Leitlinien des Arbeitskreises Familienrecht im Bezirk des Amtsgerichts

Leitlinien des Arbeitskreises Familienrecht im Bezirk des Amtsgerichts
Greifswald in Umgangs- und Sorgerechtsstreitigkeiten
Zusammenwirken im Familienkonflikt
Der Greifswalder Arbeitskreis Familienrecht ist ein interprofessionelles Arbeitsbündnis derjenigen
Berufsgruppen, die mit Eltern und Kindern im Bereich Familienkonflikt arbeiten. Es gründet sich auf die
gleichberechtigte Einbeziehung aller beteiligten Professionen. Beteiligt sind insbesondere
FamilienrichterInnen, RechtsanwältInnen, VertreterInnen und Beauftragte der Jugendämter,
Verfahrensbeistände, psychologische Sachverständige, BeraterInnen aus den Beratungsstellen und
psychotherapeutischen Praxen.
Die beteiligten Berufsgruppen bleiben im Rahmen etwa vierteljährlich stattfindender Arbeitskreistreffen
kontinuierlich im Gespräch über ihre Erfahrungen und Sichtweisen und entwickeln gemeinsam Ideen, wie das
Wohl der betroffenen Kinder und Jugendlichen im gerichtlichen Verfahren gestärkt werden kann.
1. Präambel
Die beteiligten Professionen verfolgen das gemeinsame Ziel, ihre Arbeitsweisen und die gemeinsame
Verfahrensgestaltung am Wohl des Kindes auszurichten. Eltern im Trennungs- und Scheidungskonflikt soll ein
frühzeitiger Einstieg in konstruktive, lösungsorientierte Gespräche ermöglicht werden. Konfliktverschärfendes
Verhalten und lange Verfahrensverläufe in ansteigenden Eskalationsstufen sollen vermieden werden.
Für ihre Arbeit mit Familien in Trennung und Scheidung teilen die beteiligten Professionen die folgenden
Grundsätze, Überzeugungen und Gedanken:
- Die besonderen Bindungs- und Beziehungsbedürfnisse der Kinder werden von den beteiligten Professionen
geachtet; dies schließt auch das kindliche Zeitempfinden ein. Die Kinder sollen bestmöglich im Aufbauen und
Erhalten ihrer Bindungen an beide Elternteile bzw. für sie relevante Bindungspersonen unterstützt werden.
- Die Kooperation zwischen den Eltern soll durch aufeinander abgestimmte Arbeitsweisen der beteiligten
Fachleute gezielt gefördert werden. Die Eltern werden ermutigt, Vereinbarungen miteinander zu treffen, die
der Lebensform der Familie sowie den individuellen Bedürfnissen von Kindern und Eltern entsprechen.
−Die Arbeitsweisen der einzelnen Berufsgruppen sind an lösungs- und ressourcen-orientierten Prinzipien
ausgerichtet. Die Selbstregulationsfähigkeiten der Familie werden als wichtiger Ausgangspunkt für die
fachliche Begleitung der Familie betrachtet. Die Transparenz des Verfahrens (Verfahrensrollen und - abläufe)
und die Informiertheit der Beteiligten gelten deshalb als besonders bedeutsam.
Die Arbeitsweise der einzelnen Berufsgruppen orientiert sich an einem gemeinsam erarbeiteten
Merkblatt.
2. Der Beitrag der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte
Die RechtsanwältInnen weisen die Elternteile bereits im Rahmen der vorgerichtlichen anwaltlichen Beratung
gezielt auf die Notwendigkeit elterlicher Kooperation sowie auf das Angebot der Trennungs- und
Scheidungsberatung bei dem Jugendamt des Landkreises Vorpommern-Greifswald, den durch das Jugendamt
beauftragten freien Trägern (derzeit Caritas und Volkssolidarität) sowie Beratungsstellen und MediatorInnen
hin.
Die RechtsanwältInnen halten die Anträge kurz und sachlich. Sie benennen diejenigen inhaltlichen Themen,
die der Elternteil vor dem Hintergrund seiner kindbezogenen Bedürfnisse und Interessen klären möchte; sie
vermeiden unnötiges Eskalationspotential durch globale Forderungen, ausführliche Schuldzuweisungen usw.
