Manuskript Beitrag: Was kommt nach dem Knast? – Resozialisierung von Straftätern Sendung vom 10. Mai 2016 von Manka Heise Anmoderation: Es ist eine Welt, von der wollen wir eigentlich nichts wissen. Deutschlands Gefängnisse. Merkwürdig: Für nichts interessiert sich die Öffentlichkeit mehr als für das Verbrechen. Die Morde von Höxter, das Grauen in der Nachbarschaft. Aber wenn die Täter hinter Gittern sind, werden sie vergessen. Genauso wie die Tatsache, dass 99 Prozent der Häftlinge eines Tages wieder in die Freiheit entlassen werden. Vermeintlich resozialisiert, in Wahrheit oft völlig unvorbereitet – mit Folgen für die Gesellschaft, wie Manka Heise berichtet. Text: Es ist der erste Tag in Freiheit. Sieben Jahre saß Cengiz in Haft, vier davon in der JVA Berlin-Tegel – wegen Drogenschmuggels. Wenige Stunden zuvor stand ein Justizbeamter in seiner Zelle: O-Ton Cengiz, Name geändert: Der hat mich angeguckt und hat mich auch gefragt: Ist alles okay? Ist das jetzt gerade schön oder doch nicht schön? Und ich habe ihm einfach gesagt, also, schön ist was anderes. Ich dachte, ich mache Endstrafe, wo soll ich denn bitte jetzt morgen hin? Ich habe noch 15 Stunden Zeit, ja. In diesen 15 Stunden soll ich Wohnung klarmachen, Arbeit klarmachen, was wollen Sie denn von mir? Vom ehemaligen Häftling Cengiz wird erwartet, sich wieder in einem Leben in Freiheit zurechtzufinden - mit Wohnung und Arbeit und vor allem ohne wieder straffällig zu werden. In den vielen Jahren hinter Gittern hat ihm das aber niemand beigebracht. O-Ton Cengiz, Name geändert: Das ist einfach ein riesen Gebäude, wo man Häftlinge einfach wegsteckt und wegschließt und niemand ist für jemanden da. Man ist quasi auf sich alleine gestellt. Dabei hat Strafvollzug ein klares Ziel: die Resozialisierung. Im Gesetz steht: Zitat: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel).“ Soweit das Vollzugsziel. Doch dieser gesetzlichen Verpflichtung kommen die Gefängnisse häufig nicht nach. Das hat Cengiz für seine Zeit in Tegel sogar schriftlich. In einem rechtskräftigen Beschluss stellt das Landgericht Berlin fest, „... dass die JVA in diesem Fall ihren Resozialisierungsauftrag in grober Weise verfehlt hat.“ Ein schwerer Vorwurf. Wir fragen nach beim Anstaltsleiter Matthias Riemer. O-Ton Frontal 21: Wie gehen Sie mit so was um? O-Ton Matthias Riemer, Leiter Justizvollzugsanstalt BerlinTegel: Natürlich gibt es immer wieder auch Auseinandersetzungen und Diskussionen, das gehört dazu, bei einer gerichtlichen Überprüfung, mit Gerichten über den richtigen Weg mit einem Gefangenen. Der Gefängnisleiter räumt ein: Für die Vorbereitung der Häftlinge auf ein straffreies Leben in Freiheit fehlen Geld und Personal. O-Ton Matthias Riemer, Leiter Justizvollzugsanstalt BerlinTegel: Natürlich wären wir in unseren Bemühungen erfolgreicher, wenn zum Beispiel der Betreuungsschlüssel im Sozialdienst besser wäre, als er derzeit ist. Das wäre auch um den heißen Brei herumgeredet, wenn ich sagen würde, nein, das ist nicht so. Wir dürfen mit Insassen der JVA Tegel reden - in einem Gefängnistrakt, der nicht mehr bewohnt ist. Doch ähnlich wie hier, sind nach wie vor Hunderte untergebracht. Die Gefangenen berichten: Mehr als wegschließen, passiert hier kaum. Ihr Alltag sei geprägt von Gewalt und Drogen – und das hat Folgen: O-Ton Strafgefangener, Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel: Mit jedem Tag, den man hier verbringt, wird man schlimmer. Und man kommt schlimmer raus, als man reingekommen ist. Das ist ja auch so, dass viele erst in Haft zum Beispiel drogenabhängig werden. Was die Leute dann aber noch in viel, viel größere Schwierigkeiten bringt. Dann können sie ihre Schulden nicht bezahlen und so weiter. Das eskaliert dann ganz schnell zu Gewalt. Wer seine Schulden nicht bezahlt, kriegt auf die Fresse. Solche Erfahrungen im Knast bereiten wohl kaum auf ein straffreies Leben in Freiheit vor. Ein Berliner Vollzugsbeamter bestätigt