brüder, Liebe Freundinnen und Freunde von Beit Emmaus!

Liebe Mitschwestern und -brüder,
Liebe Freundinnen und Freunde von Beit Emmaus!
„Es knospt unter den Blättern, das nennen sie Herbst.“
Es sind heiße Novembertage, an denen es eigentlich
regnen sollte – ich mache meinen täglichen Spaziergang
in unserem Garten: die Obstbäume sind leer und die
Blätter liegen am Boden. „… das nennen sie Herbst“,
sagt Hilde Domin und sie meint damit einen unter den
Blättern verborgenen Vorgang, in dem sie den Frühling
erkennt – das Leben – winzig und leicht zu übersehen.
„Es knospt unter den Blättern…“ – Mein Vertrauen in
Gott, den Geber allen Lebens, lässt mich das in meiner
Arbeit in Palästina spüren und daran glauben. Vor mir sehe ich das Altenund Pflegeheim und die Pflegeschule. Sie können sich nur entfalten, weil wir
vertrauen, dass „Gott sieht, was wir noch nicht sehen“. Mein weiterer Blick
auf das judäische Hügelland zeigt mir, wie Mauern und Siedlungen das Land
zerteilen. Vordergründig gibt es in dieser Region kein Vertrauen. Oder doch?
Ich kenne Menschen in Israel und Palästina, die es vorleben und sich dafür
einsetzen. „Es knospt unter den Blättern…“ Oder um es mit den adventlichen
Texten zu sagen: „Seht her, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es
zum Vorschein, merkt ihr es nicht?“ (Jes 43,19ff.)
Vertrauen ist das Thema dieser Emmaus-Wege. Warten und Vertrauen sind
adventliche Haltungen. Menschen aus unserer Hausgemeinschaft erzählen
davon: vom rauen Herbst des Alltags in diesem Land, aber auch vom Vertrauen, das ihr Leben und das Leben anderer verändert.
Wir als Hausgemeinschaft schauen wieder auf ein Jahr, in dem Gott sich als
mächtig und lebenserhaltend erwiesen hat. Er hat es auch durch Sie und euch
getan – Danke dafür! In diesem Vertrauen lassen wir uns das Neue Jahr von
Gott schenken.
Für das Weihnachtsfest wünsche ich uns das Vertrauen in den menschgewordenen Gott, der uns so unscheinbar und leicht übersehbar entgegen kommt.
Sr. Hildegard Enzenhofer SDS
Leiterin von Beit Emmaus
Aus dem Familienalbum
Inhaltsverzeichnis
Vertrauen ist ein Geschenk
4
Harmlos ist das nicht…
7
Von der täglichen Vertrauensfrage
10
Was ist neu in der Pflege?
15
Wirf dich in die Arme Gottes
22
Emmaus-Chronik
24
Auf welchen Wegen ich auch gehe…
30
Kontakt/Impressum
32
Vertrauen ist ein Geschenk
V ertrauen, Zutrauen, Gottvertrau-
en, Misstrauen, fehlendes Vertrauen, blindes Vertrauen, enttäuschtes
Vertrauen, spontanes Vertrauen,
Selbstvertrauen – die unterschiedlichsten Formen des Vertrauens
spielen im menschlichen Leben
eine Rolle. Das Leben basiert auf
Vertrauen und wird immer wieder
durch enttäuschtes Vertrauen oder
durch zu viel Misstrauen erschüttert.
Oft trauen wir anderen Menschen
etwas zu, was sie sich selbst nie
zugetraut hätten, und können sie
dadurch stärken oder ermuntern. In
Partnerschaften und Freundschaften
ist ein gesundes Vertrauen immens
wichtig; trotzdem hört man immer
wieder „Vertrauen ist gut, Kontrolle
ist besser“. Doch eben diese Einstellung ist es, die dazu führt, dass
menschliche Beziehungen in die
Brüche gehen. Vertrauen verzichtet
auf Kontrolle und gewinnt eben dadurch ihren hohen Wert, aber auch
ihre ebenso hohe Verletzbarkeit.
Doch wie erlangt man Vertrauen?
Kann man es bauen, sich angewöhnen, fordern? Vertrauen ist kein
aktiver Vorgang, es beruht vielmehr
auf Erfahrung und Intuition. Ob ich
einem Menschen vertraue, liegt
meistens daran, ob er mir sympathisch ist, und daran, welche Erfah-
4
rungen ich mit ihm gemacht habe.
Vertrauen wächst oft langsam und
lässt sich umso schneller wieder
zerstören. Häufig kommt es auch
vor, dass man Menschen Vertrauen schenkt, ohne dass sie es sich
„erarbeitet“ haben, ohne dass man
viele gute Erfahrungen mit ihnen
teilt. Es ist mehr wie eine Intuition,
die sagt: „Diesem Menschen kannst
du vertrauen.“ Und: Vertrauen ist
ein Geschenk, mit dem man sehr
vorsichtig umzugehen hat. Es ist
kostbar, vergänglich und manchmal
nicht erneuerbar.
Das Vertrauen, das andere Menschen in uns setzen, erweitert unsere Möglichkeiten oder Fähigkeiten.
Oft setzt unser (Gott-)Vertrauen dort
ein, wo unser Selbstvertrauen längst
aufgehört hat. Erleben kann man
dies in außergewöhnlichen Herausforderungen, Situationen, die
uns im Alltag selten begegnen oder
von denen wir vorher nicht gedacht
hätten, dass wir sie bewältigen können. Eine solche Herausforderung
ist die Arbeit mit Menschen, die
sich auf irgendeine Weise von uns
unterscheiden. Weil sie krank oder
alt sind, weil sie an Behinderungen
leiden und besonderer Pflege bedürfen, weil sie traumatisiert oder
verängstigt sind.
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Hebräer 11,1 bezeichnet den Glauben als die „feste Zuversicht auf das,
was man hofft und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht“.
Ähnlich verhält es sich mit dem
Vertrauen. Vertrauen heißt, sich
einer Sache sicher zu sein, ohne
ihren Ausgang zu kennen. „Blindes Vertrauen“ wird oft negativ als
Dummheit oder Verklärtheit bewertet. Doch eigentlich beschreibt es
lediglich eine Facette des Vertrauens: Es ist blind im besten Sinne. Es
kontrolliert nicht und fordert keine
Beweise. Ganz im Gegenteil: Beweise entwerten Vertrauen. Ebenso
wie der Glaube nicht aus Zeichen
und Beweisen, sondern aus sich
selbst besteht, braucht Vertrauen
keine weitere Evidenz. Vertrauen
steht in einer wechselseitigen Beziehung zum Glauben. Ich kann nur
auf etwas vertrauen, woran ich auch
glaube. Genauso gewinnt mein
Glaube aber an Wert durch das
Vertrauen, das er mir ermöglicht.
Es gibt viele wunderbare Texte
über das Vertrauen der Menschen
auf etwas oder auf jemanden wie
folgendes Lied, das vor allem auf
Beerdigungen oft gesungen wird:
So nimm denn meine Hände und
führe mich, bis an mein selig Ende
und ewiglich. Ich mag allein nicht
gehen, nicht einen Schritt: Wo du
wirst geh’n und stehen, da nimm
mich mit.
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Man mag nun einwenden, es werde doch in jeder Sonntagspredigt
gesagt, dass man auf Gott vertrauen
und allein auf ihn setzen solle. Das
Lied sage doch nichts Neues! Etwas
grundlegend Neues ist es tatsächlich
nicht, dass man im Letzten allein auf
Gott vertrauen soll. Aber vielleicht
müssen wir es uns deswegen immer
wieder neu sagen, weil wir schnell
vergessen oder gar nicht begriffen
haben, was das bedeutet, auf Gott
zu vertrauen!
Ich denke, das kann man in seiner
Ganzheit nur begreifen, wenn man
zwei Dinge festhält: zum einen die
Wichtigkeit, ein fühlender Mensch
zu sein. Ein Mensch, der neben
dem notwendigen „kühlen Kopf“
sich auch die Fähigkeit bewahrt
hat, Gefühle zu empfinden, der
in aller Radikalität erleben kann,
wie widersprüchlich und zutiefst
verwirrend Gefühle sein können.
Und zum anderen, mit Mut seiner
Ängste Herr zu werden und aus
der Enge und der Fantasielosigkeit
in die Buntheit, Verrücktheit und
Widersprüchlichkeit des Lebens
selbst einzutreten.
Ich denke, die schlichte Schönheit
des Liedtextes rührt von ihrer Beschreibung eines ungebrochenen
und tiefen Gottvertrauens her, das
insbesondere im Motiv der Handergreifung seinen Ausdruck findet.
