Lebenszeichen

Brisanter Befehl – Die Kirchen und die
Mission
Von Kirsten Dietrich
15.05.2016
Lebenszeichen
O-Ton Wolfgang Schonecke:
Für mich, wenn ich meine Definition von Mission heute sagen soll: Mission ist Dialog.
O-Ton Gottfried Martens:
Mit Mission ist für mich gemeint, dass Gott diejenigen, die zu ihm gehören, in diese
Welt schickt, um andere Menschen Teil zu geben an der guten Botschaft, die er für
alle Menschen bestimmt hat.
O-Ton Bils:
Für mich ist Mission, / von dem zu erzählen, was man liebt. / Gleichzeitig merke ich
aber natürlich auch, dass für viele Leute Mission ein verbrannter Begriff ist. Aber ich
will mich da irgendwie nicht geschlagen geben, weil ich die Grundbewegung von
Mission eigentlich sehr cool finde und als eine der maßgeblichen Dynamiken in
unserem christlichen Glauben begreife.
Sprecher:
Mission: das ist der Punkt, an dem Glauben unübersehbar wird – und problematisch.
Zumindest heute, in der westlichen Welt. Wenn es schon immer öfter erstaunt, dass jemand
überhaupt an Gott glaubt, dann wirkt es vollends aus der Zeit gefallen, diesen Glauben auch
noch partout an andere weitergeben zu wollen. Dazu kommt die Erinnerung daran, dass
Mission über weite Strecken der Geschichte mit Unterwerfung und Kolonialherrschaft
verbunden war. Und doch entdecken die Kirchen die Mission gerade neu. Das Thema rückt
vom Rand, an dem seit den 70er und 80er Jahren die Missionswerke eher als seltsame
Überbleibsel bestaunt wurden, wieder in die Mitte. Und das, obwohl die Worte „Mission“ und
„missionieren“ im mehrheitlichen Sprachgebrauch als übergriffig und unangemessen
empfunden werden. Die christliche Kirche kann nicht ohne die Mission.
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
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Brisanter Befehl – Die Kirchen und die Mission
Von Kirsten Dietrich
Lebenszeichen
15.05.2016
Zitat Mt 28,16-20:
Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden
hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten.
Sprecher:
Matthäus 28, der Schluss des ersten Evangeliums. Der sogenannte Missionsauftrag. Oder
auch: Missionsbefehl – so betitelt die aktuelle Version der Lutherbibel diese Verse.
Zitat Mt 28,16-20:
Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und
auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den
Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten
alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der
Welt Ende.
O-Ton Ulrich Dehn:
Also, es ist für mich ein Missionsauftrag, der ja auch nicht in erster Linie sehr deutlich
sagt: geht hin und macht Menschen zu Anhängern Jesu Christi oder zu Christen,
sondern das ist eher eine ethische Aufforderung: geht hin und macht zu Jüngern alle
Völker und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe, das sind sehr deutlich
Hinweise dazu, Menschen zum richtigen Handeln anzuleiten, und tätig zu werden in
seinem Sinne.
Sprecher:
Der Theologe und Religionswissenschaftler Ulrich Dehn forscht schon lange zum Thema
Mission. Die Verse im Matthäus-Evangelium sind für ihn kein Befehl. Sie sind auch keine
direkten Worte des historischen Jesus, auch wenn der Text es so klingen lässt. Aber sie
bleiben eine Herausforderung, die die Kirchen nicht ignorieren können oder wollen.
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Brisanter Befehl – Die Kirchen und die Mission
Von Kirsten Dietrich
Lebenszeichen
15.05.2016
O-Ton Ulrich Dehn:
Es ist sicher nicht möglich, sich an diesen Text in der Weise zu erinnern, dass man
einfach sehr lapidare Missionsaktivitäten betreibt. Das ist glaub ich nicht das, was
dieser Text heute für uns bedeuten kann. Es geht tatsächlich heutzutage wirklich
darum, zu überlegen, wie setzen wir diesen Text um in einer Zeit, in der das
Christentum die größte Weltreligion ist, in der ohnehin in praktisch jedem Land dieser
Welt Christen existieren, manchmal sogar als Mehrheitsreligion, da kann dieser Text
nicht mehr 1 : 1 einfach als Handlungslegitimation verwendet werden.
