dingen unter türkischer Hoheit, überhaupt nicht das Mittel. Im Moment funktioniert ja Gott sei Dank in der Luft, dass Russland die Vereinigten Staaten, Frankreich und andere, die dort alle Krieg führen, dass dort keine schlimmen Zwischenfälle passieren. Die Schutzzone ist nicht der Weg. Waffenstillstand muss her, das möglichst schnell. Im Übrigen ist es ja in einigen Gebieten gelungen, das zu realisieren. Das muss dauerhaft werden. - Ende Wortlaut - Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
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