Auch die Heilige Schrift kennt dieses Bild; wir finden es im Psalm 73:
5
Und ich bin immer bei Dir; Du hast
mich genommen an meiner rechten
Hand. Nach deinem Rat wirst Du
mich führen; und hernach wirst auf
Ehre hin Du mich aufnehmen. Wer
ist für mich im Himmel? Mit Dir will
ich nichts auf der Erde. Mein Fleisch
und mein Herz werden vergehen;
der Fels meines Herzens und mein
Erbteil ist Gott für die Ewigkeit.
Insbesondere anhand des letzten
Verses wird bewusst, dass Vertrauen
vor allem im Angesicht des Todes
hilfreich ist. Wir alle haben Angst
vor dem Sterben unserer Lieben
wie auch vor unserem eigenen Tod.
Vertrauen mag uns dabei helfen, die
Angst zwar nicht zu besiegen, wohl
aber in ihr zu bestehen. Ein Beispiel
dafür ist folgende Begebenheit von
Alice, einer Patientin in Emmaus:
An manchen Tagen wollte sie nicht
ihr Nachthemd anziehen, sondern
ihr schönes Kleid, welches sie den
ganzen Tag getragen hatte, anbehalten. Sie war sich an solchen Tagen
immer sicher, dass sie in der Nacht
sterben würde. Wenn sie sterbe und
zum Herrn komme, dann müsse sie
doch schön gewandet vor ihn treten,
so ihr Argument. Ob Alice Angst vor
dem Tod hat, weiß ich nicht. Jedenfalls hatte sie ein tiefes Vertrauen
darauf, dass sie im Tod nicht ins
Nichts fallen, sondern von Gott an
der Hand genommen würde. Auch
unabhängig von der Konfrontation
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mit dem Tod lehrte mich die Zeit in
Emmaus, wie wichtig Vertrauen ist:
Viele Fragen taten sich zu Beginn
des Volontariats auf: Wirst Du für
die Patientinnen da sein und ihnen
das nötige Maß an Aufmerksamkeit und Wärme zukommen lassen
können? Besonders drängend natürlich die Frage, wie man mit den
schlimmen Schicksalen einzelner
Patientinnen umgeht. In diesen
Momenten des Zweifelns war das
Vertrauen, das mir von den Menschen vor Ort entgegengebracht
wurde, ebenso hilfreich wie mein
eigenes Gottvertrauen.
Vertrauen kann also nicht kreiert
oder erarbeitet werden. Es kann nur
von anderen Menschen oder von
Gott geschenkt werden.
– Milena Hasselmann (Marburg)
und Dominik Kern (Tübingen)
ehemaliger Volontär in Beit Emmaus;
beide verbrachten ein Jahr ihres
Theologiestudiums in Jerusalem
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Harmlos ist das nicht…
I n der Abflughalle an den Gates
im Flughafen Ben Gurion ist es
kühl – um nicht zu sagen kalt. Der
Flieger hätte schon vor einer halben
Stunde starten sollen. Sehnsüchtig
geht der Blick nach draußen, in den
vor Hitze flirrenden Augusthimmel.
Ich bereue, dass ich meine Jacke in
den Koffer gesteckt habe, der jetzt,
vielleicht, schon im Frachtraum des
Flugzeugs liegt. Da steht es, vor unseren Augen, auf der anderen Seite
der großen Glaswand, die uns hier
drinnen vom heißen, hitzigen Leben
draußen trennt. „Nicht-Orte“ hat
ein französischer Ethnologe diese
merkwürdigen Aufenthaltsbereiche
einmal genannt, in denen man nicht
mehr hier und noch nicht dort ist.
In denen man im Grunde genommen nicht mehr man selbst ist,
herausgenommen aus dem Alltag,
ausgesetzt, ausharrend, während
andere geschäftig ihren Tätigkeiten
nachgehen. Eine weitere Viertelstunde vergeht. Der Flieger steht
stumm, geduldig, wie es scheint,
umschwirrt von zahlreichen Flughafenbediensteten, die sich an ihm
zu schaffen machen. Keiner will
den Gedanken wahrhaben, aber er
drängt sich auf, eine leise bohrende
Frage: Ist alles in Ordnung da draußen? Nur cool bleiben, du bist ja
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
schon so oft geflogen, es ist Routine,
Fliegen ist sicherer als Autofahren.
Jedenfalls sicherer als Autofahren
in Israel. Hattest du je Bedenken,
ins Auto zu steigen? Nein. Warum
also auf diesen flüsternden Gedanken hören, der deine Gelassenheit
untergräbt? Es ist alles Routine. Jeder
weiß, was er zu tun hat, und alles
hat seinen Grund. Nur ich, ich habe
jetzt nichts zu tun. Meine Routine
ist unterbrochen. Gestern noch saß
ich am Schreibtisch, jetzt sitze ich
in der Abflughalle und werde gleich,
oder in einer weiteren Viertelstunde, über den Steg gehen, der mich
in den Bauch dieses großen Vogels
führt. Und der Boden unter meinen
Füßen wird nur eine dünne Metallwand sein, und darunter Raum,
leerer Raum, und kein Boden unter
meinen Füßen, dreieinhalb Stunden
lang. Wie schon so oft. Und doch
ist es immer wieder neu, und ein
Wagnis: den Boden unter den Füßen aufzugeben und sich tragen zu
lassen. Einmal, es war beim Anflug
auf Tel Aviv, der Himmel klar, eine
Vollmondnacht. Der Pilot flog eine
steile Schleife, das Flugzeug neigte
sich. Ich schaute aus dem Fenster
und sah – nicht die nächtliche Stadt
mit ihren Perlenschnüren aus Licht,
sondern den Mond, voll und mäch7
tig unter mir stehen. Die Neigung
des Flugzeugs hatte mir diese ungewöhnliche Perspektive ermöglicht.
Einen Moment lang stockte mir der
Atem: ein kosmischer Anblick. Ein
Glücksgefühl durchströmte mich,
und mitten darin der Gedanke: Aber
du trägst mich doch, Gott, in dieser
Weite, nicht wahr?
Vertrauen, das ist ein Allerweltswort
geworden. Das Wort „Vertrauen“
prangt auf spirituellen Kleinschriften, gerahmt von Blümchen und
Sonnenuntergängen, verniedlicht,
verharmlost. Aber Vertrauen ist
nicht harmlos. Es ist ebenso wenig
harmlos, wie das Leben selbst harmlos ist. Es ist der Ernstfall des Lebens,
und man muss nicht erst ins Flugzeug steigen, um zu erfahren, was
es heißt zu vertrauen. Man muss
sich etwas trauen. Wenn unsere
Eltern sich nicht „getraut“ hätten,
wir wären nicht da. Und wer sich
auf den Nahen Osten einlässt, kann
dies gar nicht, ohne zu vertrauen.
Wer sich um Menschen jenseits
der security barrier kümmert, muss
daran glauben, dass sein Tun einen
Grund und ein Ziel hat und nicht
ins Leere fällt.
Vertrauen ist ein anderes Wort für
Glauben. Und auch Glauben ist
nicht harmlos. Glaubst du an eine
Lösung des Nahostkonflikts, werde
ich oft gefragt. Ich weiß es nicht.
Ich sehe nur, dass hier Vertrauen
zerbrochen ist. Nicht erst seit dem
Scheitern des Friedensprozesses. Es
sind jahrzehntealte, teilweise jahrhundertealte Vertrauensbrüche, die
hüben wie drüben Ängste schüren.
Die Betonmauer und der Stacheldraht: Sie stehen sinnbildlich für das Vertrauen zwischen Israelis
und Palästinensern, das bereits seit Jahrzehnten zerbrochen ist.
8
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Die Angst, das eigene Land, die eigene Sicherheit, zuletzt wohl auch:
das eigene Gesicht zu verlieren.
Der Streit um das Land der Bibel ist
freilich vielschichtig und kaum noch
zu durchschauen. Vertrauen ist kein
politisches Instrument.
Der Entzug des Vertrauens aber
scheint mir an der Wurzel dessen zu
liegen, was die biblische Tradition
Sünde nennt. Eindrücklich ist mir
die Interpretation der sogenannten
Sündenfallgeschichte durch einen
geistlichen Meister und Bibelkenner
in Erinnerung geblieben: In der Mitte des Gartens steht der Baum, und
die Frau weiß, dass man nicht daran
rühren darf. Andernfalls muss man
sterben. „Nein, ihr werdet nicht sterben“, sagt die Schlange, „Gott weiß
vielmehr: Sobald ihr davon esst,
gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und
Böse.“ (Gen 3,4.5) Und da keimt
in der Frau ein Verdacht auf: Hat
Gott uns etwas vorenthalten? Gönnt
er uns vielleicht doch nicht alles?
Fehlt etwas zu unserem Glück? Das
Entscheidende gar? Sogleich steht
im Raum das Misstrauen. Es ist ein
grundlegendes Misstrauen, denn es
ist das Misstrauen Gott gegenüber.