Zitat Mt 28,16-20:
Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker.
Sprecher:
Für Gottfried Martens ist dieser Text ganz klar und einfach.
O-Ton Gottfried Martens:
Ein Missionsversprechen. Dass wir nämlich wissen dürfen, dass da, wo wir Christus
bezeugen, dass er selber dann auch bei uns ist.
Zitat Mt 28,16-20:
Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und
lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.
Sprecher:
Gottfried Martens ist Pfarrer der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Berlin. In
seiner Gemeinde hat er in den letzten Jahren hunderte ehemals muslimische Asylbewerber
getauft.
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Brisanter Befehl – Die Kirchen und die Mission
Von Kirsten Dietrich
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15.05.2016
O-Ton Gottfried Martens:
Das ist ein sehr sehr schöner Text für uns, weil er eben davon ausgeht, dass Christus
als der Herr der Welt tatsächlich dann auch mit Mitteln des Wortes, wohlgemerkt,
nicht mit anderen Mitteln, nicht mit Druck oder Zwang, möchte, dass auch andere
davon erfahren, wer er ist und was er für alle Menschen getan hat und bedeutet.
O-Ton Maria Hermann:
Wir haben im Moment weniger diese Missionsbefehle im Blick, wichtige Texte für uns
finden sich im Moment eher in der Apostelgeschichte, in dem, wie Kirche sich
entwickelt, manchmal auch verwickelt, wie sich manchmal auch vortastet, das sind
grad Texte, die wir gemeinsam neu lesen lernen, die uns auch immer wieder
verwandelt oder missioniert zurücklassen oder schicken.
Sprecher:
Auch die Theologin Maria Herrmann bemüht sich um Mission. Oder genauer: mit dem
Projekt „Kirche hoch zwei“ möchte sie Mission neu denken. Man müsse nicht Unwissenden
einfach die Botschaft erzählen, sondern gerade auf die nicht felsenfest Überzeugten hören.
Mission zielt auf ein „Mehr“, einen Zugewinn, das schon – es ist nur die Frage, in welche
Richtung der fließt.
O-Ton Maria Hermann:
Wir haben in unserer Arbeit immer auch ein bisschen im Blick die Geschichte mit
Philippus und dem Äthiopier, das ist so ein bisschen auch das Bild für uns, das wir
gerne mit den anderen zeichnen wollen:
Zitat Apg 8,30f:
Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte:
Verstehst du auch, was du liest? Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht
jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.
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Brisanter Befehl – Die Kirchen und die Mission
Von Kirsten Dietrich
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15.05.2016
O-Ton Maria Hermann:
Denn der Philippus steht ja mit in dem Taufwasser, die sind ja zusammen in diese
Pfütze oder dieses Gewässer gestiegen, / und das Mehr ist eigentlich eher der
andere, der mir etwas schenkt.
Sprecher:
Mission – über Jahrhunderte hieß das: wir, die Christen, gehen zu den anderen. Wir haben
etwas, das den anderen fehlt. Wobei: auch bei diesem ganz klassischen Konzept kommt
natürlich etwas zurück.
O-Ton Wolfgang Schonecke:
Die Faszination des Exotischen – im Nachdenken über meine Berufung denke ich
auch, da war auch eine Komponente mit drin: so weit wie möglich weg von Papa und
Mama, also diese Unabhängigkeit des jungen Menschen – eine Berufung ist immer
ein mixed bag, es ist eine bunte Mischung von allen möglichen Motivationen, die da
drin stecken.
Sprecher:
Wolfgang Schonecke wurde in den 50er Jahren Mitglied im Orden der Afrikamissionare.
Diese auch „Weiße Väter“ nach der Farbe ihrer Ordenstracht genannten Mönche sind auch
heute noch überall in Afrika tätig.
O-Ton Wolfgang Schonecke:
Nun kam ich natürlich nach Afrika gerade im Umbruch der 60er Jahre, als die
afrikanischen Länder und auch die Kirchen unabhängig wurden. Und die Kirchen und
die Missionare sind damals ganz stark in die Entwicklungsarbeit eingestiegen, mit
allen möglichen Projekten, und wurden sozusagen als Partner gesehen in diesem
Elan, Afrika mit dem Rest der Welt gleichzuziehen.
