DIE WELT - Die Onleihe

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MITTWOCH, 4. MAI 2016
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Zippert zappt
Mitten in
Deutschland
D
PANORAMA
Ein homosexueller
Imam über Toleranz
Seite 24
POLITIK
Wie die EU das DublinVerfahren reformiert
GETTY IMAGES/ALEXANDER KOERNER; MARTIN U. K. LENGEMANN
I
n der CDU ist ein Streit über die einseitige Ausrichtung der Partei unter
Angela Merkel entbrannt. „Die Philosophie, die CDU solle sich ausschließlich auf die Mitte konzentrieren, muss durchdacht werden“, fordert
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff.
WISSENSCHAFT
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Seite 15
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ner sagte der „Rheinischen Post“: „Wir
sollten nicht dazu übergehen, die AfD zu
ignorieren oder zu beschimpfen.“ Noch am
Montag hatte CDU-Generalsekretär Peter
Tauber die neue Konkurrenz scharf kritisiert: „Aus unserer Sicht ist die AfD eine
Anti-Deutschland-Partei, weil sie die Werte mit Füßen tritt, die unser Land groß und
Koalition von CDU, SPD und Grünen
möglich. „Die Analyse der Bundes-CDU
ist noch nicht vollständig und muss nachgearbeitet werden“, fordert Haseloff.
„Wir sind inhaltlich und personell viel zu
schmal geworden. Wir müssen wieder
breiter werden, um den rechten demokratischen Rand für uns zu reklamieren.“ Bei
aller Aufgeschlossenheit müsse die CDU
„Kernthemen definieren, die unsere Anliegen sind und bleiben: Familie, Heimat
und auch die nationalstaatlichen Aufgaben, die durch eine Bundesregierung zu
bewältigen sind.“
In der Flüchtlingskrise habe Deutschland einen „Kontrollverlust“, erlebt: Das
müsse man in der CDU auch aussprechen dürfen. „Die vermeintliche politische Korrektheit aus Berlin macht die
AfD nur stärker.“
Auch die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU und Landeschefin von
Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, meinte,
die CDU müsse „heikle Themen offen erklären und diskutieren, um so AfD-Wähler
mit Argumenten zurückzuholen“. Klöck-
AfD rutscht wieder
unter zehn Prozent
Im am Dienstag veröffentlichten
Stern-RTL-Wahltrend rutschte
die AfD im Vergleich zur Vorwoche
um einen Punkt auf neun Prozent
ab. Auch die SPD verlor einen
Punkt und kam nur noch auf 21
Prozent. Die Union legte um einen
Punkt auf 34 Prozent zu. Die Grünen verharrten bei 13 Prozent, die
Linke bei neun Prozent. Die Zustimmungswerte für die FDP liegen unverändert bei acht Prozent.
stark und erfolgreich gemacht haben.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
forderte, der AfD mit Argumenten zu begegnen, „ohne Schaum vor dem Mund“.
Sie setze auf Argumente. Einen Kurswechsel, um konservative Wählerschichten für
die CDU zurückzugewinnen, lehnt Merkel
aber ab: „Es gibt keine neue Strategie“,
stellte die Kanzlerin klar. Merkel bezog zugleich deutlich Stellung gegen die Ausgrenzung von Muslimen durch manche EULänder: Das widerspreche den europäischen Werten und der Religionsfreiheit.
Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte bereits am Wochenende
argumentiert, weder die CDU noch die
SPD dürften wegen des Aufkommens der
AfD „prinzipienlos“ werden.
Der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach erklärte die bisherige Strategie, die
AfD zu ignorieren und stigmatisieren,
hingegen für gescheitert: „Es ist falsch,
die AfD auszugrenzen, das verleiht ihr
nur eine Art Märtyrerstatus und verschafft eher zusätzliche Sympathien“,
Seite 4
warnte Bosbach.
ie EU-Kommission wagt den
Einstieg in das längst und
schon ewig überfällige gemeinsame europäische Asylrecht. Ihr
Vorschlag zum künftigen Umgang
mit Flüchtlingen und Asylbewerbern
trägt dem Umstand Rechnung, dass
Europas geografische Gestalt die östlichen und südlichen EU-Länder zu
Erstaufnahmestaaten stempelt. Die
Erstaufnahmeländer bekommen nun
tätige, kalkulierbare Solidarität zugesichert. Der Vorschlag trägt auch dem
Umstand Rechnung, dass die Europäer sich über das Thema nahezu völlig
zerstritten haben. Die Zweitaufnahmeländer können künftig darauf vertrauen, dass die Erfassung und Verteilung der Ankommenden besser
funktioniert als bisher.