Nicht eine böse Tat, sondern ein
Riss im Vertrauen stünde dieser
Interpretation zufolge am Ursprung
aller menschlichen Verwerfungen.
Der Riss ist nicht aus der Welt
zu schaffen. Er gehört zu unserer
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Erfahrung. Wir können uns das
Leben und alles, was dazugehört,
nicht nehmen, wir müssen es uns
schenken lassen. Nichts ist selbstverständlich. Am allerwenigsten
im „Heiligen“ Land. Dennoch,
oder gerade deswegen, beginnen
Morgen für Morgen Schwestern,
Pflegerinnen und Volontärinnen in
Beit Emmaus ihr Tagewerk, und die
habibtis zweifeln nicht eine Sekunde lang daran, dass ihr Frühstück
pünktlich auf dem Tisch stehen
und dass sich immer jemand ihrer
großen und kleinen Nöte annehmen
wird. Täglich werden unzählige
Brücken über den Riss geschlagen,
der sich nicht nur durch den Nahen
Osten, sondern seit Gen 3 durch
die ganze Welt zieht. Eine Lösung
des Nahostkonflikts sehe ich nicht.
Aber ich sehe Menschen, auf die
man sich verlassen kann. Die nicht
erst handeln, wenn sie eine Lösung
sehen, sondern die das heute Gebotene tun. Nicht mehr und nicht
weniger. Sie handeln, weil ihnen
das Leben, so bruchstückhaft es
auch sein mag, dennoch vertrauenswürdig erscheint. Solange es solche
Menschen gibt, darf man über das
Vertrauen schreiben. Harmlos ist
das nicht. Vielmehr atemberaubend
und schön wie eine nächtliche Begegnung mit dem Mond am Himmel
über dem Heiligen Land.
– Dr. Andrea Pichlmeier (Passau)
9
Von der täglichen Vertrauensfrage
O b es die Fahrt in einem palästi-
nensischen Sherut (Sammeltaxi) ist,
die Begegnung mit Soldaten am
Checkpoint oder die Arbeit in der
Pflege: Es gibt viele Situationen im
Alltag unserer Zivis, Volontärinnen
und Krankenpflegeschüler, die ihnen ein großes Maß an Vertrauen
abfordern: Vertrauen darauf, dass
sie sicher am Ziel ihrer Fahrt ankommen, Vertrauen, dass sie den ihnen
anvertrauten Frauen das nötige
Maß an Pflege und Aufmerksamkeit
zukommen lassen – letztlich auch
Vertrauen auf Gott, dass ER ihnen
ihren Weg weist. Über diesen Alltag, der oft so anders ist, als man
es gewohnt ist, und die Frage nach
dem Vertrauen haben sich unsere
Volos ihre Gedanken gemacht.
Lisa Andrea: Seid ihr gut aus Tabgha
zurückgekommen?
Steffi: Ja, es ging alles ohne Probleme: Erst von Tabgha nach Jerusalem
und dann über Ramallah nach Emmaus. Nicht mal am Checkpoint gab
es Probleme.
Daniel: Die Sherutfahrten zwischen
Ramallah und Emmaus sind echt
super! Am besten ist der Tunnel
unter der Siedlerstraße hindurch.
Dort treten die Fahrer immer richtig
10
Lisa Kirchgäßner (Sulzbach am Main/Bayern)
aufs Gas. Eine solche Fahrt fordert
wirklich eine Menge Vertrauen.
Lisa: Da hast du Recht. Aber eigentlich habe ich mich daran schon
gewöhnt. Ich meine, inzwischen
schnallen wir uns ja eh nur noch an,
wenn wir mit den Schwestern oder
mit einem Pater im Auto mitfahren.
Daniel: Eigentlich schnalle ich mich
immer nur für den Checkpoint an.
Florian: Und der Checkpoint ist ja
sowie so eine Sache für sich. Entweder du bleibst als einziger im Bus sitzen und musst mit einem Soldaten
reden, dessen Maschinengewehr dir
vor der Nase baumelt…
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Frederik: Vertrau einfach darauf,
dass das Gewehr gesichert ist!
Florian: Genau. Oder du steigst wie
alle anderen aus und gehst mit den
Palästinensern durch diesen Gittergang. Da kommst du dir dann vor
wie die Tiere, die zum Schlachter
geführt werden. Und natürlich
weißt du nicht, was die Soldaten
dann alles wissen wollen, bevor sie
dich durchlassen. Meistens musst
du ja nur dein Visum zeigen und
kannst gehen. Aber manchmal wollen sie ja auch genau wissen, wo
du herkommst, wo du hinwillst…
Tamara: Nehmt ihr eigentlich immer den Bus oder seid ihr auch mal
getrampt?
Galina: Ja, trampen mussten wir
auch hin und wieder.
Stefanie Robertz (Neuss)
Steffi: Ich habe mich dabei schon
manchmal echt unwohl gefühlt.
Ich meine, man weiß ja nie, was für
eine Person das ist, zu der man gerade ins Auto steigt. Woher soll man
wissen, ob derjenige einen wirklich
dorthin mitnimmt, wo man hinwill?
Tamara: Wir sind auch öfters getrampt. Und das ist schon ein Abenteuer für sich. Eigentlich fahre ich
lieber Bus.
Daniel Häger (Jena)
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Lisa: Aber wisst ihr, was mir da einfällt? Die Sicherheitsleute, die immer vor den Geschäften und Cafés
stehen. Also am Anfang waren mir
die immer ein wenig unheimlich.
Aber inzwischen habe ich mich an
sie gewöhnt. Und irgendwie vertraut man ihnen ja auch und fühlt
sich ein Stück weit sicherer vor
einem Anschlag…
11
Lisa: Dass ich auf Gott vertrauen
kann, weiß ich auch. Aber ob
er alleine mein Selbstvertrauen
aufbauen kann, bin ich mir nicht
ganz sicher. Denn Mut braucht
man hier ja auch. Und Rückgrat.
Gestern habe ich einer Patientin
erklärt, dass ich keine ausgebildete
Krankenpflegerin bin, noch nicht
einmal Altenpflegerin – sondern
einfach nur Volontärin. Sie wollte
mir erst gar nicht glauben, dass ich
es ohne Ausbildung schaffe, sie zu
waschen. Aber es hat dann doch
alles geklappt.
Lisa Wilms (Berlin)
Florian: Pass auf: Am Ende wirst du
diese Kontrollen noch vermissen,
wenn du wieder daheim bist…
Lisa: Wobei es ja überhaupt für uns
alle ein großer Schritt war, nach
Emmaus zu kommen: Familie und
Freunde zu verlassen, eigentlich all
die Menschen, denen man vertraut;
in ein fremdes Land zu gehen,
dessen Menschen und Kultur man
nicht kennt – mal ganz abgesehen
von den Gefahren, die es hier gibt…
Tamara: Also ich schaffe das nur mit
Gottvertrauen. Das ist für mich ein
ganz wichtiger Bestandteil meines
Lebens – nicht nur hier in Emmaus.
Dieses Vertrauen hilft mir, mich
neuen Anforderungen gewachsen
zu fühlen und mein Selbstvertrauen zu bewahren. ER steht in jeder
Lebenssituation zu mir.
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Galina: Ja, etwas zuzugeben erfordert Mut. Wenn man sich jemandem anvertrauen will, muss man
dieser Person voll und ganz vertrauen können. Denn es soll ja nicht
gleich alles weitererzählt werden…
Florian Bittlmayer (Hitzhofen/Bayern)
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Tamara: Natürlich
kann man zu einem
Priester gehen, denn
der unterliegt ja der
Schweigepflicht. Aber
es ist auch immer
gut, hier einen guten Freund zu haben,
um über bestimmte
Ereignisse und Situationen zu sprechen.
Und auch der Kontakt
nach Hause ist mir
sehr wichtig.
Jenny: Ja, es ist wich- Jennifer Röll (Kaarst) und Galina Konstantinova (Düsseldorf)
tig, füreinander da zu
im Garten haben. Andererseits ist
sein, sich Unterstützung und Zues auch nicht einfach, Steine nach
spruch zu geben und den anderen
einem Lebewesen zu werfen…
aufzumuntern, wenn er traurig ist
oder von Zweifeln geplagt wird.
Daniel: Aber glücklicherweise ist
Frederik: An sich baut jede zwi- das ja nur ein kleiner Teil unserer
schenmenschliche Beziehung auf Arbeit. Hauptsächlich kümmern wir
Vertrauen auf. Denn bevor man uns ja um die Mauern, die Zisternen
sich jemandem öffnet, muss man ja und all das, was hier so an Reparawissen, woran man bei ihm ist, ob turarbeiten anfällt. Und natürlich
um den Wald und den Garten.
man ihm vertrauen kann…
Letzte Woche haben wir erst die
Lisa Andrea: Es ist wichtig, sich so ganzen kleinen Bäume gewässert,
geben zu können, wie man ist, und damit sie nicht eingehen, bevor der
sich nicht verstellen zu müssen.
