7. MAI BIS 20. MAI

7. MAI BIS 20. MAI
10 2016
Pfingsten
Paradise reloaded
Der Frühling ist erwacht und mit ihm die Lust am Gärtnern.
Warum nur fasziniert uns der Garten so?
Was hat es auf sich mit den Gärten, dass sie so
viel Glück verheissen, so viel Frieden, Ruhe,
Freude und Genuss verströmen?
Hans von Trotha: Die Gartenkunst ist die einzige Kunst, die alle Sinne anspricht. Wir sehen,
hören, riechen, wir schmecken die Früchte, spüren den Wind auf der Haut, wir fassen die Blätter an. So viel Sinnlichkeit kann reines Glück
bedeuten.
In der christlich-abendländischen Kultur gilt
der Garten Eden als Urbild des Gartens, ein
Wunderwerk, das Gott in der noch unbelebten
Welt erschaffen hat. Inwiefern beeinflusst dieser Prototyp unsere Vorstellung eines Gartens?
Er beeinflusst sie massiv – vom Mittelalter bis in
die Gegenwart. Die christliche Paradiesvorstellung ist der prägende Hintergrund der europäischen Gartenkunst. Dabei hilft, dass die Beschreibung des Paradieses in der Bibel knapp
ausgefallen ist. Das hat es zu allen Zeiten ermöglicht, sich ein Paradies nach der je eigenen
Vorstellung zu gestalten – als Idee von dem Ort,
aus dem der Mensch vertrieben wurde.
Im Garten kann es gelingen, dass wir uns für
einen Moment einreden, dass diese Vertreibung
als irdisches Ereignis zumindest für den Augenblick zu überwinden ist.
Jeder Garten ist damit ein Echo auf das Paradies
und die Kompensation eines Urverlustes?
Ja, das würde ich so sagen. Die abendländische
Kultur beginnt mit dieser Vertreibung und ist
geprägt von der Sehnsucht nach der Rückkehr.
Im Garten ist das Moment der Rückkehr stärker
als das Moment des Vertriebenseins.
Hans von Trotha:
«Gartenkunst. Auf
der Suche nach dem
verlorenen Paradies»
Quadriga Verlag 2012.
Weitere Buchtipps
auf Seite 28.
Wie kann diese Inszenierung der Sehnsucht
nach dem Paradies gelingen?
Diese Frage lässt sich nicht generell beantworten. Gerade im 20. und 21. Jahrhundert haben
wir sehr differenzierte, individuelle Vorstellungen davon, wie das gelungene Leben, das Paradies auszusehen habe. Menschen, die heute
Gärten anlegen, tun dies deshalb auf sehr unterschiedliche Art und Weise. In früheren Zeiten, als es theologisch, gesellschaftlich und
künstlerisch verbindliche Normen gab, waren
sich auch die Gärten sehr viel ähnlicher.
Warum wird die Sprache der Gartenkunst über
Jahrzehnte hinweg verstanden?
Im 18. Jahrhundert wurde explizit ausgesprochen, was alle Gartenkünstler implizit voraussetzen: dass sie eine Kunst betreiben, die ohne
intellektuelle Vorbildung verständlich ist. Die
sinnlichen Reize eines Gartens sind zeitlos.
Stehe ich in der Mitte eines Gartens, der von
einem Kreuzgang umschlossen ist, und höre das
Plätschern des Brunnens, dann erfahre ich das
mystisch-spirituelle Erlebnis eines Mönches
im Mittelalter heute noch. Die Proportionen und
Positionen von Pflanzen, das Wegkreuz, der
Brunnen – all dies vermittelt eine symbolische
Botschaft, die ich unmittelbar verstehe.
Was ist eigentlich ein Garten?
Ein Garten ist ein Stück Land, das von seiner
Umgebung abgegrenzt ist. Erst der Zaun macht
den Garten zum Garten. Innerhalb dieser Grenze ist die Vielfalt unendlich. Auch das Paradies
ist abgegrenzt. Darum kann man daraus vertrieben werden.
