Couleur 1/2016

couleur
zeitschrift des mittelschüler-kartell-verbandes
Preis: 2,- € >> politisch unabhängiges jugend- und mitgliedermagazin
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Die Gesamtschul-Falle
Über das Ziehen der richtigen Schlüsse
> TTIP – ja bitte!
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Warum wir die globalen Entwicklun
nicht verschlafen sollten.
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> Der Höllenritt namens St
Existenzangst
Zwischen Euphorie und ständiger
P.b.b.
GZ 02Z031286S
Verlagspostamt 1070 Wien
DVR: 0014958
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3
editorial
Grüß Gott
Grüß Gott im Frühling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Wissenswertes aus dem Couleurstudententum
Tappt Österreich in die Gesamtschul-Falle? . . . 8
Wir sollten die richtigen Schlüsse ziehen
Thema
Pro & Contra: Illusion Gesamtschule . . . . . . . . . . 13
Und warum es diesmal nur zum „Contra“ gereicht hat
Ansichten einer angehenden Lehrerin . . . . . . . . 14
Die Gesamtschul-Debatte als Nebenschauplatz
Michael Summereder
Chefredakteur
Lieber Leser,
wenige innenpolitische Themen wurden
in den letzten Jahren so kontrovers und
konstant zugleich diskutiert, wie das der
gemeinsamen Schule. Die Fronten sind
verhärtet, Studien gibt es viele, aber nicht
immer werden aus den Ergebnissen die
richtigen Schlüsse gezogen. Ob die Gesamtschule wirklich als Allheilmittel taugt,
wie es uns weite Teile des politischen
Spektrums in Österreich weismachen
möchten, darüber schreibt Kartellbruder
Mag. Ronald Zecha, Direktor der Volkshochschule Innsbruck und seit Jahren profunder Kenner des österreichischen Bildungssystems in unserer Titelgeschichte.
Ebenfalls zu Wort kommen dabei Vertreter von Lehrer- und Schülerseite. Letzterer
in Person des Bundesobmannes der Österreichischen Schülerunion, der kürzlich
ebenfalls den Weg zum MKV gefunden
hat. Wie in einer Kontroverse üblich,
hätten wir auch gerne die entgegengesetzte Meinung gehört – das Pendant zur
Schülerunion auf der anderen Seite des
schulpolitischen Spektrums, die Aktion
kritischer Schüler_innen, war aber leider
nicht bereit, eine Stellungnahme abzugeben. Stattdessen schreibt auf Seite 14
eine angehende Lehrerin über ihre Sicht
der Dinge – und hält das Thema Gesamtschule überraschenderweise gar nur für
einen Nebenschauplatz in der österreichischen Bildungsdebatte.
Der zweite Teil der aktuellen Ausgabe
beschäftigt sich mit Themen, die ebenfalls
aktuell sind und uns wohl noch lange begleiten werden: Der Generationenvertrag
befindet sich in Schieflage und die Fakten
sind ernüchternd. Aus diesem Grund hat
sich Ende Februar ein prominentes parteiübertreifendes Personenkomitee formiert,
das das österreichische Pensionssystem
wieder zukunftsfähig machen will.
In der Rubrik „Ad fundum“ stellen wir
diesmal die verschiedenen Arten von
Couleurkarten vor. Welche Höhen und
Tiefen man als Start-up-Gründer durchlebt, darüber haben wir mit Kartellbruder
Georg Holzer gesprochen, der unter dem
Namen xamoom ein innovatives Technologie-Start-up in Klagenfurt betreibt. Die
Chancen des Transatlantischen Freihandelsabkommens – und warum EU und
USA die globalen Entwicklungen nicht
verschlafen sollten – erörtert der abgeordnete zum Europäischen Parlament,
Kartellbruder Dr. Paul Rübig.
Ad Fundum
Ich wünsche Dir, lieber Leser, viel Freude
beim Lesen des Couleur und einen guten
Start ins Sommersemester.
Geeignete Lehrlinge wachsen
nicht auf Bäumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Über die Heranbildung von Lehrlingen in der Familie
„Die Modellregionen sind eine Wählervertreibungsaktion beider Regierungsparteien.“ . . . . 17
Der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft im Interview
Der Generationenvertrag in Schieflage . . . . . . . 18
Alarmierende Fakten
Die Couleurkarte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Die verschiedenen Arten
Der Höllenritt namens Start-up . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Zwischen Euphorie und Existenzangst
Gruppenspiel: Legacy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
TTIP – ja bitte! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Handel braucht Regeln und Rahmenbedingungen
MICHAEL SUMMERDEDER
VLG. TOTTI, TTI
Leserbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Impressum
Herausgeber: Mittelschüler-Kartell-Verband
der katholischen farbentragenden Studentenkorporationen Österreichs (MKV),
Laudongasse 16/Stiege 3/1. Stock, 1080 Wien
Telefon: +43 1 5237434, Fax: +43 1 5237434-9
E-Mail: [email protected], Internet: www.mkv.at
ZVR-Zahl: 646503058, ZVR-Zahl AHB: 750161558
Geschäftsführer: Walter Gröblinger (OCW)
Vorstand: Walter Gröblinger (OCW),
DI Dr. Edgar Hauer (MEG), Julian Staltner (NBL),
Dr. Gregor Jansen (SOP)
Chefredaktion: Michael Summereder
Telefon: +43 660 1401201, E-Mail: [email protected]
Redaktion Couleur-Intern: Michael Summereder
Fotos: MKV, Europäische Kommission (EK), Shutterstock,
flickr.com, zur Verfügung gestellt
Konzeption, Produktion und Anzeigenverwaltung:
Druckservice Muttenthaler GmbH, Ybbser Straße 14,
3252 Petzenkirchen, Tel. 07416 504-0*, [email protected]
Auflage: 25.000 Exemplare
Verkaufspreis: € 2,-, Jahresabo: € 4,80 (exkl. Porto)
Verkaufsstellen: MKV-Kanzlei, Adresse s.o.;
WStV-Kanzlei, Wien 8. Laudongasse 16;
Kamper Annemarie, Bruck/Mur, Herzog-Ernst-Gasse 23;
Denkmayr Thomas, Hartberg, Herrengasse 22;
Wacker Norbert, Hall/Tirol, Oberer Stadtplatz 9;
Wacker Martin, Innsbruck, Museumstraße 38;
Sezemsky Josef, Innsbruck, Bruneckstraße 162
Blattlinie: Das „couleur“ ist die österreichweite
Verbandszeitung des Mittelschüler-Kartell-Verbandes
und als solche politisch unabhängig. Ziel ist die
Information aller Mitglieder und Interessenten im
Rahmen eines kritischen, auf den Grundsätzen des
MKV bauenden Jugend- und Mitgliedermagazins.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht der
Meinung des Herausgebers entsprechen.
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Dr. phil. Karl Tizian, geboren am 12. April 1915 in Bregenz, verstorben am 9. Februar 1985 in
Lech/Arlberg, war Bürgermeister der Stadt Bregenz (1950-1970), Landtagsabgeordneter (1949-1974)
und Präsident des Vorarlberger Landtages (1964-1974). Couleurstudentisch war er unter anderem
bei der MKV-Verbindung Augia Brigantina und der ÖCV-Verbindung Austria Innsbruck aktiv.
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Religiosen
Sofortwis
Die Ehe
Die katholische Kirche versteht die Ehe als ein Sakrament,
in dem Gott den sich Trauenden seine Liebe und Hilfe
für das gemeinsame Leben zusagt. Zudem gilt die Ehe
als Abbild des Bundes zwischen Christus und der Kirche:
Wie Christus und die Kirche eins sind, so gilt die Ehe
als unauflösbare Gemeinschaft.
Die Eheleute spenden sich das Ehesakrament im kirchlichen Rahmen selbst, durch ihr Wort „Ja“ zueinander!
Die Deuteworte bestehen im gegenseitigen Versprechen
der Treue, die ebenso wie ein Ring kein Ende haben darf.
Dabei anwesend sind Priester (oder Diakon) mit zwei
Trauzeugen. Für das gültige Zustandekommen einer Ehe
stellt die Kirche Bedingungen, wie zum Beispiel den
aufrichtigen Ehewillen der Partner und die Bereitschaft
für Nachkommen. Nur wenn die Bedingungen erfüllt sind,
wird die Ehe zwischen Christen gültig geschlossen und
ist unauflöslich.
MICHAEL CHRISTIAN ROBITSCHKO
VLG. STEPHANUS, OSB
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Couleur vor zehn Jahren
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Sämtliche Vorschläge, die aus dem
Elfenbeinturm am Minoritenplatz
kommen, scheitern an der Praxis.
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WALTER ROSENKRANZ – APA
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[Anm.: eine Gesamtschule
über das zehnte Lebensjahr
hinaus] niemandem, am
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Jugend.
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KURT HELLER,
DIREKTOR DES ZENTRUMS
FÜR BEGABUNGSFORSCHUNG
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in der Pflichtschule dient,
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Tappt Österre
Gesamtschul
Wenn Österreich im PISA-Ländermatch mit Deutschland vom Sieger
zum Verlierer wurde, sollten wir wenigstens die richtigen Schlüsse ziehen.
Bildung steht wieder im Fokus erbittert
geführter medialer Diskussionen – leider.
Denn anstelle innovativer Vorschläge
zur sinnvollen Weiterentwicklung des Bildungswesens stellten die Proponentinnen
der aktuellen Debatte zusammen mit der
derzeitigen Bildungsministerin wieder
einmal die Gesamtschule für 10- bis 14Jährige in den Mittelpunkt. Wie schon so
oft in der Vergangenheit werden neben
Sachargumenten immer häufiger Untergriffe und Behauptungen ins Treffen
geführt mit dem Ziel, die jeweils andere
Seite schlecht zu reden und unglaubwürdig
erscheinen zu lassen. Stimmungsmache
statt Faktenabwägung, lautet die Devise.
Langfristig bringt das nur Nachteile. Denn
anstatt die gute Arbeit aufzuzeigen, die
tagtäglich in unseren Bildungseinrichtungen geleistet wird und die ja auch zu guten
Ergebnissen wie beispielsweise einer besonders hohen Jugendbeschäftigung führt,
werden derzeit Probleme überbetont. Über
diese sollte zwar auch nachgedacht werden, aber im Bewusstsein, dass sie immer
eine Minderheit der Kinder und Jugendlichen betreffen und nicht als Argument
für eine Strukturrevolution im Schulbereich zweckdienlich sind.
Als ich Ende 2013 mein Buch „Die Zukunft gewinnen – Akte Bildung Österreich“ fertigstellte, widmete ich der Gesamtschuldiskussion nur wenige Gedanken in der trügerischen Hoffnung, dass
endlich begriffen worden wäre, wie sehr
diese in Österreich seit über 100 Jahren
geführte Debatte gerade den Kindern und
Jugendlichen, aber letztendlich der ganzen Gesellschaft schadet – nicht zuletzt
durch das Verdrängen tatsächlich wichti-
ger Themen. Wenn wir nun neuerlich mit
dieser Thematik konfrontiert werden, dann
sollten wir uns zumindest faktenbasiert
und nicht auf Grundlage von Meinungen,
„
Die Gesamtschule
schafft unterm Strich
nicht mehr Bildungsgerechtigkeit
als Schulen des
gegliederten Schulsystems – entgegen
ihrem Anspruch
und entgegen den
Hoffnungen vieler
Schulreformer, denen
ich mich verbunden
fühle.
“
Helmut Fend auf der Fachtagung des
Deutschen Lehrerverbandes 2008
Bauchgefühl oder parteipolitischen „Traditionen“ mit ihr auseinandersetzen –
zumindest das sind wir den Kindern und
Jugendlichen und der Zukunft unseres
Landes schuldig.
