Von der Multikanalbank zur - Horváth & Partners Management

White Paper
„Zukunft des Privatkundengeschäfts“ –
Von der Multikanalbank zur
‚offenen Banking-Plattform‘
Dr. Ingo Kipker
Dr. Marcus Niebudek
2015
www.horvath-partners.com
White Paper: „Zukunft des Privatkundengeschäfts“
1. Ausgangssituation: Druck auf Erträge und
zunehmender Wettbewerb
Die aktuellen Herausforderungen in der Finanzdienstleistungsbranche sind größer als je zuvor. Dies trifft insbesondere
auf das Privatkundengeschäft zu. Hier sorgen vier bankenübergreifende Trends dafür, dass das Privatkundengeschäft für viele
Banken und Sparkassen unprofitabel wird.
Die wirtschaftliche Situation in Deutschland ist gegenwärtig zwar positiv, gleichzeitig jedoch fragil: Die Eurokrise sowie
nachlassende Wachstumsraten in Entwicklungs- und Schwellenländern erzeugen Unsicherheit bezüglich der weiteren Entwicklung. Das derzeit historisch niedrige Zinsniveau wird auch
in absehbarer Zukunft erhalten bleiben. Eine Erholung der
durchschnittlichen Zinsmargen ist gegenwärtig nicht in Sicht.
Bereits jetzt lässt sich im Passivgeschäft kaum noch Geld verdienen und es ist davon auszugehen, dass die Zinserträge in
den kommenden Jahren stark einbrechen werden. Das kleinvolumige und margenschwache Retail Banking wird somit für
viele Banken und Sparkassen ein Verlustgeschäft.
Erschwerend kommt hinzu, dass die regulatorischen Anforderungen weiter zunehmen. Nach der Bankenkrise werden
Kreditinstitute sowohl von der Bankenaufsicht als auch von
Verbraucherschützern noch kritischer beäugt als zuvor. Die Anzahl und die Intensität der regulatorischen Vorschriften steigen. Dementsprechend steigen auch die durch die Regulatorik
verursachten Kosten sowie die Komplexität des Bankgeschäfts.
Beratungsprotokolle sorgen zum Beispiel bereits heute dafür,
dass weniger Zeit für die eigentliche Beratung von Kunden zur
Verfügung steht. Die Neuerungen und Vereinheitlichung der
Beratungsprotokolle auf europäischer Ebene bei der Einführung von MiFID II treiben die Kosten weiter in die Höhe. Die
regulatorischen Entwicklungen erhöhen die Kosten für Banken
und setzen die Profitabilität im Privatkundengeschäft weiter
unter Druck.
Ergänzend nimmt der Wettbewerbsdruck in der Finanzdienstleistungsbranche weiter zu. Anfang des Jahrtausends
waren es vor allem die Direktbanken, die die Reichweite des Internets nutzten, um ihre Kundenbasis von 3,9 Millionen im Jahr
2000 auf circa 18 Millionen im Jahr 2015 zu erhöhen (Statista
2015). Mit FinTechs sind in den letzten Jahren neue, aggressive
Wettbewerber in den Finanzdienstleistungssektor eingetreten.
FinTechs sind junge Start-ups, die Bank- und Versicherungsdienstleistungen durch neueste technologische Möglichkeiten
anbieten. Sie offerieren insbesondere im Privatkundengeschäft
mittlerweile über alle Ertragssäulen der Banken hinweg Dienstleistungen und Produkte an, die in der Regel sehr viel intuitiver
und kostengünstiger als klassische Bankdienstleistungen sind.
Es ist davon auszugehen, dass FinTechs in den nächsten Jahren
klassischen Banken konsequent Marktanteile abnehmen werden. Die hohe Preistransparenz dieser Start-ups wird den intensiven Preiswettbewerb in der Finanzdienstleistungsbranche
noch weiter verstärken.
© Horváth & Partners 2015
Zu guter Letzt sind es auch die Kunden selbst, die mit ihrem
veränderten Verhalten die Banken vor enorme Herausforderungen stellen. Die klassische Bankfiliale als erster Interaktionspunkt hat für viele Kunden ausgedient. An ihre Stelle sind das
Online- und Mobile-Banking getreten: Vergleichsportale ermöglichen es Kunden, innerhalb von Sekunden Bankprodukte zu
vergleichen. Kunden haben sie als erste Informationsquelle
erkannt und kommen dadurch sehr viel informierter und preissensitiver zu den Beratungsgespräche der Banken.
Schnelligkeit und intuitive Bedienung im Online-Banking
und bei Apps sind zunehmend die wichtigsten Kriterien für
Kunden. Dies erfordert ein Umdenken auf Seiten der Banken,
die bisher den „automatischen“ Filialbesuch der Kunden gewohnt waren. Darüber hinaus sind hohe Investitionen in den
Aufbau und die Vernetzung neuer Vertriebs- und Interaktionskanäle notwendig. Gleichzeitig muss das Filialnetz den neuen Kundenanforderungen angepasst werden: Die Anzahl der
Bankfilialen wird weiter abnehmen, während gleichzeitig bestehende Filialkonzepte weiterentwickelt werden müssen.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen und das Privatkundengeschäft wieder profitabel und zukunftsfähig zu machen, gilt es im ersten Schritt, die Bank in eine integrierte Multikanalbank weiterzuentwickeln. Darüber hinaus müssen bereits
jetzt die Weichen für die weitere Zukunft gestellt werden. Das
Zielbild einer „offenen“ Banking-Plattform zeigt auf, wie sich
das Privatkundengeschäft in der Zukunft gestalten könnte und
welche Veränderungen Banken im Privatkundengeschäft noch
bevorstehen.
Stufe 2:
Ausbau zur
„offenen“
BankingPlattform
Ausbau von
Online- und
Mobile-Banking
zur BankingPlattform mit
offenen
Schnittstellen
„Banking so
einfach wie online
einkaufen“
Etablierung neuer
digitaler
Interaktionsformen
und „Next-BestOffer“
Filialen als
Beratungs- und
Spezialistenzentren
positionieren
Stufe 1:
Weiterentwicklung von der
Filialbank zur
integrierten
Multikanalbank
Verzahnung der
Vertriebskanäle
Erhöhung der
Vertriebseffizienz
Weiterentwicklung
der Filialstruktur
Nutzung
intelligenter
Ansätze zur
Preisgestaltung
Filialbank
Abb. 1: Von der Filialbank über die integrierte Multikanalbank zur „offenen“
Banking-Plattform
2. Stufe 1: Weiterentwicklung von der Filialbank zur integrierten Multikanalbank
Die erste Stufe, um das Privatkundengeschäft zukunftsgerichtet und profitabel auszugestalten, ist die kurz- bis mittelfristige Weiterentwicklung der Bank von einem klassischen
Filialbankmodell zu einer „integrierten Multikanalbank“. In
der integrierten Multikanalbank agieren alle Vertriebskanäle
gleichberechtigt zueinander. Die Kunden entscheiden in jeder
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White Paper: „Zukunft des Privatkundengeschäfts“
Phase des Vertriebsprozesses selbständig, welchen Vertriebskanal sie für ihr jeweiliges Anliegen nutzen möchten. Um dieses Zielbild zu erreichen, haben wir vier wesentliche Stellhebel
identifiziert, mit denen sich Banken auseinander setzen sollten:
Die Verzahnung der Vertriebskanäle, die Erhöhung der Vertriebseffizienz, die Weiterentwicklung der Filialstruktur und die
Nutzung intelligenter Ansätze zur Preisgestaltung.
