Das Redemanuskript von Prof. Helmut Schwarz

"Wahrheit an sich ist kostbar, kostbarer aber noch die Fertigkeit, sie zu finden".
Warum es ohne Personenförderung keine erstklassige Grundlagenforschung geben
kann
Rede von Prof. Dr. Helmut Schwarz, Präsident der Alexander von der HumboldtStiftung, beim Stiftungsfest der Julius-Maximilians-Universität Würzburg am 11. Mai
2016
ES GILT DAS GESPROCHENE WORT 1 Lieber Präsident Forchel, Herr Staatsminister Spaenle,
verehrte Festgemeinde,
meine Damen und Herren,
wenn der Präsident der Julius-Maximilians-Universität den Präsidenten der Alexander von
Humboldt-Stiftung einlädt, beim Stiftungsfest die Festrede zu halten, so stellt dies allein
bereits eine unverdiente Ehrung dar, für die ich – wie auch für die überfreundliche Einführung
- herzlich danke. Mit Stiftungsfesten erinnern Universitäten an ihre Gründung und gedenken
ihren Traditionen. Ein solches Fest bietet darüber hinaus Anlass, sich der Wurzeln wie auch
des Gründungsauftrages zu vergewissern – und das von Humboldt ausgeliehene Zitat:
„Wahrheit an sich ist kostbar, kostbarer aber noch die Fertigkeit, sie zu finden“, mag dabei
ein wenig helfen; denn dieser Satz könnte leicht als Leitmotiv einer jeden guten Universität
dienen: Denn, wenn die Wahrheit und die Fertigkeit – heute würde man wohl von Fähigkeit
sprechen –, diese zu finden, geschätzt werden, dann kann sich universitäres Leben
entfalten, der wissenschaftliche Austausch erblühen, ja: und selbst eine nach Jahren alte
Universität kann dabei auch im 21. Jahrhundert noch erfolgreich sein.
Diese zunächst abstrakten Gedanken möchte ich heute durch Beispiele ein wenig vertiefen,
und ich werde dabei immer wieder Bezug nehmen auf die Arbeit und die Prinzipien der
Alexander von Humboldt-Stiftung. Diese Stiftung dient als eine öffentliche Stiftung privaten
Rechtes seit über 60 Jahren der individuellen Förderung von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern aus aller Welt. Personenförderung und die Forschungszusammenarbeit mit
den weltweit Besten zu ermöglichen, dies ist unser Satzungsauftrag.
Ideengeber für unsere Arbeit war – und ist immer noch – Alexander von Humboldt. Er war
einer der letzten Universalgelehrten, der, wie kaum ein anderer, die Idee eines
wissensgeleiteten
Fortschritts
verkörperte.
Sich
die
Welt
durch
Forschungs-
und
Entdeckungsreisen anzueignen, dies war seine Devise, und kein Geringerer als Charles
Darwin war voller Bewunderung und Verehrung für Humboldt. Er, Humboldt, wird als „zweiter
Entdecker“
Amerikas
gefeiert,
und
er
gilt
als
der
Begründer
gleich
mehrerer
wissenschaftlicher Disziplinen. Selbst das vermeintlich junge Fach Ökologie kann auf ihn
zurückgeführt werden. Als Naturforscher verkörperte Humboldt Internationalität und
Interdisziplinarität
wie
kein
zweiter,
die
Grundlagenforschung
wie
auch
seine
Abenteuerreisen verliehen ihm ungeahnte Antriebskräfte, seine Neugier war schier
unbegrenzt.
Ferner, als politisch denkender und handelnder Mensch mit einer zutiefst humanistischen
Haltung, bewunderte Humboldt die Ideale der französischen Revolution und verteidigte
2 entschieden die Idee von universal gültigen Menschenrechten, und er tat dies zu einer Zeit,
in der Sklaverei und Rassismus zum Alltag gehörten wie Essen und Trinken. Mit seinem
globalen, alles Provinzielle ablehnenden Denken, seiner Aversion gegen jede Art von
Xenophobie, war er seiner Zeit weit voraus. Ich bin sicher, lebte Humboldt heute, er würde
terroristische Attentate ebenso verurteilen, wie er auch die Rattenfänger und Giftmischer
unter den Teilnehmern und Organisatoren fremdenfeindlicher Demonstrationen und der
Hetzaktionen gegen Flüchtlinge und Fremde an so vielen Orten Deutschlands zur Rede
stellen würde!