Die RechtsanwältInnen bereiten ihre Mandanten auf das gemeinsame Lösungsgespräch in der ersten
Gerichtsverhandlung auf eine konstruktive Weise vor, indem sie im Vorfeld diese befragen, welche
Themen/Fragen geklärt werden sollen und was im Sinne einer für alle Beteiligten hilfreichen Lösung beachtet
werden sollte.
Schriftsätze an das Gericht werden mit der genügenden Anzahl von Abschriften auch für das Jugendamt,
ggfs. Verfahrensbeistand und sonstige Beteiligte eingereicht, i.d.R. 4 Abschriften.
3. Der Ablauf des Verfahrens nach Antragstellung
a) vor der ersten Gerichtsverhandlung (Anhörung)
Die durch das Jugendamt beauftragten freien Träger nehmen zeitnah vor der ersten Gerichtsverhandlung
Kontakt zu beiden Elternteilen auf und führen ein Gespräch mit den Eltern (gemeinsam oder getrennt). Sie
führen ggfs. auch ein Gespräch mit dem betroffenen Kind.
Wenn ein Verfahrensbeistand bestellt wurde, trifft sich dieser vor der ersten Gerichtsverhandlung mit dem
Kind und ggf. mit den Eltern. Er erkundet im Gespräch mit dem Kind dessen aktuelle Lebenssituation,
emotionale Befindlichkeiten sowie Meinung und Willen zum Verfahrensgegenstand.
b) Gerichtsverhandlung
Das Familiengericht räumt der Verhandlung ein ausreichendes Zeitfenster ein. Eine Anhörung des Kindes
findet i.d.R. vor der Gerichtsverhandlung statt.
In einem offenen Lösungsgespräch werden die Streitpunkte und deren Lösungsmöglichkeiten
herausgearbeitet:
Dabei kommen die Kindeseltern persönlich zu Wort und erhalten Raum, ihre Sicht der Problemstellung und
ihre Bedürfnisse zu erläutern.
Das Jugendamt bzw. die beauftragen freien Träger und gegebenenfalls der Verfahrensbeistand erstatten ihre
Berichte i.d.R. mündlich. Auf der Grundlage der zuvor stattgefundenen Gespräche mit Eltern und Kindern
können sie zusätzliche Aspekte zu deren Sicht- und Erlebensweisen der aktuellen Situation wie Bedürfnisse
und Ressourcen bezüglich einer möglichen Lösung in die Verhandlung einbringen.
Auf Aufforderung sowie im Falle einer nicht gütlichen Einigung wird ein schriftlicher Bericht binnen zwei
Wochen zu den Akten nachgereicht.
Die Eltern werden auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme weiterer Beratungs- oder Mediationsangebote
hingewiesen.
4. Aufgaben des Gerichts
In der persönlichen Anhörung wird jedem Beteiligten und dem Jugendamt/den freien Trägern, dem
Verfahrensbeistand, den RechtsanwältInnen die Gelegenheit gegeben, die eigene Sichtweise und ihr Anliegen
darzustellen. Gemeinsam wird nach Lösungsmöglichkeiten gesucht. Ziel sollte es sein, dass eine
Vereinbarung getroffen wird.
Eine Vereinbarung kann auch ohne Anhörung der Kinder durch das Gericht gebilligt werden.
Es wird berücksichtigt, dass Kinder durch eine Anhörung auch belastet und in einen Loyalitätskonflikt geraten
können. Die Eltern werden angehalten, ihre elterliche Verantwortung wahrzunehmen und im Interesse des
Kindes eine gemeinsame Lösung zu finden.
Sollte in der Anhörung keine Vereinbarung getroffen werden können, bieten sich für das Gericht mehrere
Möglichkeiten:
- Die Beteiligten werden mit ihrer Zustimmung in eine weitere Beratung entlassen, ein neuer Termin findet
erforderlichenfalls später statt;
- Das Gericht kann gemäß § 156 Abs. 1, Satz 4 FamFG die Teilnahme der Eltern an einer Beratung anordnen.
- Das Verfahren ist entscheidungsreif, es ergeht ein Beschluss durch das Gericht;
- Weitere Ermittlungen sind durchzuführen, ein neuer Termin findet nach Abschluss dieser neuen
Ermittlungen (Anhörung der Kinder, Bestellung eines Verfahrensbestandes und gegebenenfalls einer
Sachverständigen) statt;
5. Das Selbstverständnis der Verfahrensbeistände
Der Verfahrensbeistand ist Interessenvertreter des Kindes.