Das alles gilt, falls der Vorschlag
dem Europäischen Rat der Regierungschefs gefällt. Kann das vorausgesetzt werden? Das ist die große Frage des Frühsommers. Die britische
Volksabstimmung am 23. Juni und die
spanische Neuwahl drei Tage später
lassen vermuten, dass eine Übereinkunft wahrscheinlich erst in den letzten Stunden des regulären EU-Sommergipfels erfolgt. Bedingung dafür
ist, dass das Referendum und die
Neuwahl jeweils eindeutig interpretierbare Resultate erbringen. Der
Kommissionsvorschlag macht es den
EU-Befürwortern in Großbritannien
und den EU-freundlichen Parteien in
Spanien leichter, für die Vorlage aus
Brüssel einzutreten. Polen, die Slowakei und Ungarn können ihrerseits
ebenfalls darauf verweisen, dass es eine Zwangsansiedlung von Flüchtlingen bei ihnen nicht geben soll. Die
Option, keine Flüchtlinge zu nehmen,
muss allerdings von solchen Regierungen finanziell kompensiert werden. Das wird noch für Streit sorgen.
Aber erstens ist die Höhe der Kompensation noch nicht in Stein gemeißelt. Zweitens gehört es zum Prinzip
der EU, gegenseitige Ausgleichsleistungen zu erbringen. Von ihnen haben die früheren Zwangsmitglieder
des Ostblocks bisher sehr profitiert.
Die EU-Kommission präsentiert eine Beschlussvorlage, von der sie
glaubt, sie sei durchsetzbar. Das ist
nicht nur in der aktuellen Krise ein
politischer Meilenstein. Seit 1999 hat
die EU das gemeinsame europäische
Asylrecht angestrebt. 17 Jahre später
leitet Brüssel in enger Abstimmung
mit einigen Regierungen die ersten
konkreten Schritte dazu ein. Die Befürchtung, die EU könne ohne eine
solche Initiative womöglich irreparablen Schaden nehmen, war in der
Kommission so groß wie in etlichen
EU-Mitgliedsländern. In Krisen zeigt
sich dann, dass Europa handlungsfähig und kompromisswillig bleibt.
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An der A9 dürfen keine Würste mehr über den Zaun verkauft werden
D
er skurrile Streit über einen Bratwurstimbiss an der
Autobahn A9 in Thüringen ist vorläufig zu den Akten
gelegt worden. Bei einem Vororttermin auf dem Autobahnparkplatz Rodaborn West ging es um die Klage der Imbissbetreiberin Christina Wagner, die dort seit Jahren ihre
Bratwürste über einen Zaun hinweg an hungrige Autofahrer
verkauft. Dies darf sie künftig nicht mehr. Die Verwaltungsrichter aus Gera fällten vor Ort eine Entscheidung und wiesen Wagners Klage ab. Der Verkauf von Speisen und Getränken über den Zaun sei eine „strafrechtliche Sondernutzung“,
die der Klägerin nicht gestattet sei. Eine Konzession oder
Sondernutzungsgenehmigung fehle. Eine früher erteilte behördliche Untersagungsverfügung habe das Gericht „als
rechtmäßig beurteilt“.