Regen kommt.
Lisa: Manchmal ist es auch schwie- Lisa: Da wird einem erst richtig
rig, zu tun, was von dir erwartet wird. bewusst, wie kostbar Wasser eigentFlorian: Das ging mir neulich bei
der Arbeit so, als wir mit Steinen
nach einem Hund werfen mussten,
um ihn zu vertreiben. Einerseits wollen wir ja die wilden Hunde nicht
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
lich ist, mit welcher Vorfreude wir
die ersten Regentropfen im Herbst
erwarten und wie sehr wir darauf
vertrauen, dass der Regen nicht
allzu lange auf sich warten lässt…
13
Frederik: Ja, irgendwie sieht man
hier vieles mit anderen Augen und
merkt, was für ein behütetes Leben wir eigentlich in Deutschland
hatten.
Tamara: Hier in Palästina wirst du
echt mit allem möglichen konfrontiert: Schlangen, Skorpione…
Lisa Andrea: Aber es sind ja nicht
nur diese Dinge, sondern auch die
politische Situation hier im Nahen
Osten: Wenn man sich das von
Deutschland aus anschaut, denkt
man immer, dass es doch eigentlich
möglich sein müsste, hier endlich
Frieden zu schaffen. So schwer kann
das doch nicht sein. Aber wenn
ich dann abends die hell orange
erleuchtete Siedlerstraße sehe, frage
ich mich schon, wie das hier nur
alles weitergehen soll...
Tamara Gropper (Steinhausen/Baden-Württemberg)
14
Frederik Mönkediek (Osnabrück)
Daniel: Mehr als darauf zu vertrauen, dass uns und unseren Freunden
hier nichts passiert, können wir im
Endeffekt auch nicht...
Florian: Ich denke, viele der Dinge, die wir hier erleben, werden
uns prägen und vielleicht auch
ein Stück weit unsere Zukunft bestimmen. Wenn wir hier ein Jahr
in der Gemeinschaft leben wollen,
funktioniert das nur, wenn wir uns
gegenseitig Vertrauen schenken.
Und wenn wir mit den Stärken und
Schwächen der anderen leben. Ich
glaube, wir haben hier wirklich
eine große Chance, uns weiterzuentwickeln.
Lisa: Das stimmt. Und mit dem
Vertrauen ist es letztlich wie mit der
Liebe: Man kann es nicht kaufen.
Man kann es nur schenken.
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Was ist neu in der Pflege?
Nichts ist neu in der Pflege. Es gibt
die verschiedensten Lehrmeinungen, wie man eine habibti vom Bett
in den Rollstuhl und wieder zurück
befördert – allein oder zu zweit,
festhalten an der Schutzhose, am
Gewand, an Beinen und Armen,
übers Knie, oder einfach ein Schulterwurf. In Beit Emmaus werden alle
Techniken toleriert und praktiziert.
Diesbezüglich kann man sagen:
Nichts ist neu in der Pflege. Eigentlich wäre es uns am liebsten, wenn
wir dasselbe auch von der Station
sagen könnten: „Alles ist beim Alten
geblieben.“ Leider müssen wir diese
Aussage auf „Vieles ist beim Alten
geblieben.“ einschränken.
Na’ma (1) ist nicht zu überhören.
Sie ist vom Ehrgeiz getrieben, eine
tragende Rolle im Regime der Station zu übernehmen. Sie versucht,
diese Position durch ihre wirkliche
Hilfsbereitschaft, aber auch durch
ihre Autorität, ihren lautstarken
Führungsanspruch bei den habibtis
zu erlangen und zu festigen.
Warda weiß: Sie kann sich in allen
Dingen, die ihr wichtig sind, auf die
Fürsorge und Kontrolle von Na’ma
verlassen und unbesorgt ihrer Trägheit frönen. Sie ist dankbar für alles,
wodurch sie sich eine Anstrengung
erspart. Sie ist eine der ersten, die
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
bei den täglichen Rundgängen
streikt und sich auf die nächste Bank
setzt und dort sitzen bleibt. Nichts,
nicht einmal Na’ma, kann sie zum
Weitergehen überreden.
Na’ma (2) genießt das Privileg, als
Einzige beim Frühstück zwei Tassen
Kaffee zu bekommen. Stolz und
dankbar schaut sie dir beim Eingießen zu: das rechte Auge von links,
das linke von rechts. Dann kommt
die spannende Frage: Wer wird
bzw. darf mich heute waschen? Es
ist eine Auszeichnung, möglichst
früh „abgeholt“ und ins Badezimmer geführt zu werden. Na’ma weiß
das zu schätzen und gibt sich ganz
sanft und pflegeleicht. An manchen
Tagen kann sie ausgesprochen laut
und aggressiv sein – so sehr, dass
auch die habibtis gefährdet sind.
Nur ihr Teddybär kann sie an diesen
Tagen besänftigen.
Sie geht auf und ab, ist hier und dort,
murmelt vor sich hin, beobachtet
alles, bleibt auf Distanz. Das ist
Salwa. Manchmal ist sie depressiv,
abweisend und aggressiv. Zum
Glück gibt sich dieser Zustand und
wir können beobachten, wie sie der
Küche beim Gemüseputzen hilft.
Wenn irgendwo lautes Gelächter
ertönt, ist es Tamani. Sie versucht,
alle mit ihrem Lachen anzustecken,
15
Eingreifen Gottes („Oh
Herr, bitte hilf ihr mit
meinen Pampers.“) anlegen kann; sie hat eingesehen, dass sie auf ihr
Betthupferl, Acamol,
verzichten kann – auch
ohne diese Wunderpille findet sie Schlaf.
Leider ziert sie sich in
letzter Zeit mit dem
Mundharmonikaspielen im Garten. Kann
sein, dass ihr der Herbst
Malstunde in der Laube: Während Susu sichtlich Spaß hat...
zusetzt.
Stella hat viel erlebt.
Aufmerksamkeit zu erregen. Nicht
immer gelingt ihr das, oft wird sie Jetzt nutzt sie ihre Zeit zum Nachübergangen. Trotzdem: Nichts kann denken. Sie pflegt ihr Alleinsein,
ihre gute Laune verderben; alles was jede Form der Einmischung beihr zustößt, regt sie zum Lachen an. trachtet sie als Sakrileg. „Um Gottes
Dabei strahlt sie einen mit leuchten- Willen – lasst mich in Frieden.“ ist
ihre inständige Bitte. Trotz heftigen
den Augen an.
Das Leben auf der Station ist um Widerstands können wir uns nicht
einiges leichter, seit Bothainas Rein- immer daran halten. Wenn alles vorlichkeitsdrang gedrosselt ist – das bei ist, beruhigt sie sich und wendet
heißt seit sie sich nicht mehr zu sie sich ab und wieder ganz ihren
jeder Tages- und Nachtzeit mit und Gedanken zu.
ohne Gewand unter die Dusche Ghaliyya, die uns immer nach unstellt. Jetzt ist sie willig und fügsam; serer Mittagspause auf dem Weg
beim Spaziergang trottet sie hinter zur Station von ihrem Stammplatz
der Gruppe her, murmelt Unver- vor dem Verandafenster freundlich
ständliches vor sich hin und lächelt zugewunken hat, am liebsten mit
dabei. Es ist unglaublich, wie sie aus ihrer braun-weißen Strickmütze
sich herausgeht, wenn sie uns in der auf dem Kopf, musste ins Spital zu
einer Untersuchung eingeliefert
Laube etwas vortrommelt.
Bei Alice hat sich Einiges geändert: werden. Ihr Zustand ist ernst und
Sie hat gelernt einzusehen, dass es ist nicht sicher, ob und wann sie
man Pampers auch ohne das direkte zurückkommt.
16
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Das Kinderzimmer wird immer das
Kinderzimmer bleiben, obwohl Shafiqa, Susu, Shadiyya, Halima und
Ola längst keine Kinder mehr sind.
Jeden Morgen gibt es eine Auseinandersetzung mit Shafiqa: Pampers
oder nicht Pampers, das ist hier
die Frage. Die Antwort hängt von
Shafiqas Überredungskunst, dem
Vertrauen in ihre Disziplin bzw.
unserer Willensstärke ab. Pampers
hin oder Pampers her, beim Spazierengehen beweist sie ihre Verlässlichkeit und mütterlichen Instinkte.
Immer hat sie eine der habibtis an
der Hand und lässt nicht los, bis das
Ziel erreicht ist – ein Sitzplatz in der
Laube und ein Becher Wasser. Ein
Ärgernis ist ihr großes Repertoire an
Schimpfwörtern, mit denen sie nicht
hinterm Berg hält.
Susus Fähigkeit, ihren Charme so
einzusetzen, dass man ihr schwer
böse sein kann, obwohl sie manchmal unsere Geduld auf eine harte Probe stellt, ist ungebrochen.