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Brisanter Befehl – Die Kirchen und die Mission
Von Kirsten Dietrich
Lebenszeichen
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Sprecher:
Die Rechnung Mission gleich Kolonialherrschaft gleich Unterdrückung geht so einfach nicht
auf. Und dabei redet man nicht die Taten des christlichen Europa schön. Natürlich
unterdrückten die Missionswerke die einheimische Kultur. Aber sie dokumentierten die
einheimische Kultur auch, lernten die Sprachen. Um dann Bibel und Predigt verständlich zu
machen, natürlich. Zudem machte es einen Unterschied, welcher Kolonialmacht ein
Missionar unterstellt war. Belgien machte die Missionare zum Teil des Systems, das
laizistische Frankreich stand ihnen eher misstrauisch gegenüber. Die klassische
Entsendungsmission ist vielfältig – bis heute. Auch die Afrikamissionare haben sich
verändert: inzwischen kommt die Mehrzahl der Mönche aus afrikanischen Ländern selbst.
O-Ton Wolfgang Schonecke:
Die meisten Missionare heute, es gibt vielleicht noch paar von der alten Schule, aber
die meisten Missionare sind sich bewusst, dass so eine Position von Überzeugung
oder Glaubenssätzen oder so etwas gar nicht mehr funktioniert in unserer heutigen
Welt – auch in Afrika haben die Leute inzwischen ihr Internet und ihr Handy und
wissen genau, was in der Welt vor sich geht, und haben auch die innere Freiheit, zu
sagen, das will ich und das will ich nicht.
Sprecher:
Eines allerdings ist für Wolfgang Schonecke unvorstellbar: missionarische Begegnung ganz
aufzugeben.
O-Ton Wolfgang Schonecke:
Das hab ich tausendmal gehört in meinem Leben: warum gehst du überhaupt da hin,
lass doch die Leute in Ruhe usw. Das halte ich für eine grundsätzlich ganz falsche
Idee. Weil sowohl als Person wie auch als Gemeinschaft, als Land, als Kultur
wachsen und leben wir vom Dialog mit anderen Menschen. // Und daraus wächst
etwas Hochinteressantes, und das ist auch, was mich an der ganzen missionarischen
Sache fasziniert und was wir hier in Europa ganz ganz dringend brauchen, denn die
Kirchen sind hier von der aktuellen Kultur abgeschnitten.
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Brisanter Befehl – Die Kirchen und die Mission
Von Kirsten Dietrich
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15.05.2016
O-Ton Anna Lesmeister:
Ich glaub schon, dass das vielleicht ein bisschen abschreckend ist, der Begriff
Missionarin, aber viele kommen auch hin und fragen sich, was ist das, was kann man
sich drunter vorstellen.
Sprecher:
Anna Lesmeister, 20 Jahre, Studentin in Köln und bis vor kurzem: Missionarin auf Zeit.
O-Ton Anna Lesmeister:
Ich finde einfach, das Wort Mission ist eigentlich kein schlechtes Wort, es wurde bloß
in dem Kontext missbraucht vielleicht auch. Ich glaube, dieses „Missionarin auf Zeit“
ist einfach eine Chance, mit den Menschen zu sein, und vielleicht auch was Gutes für
die Menschen, was Gutes für einen selber zu tun und so zu leben, wie es für einen
lebenswert ist.
Sprecher:
„Missionarin auf Zeit“ ist ein Angebot der Steyler Missionsschwestern für junge Frauen.
O-Ton Anna Lesmeister:
Ich war ein Jahr in Madhya Pradesh, das ist in Zentralindien, ich war da ganz im
Westen an der Grenze zu Gujarat, in einem kleinem Dorf, in Alirajpur, und hab dann
da in einem Mädcheninternat gearbeitet, war also für die Betreuung der Mädchen
außerschulisch – außerschulische Betreuung, hab mit denen gespielt, Hausaufgaben
gemacht, beim Lernen geholfen, einfach generell da am Leben teilgenommen.
Sprecher:
Nicht viel anders als andere Freiwilligeneinsätze also. Besonders und eigentlich
missionarisch war für Anna Lesmeister gar nicht unbedingt die Arbeit vor Ort. Die eigentliche
Herausforderung war das sichtbare Bekenntnis – in einem ganz modernen Verständnis von
Mission, wie es auch in Computerspielen oder bei Strategieplanungen verwendet wird.