Stufe 1: Weiterentwicklung von der
Filialbank zur Multikanalbank
Verzahnung der
Vertriebskanäle
Erhöhung der
Vertriebseffizienz
Weiterentwicklung
der
Filialstruktur
Nutzung
intelligenter
Ansätze zur
Preisgestaltung
Abb. 2: Weiterentwicklung von der Filialbank zur integrierten Multikanalbank
2.1 Verzahnung der Vertriebskanäle
Der Ausbau der Vertriebskanäle in Banken und Sparkassen
ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass nahezu alle Finanzinstitute ihren Kunden Interaktionsmöglichkeiten auf fast allen
Vertriebskanälen anbieten. Eine „echte“ Verzahnung der Vertriebskanäle haben die meisten Institute allerdings noch nicht
herstellen können. Bei vielen Banken und Sparkassen sind die
einzelnen Vertriebskanäle bislang eigenständige „Silos“. Zudem werden die Kundenverantwortlichkeiten in den Vertriebskanälen oft unterschiedlich gehandhabt und Informationen
über erfolgte Kundenkontakte nicht zentral festgehalten. Landen Anfragen in der Filiale meistens direkt beim zuständigen
Kundenberater, werden Anfragen im Online-Banking oft zentral bearbeitet. Hinzu kommt, dass sich das Produkt- und Dienstleistungsspektrum über die verschiedenen Kanäle zumeist danach richtet, was technisch möglichst einfach umsetzbar und
geschäftspolitisch gewollt ist. So ist eine Vielzahl an Produkten
und Dienstleistungen bei vielen Banken bisher nur in der Filiale abschließbar. Banken laufen so Gefahr, dass Kunden das
gewünschte Produkt einfach bei Wettbewerbern abschließen,
bei denen das Produkt bereits über den gewünschten Kanal
verfügbar ist.
Banken sollten kurz- bis mittelfristig die Verzahnung der
Vertriebskanäle forcieren und einen nahtlosen Wechsel zwischen den Kanälen mit dem Ziel ermöglichen, die Customer
Journey zu perfektionieren. Hierzu ist es notwendig, alle Kontaktpunkte zwischen einem Kunden und der Bank zu dokumentieren und jederzeit dort, wo der Kunde erneut in Kontakt
mit der Bank tritt, verfügbar zu machen. Kunden sollten die
Möglichkeit haben, im Vertriebs- bzw. Beratungsprozess nahtlos und ohne Barrieren den Kanal zu wechseln. Ziel muss es
sein, dass Kunden z. B. mit einer auf ihrem Smartphone durchgeführten Baufinanzierungsberechnung in die Filiale kommen
können, diese dort aufgegriffen wird und der Berater dem Kun-
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den das konkrete Baufinanzierungsangebot direkt auf dessen
Tablet zum Abschluss zukommen lässt. Mehrfacheingaben und
Wiederholungen des Kunden, bei denen immer die Gefahr eines Prozessabbruchs besteht, entfallen so. Auch sollte es dem
Kunden überlassen bleiben, wie er erforderliche Unterlagen an
die Bank einreicht: Schriftlich per Brief bzw. persönlich in der
Filiale, per E-Mail oder direkt mit dem Smartphone abfotografiert über die bankeigene App. Ausschlaggebend sind die Bedürfnisse des Kunden und nicht die technischen Möglichkeiten
der Bank.
Um diese Verknüpfung zu gewährleisten, empfiehlt es
sich, ein digitales Kundencenter zu etablieren, das alle Kontaktpunkte des Kunden (telefonisch, per Post, per E-Mail über
die Homepage oder per App) zentral in einer „Kundenmappe“
speichert und alle relevanten Informationen an den Kundenberater weiterleitet. Alle direkten Interaktionen werden durch
diesen ebenfalls in der Kundenmappe eingepflegt. So wird ein
Großteil der Informationen aus allen Interaktionskanälen gebündelt und gleichzeitig die jederzeitige Verfügbarkeit selbiger
sichergestellt.
2.2 Erhöhung der Vertriebseffizienz
Der zweite Hebel, um das Privatkundengeschäft wieder
profitabel zu gestalten, ist die Erhöhung der Vertriebseffizienz.
Während der Effizienzfokus in den letzten Jahren größtenteils
auf den Marktfolge- und Stabseinheiten lag, gilt es nun, die
Vertriebseinheiten so „schlagkräftig“ wie möglich zu gestalten,
um einerseits Erträge zu erhöhen und andererseits Ressourcen
so effizient wie möglich einzusetzen.
Das gezielte Setzen von Steuerungsimpulsen und die Förderung einer positiven Vertriebskultur zeigen dabei die stärksten
Effekte. Die erfolgreichsten Institute setzen auf eine wachstumsorientierte Vertriebssteuerung auf Grundlage eines internen
Benchmarkings über „Ligatabellen“. Hierfür werden zuerst geeignete Wachstumstreiber aus der Vertriebsstrategie abgeleitet. Diese bilden wiederum die Grundlage für einen internen
Ist-Ist-Vergleich der Zielerreichung der Vertriebsmitarbeiter.
Hierzu werden Vergleichsgruppen von Vertriebsmitarbeitern
mit möglichst homogenen Tätigkeitsprofilen erstellt. Daraufhin
wird ein oberer Quantilwert (zum Beispiel Top-25%-Quantil)
als 100%-Zielerreichungswert festgelegt. Über wöchentliche
Reports bekommen Vertriebsmitarbeiter jederzeit Einblick, wie
ihre eigene Performance im Vergleich zu anderen Mitarbeitern
mit vergleichbaren Vertriebsaufgaben steht.