So klar Humboldt durch seine Haltung einen aufgeklärten Humanismus vorlebte, genauso
entschieden blieb er im Dialog ein Weltbürger, er überwand geografische, kulturelle und
politische Grenzen; und er war – wie wir heute sagen würden – ein internationaler
Netzwerker der Wissenschaft schlechthin.
Ein direkter biographischer Bezug Alexander von Humboldts zur Julius-MaximiliansUniversität ist mir nicht bekannt, aber: Die Julius-Maximilians-Universität Würzburg war an
der Gründung der ersten und ausschließlich aus privaten Mitteln finanzierten Alexander von
Humboldt-Stiftung 1859/60 mit einem Kapital von 100 Gulden beteiligt. Und die heutige
Humboldt-Stiftung, die 1953 von der Bundesrepublik Deutschland ins Leben gerufen wurde,
schätzt sich glücklich, die Universität Würzburg als aktiven Partner zu haben. Allein in den
letzten fünf Jahren haben 70 Stipendiaten und 10 Preisträger sich für einen Aufenthalt bei
Ihnen entschieden. Und erst im letzten Jahr fand an Ihrer Universität ein HumboldtNetzwerktreffen mit mehreren Hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt, in dem der
wissenschaftliche aber auch persönliche Austausch der Humboldtianer aus über 50
verschiedenen Ländern im Mittelpunkt stand. Mir wurde berichtet, die Teilnehmer hätten
Würzburg tief beeindruckt verlassen.
Auch mit diesen Veranstaltungen für unsere Stipendiaten folgen wir dem Namenspatron
unserer Stiftung: Denn Humboldt hat nicht nur Kontakte zu mehr als 2500 Wissenschaftlern
und Persönlichkeiten in Europa und Übersee geknüpft und sein persönliches Netzwerk mit
gut 50.000 handgeschriebenen Briefen – davon mehr als 3000 von seiner eigenen Hand –
mit Leben erfüllt. Mehr noch: Dauernd war Humboldt bemüht, neue Bekanntschaften auch
zwischen den Mitgliedern seines Netzwerks zu knüpfen und vor allem: junge Talente
materiell – oft aus seinem Privatvermögen – und ideell zu unterstützen, sie auf ihren Wegen
in die Wissenschaft zu ermutigen. Das bedeutet – und hier greife ich auf das eingangs
erwähnte Zitat zurück –, jungen Nachwuchskräften „die Wahrheit“ und „die Fertigkeit, sie zu
finden“ als etwas Kostbares ans Herz zu legen.
3 Universitäten als wissenschaftliche Institution, spielten und spielen dabei immer eine
besonders verantwortungsvolle Rolle, denn hier können Begegnungen stattfinden, die für
Lebensläufe und Karrieren häufig eine Initialzündung darstellen.
So auch für Alexander von Humboldt selbst. Obwohl Humboldt durch seine Geburt zur
gesellschaftlichen Oberschicht in Berlin gehörte und er mit vielen Privilegien, darunter auch
einem stattlichen Vermögen, ausgestattet war, war ihm seine einzigartige Karriere
keineswegs in die Wiege gelegt. Im Gegenteil: In den Augen seiner oft gefühls- und
herzenskalten Mutter war Alexander der weniger begabte Sohn; als Kind hatte er Mühe, dem
Unterricht zu folgen; lieber verbrachte er seine Zeit mit Zeichnen und Malen, dem Sammeln
von Gräsern und dem Fangen von Käfern. Kein Wunder, dass der brillante Wilhelm von
seiner Mutter deutlich bevorzugt und für ein höheres Staatsamt als geeignet angesehen
wurde, während für den unscheinbar wirkenden Alexander die weniger glänzende Laufbahn
im preußischen Verwaltungsapparat als angemessen erschien. In den Naturwissenschaften
wurde Humboldt – wie zu dieser Zeit üblich – überhaupt nicht unterrichtet.