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Brisanter Befehl – Die Kirchen und die Mission
Von Kirsten Dietrich
Lebenszeichen
15.05.2016
O-Ton Anna Lesmeister:
Mission ist auch immer ein Auftrag. Wir haben für uns – es ist ein Auftrag für uns,
rauszugehen, Brücken zu bauen, mit den Leuten in Kontakt zu kommen, deren Leben
zu kennenzulernen, deren Leben zu leben, das gibt einem halt ungeheuer Kraft, dann
zu sagen: okay, ich hab jetzt diesen Auftrag, ich hab Freude daran, ich möchte das
auch durchziehen.
Sprecher:
Mission wirkt auch auf den zurück, der eigentlich gekommen ist, um anderen etwas zu
bringen. Das mag ein intensiviertes Glaubensleben sein, eine neue Perspektive aufs Leben
– oder auch einfach das Eintauchen in eine unbekannte Kultur, tiefer, als das als Tourist
ohne Mission möglich wäre. Es gibt Missionswerke, die vor allem mit dem Eventcharakter für
dreiwöchige Missionsurlaube werben.
Zitat Werbeclip:
Das Workcamp in Ghana/Westafrika ist eine außergewöhnlich schöne Zeit, da wir hier
Urlaub mit Hilfe vor Ort verbinden können. Wir pflanzen, bauen, führen
Renovierungsarbeiten durch und helfen auf diese Weise bei der Instandhaltung von
Kindergärten, Schulen, Kirchen und Missionsstationen in Stadt und Land.
Sprecher:
Nicht immer sind die ungleichen Voraussetzungen so offensichtlich. Aber auch der redlichste
missionarische Dialog lässt Fragen offen, wenn man ihn von außen, als Unbeteiligte,
betrachtet. Vor allem diese: Braucht man nicht eigentlich eine Erlaubnis derer, zu denen
man da eine neue Botschaft bringt, wie gut sie auch sein mag? Und: darf man jeden
missionieren? Wer entscheidet eigentlich, welche Religion besser, wertvoller,
verbreitungswürdiger ist? Diese Fragen stellen sich heute viel schärfer. Denn die klare
Trennung – Missionare in Europa oder Nordamerika, die Missionierten in den armen
Kontinenten des Südens – diese Trennung existiert nicht mehr. Die Richtung kehrt sich um,
die einst Missionierten missionieren zurück.
Immer wieder in den letzten Jahren machten radikale Salafisten damit auf sich aufmerksam,
dass sie in Fußgängerzonen den Koran kostenlos an Passanten verteilten. Was bei den
Zeugen Jehovas mit ihrer Zeitschrift „Wachturm“ nur belächelt wird: wenn Muslime als
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Missionare auftreten, ruft es Debatten und Abwehr hervor. Andy Abbas Schulz arbeitet als
Anti-Gewalttrainer in Berlin. Er hat sich als junger Mann für den Islam entschieden.
O-Ton Andy Abbas Schulz:
Diese berühmten Koranverteilaktionen, diesen offensiven, dieses: Jeder muss einen
Koran zuhause haben, was ich für total hirnamputiert halte, ich sag es mal ganz offen
– gehen ja nicht von dem Thema Gewalt aus. Dieses „mit Feuer und Schwert“, das ist
Quatsch. Dann hat aber auch den Bereich, wo man sagt: kann ich denn mit friedlichen
Mitteln die Religion bekanntmachen, und hier würd ich immer sagen, muss man den
Kontext der Weisheit im Auge behalten.
Sprecher:
Mit wilder Abwehr und fast schon panischer Furcht auf muslimische Infostände zu reagieren,
und seien sie auch von radikalen Salafisten, das fällt für Andy Abbas Schulz nicht in die
Rubrik „Weisheit“. Mission via Gratiskoran in der Fußgängerzone allerdings auch nicht.
O-Ton Andy Abbas Schulz:
Ich kann doch nicht jemand einen Koran in die Hand drücken, der keinen haben will.
