* MITTWOCH, 4. MAI 2016 KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7 * D 2,50 EURO Zippert zappt Mitten in Deutschland D PANORAMA Ein homosexueller Imam über Toleranz Seite 24 POLITIK Wie die EU das DublinVerfahren reformiert GETTY IMAGES/ALEXANDER KOERNER; MARTIN U. K. LENGEMANN I n der CDU ist ein Streit über die einseitige Ausrichtung der Partei unter Angela Merkel entbrannt. „Die Philosophie, die CDU solle sich ausschließlich auf die Mitte konzentrieren, muss durchdacht werden“, fordert Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff. WISSENSCHAFT Im Minus Seite 15 Euro EZB-Kurs Punkte US-$ 9926,77 –1,94% ↘ ner sagte der „Rheinischen Post“: „Wir sollten nicht dazu übergehen, die AfD zu ignorieren oder zu beschimpfen.“ Noch am Montag hatte CDU-Generalsekretär Peter Tauber die neue Konkurrenz scharf kritisiert: „Aus unserer Sicht ist die AfD eine Anti-Deutschland-Partei, weil sie die Werte mit Füßen tritt, die unser Land groß und Koalition von CDU, SPD und Grünen möglich. „Die Analyse der Bundes-CDU ist noch nicht vollständig und muss nachgearbeitet werden“, fordert Haseloff. „Wir sind inhaltlich und personell viel zu schmal geworden. Wir müssen wieder breiter werden, um den rechten demokratischen Rand für uns zu reklamieren.“ Bei aller Aufgeschlossenheit müsse die CDU „Kernthemen definieren, die unsere Anliegen sind und bleiben: Familie, Heimat und auch die nationalstaatlichen Aufgaben, die durch eine Bundesregierung zu bewältigen sind.“ In der Flüchtlingskrise habe Deutschland einen „Kontrollverlust“, erlebt: Das müsse man in der CDU auch aussprechen dürfen. „Die vermeintliche politische Korrektheit aus Berlin macht die AfD nur stärker.“ Auch die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU und Landeschefin von Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, meinte, die CDU müsse „heikle Themen offen erklären und diskutieren, um so AfD-Wähler mit Argumenten zurückzuholen“. Klöck- AfD rutscht wieder unter zehn Prozent Im am Dienstag veröffentlichten Stern-RTL-Wahltrend rutschte die AfD im Vergleich zur Vorwoche um einen Punkt auf neun Prozent ab. Auch die SPD verlor einen Punkt und kam nur noch auf 21 Prozent. Die Union legte um einen Punkt auf 34 Prozent zu. Die Grünen verharrten bei 13 Prozent, die Linke bei neun Prozent. Die Zustimmungswerte für die FDP liegen unverändert bei acht Prozent. stark und erfolgreich gemacht haben.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte, der AfD mit Argumenten zu begegnen, „ohne Schaum vor dem Mund“. Sie setze auf Argumente. Einen Kurswechsel, um konservative Wählerschichten für die CDU zurückzugewinnen, lehnt Merkel aber ab: „Es gibt keine neue Strategie“, stellte die Kanzlerin klar. Merkel bezog zugleich deutlich Stellung gegen die Ausgrenzung von Muslimen durch manche EULänder: Das widerspreche den europäischen Werten und der Religionsfreiheit. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte bereits am Wochenende argumentiert, weder die CDU noch die SPD dürften wegen des Aufkommens der AfD „prinzipienlos“ werden. Der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach erklärte die bisherige Strategie, die AfD zu ignorieren und stigmatisieren, hingegen für gescheitert: „Es ist falsch, die AfD auszugrenzen, das verleiht ihr nur eine Art Märtyrerstatus und verschafft eher zusätzliche Sympathien“, Seite 4 warnte Bosbach. ie EU-Kommission wagt den Einstieg in das längst und schon ewig überfällige gemeinsame europäische Asylrecht. Ihr Vorschlag zum künftigen Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern trägt dem Umstand Rechnung, dass Europas geografische Gestalt die östlichen und südlichen EU-Länder zu Erstaufnahmestaaten stempelt. Die Erstaufnahmeländer bekommen nun tätige, kalkulierbare Solidarität zugesichert. Der Vorschlag trägt auch dem Umstand Rechnung, dass die Europäer sich über das Thema nahezu völlig zerstritten haben. Die Zweitaufnahmeländer können künftig darauf vertrauen, dass die Erfassung und Verteilung