Wenn Pilgergruppen die Station
besuchen, ist sie voll und ganz in
ihrem Element. Sie überbietet sich
fast, wenn sie mit ihrer rhythmischtänzerischen Ein-Frau-Show im
Rollstuhl, manchmal mit einer Decke auf den Knien, bei den Gästen
Bewunderung auslöst.
Shadiyya ist schon längst nicht
mehr Susus Tanzpartnerin. Sie
liegt nur mehr apathisch im Bett.
Beim Essen schnalzt sie nach wie
vor zwischen zwei Löffeln ein- bis
zweimal mit der Zunge, manchmal
gibt sie Zischlaute von sich wie in
der guten alten Zeit.
Halimas Wandertrieb hat mit der
Zeit abgenommen, ihre Rastlosigkeit äußert sie durch NonstopKlatschen. An ihrem Beat kann man
erkennen, ob sie sich wohlfühlt oder
nicht. Wenn ihr alles gegen den
Strich geht, öffnet sie ihr zweites
Auge und quietscht dazu. Auch sie
will ernst genommen werden und
ihren Willen durchsetzen.
... beobachten Im Samir, Mahziyya und Rifqa das bunte Treiben lieber aus sicherer Entfernung.
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
17
Bei Ola wissen wir nie, was der Tag
mit ihr bringen wird. Ihr Verhalten
erinnert an das englische Kindergedicht: „Wenn sie brav war, war sie
sehr brav. Aber wenn sie böse war,
war sie schrecklich.“
Diesmal haben sie mit ihrer Drohung Beit Emmaus für immer zu
verlassen ernst gemacht: Im Amina
und Amina (1) sind ausgezogen
mit der festen Überzeugung, dass
die Bedingungen zu Hause ihren
Ansprüchen besser entsprechen.
Mit Trauer haben wir gehört, dass
Amina völlig unerwartet verstorben ist. Allah yarhamha! Im Amina
ist mittlerweile in einem anderen
Altersheim.
Anfang Oktober kamen Clemence
und Rawan zu uns – Mutter und
Tochter. Entgegen der anfänglichen
Fatma genießt die Ruhe in unserem Garten.
18
Hoffnung, sie könnten sich bei uns
einleben, verließen sie uns nach
einer Woche wieder. Ihnen, die die
laute Geräuschkulisse von Ramallah
gewohnt sind, war die Stille von
Emmaus einfach zu viel...
Zwei Wochen später kam Fatma
nach Emmaus. Sie ist sehr ruhig
und liebt unseren Garten. So denken wir, dass sie uns nicht so bald
verlassen wird.
Wenn wir in mezzoforte ansteigend
bis fortissimo den Ruf „Habibtiii!“
hören, wissen wir, dass Amina (2)
etwas braucht, etwas sofort braucht.
In der Früh kann sie es nicht erwarten, „nach Pakistan“ geführt zu
werden, während die anderen in
den Garten (= bustan) müssen.
Seit ihrem Spitalsaufenthalt hat sich
Linda ihre eigene Welt aufgebaut.
Sie ist sehr mitteilsam und würde
uns gerne mit einbeziehen. Sie ist
dann enttäuscht, dass nur selten jemand Zeit hat ihr zuzuhören – nicht
nur aus Zeitmangel, sondern auch
weil ihre Erzählungen für NichtEingeweihte unverständlich sind.
Jamila hat sich die Entscheidung
nicht leicht gemacht, ob sie sich
weiterhin der liebevollen Pflege à
la Emmaus überlassen oder doch
den Schritt ins Unbekannte, das
ewige Leben, wagen soll. Wahrscheinlich haben ihr Müdigkeit und
der Wunsch nach Veränderung die
Entscheidung abgenommen und ihr
den Abschied von uns erleichtert.
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Klein, unhörbar und wachsam, das
war Najiwa. Sie war eine große
Hilfe für die Nachtwache. Ganz
leise ist sie aus dem Bett gestiegen,
hat geprüft, ob alle Lichtschalter
funktionieren, sich sorgfältig die für
diesen Zeitpunkt passende Toilette
ausgesucht, in der man sie dann
finden musste. Es war ihr eine Genugtuung, wenn es ihr gelungen ist
sich zu überzeugen, dass der Aufzug fahrtüchtig ist. Still und leise,
wie es ihre Art war, ist sie dann doch
alleine in den Lift gestiegen und hat
die Fahrt ganz nach oben angetreten
und uns mit der Erinnerung an sie
zurückgelassen. Allah yarhamhun!
Nahil liegt im Bett, ringt die Hände,
manchmal hat sie sogar die Augen
offen. Bei der nächtlichen Kontrolle
merkst du, dass sie trotzdem schläft.
Sie widersetzt sich den notwendigen Eingriffen mit ihrem ganzen Gewicht und ihrer ganzen Kraft. Wenn
sie wieder zugedeckt ist, streckt sie
die Hand nach dir aus, will dir etwas
sagen. Ist es Dankbarkeit oder das
Verlangen nach noch mehr Zuwendung, oder beides?
Mufida braucht Kontinuität und
Ordnung, alles hat seine Zeit, alles
hat seinen unverrückbaren Platz.
Da muss man schon einsehen, dass
sie unerbittlich ist, wenn es um die
Wahrung ihres Systems geht, und
darf ihr wiederholtes Rufen nicht als
Ungeduld werten, sondern schlicht
als Schutzmaßnahme.
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Stella nutzt viel Zeit zum Nachdenken.
Seit Anfang Juli gehört Mahziyya
zu den habibtis. Es hat nicht lange
gedauert, bis sie sich an ihre neue
Bleibe gewöhnt hat. – Der Ruf nach
ihrer Schwester Halima ist selten
geworden. Wir versorgen sie gerne, erfreuen uns an ihren lustigen
Augen und ihrem – für uns leider
unverständlichen – Gebrummel und
ihrem Dank „Yasallim idêki!“ (wörtlich: „ER segne deine Hände!“).
Im Samir ist die Einzige, die bezüglich der medizinischen Pflege hier
ihrer Skepsis lautstark Ausdruck
verleiht. Ihr wiederholter Ruf nach
der „Frau Doktor“ ist nicht zu überhören. Beflissen eilt man an ihr Bett.
– „Was willst du?“ – Oft genügt es
ihr, wenn ihr ein Nicht-Akademiker
einen Becher mit Wasser reicht.
Ganz still, bescheiden und dankbar gibt sich Margo. Sie freut sich,
wenn sie helfen kann. – Sei es, dass
19
sie nach jedem Essen die Lätzchen
reinigt und ordentlich wegräumt
oder sich liebevoll um Alice kümmert, die diese Unterstützung sehr
zu schätzen weiß. Ungern geht sie
ins Bett, wendet ihre ganze Überredungskunst an, um die Schlafenszeit
hinauszuzögern. Lieber schläft sie
in einer unbequemen Stellung im
Salon als im Bett.
Anfang Juli ist Muna zu uns gekommen. Sie ist 40 Jahre alt, hat Multiple
Sklerose und einen Mann mit zwei
Kindern in Bethlehem. Wir haben
sie sofort ins Herz geschlossen. Sie
freut sich über jede Zuwendung und
Dienstleistung und lächelt uns mit
ihren großen, sprechenden Augen
dankbar an. Es bedrückt uns, dass
wir so wenig beitragen können, um
ihr tragisches Los zu erleichtern.
Aus Rifqas Reise nach Amerika
ist nichts geworden. Trost sind ihr
die regelmäßigen Besuche ihrer
Tochter Susi. Wir freuen uns auf
Freitag, wenn Susi kommt, denn sie
bringt Herzlichkeit und Leben auf
die Station. Für sie, die aus Nablus
kommt, und ihre Schwester aus Jerusalem bietet sich Beit Emmaus als
guter Treffpunkt an. Aufgrund der
Einreiserestriktionen ist es schwierig, unmöglich für die beiden sich
außerhalb der Westbank zu sehen.
Dann bemühen sich ihre beiden
Töchter, mitunter auch Rifqas Enkel,
um ihr Wohlergehen.
Nachtdienst, das Licht wird aufgedreht. Du kommst in ihr Zimmer,
noch im Halbschlaf legt sie provokant ihre Hand auf ihren voluminösen Bauch, du näherst dich ihrem
Bett, mit der zweiten Hand schützt
sie die andere Hälfte ihres Bauches,
lautes Wehgeschrei ertönt: „Yemma!“ Dann sie schaut dich mit beiden Augen an. Im Marwan ist bereit
zum Kampf. Sie setzt all ihre Kräfte
ein, um dich daran zu hindern, ihre
alte Schutzhose mit einer frischen
zu vertauschen.
Sie darf sich alles
leisten und nützt
das weidlich aus.