Die Steuerungsimpulse dieser „Bundesligasteuerung“ sind
vielfältig. Erstens gibt es keine Deckelung der Anreize für Leistungsträger durch eine fixe Zielsetzung. Bei einer an absoluten
Zahlen orientierten Vertriebssteuerung besteht ab einem bestimmten Zielerreichungsgrad in der Regel kein weiterer Anreiz,
sich zu steigern. Das heißt, dass Mitarbeiter die vor Jahresende ihre Ziele bereits erreicht haben, keinen zusätzlichen Anreiz
mehr haben, weitere Vertriebserfolge für die Bank zu generie-
3
White Paper: „Zukunft des Privatkundengeschäfts“
ren und sich schlimmstenfalls sogar „entspannt zurücklehnen“.
Mithilfe des internen Benchmarkings hingegen treiben sich
vertriebsstarke Mitarbeiter gegenseitig zu weiteren Vertriebserfolgen an, da sie ihre Spitzenposition halten beziehungsweise weiter ausbauen möchten. Zweitens besteht für alle Mitarbeiter ein hoher Anreiz zur Verbesserung ihrer Zielerreichung.
Mitarbeiter im Top-Quantil sind oft sehr ehrgeizig und wollen,
wie gerade beschrieben, ihre Position verteidigen. Mitarbeiter
im Mittelfeld haben hingegen einen spürbaren Anreiz, in das
Top-Quantil vorzudringen oder sind dadurch motiviert, dass sie
nicht in das letzte Quantil „abrutschen“ möchten. Darüber hinaus empfehlen wir, nicht nur Mitarbeiter im Top-Quantil für ihre
Vertriebsleistungen zu belohnen, sondern auch die „Aufholer“
über einen bestimmten Zeitraum. So werden insbesondere für
Mitarbeiter im letzten Quantil sowie für Mitarbeiter im unteren
Mittelfeld starke Anreize geschaffen, sich überdurchschnittlich
stark zu verbessern.
Diese Art der Vertriebssteuerung hilft einerseits, die Erträge
zu steigern und unterstützt andererseits auch die Etablierung
einer positiven Vertriebskultur. Der sportliche Wettbewerbscharakter steht hiermit verstärkt im Vordergrund. Mitarbeiter
werden wieder darauf fokussiert, dass Vertrieb „Spaß“ machen
kann und richten ihren Blick nicht länger auf den „Druck“, dem
sie durch starre Zielvorgaben ausgesetzt sind. Zusammenfassend wird mit der Steuerung über „Ligatabellen“ die Vertriebsstärke ausgebaut und ein sportlicher Wettbewerbsgedanke im
Vertrieb verankert.
Neben der Steigerung der Ertragskraft können viele Banken
und Sparkassen von einer effizienteren Ressourcenallokation
im Vertrieb profitieren. So sollte die weiterhin anhaltende Niedrigzinsphase dazu genutzt werden, Betreuungskonzeptionen zu
überprüfen und anzupassen. Zielsetzung hierbei ist eine stärkere Ausrichtung der Betreuungsintensität an der Profitabilität
einer Kundenbeziehung. So sollten für Kunden, zu denen derzeit keine profitable Geschäftsbeziehung besteht und bei denen auch nur wenig zukünftiges Potenzial vermutet wird, keine
dezidierten Ressourcen für die Beratung vorgehalten werden.
Die gute Verfügbarkeit von Informationen und die einfache
Vergleichbarkeit von Bankprodukten im Internet hat dazu geführt, dass viele Banken zunehmend mit Kunden konfrontiert
sind, die als Selbstentscheider agieren und nur in Ausnahmefällen eine Beratung wünschen. Bei einigen Banken liegt dieser
Anteil bei mittlerweile 25 - 50% der gesamten Kundschaft aus
allen Kundensegmenten. Die Beratungsaffinität sollte somit
als zusätzliches Kriterium in eine Kundensegmentierung bzw.
Betreuungskonzeption aufgenommen werden. So werden übermäßige Leerkapazitäten im Vertrieb verhindert und Beratungsressourcen nur für diejenigen Kunden vorgehalten, die eine
Beratung auch wirklich wünschen und in Anspruch nehmen.
© Horváth & Partners 2015
2.3 Weiterentwicklung der Filialstruktur
Die Filialstruktur deutscher Banken befindet sich derzeit
stärker denn je im Umbruch. Gab es im Jahr 2000 noch über
55.500 Bankfilialen in Deutschland, so ist diese Zahl bis zum
Ende 2014 auf knapp 35.000 Filialen gesunken (Bankstellenbericht 2014, Deutsche Bundesbank). Wir gehen davon aus,
dass dieser Trend weiterhin anhält und die Zahl bereits im Jahr
2020 deutlich unter 30.000 Filialen liegen wird. Treiber dieses
Trends sind vor allen Dingen zwei Entwicklungen. Zum einen
hat sich das Kundenverhalten stark verändert. Kunden nutzen
neue Möglichkeiten, um mit ihrer Bank in Kontakt zu treten.
Online- und Mobile-Banking erfreuen sich hoher Akzeptanz
und machen viele Filialbesuche überflüssig. Auch die Bargeldversorgung wird immer weniger über klassische Bankfilialen
sichergestellt. Einerseits finden sich viele Geldautomaten an
zentralen und stark frequentierten Plätzen, andererseits kann
Geld mittlerweile auch an vielen Tankstellen und Supermärkten während des Einkaufs abgehoben werden. Der andere Treiber des „Filialsterbens“ ist der verstärkte Kostendruck, der sich
bei allen Institutsgruppen bemerkbar macht. Die Schließung
von Filialen ist für viele Institute ein adäquater Hebel, um Sachund Personalkosten zu reduzieren.
Für viele Banken ist jetzt ein guter Zeitpunkt, eine Anpassung der Filialstruktur anzugehen. Hierbei sollte aber davon
abgesehen werden, einfache Ansätze wie „Schließung jeder 4.
Filiale“ zu verfolgen. Vielmehr muss ein umfassender Prozess
zur Weiterentwicklung der Filialstruktur gestartet werden. Der
erste Schritt ist die Analyse der Kundennachfrage. Es gilt, die
aktuelle Frequenz der Filialbesuche und die Art der in Anspruch
genommenen Leistungen und Services zu erheben. Darüber hinaus sollte auch abgefragt werden, welche Leistungen Kunden
gerne in ihren Filialen vorfinden und in Anspruch nehmen würden.
Darauf aufbauend steht im zweiten Schritt die Entwicklung
eines abgestuften Filialkonzepts an, das die Kundenfrequenz
und -nachfrage berücksichtigt. Es gibt dazu keinen allgemeingültigen Ansatz, ist die deutsche Bankenlandschaft doch von
einer starken Heterogenität und Regionalität geprägt. Aus unserer Sicht bewährt sich derzeit ein Filialkonzept mit vier unterschiedlichen Filialtypen.