der Ankommenden besser funktioniert als bisher. Das alles gilt, falls der Vorschlag dem Europäischen Rat der Regierungschefs gefällt. Kann das vorausgesetzt werden? Das ist die große Frage des Frühsommers. Die britische Volksabstimmung am 23. Juni und die spanische Neuwahl drei Tage später lassen vermuten, dass eine Übereinkunft wahrscheinlich erst in den letzten Stunden des regulären EU-Sommergipfels erfolgt. Bedingung dafür ist, dass das Referendum und die Neuwahl jeweils eindeutig interpretierbare Resultate erbringen. Der Kommissionsvorschlag macht es den EU-Befürwortern in Großbritannien und den EU-freundlichen Parteien in Spanien leichter, für die Vorlage aus Brüssel einzutreten. Polen, die Slowakei und Ungarn können ihrerseits ebenfalls darauf verweisen, dass es eine Zwangsansiedlung von Flüchtlingen bei ihnen nicht geben soll. Die Option, keine Flüchtlinge zu nehmen, muss allerdings von solchen Regierungen finanziell kompensiert werden. Das wird noch für Streit sorgen. Aber erstens ist die Höhe der Kompensation noch nicht in Stein gemeißelt. Zweitens gehört es zum Prinzip der EU, gegenseitige Ausgleichsleistungen zu erbringen. Von ihnen haben die früheren Zwangsmitglieder des Ostblocks bisher sehr profitiert. Die EU-Kommission präsentiert eine Beschlussvorlage, von der sie glaubt, sie sei durchsetzbar. Das ist nicht nur in der aktuellen Krise ein politischer Meilenstein. Seit 1999 hat die EU das gemeinsame europäische Asylrecht angestrebt. 17 Jahre später leitet Brüssel in enger Abstimmung mit einigen Regierungen die ersten konkreten Schritte dazu ein. Die Befürchtung, die EU könne ohne eine solche Initiative womöglich irreparablen Schaden nehmen, war in der Kommission so groß wie in etlichen EU-Mitgliedsländern. In Krisen zeigt sich dann, dass Europa handlungsfähig und kompromisswillig bleibt. [email protected] Dow Jones 17.40 Uhr 1,1569 17.686,60 +0,66% ↗ –1,14% ↘ ANZEIGE Punkte Alles hat ein Ende Hinweis für unsere Leser Morgen, am Donnerstag, dem 5. Mai, erscheint die „Welt“ nicht. Die nächste Ausgabe erhalten Sie am Freitag, dem 6. Mai. In einigen Gebieten kann jedoch an diesem Tag nicht per Träger zugestellt werden. Die davon betroffenen Abonnenten erhalten unsere Zeitungen einschließlich der Beilage BILANZ daher ausnahmsweise per Post. Wir bitten um Ihr Verständnis. ANZEIGE In ewiger Dunkelheit: Geschöpfe der Tiefsee Heute um 20.05 Uhr Wir twittern Diskutieren live aus dem Sie mit uns Newsroom: auf Facebook: twitter.com/welt facebook.com/welt An der A9 dürfen keine Würste mehr über den Zaun verkauft werden D er skurrile Streit über einen Bratwurstimbiss an der Autobahn A9 in Thüringen ist vorläufig zu den Akten gelegt worden. Bei einem Vororttermin auf dem Autobahnparkplatz Rodaborn West ging es um die Klage der Imbissbetreiberin Christina Wagner, die dort seit Jahren ihre Bratwürste über einen Zaun hinweg an hungrige Autofahrer verkauft. Dies darf sie künftig nicht mehr. Die Verwaltungsrichter aus Gera fällten vor Ort eine Entscheidung und wiesen Wagners Klage ab. Der Verkauf von Speisen und Getränken über den Zaun sei eine „strafrechtliche Sondernutzung“, die der Klägerin nicht gestattet sei. Eine Konzession oder Sondernutzungsgenehmigung fehle. Eine früher erteilte behördliche Untersagungsverfügung habe das Gericht „als rechtmäßig beurteilt“. Rodaborn (liegt bei Triptis an der A9 Richtung München) wurde 1936 in Betrieb genommen und gilt als älteste Autobahnraststätte Deutschlands. Zu DDR-Zeiten war Rodaborn zeitweise Transitraststätte für Reisende aus dem Westen. Nach der Wende kam das Aus. Wagners Familie kaufte später die alte Raststätte in der Hoffnung, dort ihr Geschäft betreiben zu können. Mit einem großen Schild wirbt Wagner hinter dem Zaun für ihre „Original Thüringer Roster“. „Bitte läuten oder laut rufen“, heißt es dort. Mit dem Aus für die Raststätte lief 2004 die Konzession für den Betrieb aus. Wagner wehrte sich mit ihrer Klage nun gegen ein vom Thüringer Landesamt für Bau und Verkehr verfügtes Verkaufsverbot für Speisen und Getränke über den Parkplatzzaun. Die Behörde hatte ein Zwangsgeld von einigen Tausend Euro angedroht, sollte der Verkauf nicht gestoppt werden. Der umstrittene Bratwurstverkauf ist seit Jahren in den Schlagzeilen. 