Auffallend ist, dass derzeit vor allem in
Westösterreich von den Verfechtern der
Gesamtschulidee mit allgemein gehaltenen
Argumentationen große Erwartungen geweckt werden: Dieses Organisationsmodell sorge für bessere Leistungen, eine
größere „Bildungsgerechtigkeit“ und verhindere, dass durch eine zu frühe Schulwegentscheidung mit zehn Jahren Talente
verloren gingen. Daher müsse das derzeitige System – beginnend in Modellregionen
– von der gemeinsamen Schule bis 14 abgelöst werden. Der Vergleich der Entwicklung der PISA-Ergebnisse von Österreich und Deutschland lässt zumindest
Zweifel an diesen Erwartungen aufkommen. Während Österreich unter den sozialdemokratischen Bildungsministerinnen in
den vergangenen Jahren den Schwerpunkt
auf Strukturveränderungen legte, vor allem
mit der Überführung der Hauptschule in
neue Mittelschulen und der damit verbundenen Reduzierung der Differenzierung
durch die Abschaffung der Leistungsgruppen, ging Deutschland mit der Konzentration auf die Qualität des Unterrichts
einen wesentlich erfolgreicheren Weg, wie
die Ergebnisse zeigen: Während Deutschland sich jedes Jahr in allen drei PISAKategorien weiterentwickelte und sich
gerade auch bei den Ergebnissen von
Schülern aus sozial schwächeren Schichten oder solchen mit Migrationshintergrund verbessern konnte, trat Österreich
auf der Stelle und musste sich in allen
Kategorien von Deutschland überholen
lassen. Vielleicht wäre es doch auch für
österreichische Bildungspolitikerinnen
ratsam, mehr auf warnende Stimmen aus
der Wissenschaft zu hören und deren
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eich in die
falle?
aktuelle Ergebnisse in der bildungspolitischen Strategieentwicklung nicht länger
zu ignorieren.
Interessanterweise hatte bereits die von der
damaligen Bildungsministerin Elisabeth
Gehrer eingesetzte Zukunftskommission
in ihrem Vorschlag für ein Schulreformkonzept Qualitätsentwicklung vor Strukturveränderung gestellt. Renommierte Bildungswissenschafter wie der 2012 verstorbene Marian Heitger, der an der Universität Wien lehrende Stefan Hoppmann
oder der Erziehungswissenschafter Jürgen
Ölkers von der Universität Zürich warnten
schon vor etlichen Jahren davor, von der
Einführung einer Gesamtschule besonders
positive Ergebnisse zu erwarten1). Der
Blick in aktuelle Forschungsergebnisse
unterstreicht diese Diagnose.
Eine der vielleicht aussagekräftigsten
Studien der letzten Jahre stammt vom
Erziehungswissenschafter Helmut Fend,
der wissen wollte, wie sich die Lebenswege der Abgänger aus Gesamtschulsystemen und differenzierten Schulsystemen
entwickeln. Mit seinem Team untersuchte
er das schulische Schicksal und den Lebenslauf von 1.527 Personen vom 12. bis
zum 35. Lebensjahr und untersuchte,
welche Schulabschlüsse und welche Aus-
PISA-Ergebnisse Österreich – Deutschland
im Vergleich: Mit Qualitätsentwicklung
legte Deutschland zu, Österreich trat
mit Strukturreformen auf der Stelle
(Quellen: APA/FAZ/OECD)
Vgl.: Ronald, Zecha, Die Zukunft
gewinnen, Wattens, 2013, S. 18.
1)
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bildungen sie geschafft haben und in
welche berufliche Positionen sie gekommen sind. So konnte er die Nagelprobe
machen, „ob Schulsysteme die soziale
Selektivität der Bildungs- und Berufslaufbahn langfristig reduzieren oder gar beseitigen können“2). Das Ergebnis ist für
viele ernüchternd: Die soziale Selektivität
wird durch Gesamtschulen nicht reduziert,
entgegen den Versprechungen (und Hoffnungen) derer Befürworter. Die soziale
Herkunft entscheidet noch langfristiger als
bisher angenommen, was durch eine gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen
nicht kompensiert werden kann3).
Weshalb dies so ist, beantwortet der an der
„
Der Umstand, in
welchen Gedächtnisarten jemand gut oder
schlecht ist oder auch
der grundlegende
Unterschied zwischen
einem allgemein guten
und einem schlechten
Gedächtnis, ist weitgehend genetisch
vorgegeben. (…)
Genauso wenig ist
Intelligenz wirklich
trainierbar.
“
Dieter Neumann auf der Fachtagung
des Deutschen Lehrerverbandes 2008.
Universität Lüneburg beheimatete Anthropologe Dieter Neumann aus den Ergebnissen von Zwillings- und Adoptionsstudien.
Diese ergeben, dass Kinder aufgrund der
2)
3)
4)
5)
Vererbung von Geburt an nicht nur in
körperlicher Hinsicht, sondern auch in
geistiger Hinsicht unterschiedlich sind,
was von Menschen mit ausgeprägtem
Gerechtigkeitssinn nur schwer akzeptiert
werden kann. Noch schwieriger machen
es einem die Studien „Logik“ und „Scholastik“, durchgeführt an 1.400 Kindern,
welche die Existenz stabiler Begabungsunterschiede bestätigen. „Kinder unterscheiden sich schon früh im Erwerb geistiger Kompetenzen in Geschwindigkeit,
Menge und Qualität, also im Lerntempo, in
der Lernbreite und der Lernqualität“ 4),
stellte Neumann fest. Zur anschaulichen
Erklärung verglich er das Gehirn mit
anderen körperlichen Organen, die man
trainieren könne, etwa Muskeln. Diese
werden im Laufe eines Trainings dicker
und erschlaffen wieder, wenn sie vernachlässigt werden. Allerdings gibt es
Menschen, die von Natur aus mehr und
manche die weniger Muskelmasse besitzen. Letztere können bei noch so viel
Training einen geringeren Effekt erzielen
als erstere. Es sei, so Neumann, von begrenzten Lerndomänen auszugehen, die
auch durch besondere Lernförderprogramme nicht auszudehnen sind. Bei zu
massiven Bemühungen ist sogar mit dysfunktionalen Wirkungen zu rechnen. Die
Erkenntnisse der pädagogischen Anthropologie stehen also – bedauerlicherweise
– im Widerspruch zu den Wunschvorstellungen vieler Gesamtschulbefürworter,
dass in einer inhomogenen Gruppe die
„Schwächeren“ von den Stärkeren“ profitieren. Es gibt zwar Studien, die eine leichte
Steigerung der intellektuellen Leistung
Schwächerer während eines kompensatorischen Frühförderungsprogramms oder
auch während eines Förderprogramms in
gemeinsamen Schulen feststellen. Allerdings zeigt sich auch, dass diese Effekte
nicht nachhaltig sind. Wenn nun die
Vorstellung der „Tabula rasa-Natur“ des
Menschen wissenschaftlich nicht aufrechterhalten werden kann, macht es auch
keinen Sinn, im Sinne einer Chancengleichheit eine möglichst frühe und lange
andauernde Herstellung und Gewährleistung gleicher Milieus für alle Kinder
erzwingen zu wollen.
„
Während die
Leistungen in der
deutschsprachigen
Schule (...) eher
homogen sind, deutet
die Standardabweichung (…) in der
italienischen Schule
auf eine sehr
heterogene Leistungsverteilung in der
Schülerschaft hin.
Dafür könnte der hohe
Anteil von Schülern
ausländischer
Herkunft verantwortlich sein.
“
PISA 2012 Südtirol, S. 105
Bleibt die Frage, woher die Meinung
kommt, Studien wie PISA würden die
Überlegenheit der Gesamtschule bezüglich
Leistungsfähigkeit und Chancengerechtigkeit belegen. Es dürfte wohl eine Mischung
verschiedener Phänomene sein, die dazu
führt – verkürzte Darstellungen in den
Massenmedien, die Unlust, eigene Überzeugungen zu hinterfragen und wahrscheinlich auch das Heranziehen sinnentstellender Teilinformationen anstatt auf
das große Ganze zu schauen. Ein schönes
Beispiel für Letzteres ist der sich in Österreich immer noch haltende Mythos, die
Erfolge Südtirols bei den PISA-Studien
zeigten die Überlegenheit der Gesamtschule. Bei vollständiger Lektüre des von Land
Südtirol herausgegebenen Berichts5) ergibt
Helmut Fend, Bildungsgerechtigkeit und außerschulische soziale Disparitäten – Ergebnisse der FIFE-Studie;
In: Bildungsgerechtigkeit, Fachtagung 2008, Dokumentation; Bonn, 2009, S. 55.
Vgl.: Fend, Bildungsgerechtigkeit, S. 54 – 57.
Dieter Neumann, Bildungsgerechtigkeit aus anthropologischer und begabungstheoretischer Sicht;
In: Bildungsgerechtigkeit, Fachtagung 2008, Dokumentation; Bonn, 2009, S. 20.
Quelle: PISA 2012, Ergebnisse Südtirol, herausgegeben von der Autonomen Provinz Bozen – Südtirol
sich nämlich folgendes Bild: In Südtirol
gibt es drei „gemeinsame“ Schulen der 10bis 14-Jährigen, die nach Sprachgruppen
differenzieren. Während die deutschsprachigen Schulen beim Lesen mit 503 Punkten beim letzten PISA-Test besser als die
österreichischen Schulen (490 Punkte) abgeschnitten haben, liegen die italienischsprachigen deutlich darunter (474 Punkte).
Die Autoren von PISA 2012 Südtirol vermuten, dass dafür der hohe Anteil von
Schülern ausländischer Herkunft an den
italienischen Schulen (13,5 %) im Vergleich zu den deutschen Schulen (3,4 %)
verantwortlich sein kann. Wenn man im
Besitz der gesamten Information ist, lautet
der Schluss: Die gemeinsame Schule funktioniert dann gut, wenn die Schülergruppe
homogen zusammengesetzt ist, wie bei
den deutschen Schulen gegeben. Wenn die
Eingangsvoraussetzungen und Bildungsniveaus der SchülerInnen sehr unterschiedlich sind, wie bei den italienischen Schulen, kann sie dies nicht ausgleichen und
bringt in Summe schlechtere Leistungen.
Damit bestätigt sich, was oben angeführte
Wissenschafter herausfanden, auch in der
Praxis. Wer Lust hat, kann auf diese Weise
auch die Aussage „Die PISA-Ergebnisse
aller skandinavischen Staaten zeigen die
Überlegenheit der Gesamtschule“ ins
Reich der Fabeln verweisen.
Fazit: Die Gesamtschule kann der mit ihr
verbundenen Erwartungen nicht gerecht
werden und bringt gegenüber dem gegliederten Schulwesen keine nennenswerten
Vorteile. Um das herauszufinden, braucht
es in Österreich keine Modellregionen, die
nur das wiederholen, was in anderen Ländern mehrfach abgetestet wurde und keinen neuen Erkenntnisgewinn bringen.
Deshalb ist es im Sinne der Kinder, die
Mittel, die für diese Experimente vorgesehen sind, in erfolgversprechendere Bildungsprojekte zu investieren. Vorschläge
dafür gibt es genügend. In letzter Zeit hat
etwa die Initiative „Pro Gymnasium“ gute
Ideen eingebracht. So könnten beispielsweise Prognoseverfahren eingeführt werden, die jeweils an den Nahtstellen den der-
11
thema
zeitigen „Numerus Clausus“ samt vorhergehenden übermäßigen Notendruck ersetzen. An den Neuen Mittelschulen könnten
„Gymnasialklassen“ analog zu den Musikoder Sportklassen eingerichtet werden, um
so die Chancen für begabtere Kinder zu erhöhen – auch abseits der Ballungszentren.
Es könnte aber auch eine maßgebliche
Weiterentwicklung der Erwachsenenbildungslandschaft finanziert und koordiniert
werden, die vor allem für Menschen mit
niedrigem Einkommen und schwachem
Bildungshintergrund ein wichtiger Chancenbringer sein würde. Es gäbe viele qualitativ-inhaltliche Möglichkeiten, das Bildungswesen an die heutigen Erfordernisse
anzupassen. Die Umsetzung der in Österreich seit über 100 Jahren diskutierten
Strukturreform für 10- bis 14-Jährige gehört mit Sicherheit nicht dazu.
MAG. RONALD ZECHA V. RHO, TTI
DIREKTOR DER VOLKSHOCHSCHULE
TIROL, AUTOR DES BUCHS
„DIE ZUKUNFT GEWINNEN –
AKTE BILDUNG ÖSTERREICH“
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Pro & Contra
Illusion „Gesamtschule“
Kein Thema beschäftigt die österreichische Bildungspolitik wie die
Diskussion rund um die Gesamtschule – und das schon seit über
100 Jahren. Seitdem ranken sich rund um die „Gemeinsame Schule
der 10- bis 14-Jährigen“ unzählige Mythen und Illusionen.