Man ist immer bereit ihr zu verzeihen. Schließlich
ist sie schon über
hundert Jahre alt.
Nicht immer ist es
leicht, Sitt Salwas
Wünschen gerecht
zu werden. Sie leiWarda bei einer ihrer Lieblingstätigkeiten: Dösen.
20
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
det unter ihrer Hilflosigkeit und Abhängigkeit, die sie davon abhalten,
selbständig für ihre verschiedenen
Sonderwünsche zu sorgen. Trost
und Ablenkung scheint sie beim
Hören von Musik, hauptsächlich
Mozart, zu finden.
Im Issa ist eine der Zielpersonen
von Na’ma (1). Geduldig und gefügig unterwirft sie sich ihrem unerbittlichen Diktat. Eigentlich würde
sie gerne den Großteil des Tages in
ihrem Bett liegend und schlafend
verbringen. Sr. Maksi erweist sich
ebenfalls als Störfaktor in Im Issas
Streben nach Ruhe. Mit der für sie
typischen Strenge besteht sie darauf,
dass Im Issa zumindest vormittags
in den Garten geht. Still, ergeben
und unauffällig sitzt sie dann in der
Laube.
Su’ad kann sich so richtig freuen
und will uns an ihrer Freude teilhaben lassen. Aber wenn es „Auf
in den Garten“ heißt, ist es aus mit
ihrer Freude. Sie protestiert mit aller
Vehemenz. Schon auf der Treppe
scheint sie ihre Meinung geändert
zu haben und wenig später sieht
man sie, wie sie zufrieden mit sich
und der Welt im Garten selbständig
ihre Runden dreht.
Bei Noël ist alles so, wie es immer
war. Sie legt viel Wert auf ihre
Kleidung, weiß alle Geburtstage der
Schwestern und Volontärinnen, der
Volontäre und spielt für die Jubilarin, den Jubilar „Happy Birthday“
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Muna erfreut uns mit ihrem fröhlichen Lachen.
auf dem Klavier. Für ihr Leben gern
isst sie Leberwurst. Weder ihr selbst
noch einem von uns gelingt es, ihre
session (also die Stimmen, die sie
hört) dauerhaft zu vertreiben. Ihr oft
hilfloser Gesichtsausdruck verrät,
wie sehr sie darunter leidet, ständig
verfolgt zu werden.
Vieles ist gleich geblieben – hamdullilah – Einiges hat sich verändert, ist neu. Eine einzige Sache
ist jedoch seit jeher unverändert
geblieben, es scheint unvermeidlich: die Tatsache, dass es jeder
der habibtis immer wieder aufs
Neue gelingt, uns auf ihre ganz
besondere Art und Weise ans
Herz zu wachsen. Deswegen setzen wir uns gerne für sie ein und
haben Freude an unserer Arbeit.
– Renate Boldizsar (Wien)
Volontärin in Beit Emmaus
21
Wirf dich in die Arme Gottes
S trebe nach dem Ziel und hab
Vertrauen! Mögen alle Leiden über
dich hereinstürzen: Wirf dich in
die Arme Gottes! Vertraue auf ihn;
er vermag ja alles und liebt dich
am meisten. Vertrauen! Vertrauen!
Vertrauen! Vertrauen!” Dieser Satz
stammt aus dem Tagebuch unseres
Ordensgründers Pater Jordan. Er
macht deutlich, dass Vertrauen für
ihn ein ganz wichtiges Wort ist.
Eigentlich ist es für ihn nicht nur
einfach ein Wort, sondern eine
Lebensweise. Er hat sein Leben auf
sein Gottesvertrauen und sein Vertrauen in die göttliche Vorsehung
aufgebaut.
Mit diesem Vertrauen gelang es
ihm, unsere Ordensgemeinschaft zu
gründen – allen Hindernissen zum
Trotz. Auch in schwierigen Zeiten
half es ihm dabei, seine Arbeit fortzuführen. Ein konkretes Beispiel
aus der Anfangszeit des Ordens
fällt mir hierzu ein: Damals war oft
das Geld knapp, aber Pater Jordan
vertraute stets darauf, dass alles gut
würde. Und eines Tages bekam die
Gemeinschaft gerade so viel Geld
geschenkt, wie sie brauchte... In
sein Tagebuch schrieb Pater Jordan:
„Alles so einrichten, dass es dem
Zweck, tüchtige Mitglieder heranzubilden, möglichst entspricht,
22
im festen und unerschütterlichen
Vertrauen darauf, dass Gott auch
die nötigen Mittel schickt!“
Diese Zeiten der existenziellen finanziellen Nöte sind freilich lange
vorbei. Doch ich denke, dass wir
uns dennoch bis heute durch die
Geisteshaltung von Pater Jordan
inspirieren lassen können. Denn
auch in der heutigen Welt sind wir
oft darauf angewiesen, zu vertrauen.
Das bedeutet nicht, dass wir selbst
nichts tun müssen. Auch Pater Jordan hat viel gearbeitet und nicht
alles einfach auf sich zukommen
lassen. Aber sein Vorbild kann uns
dabei helfen, unsere eigene Geisteshaltung und Lebensweise zu
hinterfragen und vielleicht hier und
da ein wenig zu ändern.
Die Worte aus dem Tagebuch erinnern mich auch an einen Text aus
dem Evangelium:
„Und Jesus sagte zu seinen Jüngern:
Deswegen sage ich euch: Sorgt euch
nicht um euer Leben und darum,
dass ihr etwas zu essen habt, noch
um euren Leib und darum, dass ihr
etwas anzuziehen habt. Das Leben
ist wichtiger als die Nahrung und
der Leib wichtiger als die Kleidung.
Seht auf die Raben: Sie säen nicht
und ernten nicht, sie haben keinen
Speicher und keine Scheune; denn
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Gott ernährt sie. Wie viel mehr seid
ihr wert als die Vögel! Wer von euch
kann mit all seiner Sorge sein Leben
auch nur um eine kleine Zeitspanne
verlängern? Wenn ihr nicht einmal
etwas so Geringes könnt, warum
macht ihr euch dann Sorgen um all
das übrige? Darum fragt nicht, was
ihr essen und was ihr trinken sollt,
und ängstigt euch nicht! Denn um
all das geht es den Heiden in der
Welt. Euer Vater weiß, dass ihr das
braucht. Euch jedoch muss es um
sein Reich gehen; dann wird euch
das andere dazugegeben. Fürchte
dich nicht, du kleine Herde! Denn
euer Vater hat beschlossen, euch
das Reich zu geben.“ (Lk 12,2226.29-32)
Auch Jesus meint nicht, dass wir
nichts tun müssen. Er hat nichts dagegen, dass wir für die Zukunft vorsorgen. Jesus wendet sich vielmehr
gegen die alltäglichen Sorgen, die
uns ständig beschäftigen, die unser
ganzes Denken blockieren, uns
Angst machen und nicht einschlafen
lassen... Der Evangeliumstext will
uns dabei helfen, anders mit solchen Sorgen umzugehen. Er spricht
unsere Vernunft an und wirft Fragen
auf: Kannst du dein Leben mit Sorge
verlängern? Was ist wichtiger: das
Leben oder das, was ihr esst oder
wie ihr euch kleidet? Oder mit anderen Worten: Wie viel Zeit – Lebenszeit – kostet mich die Sicherung
meines Lebensstandards? Sorge ich
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
mich um dessen Verlust und setze
ich alles daran, um meinen Besitz
zu mehren? Oder lebe ich?
Die heutige Zeit gibt uns leider allzu
oft Anlass zur Sorge und bringt uns
dazu, alles selbst in die Hand nehmen, festhalten zu wollen. Auch ich
ertappe mich immer wieder dabei.
Aber ich denke, dass uns sowohl die
Worte Jesu als auch die Pater Jordans aufrufen, diese Geisteshaltung
zu überdenken und mehr darauf zu
vertrauen, dass ein gutes und relativ
sorgenfreies Leben möglich ist. Wir
dürfen darauf vertrauen, dass Gott
für uns da ist und uns das schenkt,
was wir brauchen und wann wir es
brauchen.
– Sr. Maya Verdonck SDS
(Pitten/Niederösterreich)
absolviert ein Pflegepraktikum
in Beit Emmaus
23
Emmaus-Chronik
D as Neueste aus der EmmausGemeinschaft...
Mai
Der Großteil der Schwesterngemeinschaft zieht sich für acht Tage
zurück, um in Abu Ghosh unter der
Leitung von Dr. Wilhelm Bruners
die Jahresexerzitien zu machen.
Renate Boldizsar aus Wien war
schon vor einigen Jahren Volontärin
in Beit Emmaus. Wir freuen uns,
dass sie erneut für ein halbes Jahr zu
uns kommt. Außerdem bekommen
unsere Gartenarbeiter mit Volontär
Thomas Balk für vier Monate eine
tüchtige Hilfe.
