Radiogottesdienst am 8. Mai 2016 Ludgeri-Kirche in Norden Predigt von Pastorin Traute Meyer Liebe Gemeinde! Zwei sind unterwegs. Sie gehen gemeinsam den Weg von Jerusalem nach Emmaus. Pilger sind sie nicht. Aber bei ihrer Wanderung durch die Einsamkeit geschieht genau das, was viele beim Pilgern erleben. Der eigene Blick geht nach innen, wandert durch die eigenen Tage. Und mit einem Mal spricht man über die entscheidenden Fragen des Lebens. Auf ihrem Weg reden sie miteinander, sind im Gespräch vertieft über das, was sie in Jerusalem erlebt haben. Sie werden mit hängenden Schultern gegangen sein und mit gebeugten Köpfen - ein Ausdruck ihrer enttäuschten Hoffnungen. Sie gehörten nicht zu den engsten Freunden von Jesus, aber seine Ausstrahlung war groß und sie fühlten sich von ihm angesprochen, angezogen. Die Menschen, die mit Jesus gesprochen hatten, die von ihm berührt wurden, hat-ten sich verändert - ihr ganzes Leben hatte sich verändert. Er hat ihnen die Augen geöffnet; hat ihnen neue Anfänge ermöglicht. Nicht alle wurden in seiner Nähe positiv verändert. Manche brausten auf, weil er alles durcheinander brachte und die gewohnten Ordnungen in Frage stellte. Das mag dem einen oder der anderen beim Pilgern so ergehen, dass sie ihren Alltag mit den eingefahrenen Abläufen hinterfragen. Es eröffnet sich ein neuer Blick auf den Alltagstrott und vielleicht ändert sich etwas und die Tage werden bewusster wahrgenommen. Kleopas und sein Weggefährte hatten große Hoffnungen an Jesus geknüpft. Und Jerusalem war der Ort dieser Hoffnung. Hier in diesem Zentrum - dem Herz des Judentums, mit dem Tempel, dem pulsierenden Leben auf den Straßen und unter den Arkaden, besetzt von einer fremdem Macht, die das Land ausquetschte - ausgerechnet in Jerusalem sollte das Friedensreich beginnen. Und an einem Freitagnachmittag hatte sich mit einem Mal ihre Hoffnung mit einem Mal zerschlagen. Die Soldaten nagelten sie ans Kreuz. Totale Niederlage. Zeit aufzubrechen, einen neuen Weg einschlagen. Orte der Hoffnung: es sind ganz unterschiedliche Orte. Für manche ist es unsere Kirche. Sie wird als Ort erlebt, wo sie Gottes Zuspruch und Gottes Nähe spüren. Für andere ist es die Natur, in der sie sich selbst als Teil von Gottes Schöpfung wahrnehmen. Gerade beim Pilgern ist das so. Viele erleben das. Auf dem Jakobsweg durch Spanien oder auf dem Ostfriesland Pilgerweg von der Klosterstätte Ihlow nach Norden. Für die beiden „Emmaus-Pilger“ aber waren nun alle Hoffnungen mit dem Tod Jesu zunichte. Die Hoffnung, dass die Macht der römischen Besatzer gebrochen würde; dass Gottes Gerechtigkeit mehr Raum einnehmen würde. Die Hoffnungen für ihr persönliches Leben, dass das Bedrückende und Bedrängende von ihnen genommen würde; dass sich das Leben zum Guten, zum Besseren wandeln würde. Und dann passiert etwas, wie es immer wieder beim Pilgern geschieht. Ein Fremder nähert sich ihnen. Und der gibt ihrem Nachdenken und Nachsinnen eine neue Richtung. Erst im Nachhinein werden sie bemerken, dass es Jesus selbst gewesen ist. Der Fremde fragt danach, was sie miteinander reden. Und sie sind verwundert, dass er anscheinend nichts von den Ereignissen in Jerusalem mitbekommen hat, wo doch alle Welt davon redet. Aber sie erzählen ihm von dem Wirken Jesu, von seiner Verhaftung und Verurteilung, von derer Kreuzigung, und auch von den Hoffnungen, die sie hatten und die nun zunichte sind. Evangelische Kirche im NDR – www.ndr.de/kirche 2 Wer über das spricht, was ihn bedrückt und belastet, erfährt die befreiende Wirkung. Es tut gut. Was ausgesprochen wird, ist nicht