Meeresblicke 2017

Der mare-Kalender
„Meeresblicke
2017“
Whisper | Lesetipps der BuchMarkt-Redaktion
Cornelia Camen
János Székelys Roman Verlockung –
die Geschichte des Ungarn Béla, der
sich in Budapest durchs Leben kämpft
– avancierte schon in den 50er-Jahren, nach seiner
Veröffentlichung in den USA, zum Welterfolg und
wurde dann vergessen. 2005 hatte Tanja Graf den
Stoff bei SchirmerGraf wieder aufgelegt und dann,
Ulrich Faure
Nach seinem höllischen Großroman
Beelzebub im Eigenverlag kommt Stefan Schütz mit einem leisen Buch, das
unter die Haut geht: Unser Leben (Matthes & Seitz).
Rainer Moritz’ Überlebensbibliothek (Atlantik)
würde ich ergänzen wollen (z.B. um Albert Vigoleis
Thelen), aber er macht mir Lust auf so viele neue
Barbara Meixner
Neun Fotografen
zeigen ausdrucksstarke
Meereslandschaften aus
Zwei sehr unterschiedliche Ansätze,
doch beide Romane zeichnen ein Bild
vom aktuellen, wirklichen Europa:
Anna Maria Hahn hat ihre Geschichte Das Kleid meiner Mutter (Suhrkamp) in der knallharten Wirklichkeit
junger Menschen im eurokrisen-geschüttelten Madrid
angesiedelt, aber schnell geht es in eine fantastische,
Jörn Meyer
aller Welt.
Format: 82 mal 58 Zentimeter.
ISBN 978-3-86648-255-5
Nur 49 5 /69 CHF
Der Titel Zombie Wars (Knaus) ist ein
wenig irreführend: Zombies treten hier
nur in der Fantasie des Protagonisten
auf – wobei dessen Leben tatsächlich zu einer Art
Kriegsschauplatz wird, durch den er eher zombiehaft wankt. Clever und turbulent erzählt Aleksander
Hemon davon, wie schnell das geordnete Leben
Friederike von Diest
Die Wand von Marlen Haushofer ist
jetzt bei Ullstein im Mini-Format erschienen. Die Geschichte um eine Frau,
die durch eine unsichtbare Wand vom Rest der Welt
abgeschnitten im Wald lebt und überlebt, fesselt und
berührt. George R.R. Martin zeigt schon in seinem
Erstlingswerk Die Flamme erlischt (Penhaligon) sein
Susanna Wengeler
Meine Lieblingslektüre auf mittellangen Bahnfahrten sind kompakte Biografien, wie die aus Wienands kleiner
Reihe der Künstlerbiografien. Der neue Band über
Käthe Kollwitz ist wieder schön gestaltet, und Alexandra von dem Knesebeck gibt einen gut lesbaren Überblick über das Schaffen und Leben einer
Christian von Zittwitz
Ab August 2016 lieferbar
www.mare.de
Kalendercover und Kalenderblätter von oben nach unten:
Pooyan Shadpoor; Christian Vorhofer/imageBROKER/Interfoto; Leo Seidel
Meine Frau freut sich über Liza
Klaussmanns „schönen“ Künstlerroman Villa America (Droemer), „prima
verkäuflich“. „Eine Entdeckung“ war für sie Milena
Busquets’ „melancholisch-eleganter“ Roman Auch
das wird vergehen (Suhrkamp). Beiden hat uns der
Hintergrund (Bulgarien, Geheimdienst, Politbüro) in
104
in ihrem Jahr bei Diogenes nach Zürich getragen,
wo Verlockung jetzt eine weitere Renaissance im Taschenbuch erfahren hat. Zu Recht: ein fast 1.000-seitiger Schmöker, bei dem jeder Satz Freude bereitet.
Literaturpreis-verdächtig: Nachts ist es leise in Teheran von Shida Bazyar, die die Geschichte einer
deutsch-iranischen Familie über vier Jahrzehnte hinweg erzählt (Kiepenheuer & Witsch), ist so aktuell
wie bewegend. Großartig!
Autoren und Bücher, dass ich nicht zu meckern wage.
Spielt in einer ganz eigenen Liga: Christopher Ecker
mit Der Bahnhof von Plön (mdv). Zweimal Dada:
Thilo Bock hat sich mit Hugo Ball beschäftigt (Verbrecher) – und unverzichtbar ist der Dada-Almanach
von Manesse. Zeichnet ein schönes Bild von Land und
Leuten: Stefan Slupetzky Mauritius (Picus). Und:
Henning Albrecht hat bei Rowohlt eine großartige
Horst Janssen-Biografie vorgelegt.
skurrile und auch spannende Richtung. Eine tolle
Genre-Mischung, berichtet aus einer erfrischenden
Ich-Perspektive. Dagegen ist Boy aus der WagenbachReihe über niederländische Literatur wirklich harte
Kost, komplett ohne Fiktions-Filter. Logisch: Im normalen Leben ist Wytske Versteeg Politikwissenschaftlerin, die sich mit Obdachlosigkeit befasst. Boy ist ihr
zweiter Roman, es geht um den Tod eines adoptierten
afrikanischen Jungen. Erschütternd, wichtig.
zu einem Scherbenhaufen geraten kann. Verstörend
plausibel und ohne unnötig zu skandalisieren deutet
Yves Petry in In Paradisum (Luftschacht) die realen
Geschehnisse eines Mordes um und verleiht dem Opfer postum eine Stimme. Der surreale Büro-Roman
Das Zimmer (Luchterhand) von Jonas Karlsson
wirft viele Fragen auf und ist eine hintergründige,
durchaus kafkaeske Parabel auf die moderne Arbeitswelt.
Können: komplexe Strukturen und Hintergrundgeschichten kreieren ein eigenständiges Universum.
Wie von ihm gewohnt, muss man sich erst einmal
in die Materie einlesen – danach kann man es nur
schwer wieder weglegen. Was ist dran am Vampirglauben? Thomas M. Bohn geht dem europäischen
Mythos in Der Vampir (böhlau) auf den Grund und
zeigt, dass der ursprüngliche Wiedergänger wenig
mit dem heutigen Romanvampir zu tun hat.
der bekanntesten deutschen Künstlerinnen. Für die
Rückfahrt liegt Roman Zieglgänsbergers Band über
Alexej Jawlensky im Koffer. Tschingis Aitmatows
Dshamilja ist in der Insel Bücherei neu aufgelegt
worden, und es lohnt sich, hinzusehen, denn Stefanie
Harjes hat die dramatisch schöne Liebesgeschichte
illustriert. Und lange noch geht mir der neue Roman
von Marjaleena Lembcke nach: Wir bleiben nicht
lange (Nagel & Kimche).
Wiedersehen in Paris (Wagenbach) gut gefallen, und
auch, wie Albena Dimitrova immer den richtigen
Ton ihrer unmöglichen (?) Liebesgeschichte trifft.
Aber wir lesen gern auch gradliniges Lesefutter: Moskau um Mitternacht von Sally McGrane (Europa)
bietet solide Spannung – für mich derzeit nur getoppt
von Porkchoppers von Ross Thomas (Alexander)
und dem neuen Jesse Stone-Krimi Doppeltes Spiel
von Robert B. Parker (Pendragon).
BuchMarkt Mai 2016