Entsprechend der Kundennachfrage und Lage des jeweiligen Standorts sollten Filialen in „SB-Filialen“, „Filial-Shops“,
„Beratungszentren“ und „Flagship-Stores“ unterteilt werden.
SB-Filialen stellen die Grundversorgung sicher. An diesen
Standorten wird kein Personal vorgehalten, es stehen nur Geldund ggf. Serviceautomaten zur Durchführung von Überweisungen oder dem Ausdruck von Kontoauszügen zur Verfügung.
Die nächste Ausbaustufe stellen sogenannte „Filial-Shops“
dar. Neben Geld- und Serviceautomaten können Kunden hier
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White Paper: „Zukunft des Privatkundengeschäfts“
auch auf ein standardisiertes Service- und Beratungsangebot
zurückgreifen. Komplexere Beratungen, wie etwa eine Baufinanzierung oder Vermögensberatung, finden hier nicht statt.
Diese werden in „Beratungszentren“ angeboten, die das komplette Leistungsspektrum im Privatkundengeschäft der Bank
abdecken. Diese sollten bestenfalls in zentraler Innenstadtlage
angesiedelt werden. Die Beratungs- und Servicezeiten sind hier
im Vergleich zu den „Filial-Shops“ zeitlich deutlich flexibler und
weiter ausgedehnt. „Flagship-Stores“ bieten das gleiche Leistungsspektrum wie Beratungszentren, dienen darüber hinaus
aber vor allen Dingen der Imagebildung und tragen durch die
Betonung der Marke zur Kundenbindung bei. Zudem können
neue technologische Möglichkeiten und Konzepte hier als erstes pilotiert werden, bevor sie auf weitere Filialarten ausgerollt
werden. Flagship-Stores sollen die dahinterstehende Marke
insbesondere dadurch positiv „aufladen“, dass dort Bankprodukte und -leistungen innovativ präsentiert werden. So hat z.
B. die amerikanische Umpqua-Bank einen Flagship-Store in San
Francisco eröffnet, der durch sein offenes Design besticht, interaktive Touchscreen-Wände im Kundenkontakt einsetzt und
soziale Medien einbezieht. Kunden wird zudem die Möglichkeit
geboten, sich ein Fahrrad in der Filiale auszuleihen. Lohnenswert kann auch ein Ausbau von Flagship-Stores zu sozialen
Treffpunkten sein. Kostenloses WLAN, eine Kaffeebar und eine
Lounge-Ecke bringen Kunden zurück in die Filiale und stärken
die Beziehung zur Bank. Zusätzlich wird der Qualitätsanspruch
der Bank durch ein exklusives Ambiente unterstrichen.
SB- Filialen



Geld- und
Serviceautomaten
Keine
Beratungsleistungen
Kein Personal
Filial-Shops


Geld- und
Serviceautomaten
Standardisiertes
Service- und
Beratungsangebot
Beratungszentren



Geld- und
Serviceautomaten
Standardisiertes
Service- und
Beratungsangebot
Spezialisierte
Beratungsleistungen
wie Baufinanzierung
und Vermögensberatung
Flagship Stores





Geld- und
Serviceautomaten
Standardisiertes
Service- und
Beratungsangebot
Spezialisierte
Beratungsleistungen
wie Baufinanzierung
und Vermögensberatung
Pilotierung neuer
technischer
Beratungsmöglichkeiten
Marken- und
Imagebildung
2.4 Nutzung intelligenter Ansätze zur Preisgestaltung
Die anhaltende Niedrigzinsphase sowie ein starker Wettbewerb im Privatkundengeschäft setzen die Zinsspanne derzeit
stark unter Druck. Neben der Optimierung der Kostenseite über
eine Anpassung des Filialnetzes können Banken und Sparkassen in der gegenwärtigen Situation ihre Profitabilität steigern,
indem sie ihre Ertragssituation durch intelligente Pricing-Ansätze verbessern. Ziel ist es, wegbrechende Erträge aus dem
Zinsgeschäft zumindest teilweise zu kompensieren.
Eine modulare Produktarchitektur unterstützt die Ertragsgenerierung insbesondere bei Standardprodukten wie Girokonten und trägt gleichzeitig dazu bei, die Kundenbindung zu
erhöhen. Hierzu sollten sich Banken intensiv mit den Kundenpräferenzen und der Wettbewerbssituation vor Ort auseinander
setzen, um daraus attraktive Angebote für die identifizierten
Kundengruppen abzuleiten.
In der Regel lassen sich die Kunden im Privatkundengeschäft in drei Gruppen segmentieren. Die „Selbstentscheider“
treffen Entscheidungen in der Regel selbstständig und ohne
vorherige Beratung, informieren sich online und besuchen Filialen nur in absoluten Ausnahmefällen. Diese Kunden sind in der
Regel am preissensitivsten, verursachen aber auch die geringsten Kosten. „Hybride Multikanalkunden“ informieren sich auch
vor Produktabschlüssen ebenfalls online, nutzen bei wichtigen
Entscheidungen aber auch gerne die Möglichkeit, sich in der
Filiale beraten zu lassen. Die „klassischen Filialkunden“ hingegen lassen sich bei allen Entscheidungen rund um das Thema
Finanzen umfassend beraten und nutzen die Filiale häufig auch
für Serviceleistungen. Für diese unterschiedlichen Kundengruppen gilt es, maßgeschneiderte Angebote zu entwickeln, die
einerseits über ein ausgewogenes Preis-/Leistungsverhältnis
für die gewünschten Basisdienstleistungen der Kundengruppe
verfügen, andererseits aber auch attraktive Mehrwerte bieten,
für welche die Kunden zusätzlich zu zahlen bereit sind.
Abb. 3: Filialtypen und deren Ausstattungsmerkmale
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zum Erhalt der
Wettbewerbsfähigkeit Banken und Sparkassen mit Blick auf
ihr Filialnetz vor enormen Herausforderungen stehen. Entsprechende Maßnahmen sollten besser früher als später angegangen werden, da davon auszugehen ist, dass sowohl die Ertragssituation schwierig bleiben, als auch die Kundenfrequenz in
den Filialen weiter abnehmen wird.