Die wohl größte Illusion ist, dass ein Gymnasium neben einer Gesamtschule bestehen kann. Eine Gesamtschule ist per Definition „eine
Organisationsform der Sekundarstufe, die auf die Differenzierung nach
verschiedenen Schulformen verzichtet und die stattdessen von allen
Schülerinnen und Schüler im Anschluss an die Volksschule besucht
werden muss“. Uns muss also bewusst sein: Führen wir die Gemeinsame
Schule ein, schaffen wir das differenzierte Schulsystem ab. Jedoch hat
sich gerade das Gymnasium bewährt: Während der Sekundarstufe I verbessern sich Österreichs Schülerinnen und Schüler enorm im internationalen Vergleich. Auch Finnland, das Mekka der Gesamtschul-Befürworter, kann hier nicht mithalten.
Die nächste große Illusion ist, dass Gesamtschul-Kritiker Blockierer
und Alt-Gestrige in der Bildungspolitik seien. Unser Bildungssystem hat
logischerweise Verbesserungspotenzial. Dazu zählen unter anderem der
Ausbau der Schulautonomie, ein Pflichtfach „Politische Bildung“, eine
„Modulare Oberstufe“. Aber es muss nicht das ganze System über den
Haufen geworfen werden. Die Systemdiskussion behindert aber seit
Jahren wirkliche Reformen, die uns Schülerinnen und Schülern etwas
bringen würden. Genau dieses österreichische Phänomen erleben wir
derzeit bei der Bildungsreform. Erstmal seit Maria Theresia wollte die
Bundesregierung etwas im österreichischen Bildungssystem bewegen
und Verbesserungen für die Schülerinnen und Schüler durchsetzen. Die
Einigung der Bundesregierung enthält viele wichtige Punkte, die wir zum
Teil schon seit Jahren fordern. Das ganze Vorhaben droht nun aber zu
scheitern, weil SPÖ sowie Vorarlberg und Tirol auf eine Gesamtschule –
auch ohne Zustimmung der Schulpartner – bestehen.
Der springende Punkt ist: Eine Gesamtschule verhindert eine Differenzierung nach Leistung, Lernfortschritt und -bedürfnissen. Leistung ist
ein Begriff, der in Österreich immer wieder ins negative Licht gerückt
wurde. Dabei bedeutet es lediglich, dass Schülerinnen und Schüler nicht
auf Grund ihres Alters am gleichen Wissensstand sind. Es ist nun mal Fakt,
dass Kinder unterschiedlich (schnell) lernen – weshalb sollte man ihnen
deshalb die Wahlmöglichkeit nehmen. Differenzierung bedeutet auch,
besser auf Schülerinnen und Schüler eingehen zu können. Diesen so wichtigen Bestandteil, Individualität, wollen und können wir nicht aufgeben!
PHILIPP KAPPLER VLG. CHEFE (BBK), GEBOREN 1995,
IST BUNDESOBMANN DER ÖSTERREICHISCHEN SCHÜLERUNION
Anmerkung: Die ebenfalls angefragte Bundesobfrau der Aktion kritischer
Schüler/-innen (AKS), Christina Götschhofer, gab auf Couleur-Anfrage
bekannt, dass die AKS sich per Vorstandsbeschluss dagegen ausspreche,
ihre Meinung im „Couleur“ kundzutun.
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Ansichten einer an
Wir haben eine angehende Lehrerin gebeten,
uns ihre Sicht zum Thema „Gesamtschule“
darzulegen. Überraschend: Sie hält die Debatte
um die Gesamtschule für einen Nebenschauplatz
und meint, dass die eigentlichen Probleme des
heimischen Schulsystems viel tiefer liegen.
Wer kennt sie nicht, die üblichen Vorurteile
gegenüber Lehrern? Der gesicherte Job,
viel Urlaub – das sind nur zwei Beispiele
für Dinge, die man sieht, wenn man wie
ich Lehramt studiert. Hier und jetzt bin
ich froh, einige Aspekte aus meiner Sicht
darlegen zu dürfen.
Vorweg: Als ich das Gymnasium in Linz
abgeschlossen hatte, lag das Maturazeugnis in meinen Händen und ich stand vor
der Wahl, wie es nun weitergehen soll.
Ein begonnenes Biologiestudium brach
ich wieder ab – hier war mir schnell klargeworden, dass ich trotz meines grundlegenden Interesses an diesem Fach kein
Interesse an den damit verbundenen Berufsperspektiven habe. Die Entscheidung
für das Lehramtsstudium hatte einen
banalen Grund: Neben Biologie haben
mich die Fächer Geschichte, Philosophie
und Psychologie immer sehr interessiert.
Was lag da näher, als sie mit dem Lehramtsstudium zu verbinden – zumal mir die Pädagogik als sinnvolle Ergänzung erschien?
Sehr schnell war klar, dass zumindest
Letztgenanntes einen Trugschluss darstellt. Abgesehen von einer Handvoll
praktischer didaktischer Tipps empfinde
ich die dargebrachten Inhalte hauptsächlich als ein zwar zum Teil nettes, aber in
der Praxis letztlich nutzloses Absitzen von
Zeit. Zeit, die ich lieber in die Vertiefung
der echten fachlichen Qualifikationen meiner beiden Hauptfächer investieren würde.
Womit wir beim Kern meiner Kritik angekommen sind: Das Lehramt an sich. Um
hier keine Missverständnisse aufkommen
zu lassen: Ich will hier nicht in das vieler-
orts vernommene Lehrerbashing einstimmen. Nicht nur ich, sondern auch jeder
andere, den ich kenne, hat viele sehr gute
und engagierte Lehrer gehabt. Meine
Kritik richtet sich daher nicht gegen jene,
die das Lehramt ausüben, sondern gegen
jene, die dafür verantwortlich sind, wie es
zustande kommt.
In meinem Studienplan habe ich alles zusammengerechnet 74 ECTS-Punkte reine
Geschichtsgrundlagen und Geschichtswissenschaft. Zum Vergleich: Das reguläre
Bachelorstudium Geschichte umfasst in
Summe 180 ECTS-Punkte, wovon zumindest 120 zwangsweise als Kernfächer
vorgeschrieben sind, beim Rest gibt es
Wahlmöglichkeiten, aber nur in eingeschränktem Ausmaß.
Mit anderen Worten: Ein Absolvent eines
Bachelor-Geschichtestudiums hat in der
Regel gut doppelt so viel Geschichte
studiert wie ich als angehende Lehrerin.
Dass hier in einigen Fällen Lücken aufgehen können, die für einen AHS-Lehrer
fatal sein können, liegt in meinen Augen
auf der Hand. Trotzdem kann er maximal
mit einem katastrophal dotierten Sonderlehrvertrag unterrichten gehen, während
ich bei entsprechender Lehrverpflichtung
normal eingestuft werde. Ein ähnliches
Beispiel kenne ich aus meinem privaten
Umfeld: Eine junge Spanierin, die in
Madrid Linguistik studiert hat, darf bei
uns nicht Spanisch unterrichten – wer aber
das Lehramt und dabei im besten Fall ein
Auslandssemester absolviert hat, schon.
Ich halte das für eine Schieflage – warum
kann man nicht etwa nach einem fachein-
schlägigen Bachelorstudium eine Fachdidaktik-Fortbildung (etwa im Rahmen eines
Masterstudiums oder eines Lehrganges)
absolvieren?
Ich glaube, dass davon beide Seiten profitieren würden: Die Gesellschaft, weil es
für viele Absolventen von sogenannten
„Orchideenfächern“ zumindest übergangsweise Jobs gäbe, aber auch die
Schüler, weil die fachliche Expertise vermehrt gegeben wäre. Noch einmal: Das
ist kein Lehrerbashing. Viele Lehrer bilden sich – zum Glück – weit über die
Anforderungen des Studiums hinaus. Aber
manchen – und auch das muss man sagen
dürfen – fehlen ein wenig die Grundlagen.
Wem aber die Grundlagen fehlen, der
kann auch Schüler nicht begeistern. Eine
Fehlkonstruktion, die in vielen Fällen
langfristige Folgen haben kann.
Ich möchte an dieser Stelle noch einen
weiteren Punkt ins Feld führen, der zumindest bei uns auf der Wiener Universität
zutrifft. Für andere Standorte möchte ich
hier nicht sprechen, da ich es nicht weiß.
Seit Kurzem wird von der Universität Wien
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thema
ngehenden Lehrerin
Das führt auch dazu, dass vielfach veraltetes Wissen weitergegeben wird. Da Schulbücher zumeist von Lehrern geschrieben
werden, setzt sich dieses Problem fort.
Blättern Sie einmal mit einem Historiker
ein Geschichtebuch durch – zumeist ist
man entsetzt darüber, in wie vielen Fällen
Dinge als Fakten verkauft werden, die die
Geschichtswissenschaft längst ad acta gelegt hat. Von der ideologischen Färbung,
die die Unterrichtsmaterialien durchzieht,
wollen wir hier gar nicht erst anfangen.
Dass hier ein massives Problem vorliegt,
kann niemand ernsthaft in Zweifel ziehen.
Wenn ich nun die politischen Debatten
über die Gesamtschule höre, stellen sich
mir die Haare zu Berge. Unabhängig davon, dass die Gesamtschule in meinen
Augen in der Praxis zu einer Nivellierung
nach unten gedacht ist, schießt sie völlig an
den Notwendigkeiten vorbei. Sie löst die
drängenden Probleme mit Sicherheit nicht.
ein Eignungstest für das Lehramt vorgeschrieben. Hier werden logisches Denken,
verbale und analytische Grundkompetenzen sowie die Fähigkeit, sich aus vorgelegten Texten Wissen anzueignen, abgefragt.
So weit, so sinnvoll, könnte man sagen.
Wer genauer hinschaut sieht, dass für das
Bestehen dieser Prüfung 30 Prozent der
maximalen Punkteanzahl genügt!
Allein da wäre die Sinnhaftigkeit schon
zu hinterfragen, wenn man nachher Leute,
denen bis zu 70 Prozent des nötigen
Grundwissens fehlt, zum Lehramt (wo es
immerhin um die Ausbildung der künftigen
Generationen geht) zulässt. Aber es kommt
noch besser: Wer die 30-Prozent-Marke
nicht erreicht, wird zu einem Gespräch mit
der Studienprogrammleitung eingeladen –
und danach trotzdem zugelassen. Eine
sinnvolle Selektion sieht anders aus.
Das Studium beginnt dann mit der sogenannten Studieneingangs- und Orientierungsphase, die aus mehreren Lehrveranstaltungen besteht, ohne die eine Fortführung des Studiums nicht möglich ist.
Wer glaubt, hier würde rigoros selektiert,
der irrt: Die reale Erfolgsquote dieser
Prüfung liegt zumeist deutlich über 95
Prozent. Erst später im Studium kommen
sogenannte „Knock-Out-Prüfungen“ – aus
meiner Sicht viel zu spät. Nicht nur, dass
man einem jungen Menschen, der hier
durchfliegt, diese Entscheidung schon viel
früher hätte geben sollen, die derart „Hinausgeprüften“ haben zu diesem Zeitpunkt
bereits gute zwei Jahre zum Phänomen
der überfüllten Hörsäle beigetragen. Auch
dieser Aspekt trägt nicht zur Qualität einer
Lehramtsausbildung bei.
Zum Abschluss darf ich auf die eingangs
erwähnten Vorurteile zurückkommen. Es
stimmt: Kaum ein anderer Angestellter in
Österreich kann auf neun Wochen Sommerferien sowie alle anderen Schulferien
zugreifen. Dass diese Zeit der Vorbereitung
des Unterrichts dienen sowie zum Tests
und Schularbeiten korrigieren genutzt
werden sollte, ist klar, aber es gibt dahingehend keinerlei echte Verpflichtung. Jeder Sanitäter, Arzt oder Steuerberater muss
Fortbildungen und Rezertifizierungen
nachweisen, bei Lehrern unterbleibt das.