Was soll denn dabei rüberkommen? Das ist doch Schwachsinn. Deswegen sagen
heute viel mehr Muslime, dieses Verkündigen heißt: im aktiven Umgang mit seinem
Nächsten einfach seine Religion aufrichtig zu leben, wenn der Nächste dann
Interesse hat, kann ich Auskunft geben, wenn nicht, ist auch okay. Das sagt Koran –
Gott – ja: willst du sie denn zwingen?
Zitat Sure 2, 256:
Kein Zwang ist in der Religion. Der rechte Weg ist klar geworden gegenüber dem
Irrweg. Wer nicht an die Götzen glaubt, sondern an Gott, der hat den stärksten Halt
ergriffen, der nicht reißt.
Sprecher:
So heißt es in Sure 2 im Koran. Der Islam kennt keinen so direkt formulierten
Missionsauftrag wie das Christentum. Aber auch er möchte werben für seinen Glauben.
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Darin unterscheiden sich Islam und Christentum ganz grundlegend vom Judentum, mit dem
sie sonst so viel teilen. Im Islam heißt dieses Prinzip Da’wa. Der Theologe und
Religionswissenschaftler Ulrich Dehn:
O-Ton Ulrich Dehn:
Es heißt wörtlich Einladung /, nach traditioneller muslimischer Theologie eine
Einladung zur Rückkehr zum einen gemeinsamen Gott, im Prinzip herrscht im Islam
die Theologie, dass Mission im aktiven Sinne nicht betrieben wird, aber diese
Einladung, die ist tatsächlich eine Aufgabe, die Muslimen auferlegt ist, und man
könnte natürlich sagen, das ist letztlich nichts anderes als Missionswille und
Missionsabsicht, aber es ist zunächst einmal eigentlich das, was ich versucht habe,
für die christlichen Gemeinden zu formulieren, nämlich: auch islamisches Leben so zu
gestalten, dass es auch Ausstrahlung entfaltet.
Zitat Sure 16,125:
Rufe auf zum Wege deines Herrn mit Weisheit und mit schöner Predigt, und streite
mit ihnen auf gute Weise!
Sprecher:
Eines ist für Andy Abbas Schulz aber auch klar: auf diese Einladung verzichten möchte er
nicht. Für ihn ist die Botschaft seines Glaubens so klar und wunderbar, dass er sie gar nicht
für sich behalten kann. Das klingt durchaus bekannt – nur dass über Jahrhunderte bei uns
die Rollenverteilung anders wahrgenommen wurde.
O-Ton Andy Abbas Schulz:
Ich glaube, dass jeder Mensch, wenn er etwas gut findet und als gut sieht, versucht,
die anderen Menschen, die er liebt, auch dazu einzuladen. Wenn ich jetzt sag, Apfel
ist supergesund, viel Vitamin C, dann werd ich natürlich versuchen, dass meine
Tochter und Sohn das auch ist, und meine Mutter und mein Vater, dann werd ich
meinem Nachbarn von diesem Apfel erzählen, weil der Mensch, wenn er seinen
Nächsten liebt, dann will er das Gute für ihn. So kann man dieses Konzept der Da’wa
verstehen als etwas, was im Menschen innewohnt, grundsätzlich.
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O-Ton Gottfried Martens:
Missionieren, wenn man das Wort nimmt, das hat ja heute einen besonderen Klang,
der über Wort Mission als solches hinausgeht, dieses Missionieren findet ja gar nicht
organisiert von unserer Seite aus statt. Sondern es ist einfach so, dass die
Gemeindeglieder selber von dem erzählen, was sie bewegt. Wir freuen uns natürlich
darüber, dass die Freude über das Evangelium bei den Gemeindegliedern so groß,
dass sie es nicht für sich behalten können. Das halte ich für vollkommen normal und
sehe da auch überhaupt keinen Grund, weshalb ich da einschreiten sollte.
Sprecher:
Pfarrer Gottfried Martens von der Selbständigen evangelisch-lutherischen Kirche in BerlinSteglitz. Seit einigen Jahren macht seine Gemeinde Schlagzeilen, denn sie hat eine ständig
wachsende Zahl getaufter ehemaliger Muslime unter ihren Gemeindemitgliedern. Mission
unter Muslimen? Martens sagt, es sei eher Zufall: ein zum Christentum konvertiertes Paar
kam nach seiner Flucht aus dem Iran in seine Gemeinde, dann dessen Freunde -
O-Ton Gottfried Martens:
Und 2011 hab ich also zum ersten Mal einen Iraner getauft, der zu mir kam, und dann
setzte irgendwann dann einmal der Schneeballeffekt ein, dass einer den nächsten
mitbrachte, und das hat sich bis heute eben immer weiter so entwickelt.