Unsere Nervosität steigt, als auf der
einzigen Straße zwischen unseren
Dörfern und Jerusalem ein Tor
angebracht wird. Noch ist es offen
und keiner der israelischen Soldaten kann oder will uns den Grund
dieses neuen Hindernisses erklären
– vielleicht wissen sie es auch nicht.
Juni
Die Urlaubszeit hat begonnen: Sr.
Maksymiliana Gołąbek und Sr.
Melitta Kaufmann fliegen heim zu
ihren Familien, andere nutzen die
Ruhe in unserem Garten, um zu
entspannen und neue Kräfte zu tanken. Allzu viel Ruhe gibt es jedoch
nicht, da im Juni wieder viele große
und kleine Pilgergruppen zu uns
kommen, über deren Besuch wir
uns sehr freuen.
Ein besonderes Geschenk für die
Gemeinschaft ist der Besuch von
Die Umgehungsstraße – für die Menschen aus Qubeibe und Umgebung der einzige Weg nach Ramallah und Jerusalem – erinnert mit ihren meterhohen Betonmauern an einen Schützengraben.
24
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Miloslav Kardinal
Vlk, dem emeritierten Erzbischof
von Prag und Primas von Böhmen.
Mit ihm kommen
Dr. Andrea Pichlmeier, Bernd Mussinghoff aus dem
Jerusalembüro des
DVHL sowie Br.
Andreas Remler
OSB aus dem Stift
Göttweig (Nie- Kardinal Vlk erzählt bei seinem Besuch von seiner beeindruckenden
derösterreich). Ge- Lebensgeschichte als Priester unter dem kommunistischen Regime.
ist zwecklos. – Von nun an müssen
meinsam feiern
wir Eucharistie. Wir sind tief beein- auch wir Ausländer uns mit der hardruckt von der Lebensgeschichte ten Realität des Qalandiya-Checkdes Kardinals, der trotz aller Unwäg- points nahe Ramallah abfinden, den
barkeiten und Hindernisse, die das die meisten Palästinenser schon seit
Leben unter dem kommunistischen Jahren benutzen müssen, um nach
Regime mit sich brachte, nie seine Ramallah oder Jerusalem zu gelangeistliche Berufung aus den Augen gen. Dadurch wird praktisch jede
Fahrt zu einem unberechenbaren
verlor.
„Die Straße ist zu – für immer!“ – das Abenteuer.
ist er aufgeregte Anruf von unserem Sr. Hildegard informiert die österKoch Abu Majid, der auf dem Weg reichische Botschaft in Tel Aviv sonach Jerusalem mit dieser harten wie das Außenministerium in Wien
Realität konfrontiert wird. Sofort über die Lage. Auch das deutsche
fährt Sr. Hildegard Enzenhofer ge- Vertretungsbüro in Ramallah wird
meinsam mit Sr. Thoma Metten von eingeschaltet. Es beginnen Gespräden Borromäerinnen in Qubeibe che auf höchster diplomatischer
zum nun geschlossenen Tor, um Ebene. Gleichzeitig nehmen Sr. Hilvon den Soldaten eine Begründung degard und Sr. Thoma über einen
für diesen Schritt zu erfahren und Rechtsanwalt Verhandlungen mit
ihre Solidarität mit den verzweifel- den israelischen Militärbehörden
ten Palästinensern auszudrücken. auf. Erstes Ergebnis dieser mühsaDoch jeder Verhandlungsversuch men Gespräche: Einigen Personen
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
25
soll erlaubt werden, ein Sicherheitstor bei Jib (zwischen Nabi Samuel
und der Siedlung Giv’at Ze’ev) zu
benutzen, wodurch sich der Umweg wenigstens etwas verkürzt.
nuel Spohn, unseren Volontärinnen
Verena Gantner, Lisa Richter und
Teresa Blum sowie Volontär Dominik Kern. Danke euch allen für eure
tatkräftige Hilfe und viel Erfolg bei
eurem Studium.
Juli
Das internationale Kammermusik- August
festival „Sounding Jerusalem“ ist im Am 10. August beginnt der RamaSommer zwei Wochen in Jerusalem dan – freilich nicht plötzlich, denn
und Umgebung auf Tournee. Für schon Wochen vorher wird davon
ein Konzert kommen die mehr als geredet. Es werden keine neuen
40 Musiker aus verschiedenen Län- Arbeitsprojekte begonnen und in
dern auch in den Garten von Beit den Geschäften sowie an StraßenEmmaus. Unter dem Motto „Getting ständen werden all die Speisen
together“ sitzen nicht nur die Mit- angeboten, die es nur während des
glieder der Hausgemeinschaft und Fastenmonats zu kaufen gibt.
die ein oder andere Heimbewoh- Wer sind „die Neuen“, das ist wie
nerin im Publikum, sondern auch jedes Jahr die spannende Frage. Am
über 200 Menschen aus dem Dorf 24. August kommen sie endlich:
sowie eine internationale Gruppe Lisa Wilms, Lisa Kirchgäßner, Tamaaus Ramallah.
ra Gropper, Florian Bittlmayer und
Flora Pszon und Kamila Dymek aus Daniel Häger werden für ein Jahr
Polen helfen uns für einige Wo- Teil unserer Hausgemeinschaft sein.
chen nicht nur bei
der Arbeit, sondern
bringen durch ihr
Lachen und ihre
Fröhlichkeit auch
viel Leben in die
Hausgemeinschaft.
Auch die Sprachenvielfalt ist bunter
geworden.
Die Sommermonate sind die Zeit
des Abschieds von
unserem Zivi Ma- Die Musiker von „Sounding Jerusalem“ proben für ihr Konzert in Emmaus.
26
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Sr. Waltraud verstärkt die Hausgemeinschaft
unter anderem in der Küche.
Euch ein herzliches Willkommen.
Gleichzeitig nehmen wir auch Abschied von unserem Zivi Florian Simon. In seiner Abschiedsvesper gibt
er der neuen Freiwilligengeneration
viele ermutigende Worte mit auf
den Weg. Auch dir, lieber Florian,
ein großer Dank für deine Hilfe und
viel Erfolg für dein Studium.
Einige Tage später trifft mit Sr. Waltraud Mahle aus Österreich und Sr.
Maya Verdonck aus Belgien auch
eine „Verstärkung“ für die Schwesterngemeinschaft ein. Sr. Maya
ist Novizin und die drei Monate,
die sie bei uns verbringt, sind Teil
eines internationalen Praktikums.
Sr. Waltraud arbeitete vorher als
Pastoralassistentin und wird uns mit
ihren vielfältigen Begabungen eine
große Hilfe sein.
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Schließlich heißen wir mit MarieChristine Buske und Lukas Daum
auch zwei Schüler der Katholischen
Bildungsstätte Mönchengladbach in
unserer Gemeinschaft willkommen,
die hier ihr Krankenpflegepraktikum
absolvieren.
Immer wieder freuen wir uns, wenn
ein Priester für den Sonntagsgottesdienst zu uns kommt. Zweimal
ist nun P. Felix Körner SJ bei uns.
Er ist Islamwissenschaftler an der
Päpstlichen Universität Gregoriana
in Rom und hält Vorlesungen beim
Theologischen Studienjahr in Jerusalem. Mit ihm kommt auch die
Studiendekanin Prof. Dr. Margarete
Gruber OSF.
Auch das Blutdruckmessen ist ein Teil der
Gesundheitswochen an unserer Pflegeschule.
27
Unsere Pflegeschule wächst von
Jahr zu Jahr. In den Sommermonaten bieten wir zum zweiten Mal Gesundheitswochen an, durch die das
Interesse am Pflegeberuf geweckt
und ein Gesundheitsbewusstsein
entwickelt werden sollen. Insgesamt
nehmen 84 junge Menschen teil.
September
Im September bekommt Sr. Hildegard Enzenhofer für ihr Engagement
in Beit Emmaus von Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer das Goldene Verdienstzeichen des Landes
Oberösterreich verliehen.
Jennifer Röll, Stefanie Robertz und
Galina Konstantinova sind die drei
Krankenpflegeschülerinnen der St.Elisabeth-Akademie in Düsseldorf,
die im September ihr sechswöchiges
Praktikum bei uns antreten.
Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer verleiht
Sr. Hildegard das Goldene Verdienstzeichen
des Landes Oberösterreich.
Sr. Therese-Marie Weissensteiner
geht für einige Tage nach Nazareth,
um die Ursachen für ihre Kreuzschmerzen untersuchen
zu lassen. Wir freuen
uns, dass sie bald wieder bei uns ist und es ihr
besser geht. Die Arbeit
in der Küche hatte in
ihrer Abwesenheit Sr.
Waltraud übernommen.
Mit Krankenpfleger Frederik Mönkediek, der als
Zivi auf Station arbeiten
wird, ist die diesjährige Volontärsgeneration
komplett. Auch dir ein
herzliches Willkommen
in Emmaus.