Ja, erschreckend viele meiner Kommilitonen nennen Juli und August als Argumente
für ihren Beruf. Auch ich als Mutter eines
kleinen Kindes kann diesen Vorzug nicht
als mir unangenehm bezeichnen. Dennoch
glaube ich, dass man Lehrern mit diesem
Vorwurf Unrecht tut, zumal gern unterschätzt wird, wie anstrengend es sein kann,
täglich mit pubertierenden Adoleszenten
zu arbeiten. Das muss man auch erst einmal
durchstehen, und alleine dafür hat jeder
Lehrer meinen tiefsten Respekt. Ich hoffe
sehr, dass ich das nach Abschluss meines
Studiums langfristig durchstehe. Insofern
plädiere ich zum Abschluss dafür, nicht die
Lehrer zu attackieren, sondern das Lehramt
auf genau jenen Status zu heben, den es
auch verdient. Lehrer haben das Gold
dieses Landes, seine Jugend, zu formen
und zu bilden. Es liegt vor allem an der
Politik, dafür endlich die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
die autorin
Margarethe Jauernik stammt aus Oberösterreich und studiert an der Universität Wien Lehramt Geschichte und Philosophie/Psychologie.
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ad fundum
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Geeignete Lehrlinge wachsen nicht
auf Bäumen, sondern in Familien
Die Wirtschaft klagt
über „unbrauchbare“
Bewerber für Lehrstellen, tut aber wenig
dazu ihre Heranbildung in den Familien
zu unterstützen.
Regelmäßig vernimmt man die Klage von
Unternehmern, die Lehrlinge suchen: Die
Bewerber seien großteils ungeeignet, es
fehle ihnen an Grundkenntnissen in Mathematik, Deutsch und Rechtschreibung.
Auch wüssten sie sich nicht zu benehmen,
seien wenig motiviert, und es mangle an
Disziplin, Respekt und sonst noch allerlei,
was im Berufsleben unabdingbar sei.
Auf die Frage, von wem sie erwarten, dass
er hier Abhilfe schaffe, hört man oft die
Antwort: „vom Staat“ oder „von der Schule“. Nun ist es zweifellos so, dass es Aufgabe der Schule ist, den Kindern Lesen,
Schreiben und Rechnen beizubringen.
Allerdings benötigt sie hier die Unterstützung des Elternhauses. Denn wenn sich zu
Hause niemand um den Lernfortschritt
kümmert, sind die Lehrer chancenlos.
Für die Erziehung allerdings ist weder
die Schule noch „der Staat“ zuständig.
Wie soll ein Lehrer oder eine Lehrerin in
wenigen Stunden am Tag einer ganzen
Klasse Disziplin, Höflichkeit, Achtung
vor dem anderen, Leistungswillen, Zuverlässigkeit – und was sonst noch einen viel-
die autorin
Dr. Gudula Walterskirchen ist Historikerin
und Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin
der „Presse“, ist seither freie Journalistin und
Autorin zahlreicher Bücher mit historischem
Schwerpunkt.
versprechenden Mitarbeiter ausmacht –
beibringen? Viele Lehrer klagen, die Eltern
würden zunehmend von ihnen neben der
Bildungs- auch die Erziehungsarbeit verlangen, und das sei nicht zu schaffen.
Die Erziehung ihrer Kinder ist nicht nur
die Pflicht, sondern auch das Recht der
Eltern. Dies wurde beim Streit um die
Sexualerziehung an den Schulen deutlich.
Doch um Kinder zu erziehen, braucht es
Eltern, die präsent sind, was heute nicht
mehr selbstverständlich ist. Geschiedene
Ehen, durch Beruf oder Scheidung abwesende Väter und/oder Mütter, Patchworkfamilien, überforderte Alleinerzieherinnen
– all das erschwert konsequente und wirksame Erziehungsarbeit.
Ja, Erziehung ist Arbeit. Bloß wird sie
als solche nicht anerkannt, sondern – im
Gegenteil – oft massiv erschwert. Es bleibt
ganztägig berufstätigen Eltern oft einfach
nicht genug Zeit, sich um ihre Kinder zu
kümmern. Und wenn sie zu Hause sind,
sind sie oft zu erschöpft, sich noch mit
Erziehungsfragen und Hausaufgaben herumzuschlagen. In der Praxis haben viele
Familien eine praktikable Lösung gefunden, indem ein Elternteil Teilzeit arbeitet,
bis die Kinder aus dem Gröbsten heraus
sind. Dies wird nicht nur von Frauenpolitikerinnen und Gewerkschaftern, die dadurch Frauen existenziell bedroht sehen,
sondern auch von Unternehmern als Problem angesehen. Wie soll man das organisieren? Wie können Kinder wichtiger sein
als die Firma? Nicht ständig verfügbar zu
sein wird nicht akzeptiert.
Österreich ist bei den Überstunden im
europäischen Spitzenfeld, bei Frauen sind
die Überstunden binnen zehn Jahren sogar gestiegen, teilweise unbezahlt. Zeit,
die für Familie und Erziehung fehlt.
Gleichzeitig werden im Schnitt so niedrige
Löhne und Gehälter bezahlt, dass beide
Ehepartner für den Lebensunterhalt arbeiten müssen. Vor einer Generation achteten Arbeitgeber und Politik darauf, dass
Männer genug verdienten, um eine Familie erhalten zu können. Das ist vorbei.
Für die Wirtschaft ist Erziehung kein Wert
im Sinne einer Wertschöpfung, denn die
Wirtschaftsleistung eines Landes wird am
BIP gemessen, also an jenen Produkten
und Dienstleistungen, die auf dem Markt
angeboten werden.
Darin trifft sich die Wirtschaft mit den
Individualisten, die Kinder und deren
Erziehung als reines „Privatvergnügen“
definieren. Beide Haltungen haben dazu
geführt, dass Familien massiv diskriminiert werden und Erziehungsarbeit nicht
wertgeschätzt wird.
Kindererziehung ist jedoch neben der
Freude, die Eltern mit ihren Kindern erleben, auch eine Aufgabe für das Gemeinwohl und eine Vorleistung für die
Wirtschaft. Eltern investieren viel Zeit
und Geld in das „Humankapital“ Kind, auf
dem die Wirtschaft aufbauen kann. Deshalb ist es deren Verpflichtung, Familien
in ihrer Entfaltung zu unterstützen und
dazu Rahmenbedingungen zu schaffen:
eine Investition, die sich garantiert lohnt!
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ad fundum
„Die Modellregionen sind
eine Wählervertreibungsaktion
beider Regierungsparteien.“
Der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft im Interview
Die von der Bundesregierung geplanten
Modellregionen für Gesamtschulen wurden in den letzten Wochen kontrovers
diskutiert. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Es handelt sich um eine Wählervertreibungsaktion beider Regierungsparteien.
Die SPÖ möchte ihren Anhängern einreden, damit die Gesamtschule umzusetzen.
Die Einführung der Gesamtschule bedeutet
aber, dass nicht nur eine neue Schulart geschaffen wird, sondern auch alle anderen
für diese Altersstufe abgeschafft werden.
Und das will man umsetzen bei einer
15 %-Grenze pro Bundesland und der Ausnahme von Privatschulen?
Die Bundes-ÖVP ist aber nicht minder
„kreativ“ in ihrer Argumentation. Selbstverständlich kämpfe man wie ein Löwe
für den Erhalt die AHS-Langform, aber
15 % der gymnasialen Unterstufen will
man auch gegen den Willen der betroffenen Schulpartner abschaffen. Ja geht’s
noch? Das ist selbst einigen ÖVP-Abgeordneten zu dumm, weshalb sie eine
parlamentarische Petition zum Erhalt der
Rechte der Schulpartner eingebracht haben.
Hat es nicht Sinn, ein System zu testen
und erst dann über dessen Wirksamkeit
zu urteilen? Oder anders gefragt: Wie
können Sie sich so sicher über die Folgen
der gemeinsamen Schule sein, ohne,
dass diese in der Praxis getestet wird?
Ich möchte mit Univ.-Prof. Dr. Stefan
Hopmann antworten, der in einem Vortrag
am 10. Dezember 2015 meinte: „Also ich
sag‘ mal zunächst, wissenschaftlich gibt
es für diese Modellregionen überhaupt
keinen Bedarf. Es gibt eigentlich nichts
zum Thema Oberflächenstrukturen von
Schulwesen und wie die wirken, was nicht
in den letzten sechzig, siebzig Jahren
dutzend Male erforscht und beschrieben
worden wäre.“ Man muss also nichts
testen. Die Ergebnisse sind bekannt.
Kritische Stimmen werfen der Lehrergewerkschaft zu viel Einmischung vor
und ziehen sogar deren Urteilsvermögen
in Zweifel. Warum, denken Sie, sollten
die Lehrer in puncto Schulsystem so stark
eingebunden werden? Ist das nicht eher
die Sache unabhängiger Experten?
Österreichs 120.000 Lehrerinnen und
Lehrer leisten jährlich zig Millionen Unterrichtsstunden. Das ist deutlich mehr
Empirie, als „Bildungsexperten“ einbringen können. Und wenn ich mir ansehe,
wer in Österreich als ein solcher auftritt,
muss ich meine etymologischen Annahmen korrigieren. Bisher glaubte ich, dass
sich „Experte“ von „expertus“, dem zweiten Mittelwort von experior ableite. Dann
würde es eine Person bezeichnen, die Erfahrung auf einem Gebiet gesammelt
hat. Die in den Medien gefeierten Vertreter
der Spezies „Bildungsexperte“ veranlassen
mich allerdings zur Annahme, „Experte“
leite sich von „expers, expertis“ ab. Dann
beschreibt „Experte“ eine Person, die an
einer Sache unbeteiligt ist, an ihr nicht
teilhat. So gesehen verdienen die meisten
„Bildungsexperten“ diese Bezeichnung.
Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um,
die Lehrer würden sich in der Gesamtschuldebatte vor allem als Blockierer
betätigen?
Kontraproduktives zu verhindern, ist auch
Aufgabe eines Gewerkschafters.
Die Bildungswissenschaft forscht seit
Jahrzehnten, ob äußere Differenzierung
oder gemeinsames Unterrichten unterschiedlichst begabter junger Menschen
für diese sinnvoller ist. Sie kam in vielen,
zum Teil sehr aufwendigen Studien immer
wieder zu Erkenntnissen, die den Vorteil
der äußeren Differenzierung bestätigen.
Doch die wissenschaftliche Evidenz wird
von Teilen der Politik ignoriert, geleugnet
und nicht selten sogar auf den Kopf gestellt.
Denken Sie, die gemeinsame Schule wird
irgendwann flächendeckend kommen?
Wenn sich eine unselige Koalition aus
linker, sozialromantischer Träumerei und
neoliberaler Profitgier durchsetzt, was ich
nicht hoffe, ja. Dann bekommen wir ein
öffentliches Gesamtschulsystem niedriger
und daneben ein sündteures Privatschulsystem hoher Qualität. In den USA lebt
inzwischen die Mehrheit der Kinder, die
eine öffentliche Schule besuchen, unter
der Armutsgrenze.
Man kann nicht nicht differenzieren. In
Schulsystemen mit vielfältigen Angeboten
entscheidet die Leistung, in Gesamtschulsystemen das Geld der Eltern. Und dagegen kämpfe ich aus tiefer christlichsozialer Überzeugung. Geld ist nämlich
ein außerordentlich effizientes, aber wenig
legitimes Mittel der Segregation.
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ad fundum
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Der Generatio
in Schieflage
V.l.n.r.: DI Georg Feith, CEO Glanzstoff Industries, Mag. Walter Hatzenbichler NEOS, Dr. Therese Niss (Vorstand Junge Industrie),
Dr. Claus Raidl, Univ.-.Prof. Dr. Wolfgang Mazal, Asdin El Habbassi (Abg.z.NR – ÖVP), Stefan Schnöll (Generalsekretär JVP),
Andreas Jilly (Bundesobmann der Aktionsgemeinschaft), Mag. Christoph Seel (Präsident des Österreichischen Cartellverbandes)
Wir haben in Österreich einiges erreicht:
Frieden seit dem 2. Weltkrieg, kaum
soziale Konflikte, saubere Gewässer und
eine vergleichsweise intakte Umwelt.