Mit 19 Jahren kam Humboldt an die Göttinger Universität, die damals eine führende Position
in Deutschland innehatte. Dort erhielt er schließlich die entscheidenden akademischen
Impulse – man könnte sagen: mit dem Schritt an die Universität hat er sich mit dem
bürgerlichen Bildungssystem, das ihm bislang so wenig zu geben vermochte, ausgesöhnt.
Denn in Göttingen traf er auf einen besonderen Hochschullehrer, der selbst heute noch als
Vorbild dienen könnte: Georg Christoph Lichtenberg. Ein Glücksfall schlechthin!
Lichtenbergs Kolleg machte die Hörer vertraut mit Mathematik und Experimentalphysik, mit
Geodäsie, Meteorologie, Astronomie oder Chemie, vieles unterstützt durch erhellende
Experimente und kluge Kommentare – man blättere nur einmal in Lichtenbergs
"Sudelbüchern"! Von Lichtenberg erhielt Humboldt das akademische Rüstzeug, das er
benötigte, um dann selbstständig verschiedenste Naturphänomene zu erforschen, sie zu
erkennen und zu beschreiben, und sie in einen größeren Zusammenhang einzuordnen.
Lehrer wie Lichtenberg entzündeten in Humboldt die Leidenschaft, seine Talente voll zu
entwickeln, so dass Humboldt später aus seiner mehrjährigen Reise durch Amerika jenen
Nutzen ziehen konnte, der die Wissenschaft seiner Zeit grundlegend verändern sollte.
Vielleicht haben Sie erwartet, meine Damen und Herren, dass ich heute vor allem über die
Erfahrungen der Humboldt-Stiftung mit ihrem altmodisch klingenden Format einer
Personenförderung nach einem abgeschlossenen Doktorat sprechen würde. Keine Sorge,
das werde ich schon noch tun. Doch an dieser Stelle möchte ich vorweg betonen:
Personenförderung
ist
zunächst
einmal
eine
ganz
persönliche
Aufgabe
von
Hochschullehrern und Wissenschaftlern. Förderorganisationen, wie eine Humboldt-Stiftung
4 oder das wunderbare Elitenetzwerk Bayern, können nur den Faden aufnehmen, der bereits
früher durch gezielte Ermutigung und Anleitung der jungen Menschen durch ihre
akademischen Lehrerinnen und Lehrer gesponnen worden ist.
Persönliche Unterstützung und kritische Anleitung sind übrigens unerlässlich, damit
Universitäten als Institution in Zukunft jene Orte bleiben können, an denen akademische
Lehrer ihren Schülern auch Grundlagenforschung – egal, in welcher Disziplin – als eine
Kulturleistung vermitteln. Ja, bereits in der universitären Ausbildung jenen Humusboden zu
bereiten, der es den jungen Forschenden später dann ermöglichen wird, selber Schneisen
ins wirklich Unbekannte zu schlagen; diese Anstrengung zu fördern, sollte zu den bleibenden
Kernaufgaben einer jeden Universität gehören, nämlich den Freiraum zu schaffen, dass ihre
Mitglieder sich jenen Fragen und Themen widmen können, die vielleicht erst Generationen
später für eine Gesellschaft Bedeutung erlangen werden. Universitäre Lehre muss einerseits
zwar akademisch fundiertes Wissen liefern, aber anderseits auch die Fähigkeit und die
Freude zu forschen, vermitteln. Und dies heißt nun einmal: sicher geglaubte Erkenntnisse in
Frage zu stellen, wirklich neue Wissensgebiete mutig zu erschließen, riskanten Themen
nicht auszuweichen – denn nichts wäre für eine Universität tödlicher als in der Lehr- und
Forschungswelt nur noch auf Nummer Sicher zu gehen, nur dort nach vermeintlich neuen
Details zu suchen, wo das Gelände gut ausgeleuchtet ist, oder sich nur jenen Fragen zu
widmen, die einem aus einer aktuellen gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Situation
heraus aufgedrängt werden.