Sprecher:
Die Gemeinde der kleinen evangelischen Freikirche litt eigentlich unter akutem
Mitgliederschwund. Inzwischen hat man ein eigenes Gemeindeprojekt vor allem für getaufte
Flüchtlinge eingerichtet. Bibeln, Gesangbücher und Hinweisschilder sind mit arabischen
Schriftzeichen geschrieben und Pfarrer Martens lernt Farsi. Und doch gibt es Kritik am
wunderbaren Missionserfolg: viele unter den Taufbewerbern erhofften sich vor allem
Argumente fürs Asylverfahren, so der Verdacht, denn als konvertierte Ex-Muslime müssten
sie in ihren Herkunftsländern mit Repressalien rechnen. Pfarrer Gottfried Martens ist sich
sicher, dass er im Laufe des intensiven Taufunterrichts den wahren Motiven auf den Grund
kommt.
O-Ton Gottfried Martens:
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Wir selber machen es dann tatsächlich auch so, dass wir am Ende des Unterrichts
eine sehr intensive Prüfung der Leute vornehmen, wo mir beides wichtig ist, sowohl
dass ich mir einen Eindruck davon verschaffe, ob sie wirklich jetzt auch persönlich
vom Herzen her sich dem christlichen Glauben zugewandt haben, aber zum anderen,
ob sie die Grundinhalte des christlichen Glaubens kennen. Nur wenn ich von beidem
überzeugt bin, tauf ich am Ende auch, ansonsten werden die Leute darum gebeten,
zumindest den Unterricht noch mal zu machen.
Sprecher:
Die Mission allerdings, sagt Martens, die geschehe nicht bei ihm, sondern ganz woanders:
im Iran vor allem, wo immer mehr Menschen desillusioniert vom Islam seien.
Es bleibt: Freude bei den einen, dass fast leere Kirchen sich wieder füllen. Und der Verdacht
bei den anderen, dass hier Zwangslagen genutzt werden, um Mitglieder für die eigene
Religion zu gewinnen. Andy Abbas Schulz:
O-Ton Andy Abbas Schulz:
Wenn jemand so offensiv sagt, ich muss in die Religion des anderen eindringen, die
müssen wir alle auf unsere Seite rufen, auch die Flüchtlinge, dass man das ausnutzt,
dass Menschen da aus einer Notsituation kommen und ich dann aus einer Position
von oben herab – ich bin ja der, der das Brot gibt, da hab ich auch Chance, ihn zu
bekehren, die Haltung gefällt mir überhaupt nicht. Da spielt es überhaupt keine Rolle,
ob das ein Muslim ist, ein Christ, ein Jude oder auch ein Atheist.
Sprecher:
Ob christliche Mission unter Muslimen gestattet ist: diese Debatte knüpft an eine andere, die
Anfang der 80er Jahre begann. Da ging es darum, ob es legitim ist, wenn Christen unter
Juden missionieren. Schließlich betet man zum gleichen Gott – wozu also bräuchten Juden
noch Jesus Christus als irgendwie „besseren“ Gott? Die evangelische Kirche im Rheinland
formulierte als erste eine konsequente Absage an die Judenmission als Teil ihrer
Bekenntnisschriften.
O-Ton Ulrich Dehn:
ich würde durchaus das so sehen, dass die Argumente, die zum Verzicht auf Mission
unter Juden geführt haben, eigentlich fast genauso auf muslimische Mitmenschen
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anwendbar sind, da ist ganz viel Nähe vorhanden, sicherlich auch Unterschiedlichkeit,
aber es ist ganz furchtbar viel Gemeinsames da, und ich denke, dass da in erster
Linie Gespräch, Begegnung und Dialog herrschen sollte und nicht die Absicht, den
anderen zur Konversion zu bewegen.
Zitat Weggemeinschaft:
Auch der Wechsel von einer Religion zur anderen muss möglich sein,
Bekehrung zum Christentum bleibt aber das Werk des Heiligen Geistes.