Nicht alles ist jedoch gelungen. Der
Generationenvertrag ist in Schieflage geraten – ganz besonders im Bereich Pensionen. Wenn durch die Pensionen und
den Pflegebedarf im Alter unsere Staatsfinanzen nicht völlig aus dem Ruder laufen
sollen, sind notwendige Schritte umzusetzen. Die Jungen verdienen wenig und
die alten viel. Um diesen besorgniserregenden Entwicklungen entgegenzuwirken, hat sich mit der ARGE Generationenvertrag-NEU ein prominentes Personenkomitee konstituiert.
Das österreichische Pensionssystem zählt
nicht nur zu den teuersten, sondern auch zu
den am wenigsten nachhaltigen Modellen
Europas. Zahlreiche Studien, Experten und
Rankings bescheinigen dem heimischen
Modell den Kollaps, wenn nicht rasch die
richtigen Schritte ergriffen werden. Im
Vorfeld des Pensionsgipfels der Bundesregierung am 29. Februar meldeten sich
dazu generationsübergreifend prominente
Österreicherinnen und Österreicher zu
Wort: Der Tenor: „Es ist Zeit für einen
neuen Generationenvertrag! Das sind wir
unseren Kindern schuldig!“ An forderster
Front engagiert sind dabei auch Mitglieder des Mittelschüler-Kartellverbandes,
unter ihnen OENB-Präsident Dr. Claus
Raidl, DI Georg Feith (Geschäftsführer
Glanzstoff Industries) oder Kartellsenior
Julian Staltner.
Eine kürzlich vom Institut für Wirtschaftsforschung Eco Austria präsentierte neue
Datenanalyse rund um das österreichische
Pensionssystem – erstmals wurden die
Daten der gesetzlichen Pensionsversicherung mit jenen der öffentlichen Rechtsträger miteinander kombiniert – zeigte
schonungslos die besorgniserregende Entwicklung auf: Die Deckungslücke bei den
Pensionen betrug laut neuer Studie von
Dr. Ulrich Schuh 2014 bereits 21,409
Milliarden Euro, also um 834 Millionen
mehr als im Jahr 2013. Weitere Studien wie
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ad fundum
nenvertrag
Sechs essentielle Stellschrauben
unseres Pensionssystems:
„Wir brauchen einen neuen Generationenvertrag! Es ist höchste Zeit für echte
Reformen. Jedes Beschönigen und Verschieben ist unverantwortlich den nächsten Generationen gegenüber. Wir müssen
endlich handeln!“ betonen Persönlichkeiten wie Dkfm. Claus Raidl, Univ.-Prof.
Dr. Wolfgang Mazal, Mag. Walter Hatzenbichler von den NEOS (alle drei ebenfalls Mitglieder in MKV-Verbindungen),
Dr. Therese Niss von der Jungen Industrie
und ÖVP-Nationalratsabgeordneter Asdin
El Habbassi.
Das österreichische Pensionssystem –
fünf alarmierende Fakten:
In Österreich verbindet sich Frühpension
mit steigender Lebenserwartung: Nur die
Franzosen, Italiener und Griechen gehen
durchschnittlich früher in Pension. Die
Lebenserwartung steigt weiter – Frauen
sind 2014 28 Jahre – um zehn Jahre länger
als vor 40 Jahren – und Männer mehr als
22 Jahre – also um neun Jahre länger in
Pension.
Östereich liegt an vierter Stelle beim BIPAnteil für Pensionen – nur Griechenland,
Italien und Frankreich geben noch mehr
vom BIP für das sogenannte Umlagesystem (1. Säule) aus als Österreich.
Die Lücke zwischen Beiträgen der Aktiven und den Bezügen der Pensionisten ist
im Jahr 2013 auf gigantische 20,7 Milliarden Euro angewachsen – das sind
42,7 % aller ausgezahlten Pensionen oder
22,7 % aller eingehobenen Steuern. Es
herrscht eine ungeheure Intransparenz, um
öffentlichen Reformdruck gering zu halten.
Österreich ist eines von wenigen Ländern
auf der Welt, in denen das Pensionsantrittsalter von Männern und Frauen unterschiedlich hoch ist. Das führt zu einer Benachteiligung von Frauen zum Ende ihrer
Karriere und zur größten Gap zwischen
den Geschlechtern bei Aktiv- wie auch bei
Pensionsbezügen in der EU.
1. Anhebung des gesetzlichen und
des faktischen Pensionsantrittsalter
für Männer und Frauen
2. Koppelung des Pensionsantrittsalters
an die Lebenserwartung
3. Vereinheitlichung der Pensionssysteme (ASVG, Beamte, ÖBB, etc.)
in max. 15 Jahren für alle Pensionisten bis 2030 statt bis 2040
4. Halbierung der Deckungslücke von
21,4 Mrd. in längstens zehn Jahren
5. Stärkung der zweiten und dritten
Säule zur besseren Verteilung der
Pensionslast
6. Aufgabe der Seniorität/Anciennität
als Gestaltungsprinzip der Abgeltung
für Arbeit
Die Babyboomer, das sind die geburtenstarken Jahrgänge (Fertilitätsrate bis 2,8
in 1964) Anfang der Sechzigerjahre, gehen
ab 2021 in Pension, dadurch wird das
Umlagesystem noch stärker belastet.
Es ist höchste Zeit für wirkliche Reformen.
Jedes Beschönigen und Verschieben ist unverantwortlich den nächsten Generationen
gegenüber. Wir müssen endlich handeln!
bezahlte Anzeige
der „Melbourne Mercer Global Pension
Index 2015“ und zahlreiche Experten wie
zum Beispiel die Agenda Austria decken
immer wieder den besorgniserregenden
Zustand in Österreich auf.
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ad fundum
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Die Couleurkarte –
das Aushängeschild
einer Verbindung
In der letzten Ausgabe befassten wir uns mit der Geschichte
von Couleurkarten im Allgemeinen. Nachfolgender Beitrag soll einen
Überblick über die verschiedenen Arten von Couleurkarten geben:
DIE KORPORATIONSKARTE
Sie dient der Darstellung der Ideale und
der Prinzipien einer Verbindung. Das geschieht durch das Vollwappen, den Zirkel
und den Wahlspruch. Darüber hinaus
kann man auch eigentliche Ansichtskarten
dazu zählen: Sie zeigen z.B. eine für die
jeweilige Verbindung bedeutende Vedute,
das Verbindungshaus oder die Universität.
Zu dieser Gruppe gehören auch die Allegoriekarten, z.B. mit einer Personifizierung des Verbindungsnamens, die sogenannten Erinnerungskarten, die aus einem
bestimmten Anlass, z.B. zu einem Stiftungsfest herausgegeben wurden oder
Karten mit dem Porträt bedeutender Verbindungsmitglieder.
In geringerem Ausmaß haben Korporationen auch Lied- und Genrekarten herausgegeben, die sich von der großen Gruppe
dieser Art dadurch unterscheiden, dass sie
die Farben der jeweiligen Verbindung mit
einbeziehen.
DIE LIED- UND GENREKARTE
Dieser Begriff sagt eigentlich schon deutlich, was hier dargestellt werden soll:
Es sind Szenen aus dem Studentenleben,
wie Rezeption, Burschung oder Landesvater. Die Mensur, also das studentische
Fechten, nimmt einen breiten Raum ein.
Das ist nicht weiter verwunderlich, stellten
doch Burschenschaften, Corps, Landsmann- und Turner- sowie Sängerschaften
vor allem vor dem Ersten Weltkrieg das
Gros der Verbindungen.
Hierher gehören auch die Karten mit den
vielfältigen studentischen Szenen nach
Entwürfen von Georg Mühlberg. Sie waren sehr beliebt und werden, obwohl man
sie eher dem Kitsch zuordnen kann, bis
heute nachgedruckt.
Zu dieser Gruppe gehören auch die vielen
Karten unter dem Motto „Alt Heidelberg“.
Die Liedkarten bringen meistens zu einer
Text- und/oder Notenzeile die Illustration
zu einem bekannten Studentenlied. Die
bildliche Darstellung vermittelt eine heile
Welt und orientiert sich an der Vergangenheit, an einem romantisch-verträumten
Studentenleben, am Freundeskreis, der
Liebe und dem Abschied nehmen.
DIE KARIKATURKARTE
Mit ihnen nahmen Verlage das studentische Leben, vor allem seine Auswüchse,
wie einen übersteigerten Ehrenkodex,
das Trinken oder den studentischen Zweikampf pointiert, manchmal liebenswürdig-gutmütig, meist aber bösartig aufs
Korn.
Die Produktion von Karikaturkarten erlosch in den Zwanzigerjahren. Die Ursache
dafür war der Wandel der Interessentenund Käuferschicht, aber wohl auch die
Änderung der studentischen Verhältnisse.
Einstige Angriffspunkte hatten nicht überlebt oder ihre Bedeutung verloren und auch
die oft exklusive gesellschaftliche Stellung
der Farbstudenten gab es kaum mehr.
Auch die von den Schutzvereinen herausgegebenen Liedkarten verschwanden. Das
Interesse an der angeblich heilen Welt des
Studentenlebens verlagerte sich auf den
Film.
Heute sind es durchaus auch Verbindungen, die sich mit Karikaturkarten ein wenig
über sich selbst lustig machen.
DIE COULEURKARTE HEUTE
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es
nur wenige Verbindungen, die versuchten,
die Tradition der Couleurkarten fortzusetzen. Aber seit den späten Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts erlebt die Couleurkarte eine bemerkenswerte Renaissance, und das in einer Zeit,
in der die technischen Möglichkeiten wie
E-Mail oder SMS eigentlich dagegen
sprechen, denn wer bedient sich heute
schon des Schreibens einer Karte, um eine
Nachricht zu übermitteln.
Die heutigen Couleurkarten bieten ein weit
gefächertes Spektrum. Manche Verbindungen begnügen sich mit Nachdrucken
alter Motive, v.a. der Wappenkarten, aber
auch arrivierte Künstler liefern für die
neuen Couleurkarten ebenso Vorlagen,
wie begabte Amateurmaler und -zeichner
in den Verbindungen.
Die Couleurkarte ist auch die Visitenkarte
einer Verbindung, die graphisch und künstlerisch qualitätvoll gestaltet sein sollte.
Dass dies bis in die jüngste Vergangenheit
auch gelungen ist, beweisen die Beispiele
in dem Buch:
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COULEURKARTEN AUS DEM MKV
UND SEINEM UMFELD
Im September 1999 ist mein Buch „Die
Couleurkarten des Österreichischen Cartellverbandes und seiner Verbindungen“
erschienen. Es war dies der erste Versuch,
die Studentenpostkarten eines Verbandes
insgesamt in Bild und Beschreibung umfassend und genau zu erfassen.
Dieser Katalog hat vor allem bei Couleurkartensammlern, aber auch bei jenen, die
an der Entwicklung des Farbstudententums
und am ÖCV im Allgemeinen interessiert
waren, erfreulicherweise große Beachtung
gefunden. Vorschläge und Anregungen, ein
ähnliches Werk auch für andere Verbände
zu erarbeiten, sind nicht ausgeblieben.
Die älteste derzeit bekannte Couleurkarte
einer katholischen Pennalie mit dem Wappen einer Nibelungia-Innsbruck, die von
1892 bis 1908 bestanden hat, stammt aus
dem Jahr 1898. Unter den heutigen MKVVerbindungen kann die K.ö.St.V. AlmgauSalzburg auf eine Karte aus dem Jahr 1903
verweisen.
Bis 1919 waren Mittelschulverbindungen
in Österreich verboten. Sie existierten nur
im Untergrund. Sind sie aufgeflogen, so
mussten ihre Mitglieder oft an andere
Schulen wechseln, im schlimmsten Fall
wurden sie von einem weiteren Schulbesuch ausgeschlossen.
Die Verbindungen hatten meist keine
eigene Bude, sie existierten im Schutz
akademischer Verbindungen (sogenannter
„Deckverbindungen“) oder ihre Veranstal-
21
ad fundum
tungen fanden in Hinterzimmern von
Gasthöfen statt. Die Gründer waren meist
Mittelschüler und junge Menschen denken
an vieles, aber sicher an kein Archiv.
Die Postkarte, und damit auch die Couleurkarte, war ein Gebrauchsartikel. Nur
wenige wurden in einem professionellen
Druckverfahren hergestellt. Aus Kostengründen wählte man einfache Möglichkeiten der Vervielfältigung. Vielfach sind
Couleurkarten auch handgemalt und damit
Unikate. Man hielt es oft auch nicht für
notwendig, sie aufzuheben.