Genau diesen Wagemut hatte Alexander von Humboldt in den revolutionären Vorlesungen
seines Lehrers Lichtenberg schätzen gelernt, und tatsächlich stammt das Zitat im Titel
meiner Rede aus einem Brief Humboldts an Lichtenberg. Erfüllt von tiefer Dankbarkeit
schrieb Humboldt: „Ich achtete nicht bloß auf die Summe positiver Erkenntnisse, die ich
Ihrem Vortrage entlehnte – mehr aber auf die allgemeine Richtung, die mein Ideengang
unter Ihrer Leitung nahm. Wahrheit an sich ist kostbar, kostbarer noch die Fertigkeit, sie zu
finden.“
Tatsächlich ist die Fähigkeit – oder die „Fertigkeit“, wie Humboldt schreibt –, Forschung auf
hohem Niveau zu betreiben, für die Wissenschaft an vielen Stellen mindestens ebenso
zentral wie das Ergebnis selbst.
Humboldts Geist lebendig zu halten, heißt, seinem Beispiel folgen. Für die Alexander von
Humboldt-Stiftung stellt diese Überzeugung nun seit fast 60 Jahren den Leitgedanken ihrer
Arbeit dar. Wir fördern Spitzenwissenschaftler aus allen Fächern und auf unterschiedlichen
Karrierestufen, von jüngeren, gerade promovierten bis hin zu den Stars der internationalen
5 Wissenschaftsszene. Allen unseren Geförderten bringen wir vor allem Vertrauen entgegen,
Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten und ihr Potential.
Voraussetzung für eine Förderung ist natürlich zunächst einmal die persönliche Leistung, die
die Stipendiaten vor ihrer Bewerbung oder ihrer Nominierung für einen Preis erbracht haben
müssen. Und wir wissen: Diese Leistung hängt nicht nur vom Examensergebnis oder einer
Veröffentlichung in einem Spitzenjournal alleine ab. Sie hängt oft auch von den
Arbeitsbedingungen ab, in denen die wissenschaftliche Arbeit angefertigt wurde, und dieses
Umfeld ist in Nairobi oder in Peking, in Ulan Bator oder in Yale, in Oxford oder São Paulo
keineswegs gleich und muss deshalb bei der Auswahl, die ansonsten völlig quotenfrei und
qualitätsbasiert erfolgt, bedacht werden. Aber der ernsthafte Anspruch, nach neuen
Erkenntnissen suchen zu wollen, der muss überall erkennbar sein, denn dieser ist es, der
eine Humboldtianerin oder einen Humboldtianer auszeichnet.
Um dann fördernd zu helfen, schaffen wir für unsere Stipendiaten aus mehr als 140 Ländern
Freiräume, die Stiftung versteht sich als ein Mittler, ein Katalysator. Wir ermöglichen es den
Stipendiaten, in Deutschland mit jenen Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten, die
bereit sind, junge, begabte und hochmotivierte Gäste in ihrer Entwicklung zu unterstützen
und ihnen zu helfen, jene „Fertigkeiten“, von denen Humboldt schrieb, zu erwerben oder sie
noch besser zu nutzen. Individuelle Förderung ist nach unserer Erfahrung die sinnvollste und
nachhaltigst wirkende Investition, damit Wissenschaft gedeihen kann.