Gärten haben sich über die Jahrhunderte stark
verändert. Welche Rolle spielte die Theologie?
Sie spielt eine sehr grosse Rolle. Wenn die These stimmt, dass Gärten Versuche sind, das Paradies zu rekonstruieren, dann ist der Garten das
Ideal von der Natur, das ihr selbst nicht eigen ist,
sondern vom Menschen gestaltet werden muss.
Da die Theologie in der abendländischen Geschichte ihre Position mehrfach verändert hat,
hat sich auch die Idee vom Paradies verändert –
und damit der Garten.
Können Sie die Entwicklung aufzeigen?
Das geheime Thema aller Gartenkunst ist die
Unendlichkeit, der Schutz vor ihr oder auch
eine Gestaltung des Unendlichen. Der mittelalterliche Klostergarten etwa war von dicken, hohen Mauern umschlossen – nach innen konzentriert und nach oben offen spirituell auf Gott hin
ausgerichtet.
In der Renaissance werden die Mauern aufgebrochen. Aus dem vertikalen wird mit dem
Blick in die Landschaft ein horizontales Unendlichkeitskonzept. Es sind anfangs geometrische
Gärten, in deren Mitte jetzt jedoch nicht mehr
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«Die christliche Paradiesvorstellung
ist der prägende Hintergrund
der europäischen Gartenkunst.»
Gott allein steht, sondern Gott zusammen mit
dem Menschen.
Im Barock werden die Anlagen sehr viel
grösser, im Zentrum steht nun neben Gott vor
allem eine Demonstration weltlicher Macht. Mit
der Aufklärung kommt der Wechsel von Geometrie zu Formen, die das natürlich Gewachsene imitieren. Der Landschaftsgarten entsteht,
und der wird in der Romantik weiterentwickelt.
Und später lässt sich kein einheitlicher Gartentyp mehr ausmachen?
Genau. Im 20. Jahrhundert war weniger Raum
für die Idee des Gartens als in anderen Jahrhunderten. In Kriegs- und Nachkriegszeiten haben
es Gärten schwer. Die 68er-Generation lehnte
Besitz, Tradition und bürgerliche Werte ab und
interessierte sich entsprechend auch nicht für
den Garten. Erst ab 1980 gewinnt der Garten
wieder an Bedeutung.
Und heute?
Seit der Jahrtausendwende entwickelt sich in
den Städten weltweit eine Urban-GardeningBewegung. Sehr aufregend: Junge Menschen
unternehmen im öffentlichen Raum Interventionen, um ihn mit gärtnerischen Mitteln lebenswerter zu gestalten. Damit wird auch die Trennung zwischen privatem und öffentlichem
Raum aufgehoben. Der Garten gehört allen. Wir
teilen Autos und Wohnungen – warum nicht
auch unsere Gärten?
Wie verhalten sich in den Gärten Funktionalität
und Ästhetik?
In dem Moment, in dem ich mein Gemüse nicht
nur nach pragmatischen, sondern auch nach ästhetischen Prinzipien anpflanze, entsteht Gartenkunst. Zu den Besonderheiten des Gartens
gehört, dass fast alle Entwicklungen und gelungenen Lösungen eine Kombination aus Funktionalität und Ästhetik sind. Wenn im Mittelalter
ein Beet rechteckig ist und der Weg gerade, dann
hat das eine symbolische Bedeutung – Symmetrie als Ausdruck höchster Vollendung mit Gott
im Zentrum –, es ist aber auch die praktischste
Form der Anlage eines Beets.
Hans von Trotha, 50,
studierte Literatur, Geschichte und Philosophie.
Seine Liebe zu den Gärten
entsprang seinen Studien
und nicht dem Umgang
mit Hacke und Schaufel.
Der Gartenhistoriker
gärtnert auch heute nicht,
sondern arbeitet als
Publizist und Berater im
Kulturbereich.