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Hybrider Multikanalkunde
Selbstentscheider

Entscheidet eigenständig

Informiert sich online
und schließt dort auch
Verträge ab

Nutzt Filialen nur im
absoluten Ausnahmefall

Lässt sich bei größeren
Entscheidungen gerne
beraten

Informiert sich vor
Produktabschlüssen online

Nutzt die Filiale unregelmäßig bei Bedarf
Klassischer Filialkunde

Lässt sich gerne umfassend
beraten

Wickelt finanzielle
Angelegenheiten nur ungern
online ab

Nutzt die Filiale häufig auch
fürs Transaktionsgeschäft
Abb. 4: Gruppen von Kunden im Privatkundengeschäft
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White Paper: „Zukunft des Privatkundengeschäfts“
Diese Mehrwerte sind je nach Kundengruppe unterschiedlich auszugestalten. So sind klassische Filialkunden in der Regel
eher bereit, für „Komfort“-Kontomodelle zu bezahlen, die neben
einer „Flatrate“ für Serviceleistungen in der Filiale auch Kreditkarten mit ergänzenden Versicherungsleistungen beinhalten.
Preissensitive Selbstentscheider sind für solch ein Kontomodell
hingegen weniger offen. Für diese Gruppe kommen günstige
Kontomodelle mit kostenlosen Self-Service-Dienstleistungen in
Frage. Sollten sie dann doch einmal Services in der Filiale in
Anspruch nehmen wollen, sind Selbstentscheider in der Regel
gewillt, für diese Leistungen extra zu bezahlen. Mehrwerte können neben klassischen Bankleistungen auch Kooperationen
mit lokalen Einzelhändlern bzw. kulturelle Freizeitangebote
sein. Wichtig ist hierbei, die Kundenpräferenzen im Rahmen
einer Analyse einzuholen, um keine Modelle zu entwickeln, die
an der Nachfrage des Marktes vorbeigehen.
In diesem Zuge sollte auch ermittelt werden, für welche
Leistungen und Mehrwerte eine geringe Preissensitivität besteht bzw. für welche Leistungen und Mehrwerte Kunden ggf.
gewillt sind, mehr zu bezahlen. Ansonsten besteht die Gefahr,
dass sehr leistungsstarke Produkte zu geringen Preisen angeboten werden.
3. Stufe 2: Ausbau zur „offenen“ BankingPlattform
Die aktuellen Entwicklungen in der Finanzdienstleistungsbranche stellen Banken und Sparkassen bereits in der kurz- bis
mittelfristigen Weiterentwicklung vor enorme Herausforderungen. Das langfristige Zielbild kann so schnell verloren gehen.
Banken sollten bereits jetzt die Weichen stellen, um ihre Zukunftsfähigkeit langfristig sicherzustellen.
Wir haben vier wesentliche Stellhebel herausgearbeitet,
die zukünftig erfolgskritisch für das Bestehen im wettbewerbsintensiven und margenarmen Privatkundengeschäft sein werden: Der Ausbau von Online- und Mobile-Banking zur BankingPlattform mit offenen Schnittstellen, intuitive Produkte und
Online-Produktabschlüsse („Banking so einfach wie online
einkaufen“), die Etablierung neuer digitale Interaktionsformen
und „Next-Best-Offers“ sowie eine Positionierung von Filialen
als Beratungs- und Spezialistenzentren.
Stufe 2: Ausbau zur
„offenen“ Banking-Plattform
Ausbau von
Online- und
Mobile-Banking
zur BankingPlattform mit
offenen
Schnittstellen
„Banking so
einfach wie online
einkaufen“
Etablierung neuer
digitaler
Interaktionsformen
und „Next-BestOffer“
Filialen als
Beratungs- und
Spezialistenzentren
positionieren
3.1 Ausbau von Online- und Mobile-Banking zur BankingPlattform mit offenen Schnittstellen
Bis vor wenigen Jahren war das Einholen und Vergleichen
von Angeboten von Banken und Sparkassen ein mühsamer Prozess. Mussten zuerst noch die Filialen besucht und konkrete
Angebote bei Kundenberatern eingeholt werden, so wurde es
Anfang der 2000er einfacher, als viele Informationen auf den
Homepages der Institute ersichtlich waren. Mittlerweile ermöglichen einschlägige Portale den Vergleich von Finanzdienstleistungen in Sekundenschnelle; sie sind zu einem ausschlaggebenden Faktor bei der Kundenentscheidung geworden.
Klassische Hausbankbeziehungen haben durch diese Entwicklung für viele Kunden ausgedient. Es gibt nicht mehr „die
eine Bank“, die Kunden bei der Einholung von Angeboten auf
jeden Fall ansprechen. Erste Anlaufstelle sind mittlerweile die
Vergleichsportale.
Um sich von anderen Banken zu differenzieren und wieder
einen echten „Hausbankcharakter“ zu entwickeln, sollten Banken und Sparkassen ihre Mobile- und Online-Banking-Portale
zu „offenen Banking-Plattformen“ ausbauen. Ziel ist es, einen
Open-Architecture-Ansatz zu etablieren, der ein Multi-Sourcing
von Produkten und Dienstleistungen von Drittanbietern und
Vertriebspartnern ermöglicht. So können Kunden zwar über die
Plattform auch Produkte fremder Anbieter abschließen, alle Informationen bleiben aber bei der „Hausbank“ erhalten.
Dieser Ansatz hat enorme Vorteile. Erstens verfügt die Bank
nicht nur über Informationen hinsichtlich der Produkte, die bei
ihr selbst abgeschlossen wurden, sondern auch über Informationen über Konkurrenzprodukte. Dies bietet die Möglichkeit,
noch maßgeschneiderter Angebote zu erstellen, da die finanzielle Situation des Kunden noch genauer erfasst werden kann.
Zusätzlich wird sichergestellt, dass die eigenen Produkte bei
einem Produktvergleich immer mitaufgeführt und nicht durch
den Algorithmus eines externen Vergleichsportals „ausgesiebt“
werden. Hinzu kommt, dass über eine Provisionierung Banken
auch bei einem Abschluss von Fremdprodukten über das eigene Portal Geld verdienen können. Darüber hinaus haben
Banken einen echten Wettbewerbsvorteil, der sich in eine höhere Kundenzufriedenheit und eine stärkere Kundenbindung
umwandeln lässt.
Mit Hilfe der offenen Banking-Plattform sehen Kunden alle
Informationen über Finanzdienstleistungen auf einen Blick.
Sich bei den Banken über einzelne Abschlüsse zu informieren,
wird damit hinfällig. Die Informationen von verschiedenen
Banken werden in einem einheitlichen Front-End gebündelt.
Kunden können die Plattform auch dazu nutzen, einen sicheren
Postkorb zur Ablage aller wichtigen Unterlagen zu führen. Hier
haben Banken immer noch einen höheren Vertrauensvorschuss
als herkömmliche Internetportale.