In der Zwischenkriegszeit konnten sich die
Mittelschulverbindungen zwar frei entfalten, aber Couleurkarten konnten sich nur
wenige leisten. Die Ereignisse im Jahr
1938, das Verbot aller Verbindungen und
die Kriegsjahre trugen dazu bei, dass
Archivbestände, soweit es sie überhaupt
gegeben hat, vielfach verloren gingen.
Dieses nun vorliegende Verzeichnis der
Couleurkarten aus dem MKV und seinem
Umfeld endet mit dem Jahr 2013. Es ist
aber auf Grund der unsicheren Quellenlage mit Sicherheit nicht vollständig.
Von einigen der ältesten Karten, die meist
Unikate sind, standen mir für eine Reproduktion manchmal nur unzulängliche
Kopien zur Verfügung. Ihre Wiedergabe
ist daher mangelhaft. Da die meisten
Couleurkarten mehrfarbig sind, wird im
Text nur bei jenen in Schwarz-Weiß und
den einheitlich in einer anderen Farbe
gedruckten dies besonders erwähnt. Auf
die jeweilige Drucktechnik wird nur in
Ausnahmefällen hingewiesen.
Fotos von Chargierten und Gruppenfotos,
wie sie oft anlässlich von Stiftungsfesten
aufgenommen und auch als Postkarten
verwendet wurden, führe ich nicht an. Sie
sind auch keine Couleurkarten im eigentlichen Sinn.
Couleurkarten, wie es sie bei CV-Verbindungen vor dem Ersten Weltkrieg mit
der Abbildung „Die Fuchsia im Wintersemester ...“ gab, fehlen im MKV überhaupt.
Ein Anliegen war mir auch bei diesem
Buch das Personenregister, wenn es auch
wesentlich schwerer zu erstellen war, als
für die Couleurkarten des ÖCV. Soweit
die Namen jener Personen, die Karten
entworfen haben, durch eine Signatur
erkennbar waren oder einwandfrei nachgewiesen werden konnten, habe ich auch
versucht Lebensdaten, Studium, Ausbildung und Beruf zu eruieren.
ERNST EXNER (TEW)
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ad fundum
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Der Höllenritt n
Start-up ist mittlerweile ein Schlagwort,
das sich von Politik
über Kammern jeder
anheftet. Wie geht es
Gründern, die an die
Weltspitze wollen
wirklich? Wie tief ist
der Graben zwischen
Euphorie und ständiger Existenzangst?
Was haben Mazda, die Diözese GrazSeckau, der Wörthersee und das Kärntner
Landesmuseum gemeinsam? Sie sind die
ersten Kunden eines Klagenfurter Startups, das die Welt erobern will: xamoom,
das von einem MKV, Georg Holzer vlg.
Gringo (KTK, GLK), mitgegründet wurde
und einen zweiten, den App-Entwickler
Raphael Seher vlg. Morpheus (TAV), beschäftigt.
Im Klagenfurter Lakeside Science and
Technology Park gibt es eine Reihe von
Firmen, die keinesfalls Durchschnitt sein
wollen, sondern es Instagram, WhatsApp
oder Spotify gleichmachen wollen. xamoom, im Mai 2014 gegründet, will nichts
Geringeres, als mit innovativen Handydiensten an die Weltspitze gelangen. Im
ersten Jahr waren der Ex-Journalist Holzer
und der Software-Entwickler Bruno Hautzenberger noch zu zweit. Mittlerweile sind
es sechs Mitarbeiter, die an ortsbezogenen
Handydiensten arbeiten.
Solche „Location Based Services“ geben
dem Handynutzer immer genau jene Information, die er im Moment braucht –
Informationen zu einem Werk im Museum
oder einem Auto im Schauraum. Will nun
ein Museum etwa einen Audio-Guide an-
bieten, fallen dafür aktuell mehrere zehntausend Euro alleine für Software und
Geräte an. Die Umsetzung dauerte bislang
monatelang und setzte Expertenwissen
voraus.
xamoom macht etwas, das so noch keiner
versucht hat: Eine Infrastruktur für etwas
anzubieten, das zuvor extrem teuer war,
langwierig jedes Mal aufs Neue entwickelt
werden musste und viel Expertenwissen
voraussetzte. „Ortsbezogene Handydienste wären mit unserem System nicht nur
ein Privileg großer Museen oder Industriebetriebe. Jeder kann es sich nun leisten
und ohne viel Vorwissen umsetzen“, erklärt Holzer.
Jetzt sind solche Dienste ohne Expertenwissen binnen Stunden einsatzbereit und
kosten nur noch 49 bis 349 Euro im Monat
– also einen Bruchteil. Der Einstieg mit
einem kleinen System bis zu zehn Orten ist
sogar kostenlos. „Möglich wird dies durch
einen hohen Grad an Spezialisierung. Wir
machen nur das eine, das dafür extrem
effizient“, erklärt Hautzenberger, der Vergleiche mit der industriellen Revolution
zieht.
Will man als Start-up erfolgreich sein,
reicht es eben nicht, ein kleines Stückchen
besser zu sein. Es muss schon der Faktor
10 oder 100 her, damit das Produkt im
Idealfall weltweit vermarktbar ist.
Zwischen Zweifeln und Euphorie
In jedem Start-up steckt aber ein hohes
Maß an Unsicherheit, ein Teil von ihnen
scheitert. Auch xamoom ist da keine Aus-
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23
ad fundum
amens Start-up
Was xamoom macht:
Eine Infrastruktur für ortsbezogene
Handydienste aller Art und das Internet
der Dinge. Das Location CMS vernetzt
Orte und Objekte mit dem Smartphone.
Es werden immer die richtigen Inhalte
in der richtigen Sprache ausgegeben.
Einsatzgebiete: Tourismus, Museen,
Marketing, Industrie, Bürgerinformation in der Gemeinde
Preise: 0 – 799,– Euro im Monat
Auszeichnungen: Futurezone Start-up
des Jahres 2014, IKT-Preis des Landes
Kärnten, InvestorStar am Business
Angel Day 2015, Trend Top 100 Startups in Österreich, Creos in Gold –
Kärntner Landespreis für Werbung und
Marketing
Infos: xamoom.com, 0680-2009030
Sechs Mitarbeiter aus vier Ländern (v.l.n.r.):
Co-Gründer & CEO Georg Holzer vlg. Gringo (KTK, GLK), Webentwickler Pavol Dano,
Praktikantin Ema Ciglic, App-Entwickler Raphael Seher vlg. Morpheus (TAV),
Lucia Schöpfer macht Marketing, Co-Gründer & CTO Bruno Hautzenberger
nahme. Um das Risiko zu minimieren,
planten die Gründer mit größtmöglicher
Flexibilität. „Wir können zu jedem Ort
und jedem Ding den richtigen Inhalt aufs
Handy liefern“, erklärt Holzer. Neben
Museumstouren gibt es somit auch Anwendungen im Tourismus oder Handel
und sogar in Sportstätten, der Industrie
und im Gewerbe. Dieses breite Spektrum
macht allerdings die Vermarktung nicht
einfacher. Wen spricht man wie an? Soll
das Produkt allen angeboten werden oder
suchen wir uns eine Nische aus, die wir
kontrollieren können. Wenn ja, welche
Nische?
Auf solche Fragen gibt’s keine vorgefertigten Antworten. Dazu kommt, dass es
– anders als in größeren Start-up-Zentren
wie Wien – in Klagenfurt nur eine winzige
Community gibt, in der man sich austauschen könnte. „Wir lernen alles auf die
harte Nummer. Alles muss irgendwie
selbst herausgefunden werden und wir
sind damit auch schon arg hingefallen“,
meint Holzer. Aktuell reden die Gründer
mit mehreren Business Angels über einen
Einstieg. „Geld ist die eine Sache, aber
längst nicht alles. Was wir uns viel mehr
von ihnen erwarten, sind Know-how und
Kontakte“, so Holzer.
Eineinhalb Jahre lang wurde das Produkt
mit ein paar Förderungen und den letzten
Ersparnissen der Gründer („we are all in“)
entwickelt, seit ein paar Monaten ist es
marktreif. Die Gründer sind davon überzeugt, eine großartige Plattform zu haben,
die technisch an der Weltspitze ist und mit
der Zeit noch besser wird. Aber es gibt
natürlich auch das Risiko, dass womöglich etwas entwickelt wurde, das am Ende
doch nur die ersten zehn, zwanzig Kunden
brauchen könnten.
Selbstzweifel und schlaflose Nächte sind
neben überbordender Euphorie über technische Leistungen oder neue Kunden
ständige Begleiter jedes Gründers. „Wer
sich auf ein Start-up einlässt, muss sich
auf den Höllenritt gefasst machen, der
vor einem steht“, meint Kartellbruder
Gringo.
Der Name xamoom stammt übrigens aus
der westafrikanischen Sprache Wolof und
bedeutet so viel wie „Wissen vermitteln“.
Obwohl der Name für das Start-up nicht
besser gewählt sein könnte (sie vermitteln Wissen über Orte und Dinge), so war
auch etwas Anderes ausschlaggebend:
„Die .com-Domain war frei“, schmunzelt
Holzer zum Schluss.
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Gruppenspiel –
Pandemic Legacy:
Season 1
Im Jahr 2008 hat Matt Leacock mit Pandemic (Pandemie) das Genre
der modernen kooperativen Spiele de facto begründet.
Nun ist in Zusammenarbeit mit Rob Daviau – dem Erfinder des
„Legacy-Mechanismus“ – eine Melange beider Spielsysteme erschienen.
Ob Pandemic Legacy tatsächlich spielerisches Wundermittel oder
doch eher Kurpfuscherei ist, soll nachstehender Beitrag zeigen.
bezahlte Anzeige
Bei Pandemie und so auch bei Pandemic
Legacy dreht sich alles um Krankheiten
und deren Bekämpfung. Die Spieler übernehmen die Rollen von Forschern, Sanitätern und ähnlichen Vertretern von Gesundheitsberufen, um vier sich auf der Welt
ausbreitende Epidemien einzudämmen,
jeweils Heilmittel dagegen zu erforschen
und die Gesundheit der Menschheit wieder
herzustellen. Dazu bewegt man sich in
diesem rein kooperativen Spiel rund um
den Globus und ist permanent als Krisenfeuerwehr unterwegs.
Wie so oft bei komplexeren Spielen steht
man vor mannigfaltigen Entscheidungen:
Soll man die ausgebrochene blaue Krankheit in Washington sofort behandeln oder
die dortige Bevölkerung doch noch zumindest eine Runde ihrem Schicksal überlassen, hoffen, dass es zu keinem Kettenausbruch kommt und die gewonnene Zeit
in die Erforschung eines Heilmittels investieren? Andererseits ist das rote Virus
soweit auf der Welt verbreitet, dass bei
wenigen Infizierten mehr keine Krankheitsmarker mehr vorhanden wären, was
automatisch zum Spielverlust führen würde. Man sieht, die gebotenen Handlungen
sind ohne Zahl und Urteile ohne Unterlass
zu fällen, die einem oft Opfer abverlangen.
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ad fundum
Spiel
Genre: CoOp-Strategie sui generis
Spieler: 2-4
Spieldauer: Speziell
Altersfreigabe: ab 10 Jahre
Preis: EUR 40,–
der autor
Alexander F.S. Putzendopler (ASG, Cl! et.al.)
ist Rechtsanwaltsanwärter in Wien. Ehrenamtlich
arbeitet der Autor im Supportteam eines Spieleverlages und hat über die Jahre hunderte Spiele
gespielt und erklärt. Anfragen zu Spieleempfehlungen sind ausdrücklich erwünscht.
Hier kommt nun der Legacy-Mechanismus zum Tragen, welcher das Spiel erst
zu dem macht, was es ist. Jede von den
Spielern getroffene Entscheidung wirkt
sich nämlich permanent auf das Spiel
aus! Einmal ausgeführte Aktionen können
nicht mehr rückgängig gemacht werden,
die Spieler müssen mit den Konsequenzen
ihres Handelns leben. Um die Dauerhaftigkeit des sich verändernden Spieles auch
festzuhalten, wird es auch faktisch angepasst.