mehr so übermächtig. Etwas auszusprechen hilft, Gedanken und auch Gefühle zu ordnen. Vielleicht ist das beim Unterwegssein einfacher? Vielleicht auch, einem vermeintlich Fremden das Herz auszuschütten. Die beiden erzählen auch von dem Erschrecken, den die drei Frauen auslösten. Sie waren beim Grab gewesen und hatten den Leib von Jesus nicht gefunden, aber Engel seien ihnen erschienen, die sagten, dass Jesus lebe. Aber wirklich glauben können sie es nicht. Improvisation an der Orgel (Thiemo Janssen) Drei sind unterwegs. Es tut den beiden gut, dass der Fremde zuhört. Aber dann ergreift er das Wort. Und was er sagt, schenkt ihnen einen neuen Blick auf ihr Leben und ihre Hoffnung. „Sind eure Herzen so befangen? Könnt ihr nicht mehr glauben, was die Propheten geredet haben? Es wird doch erfüllt werden.“ Er deutet ihnen das Schicksal des Menschensohnes anhand der Propheten. Der Prophet Jesaja hat gesagt: Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünden willen zerschlagen. Mit seinem Sterben hat der Menschensohn noch einmal getan, was er vorher tat: Er blieb ganz bei den Menschen. Mit ihnen er sich verbunden hatte, sogar für den Weg des Sterbens. Er hat mit seinem Tod nicht verloren; er ist seinen Weg zu Ende gegangen. Und Gott wird ihn bewahren: „Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben.“ Die beiden, die auf dem Weg nach Emmaus waren, hören Worte, die aufrichten und Mut machen. Reden und Zuhören auf einem gemeinsamen Weg - das gehört auch zum Pilgern. Mit einander gehen, Schritt für Schritt, und sich austauschen über den Glauben - über Gott und Jesus Christus - und darüber, welche Bedeutung der Glaube für mein Leben hat. Es ist Abend geworden, als sie in Emmaus ankommen. Es war ein langer Weg. Mit brennenden Füßen, tiefen Gesprächen über Gott und die Welt, das eigene Leben. Sie haben ihrem Kummer in Worte fassen können. Und sie haben zuhört. Sie haben Worte des Trostes gehört, die der Fremde für sie hatte. Am Ende laden sie den Fremden ein, zu bleiben. Vermutlich haben Sie ihn sympathisch gefunden. Ihr Weg scheint ans Ziel gelangt zu sein. Und dann - am Ende dieses Tages - am Ende dieses Weges sitzen sie gemein-sam am Tisch (wie in einer Pilgerherberge). Eigentlich hat der Gastgeber die Aufgabe, zu Beginn der Mahlzeit das Brot zu brechen. Jesus nimmt das an sich. Und auf die Art und Weise wie ihr Gast das Brot bricht, erkennen sie Jesus, den der gestorben und auferstanden ist. In diesem Erlebnis begegnet ihnen der Auferstandene. Wo begegnet uns der Auferstandene auf unserem Lebensweg? Eine Pointe dieser PilgerGeschichte aus dem Neuen Testament könnte so lauten: Du musst dich aufmachen, lösen, Altes zurücklassen. Wer sich so auf den Weg - mit den Füßen und/ oder in Gedanken - der öffnet sich für eine unbekannte Begegnung mit Gott. Ich denke, immer da, wo neue Anfänge gemacht werden können. Wenn Gespräche nach langem Schweigen wieder möglich sind; wenn jemand sich Zeit für uns nimmt und wir auf diese Weise Zuwendung erfahren; wenn uns tröstliche Worte uns wieder Zuversicht geben. Neue Hoffnung weckt auch neue Erwartungen. Kleopas und sein Gefährte machen sich wieder auf den Weg zurück nach Jerusalem. Dort ist doch ein Ort der Hoffnung. Und sie wissen, sie sind auf ihrem Weg nicht allein. Neue Hoffnung weist auf neue Wege, denn Jesus wirkt weiter. Wir sind eingeladen zur Hoffnung - wir können und dürfen uns auf den Weg machen und die Augen offen halten, wo wir dem Auferstandenen begegnen. Amen. Evangelische Kirche im NDR – www.ndr.de/kirche
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