Rodaborn (liegt bei Triptis an der A9 Richtung München)
wurde 1936 in Betrieb genommen und gilt als älteste Autobahnraststätte Deutschlands. Zu DDR-Zeiten war Rodaborn
zeitweise Transitraststätte für Reisende aus dem Westen. Nach
der Wende kam das Aus. Wagners Familie kaufte später die alte
Raststätte in der Hoffnung, dort ihr Geschäft betreiben zu
können. Mit einem großen Schild wirbt Wagner hinter dem
Zaun für ihre „Original Thüringer Roster“. „Bitte läuten oder
laut rufen“, heißt es dort. Mit dem Aus für die Raststätte lief
2004 die Konzession für den Betrieb aus. Wagner wehrte sich
mit ihrer Klage nun gegen ein vom Thüringer Landesamt für
Bau und Verkehr verfügtes Verkaufsverbot für Speisen und
Getränke über den Parkplatzzaun. Die Behörde hatte ein
Zwangsgeld von einigen Tausend Euro angedroht, sollte der
Verkauf nicht gestoppt werden.
Der umstrittene Bratwurstverkauf ist seit Jahren in den
Schlagzeilen. 2012 hatte sich ein Autofahrer aus der Schweiz an
der Hand verletzt, als er über den Zaun zum Imbissstand gelangen wollte und hängen blieb. Vorerst kann der Verkauf weitergehen – das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
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ISSN 0173-8437
104-18
ZKZ 7109
B I L A N Z . D E
Dax
Schluss
D
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff fordert von der Bundespartei einen Kurswechsel.
Heikle Themen sollten offen diskutiert werden, meint Julia Klöckner. Aber Angela Merkel widerspricht
Im Gespräch mit der „Welt“ klagt der
gerade wiedergewählte Landeschef: „Es
geht ja so weit, dass manche Meinungsforscher fordern, wir sollten uns den demokratischen konservativen Rand bewusst abschneiden. Nein, wir müssen
auch das rechte politische Spektrum abdecken und Protestwähler für uns zurückgewinnen.“
In Sachsen-Anhalt hatte die rechtspopulistische Alternative für Deutschland
(AfD) bei der Landtagswahl 24 Prozent
der Stimmen bekommen. Jenseits von
AfD und Linkspartei war nur noch eine
DAX
TORSTEN KRAUEL
„CDU braucht den rechten
demokratischen Rand“
VON ROBIN ALEXANDER UND
MARCUS HEITHECKER
Seite 20
Einstieg ins
EU-Asylrecht
Es ist ein Haus wie Tausende andere im Land. Rote
Dachziegel, die Fassade ein wenig verschmutzt.
Dort haben Angelika B. und Wilfried W. in den
vergangenen sechs Jahren mindestens drei Frauen
gefangen gehalten und gequält. Zwei sind an ihren
Verletzungen gestorben. Ermittler sprechen von
unfassbaren Abgründen, die sich in Höxter (Nordrhein-Westfalen) aufgetan haben. Ein blickdichter
Zaun soll nun Neugierige abhalten. Seite 8
Siehe Kommentar und Seite 6
Nicht nur im Winter
ist Sauna gesund
Nr. 104
KOMMENTAR
ie Mehrzahl der Deutschen glaubt, dass Zeitungen, Fernsehen und
Radio genaue Anweisungen
bekommen, worüber sie berichten sollen. Politik und Wirtschaft gelten dabei als Haupteinflussnehmer. Da die Meldung
in allen gelenkten Zeitungen zu
lesen war und auch die gelenkten Fernsehsender darüber berichtet haben, muss man davon
ausgehen, dass Politik und Wirtschaft ein erhöhtes Interesse
daran haben, dass diese Information verbreitet wird. Was
bezwecken sie damit? Woran
sollen wir jetzt glauben? Wenn
nämlich die Medien staatlich
gelenkt werden, ist doch sehr
wahrscheinlich, dass es diese
Umfrage nie gegeben oder sie
ganz andere Ergebnisse gebracht
hat. Das würde bedeuten, dass
nicht Politik und Wirtschaft die
Medien lenken, sondern die
Amerikaner mit Chemtrails.
Besonders verbreitet ist das
Misstrauen in Ostdeutschland.
Dort waren 50 Jahre lang nicht
nur Medien, sondern auch Konsumenten gelenkt. Wahrscheinlich war alles eine Erfindung der
westdeutschen Presse, und es
hat die DDR nie gegeben. Es
hatte ja auch niemand die Absicht, eine Mauer zu bauen.
THEMEN
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