Das heißt: Karten werden zerrissen, mit
Edding auf dem Spielbrett Eintragungen
vorgenommen, nicht entfernbare Sticker
auf Karten, die Regeln oder die Spielertableaus geklebt und so weiter und so fort.
Dies ist auch der Grund warum in diesem
Artikel ausnahmsweise ein Symbolfoto zu
finden ist, weil das Exemplar des Autors
nicht wiederzuerkennen ist.
Mit anderen Worten: Wenn man das Spiel
„durchgespielt“ hat, was 12 bis maximal
24 etwa zweistündige Partien dauert, ist es
„kaputt“ bzw. hochpersonalisiert und die
Geschichte des Spieles erzählt.
Weil genau darum geht es neben den
spielerischen Qualitäten dieses Werks: Die
Spieler werden in einen packenden Strudel
des Erzählens hineingerissen, der sie selbst
zum Zentrum der Handlung werden lässt,
die einen im Stakkato mit weiteren Wendungen überrascht und kaum Atem holen
lässt.
Nun möchte man sich fragen, ob vierzig
Euro für ein Spiel, das man höchstens
24-mal spielen kann, nicht etwas gar
teuer sind. Dies ist aber keinesfalls so.
Bedenkt man, dass durch mindestens
zwanzig Stunden vom Spiel eine Geschichte erzählt wird, deren Fortgang im
Vorfeld nicht im Ansatz abschätzbar ist
(in der Schachtel befinden sich etliche
versiegelte Päckchen, die erst nach und
nach – in manchen Partien nicht einmal
alle – geöffnet werden), so kostet bei vier
Spielern jede Stunde ca. fünfzig Cent (also
etwa sieben Schilling), was für dieses
Erlebnis mehr als nur gerechtfertigt ist.
Wie ein amerikanischer Rezensent zutreffend festgehalten hat, ist Pandemic
Legacy „more an emotionally charging
experience rather than a game“. Dieser
Ansicht kann sich auch der Autor dieser
Zeilen nur voll und ganz anschließen. Er
hat das Spiel in einem Gewaltritt an einem
Wochenende beendet und sich noch niemals so sehr von einem Brettspiel fesseln
lassen, dass an ein Aufhören nicht zu
denken war.
Es ist wohl erkennbar, dass für Pandemic
Legacy eine ganz klare Kaufempfehlung
ausgesprochen wird, wenn man das mit
Abstand intensivste Brettspielerlebnis der
letzten Jahre nicht versäumen möchte.
Interessant ist im Übrigen, dass auf der
All-time-high Liste von www.boardgamegeek.com, DEM Spieleportal schlechthin,
nach vielen Jahren das grandiose Twilight
Struggle innerhalb von wenigen Tagen von
Pandemic Legacy von der Spitze gestoßen
wurde.
Hinzu kommt, dass das Spiel, wie bereits
angedeutet, mit den Spielern und der
Spieldauer „mitwächst“: Beginnt es als
etwas anspruchsvolleres Familienspiel,
also etwa auf „Spiel des Jahres-Niveau“,
so kann man es zum Ende hin durchaus als
anspruchsvolles Kenner- bzw. einfaches
Expertenspiel bezeichnen.
Abschließend sei angemerkt, dass ob des
großen Zuspruches das Spiel aktuell ausverkauft ist, es sich aber bereits im Reprint befindet und noch im Frühjahr 2016
wieder erhältlich sein sollte. Sobald dies
der Fall ist, schnappt eure Spritzen, legt
die Labormäntel an und rettet die Welt vor
der Geißel der Krankheit!
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ad fundum
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Transatlantischer F
Warum die Europäische Union und die USA die globalen
Entwicklungen nicht verschlafen sollten. Handel braucht Regeln
und Rahmenbedingungen, jetzt!
Kaum ein anderes Thema wird derzeit so
breit und heftig in der Öffentlichkeit diskutiert wie das Abkommen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft – kurz TTIP.
Bedauerlicherweise wird vor allem in
Österreich die Debatte mit viel Unwissenheit und unter Ausblendung von Fakten
unseriös geführt und mit den Ängsten der
Bürgerinnen und Bürger unverantwortlich
umgegangen.
TTIP wird gerade als gemeinsames Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA verhandelt. Das Ziel von TTIP ist einerseits der
Abbau von tarifären und nichttarifären
Handelshemmnissen und andererseits eine
verstärkte Zusammenarbeit bei Regulierungsfragen zwischen den zwei Handelspartnern. Dadurch sollen Kosten für
Unternehmen in der EU und den Vereinigten Staaten gesenkt werden, indem
zum Beispiel technische Vorschriften oder
Zulassungs- und Konformitätsverfahren
von beiden Handelspartnern gegenseitig
anerkannt und Exporte vereinfacht werden.
Die USA und die EU erwirtschaften gemeinsam mit 46 % etwa die Hälfte des
weltweiten Bruttoinlandproduktes. Darüber hinaus sind sie für etwa ein Drittel
des Welthandels verantwortlich, wobei
beide Handelsräume täglich Waren und
Dienstleistungen im Wert von etwa zwei
Milliarden Euro austauschen. Hier gilt es
klarzustellen, dass die Exporte von der
EU in die USA, mit rund 485 Milliarden
Euro, weit höher ausfallen als die Importe
aus den USA in die EU, mit rund 305 Milliarden Euro.
Bei Abschluss des Freihandelsabkommens
entstünde somit die weltweit größte Freihandelszone – mit rund 830 Millionen
Bürgerinnen und Bürgern.
Natürlich gibt es auch ausreichend Kritik
an den möglichen Inhalten des Abkommens sowie der Verhandlungsführung.
Sie reicht dabei vom Vorwurf der Intransparenz der Verhandlungen über allgemeine Ablehnung von Freihandel bis
hin zur Sorge über die Herabsetzung von
Standards bei Lebensmittelsicherheit und
Umwelt.
Dass Kritik und Kontrolle von staatlichem
Handeln wichtig ist, steht außer Zweifel.
Dennoch sollte sich die Kritik an den
Fakten orientieren und seriös erfolgen.
Genauer betrachtet, erweisen sich nämlich
viele Vorwürfe als haltlos oder unrealistisch.
Die Tendenz von nationalen Regierungen,
Schuld bei „denen in Brüssel“ zu suchen,
ist schon lang gehegte Tradition. Faktum
ist, dass seit den 1990er-Jahren über eine
Freihandelszone diskutiert wird und im
Jahr 2013 der Europäische Rat – also die
28 EU Staats- und Regierungschefs – der
EU-Kommission einstimmig (also auch
mit der Stimme der Österreichischen
Bundesregierung) ein Verhandlungsmandat erteilt. Darin wird klar festgelegt, in
welchen Bereichen die Kommission mit
den USA verhandeln soll.
Politisch verantwortlich sind für TTIP
die EU-Kommissarin für internationalen
Handel, Cecilia Malmström, auf europäischer Seite und US-Handelsbeauftragter, Michael Froman, auf amerikanischer
Seite. Bislang haben zehn Verhandlungsrunden auf Beamtenebene stattgefunden.
Die Vertreter der zuständigen Dienststellen in Europa (Generaldirektion Handel)
und den USA (Office of the United States
Trade Representative) verhandeln dabei
die einzelnen Kapitel in insgesamt 25 Verhandlungsgruppen. Über den Stand der
Verhandlungen muss die Europäische
Kommission dem Rat der Europäischen
Union und dem Europäischen Parlament,
welche nach Abschluss der Verhandlungen dem Abkommen zustimmen müssen,
Bericht erstatten.
Auf den Vorwurf, die Verhandlungen
fänden „hinter verschlossenen Türen“
statt, hat die EU-Kommission bereits im
Herbst 2014 reagiert, indem sie ausgewählte Verhandlungsdokumente der Öffentlichkeit im Internet frei zur Verfügung
stellt. Dass diese kaum aufgerufen werden,
lässt darauf schließen, dass das Interesse
nur ein geringes ist. Der Vollständigkeit
halber sei gesagt, dass auch Kollektivvertragsverhandlungen und Ähnliches auf
nationaler, regionaler oder lokaler Ebene
vertraulich geführt werden.
Warnungen vor giftigem Essen, welches
unser Land überschwemmen würde –
Stichwort „Chlorhendl“ – sind genauso
einzuordnen wie so manche populistischen Warnungen in den 90er-Jahren vor
„Blutschokolade“ und „Lausjoghurt“ beim
Beitritt Österreichs zur Europäischen
Union. Faktum ist, dass die Lebensmittelstandards sowohl in den USA als auch
der EU hoch sind, wenn auch unterschiedlich. Während gerade Österreich
führend in der biologischen Landwirtschaft ist, sind die US-Amerikaner sehr
strikt bei Regelungen mit Rohmilch.
Camembert aus Frankreich in Kalifornien?
Gilt als gesundheitsbedenklich! Besonders die Nachfrage nach biologischen
Produkten, gerade aus Österreich, ist besonders hoch. Mit einer Ablehnung von
TTIP würden wir uns hier die große
Chance, Top-Produkte zu exportieren, entgehen lassen. Das Europäische Parlament,
ohne dessen Zustimmung TTIP nicht zustande kommen kann, sowie die nationalen Regierungen würden niemals einer
Absenkung unserer Standards in diesem
Bereich zustimmen.
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ad fundum
Freihandel – ja bitte!
folg und Aufstieg. Diese Regionen werden
ein immer stärker werdender Faktor im
Welthandel und in der Weltpolitik.
Seit 2005 besteht zwischen Brunei, Chile,
Singapur und Neuseeland die Transpazifische Partnerschaft, kurz: TPP. Ein Freihandelsabkommen zwischen diesen vier
Ländern.
Zurzeit verhandelt man mit acht weiteren
Staaten (USA, Mexiko, Australien, Peru,
Kanada, Japan, Vietnam und Malaysia).
Taiwan und Südkorea haben Interesse
bekundet. Sollten die Verhandlungen mit
diesen Ländern zum Abschluss kommen,
entsteht eine Freihandelszone mit knapp
1 Milliarde Bürgerinnen und Bürgern.
Übrigens: China und Indien wollen TPP
ebenfalls angehören – zusätzlich rund
2,8 Milliarden Menschen. Wer dann die
Standards in punkto Lebensmittelsicherheit, Wettbewerb und Arbeitnehmerschutz
setzt, ist klar.
Die Investitionsbereitschaft eines ausländischen Unternehmens in einem fremden
Staat hängt sehr stark von der Verlässlichkeit des Rechtssystems im „Empfangsstaat“ ab. Auch wenn sowohl die EU als
auch die USA über hoch entwickelte
Rechtsordnungen verfügen, sind sie dennoch sehr unterschiedlich – so werden
etwa manche erstinstanzliche Richterposten in den USA politisch, durch
Wahlen, besetzt. Daher ist auch das
Thema schiedsgerichtliche Beilegung von
Investitionsstreitigkeiten (ISDS) ein weiterer großer Punkt in den Verhandlungen, welcher auch im Mandat der nationalen Staats- und Regierungschefs an die
EU-Kommission festgehalten ist. Bedauerlicherweise wird in der gesamten
Debatte das Selbstverständnis vieler Europäer immer wieder aufgezeigt: Es wird
immer davon gesprochen, wie sich mit
ISDS ausländische Firmen „bei uns“ über
Recht hinwegsetzen könnten. Fakt ist
aber, dass Schiedsgerichte in der internationalen Wirtschaft absolut üblich sind,
da diese eine unbürokratische und politisch unabhängige Beilegung von Rechtsstreitigkeiten ermöglichen. Gerade europäische Unternehmen, besonders Unter-
nehmen in Österreich, mit seinem Exportanteil von 67 %, benötigen Schutz bei im
Ausland getätigten Investitionen! Rechtssicherheit ist ein essentielles Gut und
muss für alle gelten.
Die Debatte um ISDS ist ferner auch
deshalb interessant, weil es derzeit bereits
1.400 abgeschlossene Investitionsschutzabkommen in der EU gibt, welche die
Anrufung von Schiedsgerichten ermöglichen. Österreich hat über 60 solcher
Abkommen abgeschlossen, welche alle
einstimmig (bis auf jenes mit Bolivien und
jenes mit Nigeria) im Nationalrat genehmigt wurden. Der gegenwärtige Investitionsschutz zeigt deutlichen Verbesserungsbedarf etwa in Sachen des Schutzes
des staatlichen Regulierungsrechts, der
Transparenz oder Berufungsmöglichkeit
auf. Die TTIP-Verhandlungen sind unsere
Chance den Investitionsschutz zu reformieren und zu modernisieren.