Eine strategische Islammission oder eine Begegnung mit Muslimen in
Konversionsabsicht bedroht den innergesellschaftlichen Frieden und
widerspricht dem Geist und Auftrag Jesu Christi und ist entschieden
abzulehnen.
Sprecher:
So heißt es in der Erklärung „Weggemeinschaft und Zeugnis im Dialog mit Muslimen“, die
die Rheinische Landeskirche Ende letzten Jahres herausgegeben hat – und für die sie
seitdem aus kirchlichen Kreisen heftig kritisiert wird. Mit der Mission gebe man das
Herzstück des eigenen Glaubens auf, sagen die, die muslimische Flüchtlinge vor allem als
von Gott gesandte Missionschance sehen.
O-Ton Gottfried Martens:
Wichtig ist uns, dass wir nicht hereinfallen auf bestimmte Klischees, nach dem Motto:
wenn wir Mission betreiben, dann nutzen wir Notlagen von Menschen aus oder
ähnliches. Das darf natürlich nicht sein. Grad aber in der rheinischen Landeskirche,
die nach außen hin erst einmal sagt, dass eigentlich Mission unter Muslimen gar nicht
geht, wird in den Gemeinden natürlich ganz kräftig getauft. Das bedeutet, dass da
auch die Dinge nicht unbedingt so sind, wie sie nach außen getragen werden.
Sprecher:
Ulrich Dehn dagegen hat ein ganz pragmatisches Argument gegen organisierte Mission:
Aufwand und Ertrag stünden einfach in keinem überzeugenden Verhältnis.
O-Ton Ulrich Dehn:
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Wenn man sich im Rückschluss anschaut, wer ist aus welchen Gründen Christ
geworden und hat sich taufen lassen, dann sagen die wenigsten davon, dass sie
aufgrund von solchen strukturierten Missionsmaßnahmen Christen geworden sind,
sondern diese Konversionsvorgänge sind oft auf ganz anderen Wegen, auf eher
zufälligen, unbeabsichtigten Wegen zustande gekommen.
Sprecher:
Vielleicht auch deswegen sind es im Wesentlichen nur noch kleine, extrem fromme
Gruppierungen, die wirklich Missionare zur Gemeindegründung in scheinbar noch
unberührte Flecken der Welt aussenden.
O-Ton Missionsclip:
Der Missionsgedanke lebt in den Mitarbeitern, deswegen werden immer wieder
Reisen ins Ausland durchgeführt. Zur Zeit steht besonders Nordkorea im Blickpunkt.
In Albanien und der Mongolei konnten Gemeinden gegründet werden.
Sprecher:
Werbung innerhalb der Volkskirche klingt anders:
O-Ton Werbespot EKD:
Für die, die den Soundtrack ihres Lebens suchen.
Für die, die heimlich beten.
Sprecher:
Die Evangelische Kirche in Deutschland EKD lädt zur Teilnahme an einem sogenannten
Glaubenskurs ein. Von Mission ist hier keine Rede. Aber natürlich geht es darum,
Überzeugungen weiterzugeben und zu stärken, und das nicht nur nebenbei. Denn die
religiöse Landschaft in Deutschland verändert sich. Das spüren vor allem die etablierten
Kirchen. Die EKD reagierte darauf mit einem ehrgeizigen Reformplan, der „Wachsen gegen
den Trend“ vorsah und Tauf- und Gottesdienstbesuchsquoten.
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O-Ton Maria Hermann:
Man hat sich zu bestimmten Zeiten, vor 10-20 Jahren, an den Begriff Mission wieder
erinnert.
Und
hat
sich
gedacht,
ok,
wir
nehmen
eine
gewisse
Marginalisierungsbewegung innerhalb der Gesellschaft wahr, gucken wir uns doch
noch mal diesen Begriff Mission an. Und hat aber den Begriff weiterhin in alten
kirchlichen Kategorien gedeutet.
O-Ton Sandra Bils:
Das ist ja allgemein die Frage, inwiefern es Benchmarks gibt für missionarischen
Erfolg. Wenn es die überhaupt gibt, dann würde ich eher denken, dass unsere
Hauptaufgabe nicht ist, die zu erfüllen, sondern die zu dekonstruieren.