2012 hatte sich ein Autofahrer aus der Schweiz an der Hand verletzt, als er über den Zaun zum Imbissstand gelangen wollte und hängen blieb. Vorerst kann der Verkauf weitergehen – das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. NOCH 2 TAGE ! DIESEN FREITAG I N D E R W E LT DIE GUTEN SEITEN DER WIRTSCHAFT. „Die Welt“ digital Lesen Sie „Die Welt“ digital auf allen Kanälen – mit der „Welt“-App auf dem Smartphone oder Tablet. Attraktive Angebote finden Sie auf welt.de/digital oder auch mit den neuesten Tablets auf welt.de/bundle DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410 Täglich weltweit in über 130 Ländern verbreitet. Pflichtblatt an allen deutschen Wertpapierbörsen. Tel.: 030 / 2 59 10 Fax: 030 / 2 59 17 16 06 E-Mail: [email protected] Anzeigen: 030 / 58 58 90 Fax: 030 / 58 58 91 E-Mail: [email protected] Kundenservice: DIE WELT, Brieffach 2440, 10867 Berlin Tel.: 0800 / 9 35 85 37 Fax 0800 / 9 35 87 37 E-Mail: [email protected] A 3,20 & / B 3,20 & / CH 5,00 CHF / CZ 95 CZK / CY 3,40 & / DK 25 DKR / E 3,20 & / I.C. 3,20 & / F 3,20 & / GB 3,00 GBP / GR 3,40 & / I 3,20 & / IRL 3,20 & / L 3,20 & / MLT 3,20 & / NL 3,20 & / P 3,20 & (Cont.) / PL 15 PLN / SK 3,20 € + ISSN 0173-8437 104-18 ZKZ 7109 B I L A N Z . D E Dax Schluss D Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff fordert von der Bundespartei einen Kurswechsel. Heikle Themen sollten offen diskutiert werden, meint Julia Klöckner. Aber Angela Merkel widerspricht Im Gespräch mit der „Welt“ klagt der gerade wiedergewählte Landeschef: „Es geht ja so weit, dass manche Meinungsforscher fordern, wir sollten uns den demokratischen konservativen Rand bewusst abschneiden. Nein, wir müssen auch das rechte politische Spektrum abdecken und Protestwähler für uns zurückgewinnen.“ In Sachsen-Anhalt hatte die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) bei der Landtagswahl 24 Prozent der Stimmen bekommen. Jenseits von AfD und Linkspartei war nur noch eine DAX TORSTEN KRAUEL „CDU braucht den rechten demokratischen Rand“ VON ROBIN ALEXANDER UND MARCUS HEITHECKER Seite 20 Einstieg ins EU-Asylrecht Es ist ein Haus wie Tausende andere im Land. Rote Dachziegel, die Fassade ein wenig verschmutzt. Dort haben Angelika B. und Wilfried W. in den vergangenen sechs Jahren mindestens drei Frauen gefangen gehalten und gequält. Zwei sind an ihren Verletzungen gestorben. Ermittler sprechen von unfassbaren Abgründen, die sich in Höxter (Nordrhein-Westfalen) aufgetan haben. Ein blickdichter Zaun soll nun Neugierige abhalten. Seite 8 Siehe Kommentar und Seite 6 Nicht nur im Winter ist Sauna gesund Nr. 104 KOMMENTAR ie Mehrzahl der Deutschen glaubt, dass Zeitungen, Fernsehen und Radio genaue Anweisungen bekommen, worüber sie berichten sollen. Politik und Wirtschaft gelten dabei als Haupteinflussnehmer. Da die Meldung in allen gelenkten Zeitungen zu lesen war und auch die gelenkten Fernsehsender darüber berichtet haben, muss man davon ausgehen, dass Politik und Wirtschaft ein erhöhtes Interesse daran haben, dass diese Information verbreitet wird. Was bezwecken sie damit? Woran sollen wir jetzt glauben? Wenn nämlich die Medien staatlich gelenkt werden, ist doch sehr wahrscheinlich, dass es diese Umfrage nie gegeben oder sie ganz andere Ergebnisse gebracht hat. Das würde bedeuten, dass nicht Politik und Wirtschaft die Medien lenken, sondern die Amerikaner mit Chemtrails. Besonders verbreitet ist das Misstrauen in Ostdeutschland. Dort waren 50 Jahre lang nicht nur Medien, sondern auch Konsumenten gelenkt. Wahrscheinlich war alles eine Erfindung der westdeutschen Presse, und es hat die DDR nie gegeben. Es hatte ja auch niemand die Absicht, eine Mauer zu bauen. THEMEN B
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