Gruppenbild der Jubilare: Nasser, Amna und Khaled.
28
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Oktober
Mit dem Start des akademischen
Jahres beginnen 23 junge Männer
und Frauen ihr Studium an unserer
Pflegeschule. Außerdem freuen
wir uns, dass wir dank einer großzügigen Spende den Bestand der
Bibliothek um wichtige Fachbücher
erweitern können.
Seit 37 Jahren sind die Salvatorianerinnen nun in Beit Emmaus. Mehr als
die Hälfte dieser Zeit wurden sie dabei von Hausmeister Nasser Zahran
sowie den Küchenhilfen Amna Taha
und Khaled Mathour unterstützt,
die ihr 20-jähriges Dienstjubiläum
feiern. Zu diesem Anlass gibt es ein
großes Grillfest mit ihren Familien
und der ganzen Hausgemeinschaft.
‫ﺷﻜﺮﺍ ﺟﺰﻳﻼ ﻟﻮﺟﻮﺩﻛﻢ ﻣﻌﻨﺎ ﻭﻟﻌﻤﻠﻜﻢ ﺍﻟﺮﺍﺌﻊ ﺧﻼﻝ‬
‫ﺍﻟﺴﻨﻮﺍﺕ ﺍﻟﻌﺸﺮﻭﻥ ﺍﻟﻤﺎﺿﻴﺔ ﻭﻧﺘﻤﻨﻰ ﻟﻜﻢ ﺩﻭﺍﻡ‬
.‫ﺍﻟﺼﺤﺔ ﻭﺍﻟﺘﻮﻓﻴﻖ‬
Eine Woche später gibt es einen weiteren runden Ehrentag zu feiern: Der
Aachener Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff kommt mit seiner Familie
und seinen Mitarbeitern, um in Beit
Emmaus seinen 70. Geburtstag zu
begehen. Unsere Volos schmücken
die Waldkapelle und gestalten mit
ihren Instrumenten eine beeindruckende Messe. Zum anschließenden
Festmahl gibt es Maqluba und Sr.
Theres’ herrlichen Apfelstrudel.
Lange haben wir auf sie gewartet, am 18. Oktober kommt sie
schließlich: die neue Stationsleiterin
Martina Kaupen, die uns nun für
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
drei Jahre mit ihrer Erfahrung und
Professionalität unterstützen wird.
Wir wünschen dir eine gute und
gesegnete Zeit in unserem Haus.
Bevor sich Martina nun noch etwas
ausführlicher vorstellt, möchten wir
uns an dieser Stelle für die vielfältige
Unterstützung in diesem Jahr herzlich bedanken und euch und Ihnen
allen eine gesegnete Advents- und
Weihnachtszeit wünschen.
29
Auf welchen Wegen ich auch gehe…
Nachdem im Januar die Dienstzeit
von Judith Simons zu Ende ging, ist
im Oktober ihre Nachfolgerin Martina Kaupen angekommen. Schon vor
ihrer Ankunft hat sie sich vorgestellt.
„Gleich, wo ich bin, auf welchen
Wegen ich auch gehe; ich darf
darauf vertrauen, dass ich gehalten
werde. Geborgen ist mein Leben bei
Gott; er hält seine Hand schützend
über mir.“ – Dieser Spruch, den ich
in der Bibliothek der Benediktinerabtei Königsmünster in Meschede
entdeckt habe, beschreibt ganz gut
die Gedanken, die mir in den letzten Tagen und Wochen durch den
Kopf gegangen sind. Noch einige
Tage wohne ich im Sauerland und
werde dann für drei Jahre die Stationsleitung in Beit Emmaus übernehmen. Ich bin noch hier, aber nicht
mehr ganz – und ich bin noch nicht
dort, aber meine Gedanken schon.
Ich möchte mich kurz vorstellen
und freue mich, euch alle bald zu
treffen und kennen zu lernen. Mein
Name ist Martina, ich bin 50 Jahre
alt, verheiratet und habe einen erwachsenen Sohn. Ich bin gelernte
Krankenschwester und habe zuletzt
in einem Hospiz in Dortmund gearbeitet. Auf der Suche nach beruflicher Veränderung und dem Wunsch
30
für einige Zeit im Ausland zu arbeiten, las ich zufällig die Stellenausschreibung für Beit Emmaus. Nach
einigen Überlegungen mit meinem
Ehemann Robin und mit meinem
Sohn Johannes entschied ich mich
dazu, für drei Jahre nach Palästina
zu gehen. Eine berufliche und auch
persönliche Herausforderung!
Neben der Kranken- und Altenpflege sowie der Begleitung sterbender
Menschen ist das Wandern, das
Unterwegssein ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens. Wandern
kann wandeln. – Vielleicht bin ich
deshalb so gerne in der Natur: weil
ich es mag, wenn sich etwas wandelt. Wenn sich etwas verändert,
wenn ich mich auch verändere.
Jedes Wandeln, jeder Aufbruch
macht aber zuerst auch Angst. Altes,
Vertrautes muss abgebrochen werden. Und während ich abbreche,
weiß ich noch nicht, was auf mich
zukommt. Aber in jedem Aufbruch
steckt auch die Ahnung von etwas
Neuem, nie da Gewesenem.
Vor vielen Jahren sagte meine Mutter zum Abschied zu mir: „Geh mit
Gott, aber geh!“ – Was für ein schöner Abschiedsgruß. Damals ging ich
für einige Zeit nach Israel, um in einem Kibbuz zu arbeiten – mein erster Kontakt mit dem Heiligen Land.
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Es vergingen viele Jahre, bis ich
diesen Abschiedsgruß meiner Mutter richtig verstanden und lieben
gelernt habe; ich machte meine eigenen Erfahrungen mit dem Leben.
Einen Menschen, den man liebt, gehen zu lassen, zu wissen, dass Gott
seine schützende Hand über ihn
hält und ihn auf allen Wegen und
Umwegen begleitet, ist ein wichtiger Schritt im Leben. Dafür bedarf
es Vertrauen – auf den anderen und
auf Gott. Gerade während meiner
letzten Tätigkeit, der Arbeit in einem
Hospiz, habe ich dieses Vertrauen,
aber auch das Abschiednehmen in
vielfältiger Weise erfahren.
„Schöpfe aus dem Alten, hab Mut
für das Neue.“ – Dieser Text auf
einer der vielen Verabschiedungskarten, die ich anlässlich meiner
bevorstehenden Ausreise erhalten
habe, hat mich besonders beeindruckt. – Ja, ich schaue dankbar auf
das zurück, was ich von Familie,
Lehrern und Freunden empfangen
und gelernt habe. Ich bin dankbar
für meinen Sohn Johannes und
meinen Mann Robin, die mich
vertrauensvoll unterstützen und mir
meine Heimat in Arnsberg erhalten.
Ja, ich habe Mut und freue mich auf
das Neue, auf Beit Emmaus, auf die
gesamte Hausgemeinschaft und die
Zusammenarbeit mit Sr. Hildegard,
die mich schon in meiner Vorbereitungszeit vertrauensvoll begleitet
hat. Danke dafür!
Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)
Ich freue mich auf meine neue Arbeit, auf die neuen Aufgaben und
Herausforderungen, auf das Land
und auf die Menschen, auf viele
spannende Begegnungen, auf das
leckere Essen – und bei den derzeit
gefühlten Minustemperaturen hier
im Sauerland auch auf die Sonne.
„Gleich, auf welchen Wegen ich
auch gehe...“ – Dieses Vertrauen
auf Gott heißt für mich, achtsam
meinen Weg zu gehen, begleitet
und beschützt, und auch entgegen
anderer Meinungen dem Ruf zu
folgen. In diesem Sinne heißt es bei
Novalis: „Wohin denn gehen wir?
Immer nach Hause!“
Bis bald in Beit Emmaus!
– Martina Kaupen
(Arnsberg/Nordrhein-Westfalen)
Stationsleiterin
31
Kontakt/Impressum
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Beit Emmaus
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Jerusalem IL-91319
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Steinfelder Gasse 17
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Kongregation der Salvatorianerinnen – Mission Haus Emmaus
Kontonummer: 259648
BLZ: 19190
Bankhaus Schellhammer & Schattera Wien
IBAN: AT29 1919 0000 0025 9648
SWIFT: BSSWATWW
Emmaus-Wege erscheint zweimal jährlich.
Herausgeber: Hausgemeinschaft Beit Emmaus/Qubeibe
Redaktionsleitung: Sr. Hildegard Enzenhofer SDS, Stefan Polt
Ausgabe 17 (Herbst 2010), 9. Jahrgang
Die Redaktion dankt all denen, die durch ihren persönlichen
Einsatz zum Gelingen dieser Ausgabe beigetragen haben.
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Emmaus-Wege 17 (Herbst 2010)