das. Er will nicht erkannt werden, aus Angst seinen Job zu verlieren. O-Ton Vollzugsbeamter: Also, von Resozialisierung habe ich noch nichts gehört. Dass ein Sozialarbeiter und Vollzugsbeamter mit einem Gefangenen rausfährt, um ihn auf die Freiheit vorzubereiten, sowie Wohnungs- oder Jobsuche – das erlebe ich kaum. Cengiz müht sich seit Monaten eine Wohnung zu finden. Er kommt nicht weiter. Täglich schickt er mehrere Anfragen raus, bisher kamen nur Absagen. Auch sein Bewährungshelfer kann ihm da nicht weiterhelfen. O-Ton Cengiz, Name geändert: Seit fünf Monaten bin ich jetzt draußen und jeder Tag ist für mich eine Last, nur Stress. Ich weiß immer noch nicht, wo ich heute Nacht schlafen darf oder sogar muss. Ja, und wie gesagt, ich suche meine Zelle. Für die meisten ehemaligen Gefangenen ist das erste Jahr in Freiheit, das schwerste. Über die Hälfte, also mehr als 50 Prozent, werden in dieser Zeit rückfällig. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich Bernd Maelicke mit diesem Problem. Dass ehemalige Strafgefangene nicht besser auf ihre Entlassung vorbereitet werden, kann gefährlich werden – für jeden. O-Ton Bernd Maelicke, Resozialisierungsexperte: Die Strafentlassenen werden ihre Nachbarn, in der Straßenbahn oder im Kaufhaus. Jeder Hundertste, der da neben Ihnen steht, war mal jemand, der im Gefängnis war. Wir müssen diesen ambulanten Bereich stärken. Und da brauchen wir Sozialarbeiter. Das sind eben die Profis, die das können, die müssen kontrollieren, die müssen aber auch dafür sorgen, dass da Wohnen und Arbeit und Schuldenregulierung und Drogen und all diese Dinge geleistet und begleitet werden und auch kontrolliert werden, weil, das wissen wir, wenn da jemand in geregelte soziale Verhältnisse kommt und begleitet wird nach der Entlassung, dann gehen die Rückfallquoten massiv zurück. In Hamburg lebt Jürgen. Sein Leben folgte immer denselben Muster: Knast, Entlassung, keine Wohnung, kein Geld, Betrug wieder Knast. Insgesamt sitzt er so 17 Jahre in Haft. Aus diesem Teufelskreis wollte er raus. Die JVA hat ihn dabei nicht unterstützt. O-Ton Jürgen, ehemaliger Strafgefangener: Klar gibt es Sozialarbeiter im Knast. Aber da ist nicht einer bei, der sagt, komm wir gucken mal nach einer Wohnung. Ich habe alles alleine gemacht und habe jedes Wochenende Freitag, Samstag, Sonntag - immer einen Brief geschrieben. Habe mir eine Schreibmaschine vom Pfarrer geliehen und dann ging es los. O-Ton Frontal 21: War das schwierig? O-Ton Jürgen, ehemaliger Strafgefangener: Man darf nach drei Absagen nicht sagen, ach scheiße, das wird sowieso nichts. Man muss einfach weitermachen. Also, entweder habe ich gewusst, entweder packe ich es oder es geht so weiter, wie es die letzten Jahre war. Seit drei Jahren ist Jürgen nun straffrei. Eine Wohnung hat er nur mit Hilfe des Hamburger Fürsorgevereins gefunden. Auch beim Umgang mit Geld hilft ihm der Verein. Bis heute geht Jürgen dorthin, wenn er Hilfe braucht. Der Verein ist angewiesen auf Spenden. Der Staat gibt kaum etwas dazu. Doch wenn das Geld fehlt, kann der Verein seine wichtige Arbeit nicht tun, kann Strafgefangenen nicht helfen. O-Ton Regina Stadler-Mislinski, Hamburger Fürsorgeverein: Jeden ehemals Straffälligen, der oft rückfällig war, der immer wieder in die Haft gegangen ist, den zu stabilisieren und straffrei, darum geht es ja, sozialverträglich, normkonform sein Leben zu gestalten, ist aktiver Opferschutz. Das muss man mal ganz klar so sagen. Dabei steht fest: ohne Resozialisierung, mehr Straftaten. Es ist der 20. Juni 2014. Am späten Nachmittag betritt Christian diese Bank in Essen. Dem Bankangestellten legt er einen Zettel hin: Er will Bargeld. So erbeutet er rund 12.0000 Euro. Was er nicht weiß: Das Geld ist mit einem Sender ausgestattet, wenige Stunden später wird er gefasst. Christian ist Wiederholungstäter. Schon einmal hat er über acht Jahre wegen Bankraubs gesessen. Sechs Monate lebt er in Freiheit - ohne feste