Zum Schluss muss man eines nochmals
deutlich feststellen: die Welt dreht sich
weiter, ob wir mitgestalten oder nicht.
Asien, Südamerika und viele Staaten in
Afrika boomen und sind hungrig nach Er-
Diese Verhandlungen gibt es. Diese Verhandlungen werden abgeschlossen. Ob
Europa will oder nicht.
Gerade US-Präsident Obama drängt auf
einen raschen Abschluss der TTP-Verhandlungen. Er will die USA noch in seiner
Amtszeit in das Trans-Pazifische-Abkommen bringen.
Umso wichtiger ist es, dass wir als Europäische Union, als vereintes Europa, mit
unseren hohen Standards, unseren qualitativen Lebensmitteln, den starken Unternehmerinnen und Unternehmern und den
engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Standards festsetzen wie der
Freihandel auf dieser Welt global gestaltet
werden soll. Nicht nur aus wirtschaftlichen
sondern auch aus politischen Gründen.
Unser Modell der ökosozialen Marktwirtschaft sollte Vorbild sein. Eine freiwillige
Abschottung von wirtschaftlichen und
politischen globalen Entwicklungen wird
uns als Kontinent aber ins Abseits stellen.
Dagegen sollte man ankämpfen und nicht
gegen vernünftige Verträge auf Augenhöhe zwischen demokratisch gewählten
Parlamenten und Regierungen.
DR. PAUL RÜBIG MEP (FRL)
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Alle Menschen
müssen einmal
auferstehen
Am Ende der Leidensgeschichte, die uns
am Karfreitag zur Todesstunde Jesu verkündet wird, heißt es: „An dem Ort, wo
man ihn gekreuzigt hatte, war ein Garten
und in dem Garten war ein neues Grab, in
dem noch niemand bestattet worden war.
Wegen des Rüsttages der Juden und weil
das Grab in der Nähe lag, setzten sie
Jesus dort bei.“ (Joh 19,41-42) Maria aus
Magdala und die andere Maria kommen,
um nach dem Grab zu sehen. Aber das
Grab ist leer. Gott setzt mit der Auferstehung Jesu einen Neubeginn. Das ist
der Weg von Ostern: Vom Grab der Klage,
der Wehmut, der Ohnmacht, des Wachens
und Schweigens hin zu neuer Hoffnung
und dem unbesiegbaren Leben. Der Ausnahmekünstler Georg Paulmichl, der das
Leben und den Glauben wunderbar und
treffend ins Wort bringt, formuliert es so:
der autor
Mag. Jakob Bürgler wurde am 18. Jänner 2016
vom Konsultorenkollegium der Diözese Innsbruck zum Diözesanadministrator gewählt.
Auferstehung
Alle Menschen müssen einmal
auferstehen.
Wer zu lange im Grab liegt,
den beißen die Flöhe.
Jesus suchte den Weg nach oben.
Jesus war nie im Kirchenchor.
Die Buschmänner glauben nicht
an den Krims-Krams.
Die Auferstehung hat die Kirche entdeckt.
Die Himmelspforte wird breit,
soweit das Augenmaß reicht.
Halleluja und ewiger Harfenklang
dröhnt aus Engels Haar.
Keine Not bricht im Himmel die Gebeine.
Kein Trauerkloß steckt mehr im Hals.
Das alles steht in der Schrift.
(Georg Paulmichl, Ins Leben gestemmt, 2003)
Worauf die Jüngerinnen und Jünger
schauen, dahinein werden sie verwandelt:
Im Blick auf das leere Grab und den
Auferstandenen werden die Jünger zu
österlichen Menschen. – Gott erscheint
an den Wegkreuzungen, an den Orten,
die uns nicht vertraut sind, an denen wir
uns nicht auf Sicherheiten stützen können.
Was ist zu tun angesichts dieser Situation?,
so fragt Papst Franziskus. Es braucht eine
Kirche, die keine Angst hat, in die Nacht
dieser Menschen hineinzugehen. Es
braucht eine Kirche, die fähig ist, ihnen
auf ihren Wegen zu begegnen. Es braucht
eine Kirche, die sich in ihr Gespräch einzuschalten vermag. Es braucht eine Kirche,
die es versteht mit jenen Jungen ins Gespräch zu kommen, die wie die Emmausjünger aus Jerusalem fortlaufen und ziellos allein mit ihrer Ernüchterung umherziehen, mit der Enttäuschung über ein
Christentum, das mittlerweile als steriler,
unfruchtbarer Boden angesehen wird, der
unfähig ist, Sinn zu zeugen.
Jesu Auferstehung ist der Weg des Lebens.
Er gibt Mut und die Kraft zu glauben,
auch nach der Vergeblichkeit so mancher
Nacht neu zu beginnen. Wer an die Auferstehung glaubt, der kann auch heute voll
Hoffnung ausrufen: „ER ist auferstanden,
er ist fürwahr auferstanden!“
So wünsche ich gesegnete Ostern, getragen aus der Freude und dem Licht des
auferstandenen Christus.
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Buchvors
Zweihundert der
schönsten Studentischen Zeichnungen
von Mag. Roland Grill v/o Dr. cer. Hugin,
hg. von Martin und Anja Duschek, Verlag Werbeagentur Duschek, Innsbruck
2015, 204 S., ISBN 978-3-200-04395-4,
75,– Euro, [email protected]
Vor etwa 35 Jahren begann Roland Grill
als Autodidakt sich künstlerisch zu betätigen. In diesem bemerkenswerten Bildband sind dabei „nur“ seine Werke aus den
„Budenbüchern“ von diversen Veranstaltungen überwiegend seiner Verbindung
Andechs zu Innsbruck zu finden. Er deckt
dabei eine Vielzahl von Anlässen und
Themen ab, wie Jahresmottos, Antrittsund Schlusskneipen, Kneipen zu besonderen Anlässen, Stiftungsfesten, Ausflügen
und Exkneipen, die Weihnachtszeit, wissenschaftliche Abende und Vorträge bis zu
einem Trauerkommers, nimmt dabei auch
Anregungen von außen auf und adaptiert
z.B. ein gängiges Fernsehlogo oder die
Muppets, das Motiv einer alten Couleurkarte oder ein Bauwerk, verwendet Jugendstil-Motive ebenso wie solche aus
der Romantik oder auch eine ganz eigenständige Bildsprache. Dabei ist er kein
schneller Zeichner, seine Werke sind mit
viel Liebe akribisch bis ins Detail ausgeführt und er braucht, wie er selbst einmal
geschrieben hat, für ein Bild vom Entwurf
bis zur Fertigstellung etwa 20-25 Stunden.
Kein Bild gleicht dem anderen. Im Vergleich zu früher finden sich heute in den
Budenbüchern nurmehr selten Zeichnungen, etwas Vergleichbares zu den Arbeiten von Roland Grill gibt es nicht. Diese
Werke erstmals einem größeren Kreis
zugänglich zu machen verdient großen
Dank! („Nebenbei“ sei erwähnt, dass es
von Grill auch noch Couleurkarten und
Exlibris gibt. Vielleicht können auch diese
einmal gesammelt vorgelegt werden.)
Eine sehr wichtige Dokumentation studentischer Grafik und ein Augenschmaus!
Seine Arbeiten aus dem Gästebuch der
Kath. Czernowitzer Pennäler aus den
Jahren 1995 bis 2007 erschienen dort als
kleines Büchlein unter dem Titel „Hugin
fecit“ (s. Acta 168/22). P.K.
Der Bildband „Zweihundert der schönsten studentischen Zeichnungen von Mag.
Roland Grill vlg. Dr. cer. Hugin“ ist im
Buchhandel auf Bestellung verfügbar,
kann aber auch direkt beim Eigenverlag
unter [email protected] bestellt werden. (Preis inkl. 10 % USt. 75,– Euro, 208
Seiten, 200 Farbtafeln, Format Din A4,
Softcover).
Autor: Dr. Peter Krause vlg. Aegir
Erstmals erschienen in den
„acta studentica“, Folge 195
(47. Jahrgang, März 2016),
auf den Seiten 21 und 22.
Johannes Twaroch hat wieder in seine
Schatzkiste gegriffen und sich diesmal
mit spitzer Feder historischen, witzigen,
Lauter Literaten
skurrilen und bemerkenswerten Anekdoten und Erzählungen über Österreichs
Literaten gewidmet. Ein weiteres Buch von
Johannes Twaroch, das zum Schmunzeln
und laut Loslachen animiert und das man
kaum aus der Hand legen möchte.
Johannes Twaroch: Anekdotenschatz.
Lauter Literaten. Kral-Verlag 2015,
250 S., 24,90 Euro
Der letzte Pilger:
Den Jakobsweg einmal
anders erleben
Einmal noch tief durchatmen – „Jetzt
geh ich los!“ Das sind die letzten Worte eines Pilgers, bevor er seinen Weg beginnt.
Sein Fußmarsch führte den Autor, Dr.
Bernhard Pichler, innerhalb von 111 Tagen
von Eisenstadt über Santiago de Compostela und das Ende der Welt bis hin zu
Sevilla und schließlich nach Gibraltar –
gesamt 4.600 Kilometer, auf denen er
sein Couleur trug und Abenteuer erlebte,
die sonst nie mit dem Jakobsweg in Verbindung gebracht werden würden, in
denen sein Leben auf den Kopf gestellt und
er aus dem goldenen Käfig eines Wiener
Studentenlebens herausgerissen wurde.
Jakobsweg-Bücher gibt es wie Sand am
Meer, neu ist jedoch die humoristische
Darstellung eines Couleurstudenten auf
Pilgerreise. Diese ist dem Autor in der vor
kurzem veröffentlichten, zweiten Auflage
seines Buches ausgezeichnet gelungen.
Taschenbuch: 294 Seiten
Verlag: Vindobona (27. Juni 2012)
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couleur 01 | 16
31
ad fundum
EUrban Art –
Die Kunstprojekte am PT16
Der Mensch lebt nicht nur von Luft alleine!
Wir wollen euch dieses Jahr am Pennälertag fordern!
Wir wollen eure Ideen, Vorstellungen
und Wünsche an Europa. Was soll sich
ändern? Was ist gut? Was würdet ihr
euch wünschen?
Your message to Europe
Der Baum ist ein starkes Symbol für
Europa. Bäume sind der einzige lebende
Organismus, der über seine gesamte
Lebensdauer wächst und gedeiht. Der Europäische Baum wird eines der zentralen
Highlights dieses Pennälerta-ges sein. Ein
Treffpunkt um sich auszutauschen, künstlerisch aktiv zu sein und sich auf einer sehr
niederschwelligen Ebene Gedanken über
seine Wünsche und Träume über das
Europa von morgen zu machen.
Kreative Freiheit, eigene Herkunft und
Veränderung, Wurzeln und Perspektiven,
Träume und Gedanken, die vielleicht
derzeitige Grenzen überschreiten und
Themen, die junge Menschen betreffen,
sollen bei diesem Kunstprojekt im
Zentrum stehen und auch plastisch entstehen.
Before I die …
„Before I die …“ ist ein Projekt, initiiert
von der amerikanischen Künstlerin
Candy Chang aus New Orleans, dass vernachlässigte Räume in konstruktive Kunst
transformiert, wo man die Träume und
Hoffnungen der Menschen in seiner
Umgebung erfahren kann.
Am Hauptplatz wird eine zwölf Meter
lange Wand – als Referenz an die zwölf
Gründungsstaaten der Vorgängerorganisation der EU – im Rahmen des Pennälertages errichtet, um somit Platz für hunderte Wünsche vorbeigehender Besucher,
Tagungsteilnehmer, Touristen und Badener Platz zu bieten.
Das gleiche Kunstprojekt wurde bereits
in zahlreichen Städten rund um die Welt
umgesetzt, unter anderem auch in New
York, San Francisco, Beirut und Amsterdam.
Auf ihrer Homepage candychang.com
kann man mehr über die Künstlerin, ihre
Projekte und ihre Biografie erfahren.
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