Abb. 5: Ausbau zur „offenen“ Banking-Plattform
© Horváth & Partners 2015
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White Paper: „Zukunft des Privatkundengeschäfts“
In diesem Zuge kann das Online-Banking-Portal auch um
Schnittstellen erweitert werden, die es etwa ermöglichen, Rechnungen direkt an das Portal zu senden. Rechnungen von Ärzten oder Handwerkern können direkt elektronisch übermittelt
und im elektronischen Postkorb abgelegt werden. Dort werden
sie automatisch in Überweisungsvorschläge umgewandelt, die
von den Kunden nur noch freigegeben werden müssen. Automatisch erstellte Erinnerungen sorgen zudem dafür, dass der
Kunde nicht in Zahlungsverzug gerät.
Über offene Schnittstellen können auch innovative Dienstleistungen von FinTechs direkt ins bankeigene Online-BankingPortal einbezogen werden. Banken profitieren somit von der
Innovationskraft der FinTechs, ohne direkt eine Abwanderung
der Kunden befürchten zu müssen.
Auch wenn der Aufwand zur Etablierung eines solchen Ansatzes groß erscheint und die Einbindung von Angeboten Dritter Risiken birgt, ist die Gefahr des Nichtstuns noch viel größer.
Viele der mittlerweile erfolgreichsten Start-ups sind Unternehmen, die selbst nur als Plattform bzw. Vermittler auftreten und
nicht die eigentliche Dienstleistung für den Kunden erbringen.
Uber besitzt selbst keine Fahrzeuge, sondern vermittelt nur
Fahrgäste an selbständige Fahrer. airbnb hat keine eigenen Hotels und Apartments, sondern nimmt ebenfalls nur die Position
eines Vermittlers ein. Auch alibaba, der Amazon-Konkurrent
aus China, hat keine eigenen Lager für die verkauften Produkte. Diese werden von den jeweiligen Produktanbietern direkt
an die Kunden versandt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die
ersten Onlineplattformen nicht mehr nur einen Vergleich von
Produkten und Dienstleistungen ermöglichen, sondern gleich
die gesamte Kundenschnittstelle „übernehmen“. Banken würden so zu reinen Produktlieferanten degradiert, deren Erfolg
davon abhängt, inwieweit sie in den Rankings der Vermittlungsplattform angezeigt werden.
3.2 „Banking so einfach wie online einkaufen“
Kundenerwartungen an Onlinetransaktionen sind heute
stark durch Erfahrungen mit Onlineeinzelhändlern wie etwa
Amazon geprägt. Möglichkeiten wie „One Click“-Käufe und
„Click-to-Call“-Funktionen vereinfachen Einkäufe für Kunden,
reduzieren die Abbruchquote und ermöglichen eine direkte
Kontaktaufnahme mit dem Händler, wenn Fragen zu einem
Produkt oder einer Dienstleistung auftreten.
Banken müssen hier Einiges an verlorenem Boden gutmachen: Auch wenn im Bereich der Finanzdienstleistungen
aufgrund von Sicherheitsbestimmungen und regulatorischen
Vorschriften nicht überall „One Click“-Käufe möglich sein
werden, so lassen sich bei vielen Instituten immer noch nicht
alle Produkte online abschließen. Auch die Möglichkeit, im
Online-Banking bei Fragen zu bestehenden Produkten oder bei
Neuabschlüssen direkt einen Kontakt mit einem Berater herstellen zu können, haben nur wenige Banken umgesetzt. Meistens ist hier immer noch der Griff zum Telefonhörer erforderlich.
© Horváth & Partners 2015
Die Digitalisierung und immer leistungsfähigere Algorithmen eröffnen neue Möglichkeiten zur Kundenberatung. Der
Trend zum „Robo-Advising“ geht an den Banken bisher größtenteils vorbei und wird vor allen Dingen durch FinTechs getrieben. Unter „Robo-Advising“ versteht man Algorithmen, die
aufgrund eines vordefinierten Fragenkatalogs Anlageempfehlungen für Kunden geben. Hierbei spielen – wie in der klassischen Anlageberatung – das Sicherheitsbedürfnis der Kunden,
die Verfügbarkeit der Anlage und die Renditeerwartung eine
entscheidende Rolle. FinTechs wie Wealthfront haben ihr gesamtes Geschäftsmodell darauf ausgerichtet und verwalten
so bereits über 2,6 Mrd. USD an Kundengeldern. Banken und
Sparkassen haben bisher nur Beratungstools etabliert, die Kunden erst dann helfen, wenn diese schon wissen oder zumindest
zu wissen glauben, welches Produkt für sie das richtige ist (z. B.
Baufinanzierungsrechner). Es fehlen umfassendere Lösungen,
die ausgehend von den Wünschen des Kunden individuelle
Lösungen erstellen, die wiederum direkt online abgeschlossen
werden können.
Smartphones und Banking-Apps bieten zudem ganz neue
Möglichkeiten für die Entwicklung neuer Dienstleistungen. Die
polnische mBank zum Beispiel bietet in ihrer Mobile-BankingApp die Möglichkeit, einen „30 second loan“ aufzunehmen.
Kunden können unterwegs einen Kredit anfragen und innerhalb von 30 Sekunden wird die finale Kreditentscheidung getroffen. Besuche der Filiale oder Anfragen im Online-Banking
sind für Ratenkredite somit überflüssig. Kredite können direkt
beim Einkaufen angefragt und genutzt werden. Hierbei handelt es sich um „echte“ Ratenkredite und nicht um „pay-day
loans“, die hoch verzinst nach 30 Tagen zurückgezahlt werden
müssen. Genauso wie die mBank bieten mittlerweile auch viele
FinTechs oder deutsche Banken wie die Fidor Bank ihren Kunden die Möglichkeit, Geld an E-Mail-Adressen oder Telefonnummern zu senden. Gerade seit der SEPA-Umstellung sind Überweisungen durch IBAN und BIC noch komplizierter geworden.
Lösungen, die es Kunden einfacher machen, ihre Wünsche zu
erfüllen, werden zukünftig die Wettbewerbsfähigkeit von Banken stark beeinflussen.
Gerade im Bereich von Self-Service-Funktionalitäten gibt
es noch eine Reihe von Möglichkeiten, Services und Dienstleistungen effizienter zum Kunden zu bringen und die Customer
Journey dabei intuitiver zu gestalten. Persönliche Assistenten
wie „Siri“ von Apple und „Google now“ von Google geben ihren
Nutzern mittlerweile Antworten auf eine Vielzahl von Fragen.
Ein persönlicher Banking-Sprachassistent könnte Kunden die
Informationsbeschaffung und auch den Login ins Online- bzw.