Was den Charakter von wirklichen Forschern – und zwar in einer jeden Altersgruppe –
auszeichnet, dies ist die ungebrochene Neugier auf wirklich Unentdecktes, das unablässige
Suchen nach Methoden, die helfen, uns selbst und die Welt besser zu verstehen. Am Anfang
steht dabei nicht selten bloß eine vage Idee, gelegentlich gar nur eine Vermutung, die auf
den ersten Blick riskant oder vielleicht völlig abwegig erscheinen mag. Aber: es ist eine nicht
zu leugnende Tatsache, dass entscheidende Durchbrüche in der Wissenschaft – wie auch in
der Kunst – meist einer letztlich nicht planbaren Kombination von Kreativität, Intelligenz,
Neugierde, Ausdauer und Zufall zu verdanken sind, und dass hinter den großen
Entdeckungen oder Erfindungen sehr oft die Leidenschaft einzelner Personen steckt,
Personen, die, ähnlich Verliebten, kaum in der Lage sind, einem Dritten ihre Passion für die
Wissenschaft überzeugend zu erklären, die zwar für ihre Sache brennen, aber auch mit in
sich versunkenen Blicken durch die Korridore ihrer Institute laufen, gedankenverloren eine
Bibliothek aufsuchen, mit unergründlich seltsamem Lächeln in Cafés vor ihren Tischen
sitzen,
mitten
in
der
Nacht
aus
ihren
Betten
springen,
um
einen
Gedanken
niederzuschreiben, eine E-Mail abzuschicken oder – dem Zauberklang einer Mozart-Sonate
nachhängend – ganz einfach in den Sternenhimmel starren: träumend, sinnierend, und dabei
6 vielleicht einer Spur zu folgen scheinen, an deren Route es keine Wegweiser gibt, die
zwingend zum Erkenntnis-Gipfel weisen.
Wir in der Humboldt-Stiftung vertreten deshalb entschieden den Standpunkt: Wer
Spitzenforschung fördern will, sollte bei Personen beginnen – und nicht bei einem Projekt.
Alexander von Humboldt hat diese Erkenntnis ganz einfach formuliert, indem er festhielt:
„Sachen können ohne Personen und die sie leitenden Triebfedern nicht gedacht werden.“
Aber weil das Ziel von Grundlagenforschung zunächst einmal bloß im besseren Verstehen
ihres Forschungsgegenstandes liegt, Forschung ferner Zeit beansprucht und nicht wenig
Geld – oft Steuergeld – kostet, sie nicht auf Abruf marktreife Produkte liefern kann, deshalb
ist Grundlagenforschung zusehends und weltweit einem enormen Rechtfertigungsdruck
ausgesetzt, sie ist verwundbar geworden, und sie hat es zunehmend schwer, sich
gegenüber Wissenschaftsadministrationen zu behaupten, die eher auf zeitlich und
thematisch eng begrenzte Projekte mit vorhersehbaren Ergebnissen setzen. Es wäre einen
eigenen Vortrag wert, diesen Gedanken zu vertiefen und ein Plädoyer zu halten für mehr
neugiergetriebene Forschung als dem entscheidenden Element in Wertschöpfungsketten.
Aber an dieser Stelle mag der Hinweis auf Abraham Flexners großen Aufsatz in Harpers
Magazin vom November 1939 reichen, der den Titel trägt: "The Usefulness of Useless
Knowledge". Selbst nach 75 Jahren hat dieser leidenschaftliche Essay für die Rolle von
Forschung als Kulturgut und als Ausgangspunkt von Innovationen nichts von seiner
Gültigkeit verloren.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts werden Wissenschaft und Politik geprägt durch einen
globalen Wettlauf um eben jenes Wissen. Die modernen und nach wie vor vornehmlich
national
organisierten
Wissensgesellschaften
stehen
unter
einem
unerbittlichen
internationalen Wettbewerbsdruck. Denn die Wissenschaft selbst ist per se international, sie
ignoriert Grenzen, welcher Art auch immer, da neue Erkenntnisse grundsätzlich überall auf
der Welt gewonnen werden können, wenn nur die Voraussetzungen gegeben sind. Somit
kommt der Wissenschaft, den Wissenschaftlern und den Förderorganisationen eine
herausragende Stellung bei der Wahrung oder Mehrung von Wohlstand eines Landes wie
auch der Sicherung von Frieden und Freiheit zu. Vergessen wir nicht: Wissenschaft kann gut
als eine Diplomatie des Vertrauens eingesetzt werden.
Die
Förderung
eines
grenz-
und
kulturüberschreitenden
Austausches
von
Spitzenwissenschaftlern ist der bescheidene Versuch der Humboldt-Stiftung, Bedingungen
zu schaffen, dass der wissenschaftliche Wettbewerb künftig nicht zwingend in einen
erbarmungslosen Kampf um die besten Wissenschaftler umschlägt. Stattdessen sollten wir
7 uns die Überlegung zu eigen machen, dass die Lösung drängender globaler Probleme
vermutlich nur durch eine Grenzen ignorierende Zusammenarbeit möglich sein dürfte.