Wohnung, ohne Arbeit. Als ihm das Geld ausgeht, sieht er für sich nur einen Weg - wieder eine Bank zu überfallen. Wir treffen ihn gemeinsam mit seiner Anwältin Christine Graebsch in der JVA Werl. Hier muss er wieder sieben Jahre absitzen. O-Ton Frontal 21: Ist nicht die Angst, wieder ins Gefängnis zu kommen, so groß, dass man alles tut, um eben nicht nochmal rückfällig zu werden? O-Ton Christian, Justizvollzugsanstalt Werl: Meine Perspektive war nicht nochmal straffällig zu werden. Und ich konnte zu dem Zeitpunkt nicht sagen, dass ich nicht wieder straffällig werde, aber ich wollte es eigentlich nicht. Wenn Sie keine Wohnung haben, keine Arbeit haben, sie haben kein richtig festes, über längere Zeit anhaltendes Umfeld, dann haben Sie nichts zu verlieren. Also, was sollen Sie dann verlieren? Die Verteidigerin kritisiert: Wenn der Staat nicht hilft, muss er sich nicht wundern, dass Straftäter wieder rückfällig werden. O-Ton Christine Graebsch, Verteidigerin: Das ist aber so die Grundhaltung: So, sie haben Straftaten begangen, wieso sollen wir sie jetzt noch extra unterstützen, sie müssen jetzt erstmal sehen, dass sie klarkommen. Und wenn sie nicht klarkommen, dann werfen wir ihnen das vor, dass sie nicht klarkommen. Dem 37-jährigen Christian droht ein Leben hinter Gittern Sicherungsverwahrung auf Kosten der Allgemeinheit. Denn Wegsperren ist teuer. Vier Milliarden pro Jahr gibt der Staat für seine Gefängnisse aus. Viel Geld für ein System, in dem jeder zweite Häftling wieder straffällig wird. O-Ton Bernd Maelicke, Resozialisierungsexperte: Was für ein volkswirtschaftlicher Schaden dadurch entsteht, dass wir diese hohen Rückfallquoten haben. Das könnte man, nicht beseitigen, ist auch klar, aber man könnte es sehr stark reduzieren. Und das ist der Preis, gewissermaßen wenn sie wollen - die Rendite, die bei einer solchen Systemveränderung dann auch zu erzielen ist. Das eine ist die persönliche Sicherheit, also, wir hätten viel weniger Kriminalität tatsächlich und wir würden sogar Kosten noch sparen. Justizvollzug ist Ländersache. In Berlin ist dafür Senator Thomas Heilmann zuständig. O-Ton Thomas Heilmann, CDU, Justizsenator Berlin: Ich würde den Grundsatz „wir tun insgesamt zu wenig“ zurückweisen und wir müssen zusehen, wir reden über das Geld des Steuerzahlers, das ist ja nicht in beliebiger Menge da. O-Ton Frontal21: Aber im Moment haben wir ein sehr teures Gefängnissystem, was sehr viel Geld frisst. Das heißt, langfristig gesehen würde man natürlich auch Geld sparen. O-Ton Thomas Heilmann, CDU, Justizsenator Berlin: Also, die Vorstellung, dass man Kriminalität abschaffen kann, kriegen sie weder O-Ton Frontal21: Ich rede nicht von abschaffen, sondern ich sage, man kann es einfach reduzieren. O-Ton Thomas Heilmann, CDU, Justizsenator Berlin: Also, ich kann ja trotzdem antworten, wie ich den Zusammenhang am besten glaube erklären zu können. Also, Kriminalität kann man nicht abschaffen. Wenn sie christlichen Glaubens sind, wissen Sie, dass das schon in der Bibel steht. Der Erfolg der Resozialisierung hängt vor allem davon ab, ob der Straftäter, meistens sind es ja Männer, sich mit seiner Straftat wirklich auseinandersetzt und wirklich sich resozialisieren lassen will. Der Verweis auf die Bibel, hilft Cengiz nicht weiter. Noch immer lebt er provisorisch auf zwölf Quadratmetern bei seiner Mutter. O-Ton Cengiz, Name geändert: Ich habe das Gefühl, niemand interessiert sich für mich. Ich bin einfach allen scheißegal und ja, das ist schon frustrierend. Im Moment existiere ich nur - so wie im Gefängnis. Im Gefängnis sagt man, man existiert, aber man lebt nicht. Und genau das habe ich jetzt seit sechs Monaten, wo ich draußen bin, immer noch – ich existiere nur! Cengiz war kriminell aber er hat seine Strafe abgesessen. Wieder ein straffreies Leben zu führen – ohne Hilfe, kaum zu schaffen. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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