Mobile-Banking stark vereinfachen. Die Authentifizierung des
Kunden kann direkt über die Stimme erfolgen. Lösungen hierfür sind bei Banken im Telefon-Banking schon dergestalt im
Einsatz, so dass kein weiteres Login erforderlich ist. Von einfachen Fragestellungen wie „Ist mein Gehalt schon eingegangen?“ über „Bitte ändere den Dauerauftrag an die Stadtwerke
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White Paper: „Zukunft des Privatkundengeschäfts“
auf 45 EUR ab November“ bis hin zu „Wie viel Baufinanzierung
kann ich mir bei meinem jetzigen Ein- und Ausgabeverhalten
leisten?“ sind viele Einsatzmöglichkeiten denkbar, bei denen
Kunden Lösungen und Antworten angeboten werden, ohne
dass diese danach im Internet suchen oder eine Filiale aufsuchen zu müssen.
3.3 Etablierung neuer digitaler Interaktionsformen und
„Next-Best-Offer“
Amazon, Spotify und Netflix sind nur einige Beispiele von
Unternehmen, die Kunden auf Basis ihrer bisherigen Präferenzen personalisierte Angebote machen oder Vorschläge unterbreiten. Banken verfügen in der Regel über deutlich mehr
Informationen über ihre Kunden als diese Unternehmen. Die
Nutzung dieser Daten, sei es aus Datenschutzgründen oder
aufgrund technischer Einschränkungen, ist allerdings noch
stark ausbaufähig. Dabei sind Banken eigentlich prädestiniert
dafür, Kunden personalisierte Angebote je nach Lebensphase
machen und diese prominent im Online- und Mobile-Banking
zu platzieren. Bei jungen Berufseinsteigern ist das zum Beispiel
die Haftpflichtversicherung oder der Riester-Vertrag, bei Kunden Anfang 30 hingegen die Baufinanzierung, der Fondsparvertrag oder die Risiko-Lebensversicherung.
Mit persönlichen Informationen der Kunden können auch
konkretere Angebote erstellt werden, die nicht nur einen Lebensphasenbezug haben. Wurde beispielsweise eine Reise
gebucht, bieten sich Angebote wie eine Auslandsreisekrankenversicherung oder auch ein Kredit zur Aufbesserung der Urlaubskasse an. Neben zusätzlichem Ertrag für die Bank wird so
auch die Kundenbindung gesteigert. Angebote, die auf die aktuelle Situation des jeweiligen Kunden zugeschnitten sind, werden von diesem als echter Mehrwert empfunden. Kunden haben so wieder das Gefühl, die Bank kenne und verstehe sie und
ihre aktuelle Lebenssituation. Konkurrenten haben hingegen
weniger Angriffsfläche, da Produkte aus Convenience-Gründen
schon abgeschlossen werden können, bevor der Kunde seinen
Bedarf selbst erkannt und das Angebot verglichen hat.
Beispielrechner, die Banken ihren Kunden bereits jetzt anbieten, sind bisher noch vergleichsweise starr und vor allen Dingen auf Input vom Kunden angewiesen. Zielsetzung sollte hier
sein, dass Banken alle verfügbaren Informationen über Kunden
mithilfe intelligenter Schnittstellen in diese Tools einfließen
lassen. Beispielrechner, die ermitteln, wieviel Baufinanzierung
ein Kunde sich leisten kann, werden so direkt mit Einnahmen,
Ausgaben und der aktuellen Vermögenssituation vorbefüllt.
Kunden müssen dann nur noch Anpassungen vornehmen; ein
Großteil der Arbeit bleibt ihnen erspart. Gepaart mit selbstlernenden Algorithmen aus der Robo-Beratung, wie im vorherigen Abschnitt beschrieben, können so auch Kunden mit Beratungsleistungen versorgt werden, die hierfür nur ungern in die
Filiale kommen.
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Bei einem Ausbau des Online-Banking-Portals zu einer offenen Plattform können diese Leistungen sogar noch eine Stufe
weiterentwickelt werden. Kunden kann nicht nur mehr oder weniger automatisch berechnet werden, wieviel Immobilie diese
sich leisten können, über die Einbindung von Online-Immobilienportalen können gleich auch noch passende Immobilienangebote angezeigt werden.
Die Moven Bank in den USA bietet bereits jetzt digitale
Zusatzleistungen an, die in der deutschen Bankenlandschaft
bisher keinen Einzug gefunden haben. Eine dieser Leistungen
sind „Location-based Banking Services“. Über das Smartphone
und die App kann die Bank auf den aktuellen Aufenthaltsort
des Kunden zugreifen. Wenn dieser gerade in der Innenstadt
beim Einkaufen ist, dort im Schnitt 300 USD ausgibt, aktuell
aber nur noch 100 USD Deckung auf seinem Konto hat, wird
umgehend ein Sofortkredit über 200 USD angeboten, damit
das gewohnte Einkaufsverhalten beibehalten werden kann.
Die polnische mBank nutzt „Location-based Services“ in der
Zusammenarbeit mit Einzelhändlern. Kunden erhalten in ihrer
Banking-App Sonderangebote und Coupons für Restaurants
oder Shops in ihrer Nähe. Hierdurch bietet die Bank ihren Kunden einen echten Mehrwert gegenüber Wettbewerbern.
Sowohl die Moven Bank als auch die mBank haben zudem „Gamification“-Ansätze mit dem Ziel etabliert, Mehrerträge über eine Steuerung des Kundenverhaltens zu generieren und die Kundenbindung weiter auszubauen. So können
Bankkunden durch bestimmtes Nutzungsverhalten Abzeichen
(„Badges“) erwerben und die Anzahl ihrer Badges anonym mit
anderen Kunden vergleichen, was zu einem spielerischen Wettbewerb bei der Nutzung von Bankdienstleistungen führt. Badges gibt es zum Beispiel für das Testen neuer Funktionen im
Online- oder Mobile-Banking. Auch durch die Rückzahlung von
Krediten oder die Einrichtung von Sparverträgen lassen sich
Badges erwerben. Je höher der eingerichtete Betrag des Sparvertrags, desto höher der „Wert“ des jeweiligen Abzeichens. Die
Moven Bank bindet spielerische Elemente in die Bedienung ihrer Mobile-App ein. Kunden können mit wenigen „Klicks“ Geld
vom Girokonto bestimmten Sparzielen zuordnen und so „zur
Seite legen“. Das Sparziel und der bereits angesparte Betrag
sind hierbei jederzeit in der App ersichtlich. Soll bereits zur
Seite gelegtes Geld ausgegeben werden, muss dieses erst „freigetappt“ werden. Mit drei bis vier Taps auf das Display des
Smartphones „zerspringt“ das Display in einer Animation und
der angesparte Betrag wird freigegeben und zurück auf das Girokonto transferiert. Ähnlich einem Sparschwein, das man „zerschlägt“, wird so das Erreichen eines Sparziels zelebriert bzw.
auch gleich eine psychologische Hürde geschaffen, vorzeitig
über das Ersparte zu verfügen.