Der internationale wissenschaftliche Austausch, den die Alexander von Humboldt-Stiftung
über den in der Regel befristeten Aufenthalt junger Talente fördert, bleibt für die
Forschungslandschaft in Deutschland allerdings nicht folgenlos. Im Gegenteil: Humboldtianer
bereichern unsere Institute, ihre Impulse für die Arbeit an den Gastinstituten sind intensiv
und zahlreich, gemeinsame Publikationen tragen zur internationalen Sichtbarkeit bei, diese
Arbeiten werden übrigens signifikant häufiger zitiert als solche, die in einem Land allein
entstehen, aus den Kooperationen entwickeln sich häufig langfristige Partnerschaften
zwischen deutschen und ausländischen Instituten, Freundschaften wachsen, und Brücken in
die Zukunft werden gebaut, die dann der nächsten Generation die Zusammenarbeit
erleichtern – übrigens weit in die Zivilgesellschaften hinein. Die mittlerweile 27.000
Humboldtianer gehören zu Deutschlands besten Botschaftern in mehr als 140 Ländern! Und
in diesem Klima einer genuinen Partnerschaft gedeihen oft auch jene Ideen, ohne die
anspruchsvolle Grundlagenforschung nicht auskommt, sie entstehen einfach, weil wir
Freiräume schaffen, in denen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen selbstbestimmt
entscheiden, wann sie worüber forschen möchten. Kein Projektplan mit engen Zeitskalen
korsettiert sie, keine von einer übertriebenen Ökonomisierung bestimmten Zielvorgaben
machen ihnen hinderliche Vorschriften, begrenzen den Denkraum. Das großzügige
Gewähren von Freiräumen und von unkonditioniertem Vertrauen gehört zu unserem
Verständnis von Personenförderung und erklärt vermutlich die international oft gewürdigten
Erfolge der Alexander von Humboldt-Stiftung; ein Diplomat des Auswärtigen Amtes hat die
Stiftung einmal als den "Rolls Royce" der deutschen Wissenschaftsaußenpolitik" bezeichnet.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Exzellenz in der Forschung gedeiht am besten, wenn
Institutionen ihren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Vertrauen und Freiräume
schenken, damit diese ihrem Streben nach Erkennen folgen können. Und dies gilt gerade
und besonders für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Grundlagenforschung ist – wie das
Schreiben einer Oper – zunächst einmal eine Kulturleistung, sie ist jedenfalls kein
überflüssiger Luxus, im Gegenteil: sie ist essentiell. Hierzu nur ein Beispiel: 1927 postulierte
der blutjunge mathematische Physiker Paul Dirac aus Cambridge die Existenz von AntiMaterie, konkret: die des Positrons. Vier Jahre später bewies Carl Anderson vom CalTech
dessen Existenz. Für Jahrzehnte wurde das Positron als Kuriosität angesehen, denn keine
praktische Anwendung etc. war in Sicht. Heute gibt es wohl kaum ein größeres Hospital, in
dem die Positronen-Emissionen-Tomographie (PET) als eine der wichtigsten Methoden zur
Früherkennung bestimmter Krebsarten fehlt. Ich könnte leicht Dutzende anderer Beispiele
8 liefern, die den Rang und die Rolle einer neugiergetriebenen Forschung auch für den
Lebensstandard einer Gesellschaft belegen würden.
Aber zurück zum Thema: Was ebenfalls unerlässlich ist und sich bewährt hat, das sind ein
langer Atem in der Forschungsförderung und das Prinzip, Menschen Vertrauen zu schenken,
statt einer auf Misstrauen gegründeten Überwachungsadministration zu vertrauen. Und
schließlich gilt: Der Humboldt'sche Grundsatz, der Förderung von Personen statt der von
Projekten den Vorzug zu geben, hat den Test der Zeit glänzend bestanden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit – und alle guten Wünsche für die JuliusMaximilians-Universität in Würzburg!
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