Sein Lieblingsgarten liegt
in Rousham bei Oxford.
Die mittelalterliche Vision
vom Paradiesgarten sieht
er besonders eindringlich in den Zisterzienserklöstern von Moissac und
Sénanque verwirklicht.
Ist die Lust am Gärtnern auch ein utopischer
Gegenentwurf zum Alltag?
Sicher. Ich ziehe mich in meine privaten Pflanzbeete und ins Haus zurück, wenn die Welt draussen gefährlich und unübersichtlich erscheint.
In Krisenzeiten boomen Gartencenter und Baumärkte. Urban Gardening ist auch ein utopischer Gegenentwurf, allerdings der etwas anderen Art. Eine selbstbewusste junge Generation
will lebenswerte Städte. Sie verschiebt diesen
Traum nicht auf morgen, sondern verwirklicht
ihn heute.
Es ist ein altes Gesetz, dass es da, wo gegärtnert wird, auch Zukunft gibt. Wo ich säe, erwarte ich eine Ernte. Das sollte uns optimistisch
stimmen.
Gespräch: Pia Stadler Foto: Carsten Kampf/zvg
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«Gärten der Welt»
Das Museum Rietberg lädt zu einer Promenade
durch die Welt der Gärten ein – angefangen von
den Paradiesgärten bis zu den Oasen unserer
Tage. Kunstwerke, Fotos und Videos zeigen, wie
sich Menschen in unterschiedlichen Kulturen
und Epochen Gärten herbeigesehnt und sie
verwirklicht haben.
Der Villengarten des Museums, der Rieterpark,
bildet die Kulisse der Ausstellung. Er gehört zu
den schönsten Landschaftsgärten der Schweiz
und wird eigens für die Ausstellung wieder mit
Blumenbeeten bepflanzt, wie sie im 19. Jahrhundert Mode und auch im Rieterpark zu bewundern waren.
«Krishna und Radha als Liebespaar in einer paradiesischen Landschaft»
Indien, 1775 / 1780. © Museum Rietberg, Foto: Rainer Wolfsberger
Wie ein Garten so spricht auch die Ausstellung
alle Sinne an. Dazu gehören zahlreiche Veranstaltungen, die das Thema Garten auf unterschiedliche Weise erlebbar machen. Ein Kräutermarkt, ein Gartenfest, Afternoon Tea im englischen Stil, Vorträge, Konzerte und Filmabende
sind Highlights aus dem Rahmenprogramm. ps
Gartenfest
Im Park und rund ums Museum wird
die Welt der Gärten gefeiert:
Mit Musik, Marktständen, verschiedenen
kulinarischen Angeboten, Gartenatelier
für den Miniaturgarten zu Hause sowie
regelmässig stattfindenden Führungen
durch die Ausstellung.
Sa, 25.6., 11 bis 21 Uhr; So, 26.6., 11 bis 18 Uhr
Museum Rietberg
Gablerstrasse 15, Zürich
Do bis So, 10 bis 17 Uhr; Mi, 10 bis 20 Uhr
www.rietberg.ch, www.gaertenderwelt.ch
«Adam und Eva»
Kupferstich, Albrecht Dürer, 1504. © Graphische Sammlung ETH Zürich
«Das Westliche Paradies des Amitabha» (Taiga Mandara)
Buddhistische Hängerolle, 19. Jh. © Museum Rietberg, Foto: Rainer Wolfsberger
Le se rauf ru f
MEIN PARADIESGARTEN
«Willst du ein Leben lang glücklich sein, so lege
dir einen Garten an», besagt ein chinesisches
Sprichwort. Pflegen auch Sie eine grüne Oase? Dann
schicken Sie uns ein Foto Ihres Paradiesgartens
und ein kurzes Statement, was er Ihnen bedeutet.
Eine Auswahl veröffentlichen wir im forum:
Redaktion forum, Stichwort «Paradiesgarten»
Hirschengraben 72, 8001 Zürich, [email protected]
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