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White Paper: „Zukunft des Privatkundengeschäfts“
3.4 Filialen als Beratungs- und Spezialistenzentren positionieren
Die im vorherigen Kapitel beschriebene Konsolidierung der
Filialnetze wird noch weiter zunehmen. Die Auswirkung auf die
beschriebenen Filialtypen ist hierbei jedoch differenziert zu betrachten.
SB-Filialen werden zukünftig nicht mehr zwingend notwendig sein. Servicedienstleistungen werden verstärkt über Online-,
Mobile- oder Telefon-Banking abgewickelt. Für Geldautomaten
alleine sind zukünftig keine separaten Filialstandorte mehr nötig. Diese können vielmehr an zentralen Örtlichkeiten separat
aufgestellt werden. Auch wird die Anzahl an Geldautomaten
durch sinkende Nachfrage spürbar abnehmen. Die Anzahl der
Transaktionen mit Kredit- oder Debitkarten bzw. per Handy
wird hingegen stark ansteigen. Und falls doch einmal Bargeld
benötigt werden sollte, wird dies an Orten des täglichen Bedarfs wie Supermärkten oder Tankstellen der Fall sein.
Auch die Anzahl an Filial-Shops wird stark zurückgehen.
Grund hierfür ist die rückläufige Nachfrage an standardisierten Beratungsleistungen in der Filiale. Die Beratung im Privatkundengeschäft wird größtenteils durch Algorithmen und
Robo-Beratung bzw. im Rahmen einer Videoberatung erfolgen.
Die Fahrt zur Filiale mit Öffnungszeiten, zu denen die meisten
Kunden ohnehin selbst arbeiten, wird immer seltener in Kauf
genommen.
Die Bedeutung der Beratungszentren wird hingegen steigen. Zwar werden auch komplexe Produkte zunehmend über
das Internet verkauft und beraten, der persönliche Kontakt
wird für viele Kunden aber auch weiterhin noch sehr wichtig
sein. Da Beratungszentren in der Zukunft für viele Kunden
einer der wenigen Orte sein werden, an denen sie physisch
mit der Bank in Kontakt treten, sollten diese verstärkt für die
Markenbildung genutzt und dementsprechend modern und
interaktiv ausgestaltet sein. Die Berater in den Beratungszentren verfügen dann alle über die technischen Möglichkeiten
zur Videoberatung. So können nicht nur Offline- sondern auch
Onlinekunden beraten werden, was einerseits das Kapazitätsmanagement im Vertrieb erleichtert, andererseits aber auch
die Möglichkeit eröffnet, Zweitgespräche per Videoschaltung
anzubieten, nachdem ein erstes persönliches Kennenlernen
stattgefunden hat.
4. Fazit und Handlungsempfehlungen: Die
Bank der Zukunft ist „digital und virtuell“
Die Privatkundenbank der Zukunft ist nicht nur multikanalfähig, sondern als „offene Banking-Plattform“ auch digital
und virtuell. Physische Interaktionen werden mehr und mehr
durch digitale Kommunikationsformen wie Videoberatung,
Online-Chat oder persönliche Assistenten à la „Siri“ ersetzt.
Auch Beratungsleistungen werden nicht mehr nur im direkten,
persönlichen Gespräch erbracht, sondern mithilfe von intelligenten Algorithmen als „Robo-Beratung“ einfach und intuitiv
im Online- und Mobile-Banking abgebildet. Über die offenen
Schnittstellen und die Einbeziehung von Finanzdienstleistungen dritter Anbieter wird zudem die Wertschöpfungskette weiter virtualisiert.
Der Weg dahin stellt Banken und Sparkassen jedoch vor
eine Vielzahl an Herausforderungen. So muss das eigene Produkt- und Dienstleistungsspektrum nahezu vollständig digitalisiert werden. Gleichzeitig setzen aufstrebende FinTechs Banken
und Sparkassen bei ausgewählten Finanzdienstleistungen stark
unter Druck. Ferner ist der Datenschutz ein sehr sensibles Thema: Es besteht die Gefahr, dass Kunden den Mehrwert neuer
Angebote nicht erkennen, sondern eher die Sorge haben, dass
preisgegebene Daten zweckentfremdet werden. Und zu guter
Letzt sorgen neue regulatorische Vorschriften dafür, dass wichtige Ressourcen der Institute nicht für die Weiterentwicklung
des Geschäftsmodells eingesetzt werden können, sondern mit
der Umsetzung neuer Vorgaben und Gesetze beschäftigt sind.
Haben wir Interesse geweckt? Gerne besprechen wir
mit Ihnen, wie Sie den Herausforderungen im Privatkundengeschäft begegnen können und stehen Ihnen bei Rückfragen
jederzeit gerne zur Verfügung.
Am wenigsten sind die Flagship-Stores von Änderungen betroffen. Sie werden weiterhin vor allem in repräsentativen Lagen
in den Zentren größerer Städte anzutreffen sein, Bankprodukte
innovativ und interaktiv präsentieren und dazu beitragen, die
Marke der Bank positiv aufzuladen. Kundenveranstaltungen,
freies WLAN und die Einrichtung von Kaffeebars und LoungeEcken machen aus den Flagship-Stores soziale Treffpunkte und
nicht nur funktionale Orte, an denen nur beraten wird.
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Horváth & Partners – Management Consultants
Horváth & Partners ist eine international tätige, unabhängige
Managementberatung mit Sitz in Stuttgart. Das Unternehmen
beschäftigt mehr als 600 hochqualifizierte Mitarbeiter an Standorten in Deutschland, Österreich, Rumänien, der Schweiz, Ungarn,
Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Mitgliedschaft in der internationalen Beratungsallianz „Cordence
Worldwide“ unterstützt die Fähigkeit, Beratungsprojekte in wichtigen Wirtschaftsregionen mit höchster fachlicher Expertise und
genauer Kenntnis der lokalen Gegebenheiten durchzuführen.
Dr. Ingo Kipker
Competence Center
Financial Industries
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Dr. Marcus Niebudek
Competence Center
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Die Kernkompetenzen von Horváth & Partners sind Unternehmenssteuerung und Performanceoptimierung – für das Gesamtunternehmen wie für die Geschäfts- und Funktionsbereiche Strategie, Organisation, Vertrieb, Operations, Controlling, Finanzen
und IT. Horváth & Partners steht für Projektergebnisse, die nachhaltigen Nutzen schaffen. Deshalb begleitet Horváth & Partners
seine Kunden von der betriebswirtschaftlichen Konzeption bis zur
Verankerung in Prozessen und Systemen.