Zur Erfüllung dieser Aufgabe unterstützt der Verfahrensbeistand das Kind angemessen dabei, seine
subjektiven Wünsche und Vorstellungen zu erkennen, herauszubilden und zum Ausdruck zu bringen, sofern
dieses nach Alter und Entwicklungsstand hierzu in der Lage ist.
Der Verfahrensbeistand stellt Wünsche und Vorstellungen des Kindes differenziert und umfassend im
gerichtlichen Verfahren dar und nimmt dazu Stellung. Er gestaltet das Verfahren im Interesse des Kindes
durch Teilnahme an Verhandlungen, Abgabe von Empfehlungen, Stellung von Anträgen und anderen
Rechtshandlungen und sorgt nicht zuletzt durch Geltendmachung von Anhörungsrechten für eine Beteiligung
des Kindes im Verfahren. Darüber hinaus informiert die VerfahrenspflegerIn das Kind über den Fortgang des
gerichtlichen Verfahrens, über die Ergebnisse von Verhandlungen sowie über ergangene Beschlüsse und
bemüht sich um eine größtmögliche Unterstützung und Beratung des Kindes.
Zu den grundlegenden Aufgaben des Verfahrensbeistandes gehört es, sich einen unmittelbaren und
persönlichen Eindruck vom Kind zu machen. In der Regel erfordert eine Interessenvertretung auch, das
Lebensumfeld des Kindes kennen zu lernen und es in diesem zu erleben.
Gespräche mit den Eltern intendieren, den Focus stärker auf die Situation und Sichtweise des Kindes zu
legen und lösungsorientiert im Sinne des Kindeswohls vorzugehen.
Er führt ggfs. nach einer Verhandlung und dem Abschluss einer Vereinbarung ein Gespräch mit dem Kind und
erläutert dem Kind das Ergebnis.
6. Erfüllung der Aufgaben zur Trennung, Scheidung und Umgangsberatung im Auftrag des
Jugendamtes des Landkreises Vorpommern-Greifswald.
Das Jugendamt des Landkreises Vorpommern-Greifswald hat zur Erfüllung der genanntenAufgaben
anerkannte freie Träger der Jugendhilfe beauftragt, z.Zt. das Caritas-Regionalzentrum Greifswald und die
Volkssolidarität in Anklam.
Der Träger der Trennung, Scheidung und Umgangsberatung (TSU) bietet Eltern sowie sonstigen wichtigen
Bezugspersonen der Kinder an, sie bei der Regelung eines gemeinsamen Konzeptes im Rahmen der
elterlichen Sorge zu beraten und zu unterstützen. Es ist in der Regel nicht im Interesse der Kinder, in den
elterlichen Konflikt eingebunden und somit zerrissen zu werden.
a) Nicht jede Sorge- oder Umgangsauseinandersetzung muss auf gerichtlichem Wege geregelt werden.
Eltern und andere Bezugspersonen der Kinder können sich für eine außergerichtlliche Trennungs- und
Scheidungsberatung (§§ 17, 18 SGB VIII) an das Jugendamt/ die Träger TSU wenden. Zielsetzung des
Beratungsangebotes ist es, in gemeinsamen Gesprächen mit den Beteiligten zu einer einvernehmlichen
Lösung zu kommen. Die Beratung erfolgt vertraulich.
b) In einem Verfahren vor dem Familiengericht ergibt sich in der Regel folgender Beratungsablauf, wobei
Abweichungen im Einzelfall möglich sind:
- Nachdem das Jugendamt den Antrag eines Verfahrensbeteiligten erhalten hat, wird der Antrag zur weiteren
Bearbeitung an den zuständigen Träger TSU weitergeleitet. Dieser nimmt umgehend (telefonisch oder
schriftlich) Kontakt zu den Beteiligten auf, um mit ihnen Termin für Gespräche im Vorfeld der
Gerichtsverhandlung zu vereinbaren.
- Der Träger TSU nimmt persönlich an der mündlichen Verhandlung teil und wird dort zu dem
Beratungsverlauf angehört.