O-Ton Maria Hermann:
Ich glaub, es wird viel mehr in einer Suchbewegung münden, ich glaube, von so
Zahlenwerken werden wir uns ganz schnell hoffentlich verabschieden. Dürfen.
Sprecher:
Maria Herrmann und Sandra Bils denken in Hannover über Mission nach. Als ökumenisches
Team, Herrmann als Referentin des Bistums Hildesheim, Bils als Pfarrerin der
hannoverschen Landeskirche. Mission allerdings nicht unter Fremden in fremden Ländern,
auch nicht unter Fremden im eigenen Land, sondern unter denen, die den Kirchen, so
scheint es, am fremdesten überhaupt sind: die eigenen Mitglieder. Dieses Nachdenken hat
in einigen Landeskirchen und Bistümern begonnen – in der rheinischen Kirche zum Beispiel
unter der Überschrift „Missionarisch Volkskirche sein“. In Hannover will das Projekt „Kirche
hoch zwei“ engagierte Christen dabei unterstützen, eine Kirche der Zukunft zu erdenken –
und musste Mission dabei gleichzeitig neu entdecken und entzaubern.
O-Ton Maria Herrmann:
Ich bring das immer zusammen mit einer gewissen Hybris, die wir am Anfang hatten.
Wir haben uns auch gedacht am Anfang, dass unsere Arbeit sich v.a. denen widmet,
die außerhalb von kirchlichen Strukturen tätig sind, und dass wir jetzt kommen und
alle schreien Hurra, endlich gibt es eine Chance für mich.
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Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch
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Brisanter Befehl – Die Kirchen und die Mission
Von Kirsten Dietrich
Lebenszeichen
15.05.2016
O-Ton Sandra Bils:
Und dann würde ich eher sagen, die Tassen Kaffee, die wir mit frustrierten
Kirchenvorstehern, mit ausgebrannten Pfarrern, mit Menschen, die dem christlichen
Glauben ganz fernstehen, aber sagen: wir sind immer an eurem Projektbüro
vorbeigelaufen und haben in die Scheiben geschaut und haben festgestellt, das ist ja
ganz interessant, und haben jetzt an euch noch mal neu entdeckt, dass Kirche so
altmodische gar nicht ist, dann wären das für mich Benchmarks. Und nicht die Anzahl
von Kirchenneueintritten und Taufen, das sind andere Kategorien und andere Stufen.
O-Ton Werbespot EKD:
Für alle, die schon kleine Wunder erlebt haben.
Für die, die nicht alles glauben.
O-Ton Maria Hermann:
Weswegen wir eben Mission vor allem auch als ein Geschenk Gottes verstehen, um
es mal fromm zu formulieren.
O-Ton Werbespot EKD:
Für alle, die zu ihren religiösen Gefühlen stehen. Eine Einladung der evangelischen
Kirche.
O-Ton Maria Hermann:
Wenn ich ein festes Bild davon habe, was der andere zu glauben hat, ist es natürlich
ein von hintenrum, wenn es aber um ein Entdecken geht dessen, was schon wirkt
unter uns und wer schon wirkt unter uns, dann überholt das, was zu entdecken ist
mich und mein Bild von dem, was zu entdecken ist.
Sprecher:
Es wird wieder neu über Mission gestritten und um ihre Grenzen gerungen. Nicht mehr in
der Südsee oder im unentdeckten Schwarzafrika, sondern mitten in Deutschland – und vor
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Brisanter Befehl – Die Kirchen und die Mission
Von Kirsten Dietrich
Lebenszeichen
15.05.2016
allem unter Gläubigen, christlich, muslimisch, auch jüdisch – denn die Debatte darum, dass
Judenmission theologisch und geschichtlich nicht zu halten ist, schwelt vor allem in der
evangelischen Kirche immer noch. Das führt zu religiös grundiertem Streit, an den sich die
säkulare Gesellschaft erstmal gewöhnen muss. Doch es ist nicht unbedingt das Vorzeichen
drohender Religionskriege. Vielleicht zeigt es nur, dass wir gerade ganz neu verhandeln
müssen, wie mit religiösen Überzeugungen umzugehen ist. Und wie sie auf
menschenfreundliche Art weitergesagt werden können. Damit nicht nur Werbeleute und
Computerspieler künftig von „mission“ reden können, ohne rot zu werden.
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