taz.die tageszeitung

Beyoncé: Feministisches Black-Power-Statement
Warum die Popdiva mit ihrem Album „Lemonade“ goldrichtig liegt ▶ Seite 16
AUSGABE BERLIN | NR. 11006 | 17. WOCHE | 38. JAHRGANG
€ 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND
Mein
Bargeld
gehört
mir!
H EUTE I N DER TAZ
TTIP Greenpeace warnt
vor Genfood ▶ SEITE 9
TIPP „Die Volkswirt-
schaftslehre kann ich
jedem empfehlen,
aber …“ Hans-Werner
Sinn zieht Bilanz ▶ SEITE 4
SCHEINING Erst den 500er abschaffen,
dann alles? Die Digitalisierung des
Geldes macht auch tazlern Angst.
Droht die totale Überwachung oder
ist Panik total übertrieben? ▶ SEITE 2, 3
TRIP Der Kampf gegen
Ferienwohnungen geht
weiter – zu Recht?
▶ SEITE 7, 12
FREITAG, 29. APRIL 2016 | WWW.TAZ.DE
„Schein on me!“
„Ich sammle Münzen“
BERLIN Happy Birthday,
„Linie 1“ ▶ SEITE 21
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Guten Tag,
meine Damen und Herren!
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Ich hab nichts zu verbergen.
„Mit Scheinen in der Hand fühl ich mich wohl“
„Mein Dealer nimmt nur Bares“ Fotos: Elke Seeger
„Der schöne Schein darf nicht sterben“
„Mmmmmmmmmh!“
„Ich will nicht mit leeren Händen dastehen“
„Mit dem Zwei-Euro-Stück sieht man besser“
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02
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
Schwerpunkt
FREITAG, 29. APRI L 2016
Geldpolitik
NACH RUF
Barzahlungen sollen bald begrenzt werden. Als Maßnahme gegen Kriminalität. Doch funktioniert das?
Den Bargeldhahn zudrehen
CA$H Können Geldwäsche und die Finanzierung von Terror mit einer Obergrenze für Bargeldtransaktionen
Erster erschossener deutscher
Wolf: MT6 „Kurti“ Foto: dpa
Zu nah am
Menschen
E
r hatte nur ein kurzes, dafür aber womöglich erfülltes Leben. Kaum zwei Jahre
alt, wurde der von seinen immer
zahlreicheren Fans „Kurti“ genannte auffällige Wolf aus Niedersachsen am Mittwochabend
von einem Polizisten abgeschossen. Beziehungsweise, wie das
Landesumweltministerium sich
ausdrückte, zwecks Gefahrenabwehr der Natur „letal entnommen“. Zum ersten Mal seit der
Rückkehr der streng geschützten Raubtiere nach Deutschland
wurde damit ein Wolf in staatlichem Auftrag erlegt.
Der 2014 als eines von sechs
Geschwistern auf dem Truppenübungsplatz Munster in
der Lüneburger Heide geborene „Kurti“ beschäftigte durch
sein artuntypisches Verfahren
seit Monaten die Öffentlichkeit. Mehrmals näherte er sich
Menschen bis auf wenige Meter.
Im Februar lief er einer Spaziergängerin mit Kinderwagen und
Hund hinterher. Am Sonntag
soll er den angeleinten Hund einer Familie gebissen haben, am
Montag erneut Spaziergängern
nachgelaufen sein.
Weil er 2015 ein Sendehalsband umgelegt bekam, ließ sich
der Aktionsradius des seitdem
offiziell MT6 geheißenen Wolfes recht gut verfolgen. Dabei
blieb aber unklar, ob er bei seinen Annäherungsversuchen an
Menschen und Hunde nur mal
spielen wollte oder ob tatsächlich eine Gefahr bestand.
Im März ließ das Umweltministerium in Hannover einen
Wolfsexperten aus Schweden
einfliegen, der „Kurti“ durch
Geschrei, andere Geräusche und
Gummigeschosse die Flausen
austreiben sollte. Die Vergrämungsaktion blieb ohne Erfolg.
Nach den jüngsten Eskapaden eröffnete das Ministerium
am Montag die Jagd auf „Kurti“.
Die dabei zunächst verfolgte
Idee, „Kurti“ einzufangen und
in einen Wildpark zu transportieren, wurde schnell verworfen, weil auch Umweltschützer
die Gehegeunterbringung eines
wilden Wolfes als Tierquälerei
werteten. Seit Mittwoch hieß die
Devise dann „letale Entnahme“.
Ungeklärt bleiben die Gründe
für „Kurtis“ auffälliges Verhalten. Als wahrscheinlich gilt,
dass er auf dem Übungsgelände
schon in seiner Jugend in enge
Berührung mit Menschen kam.
Ob Spaziergänger oder Soldaten
ihn womöglich sogar angefüttert haben, bleibt Spekulation.
REIMAR PAUL
verhindert werden? Wissenschaftler sind skeptisch. Und vermuten andere Gründe hinter dem Vorstoß
VON SVENJA BERGT
BERLIN taz | Immobilienmakler
zum Beispiel, die sind ein Problem. Aber auch: Händler, die
Luxusgüter wie Yachten oder
hochpreisige Uhren, Antiquitäten, Kunstobjekte oder teure Autos verkaufen. Sie alle gehören
laut einer Studie der Universität
Halle-Wittenberg zu einer Hochrisikogruppe. Einer Gruppe, die
häufig mit Kunden
konfrontiert ist, die
illegales Bargeld
möglichst schnell
und unauffällig
zu legalen Güter
waschen wollen.
Und dabei aber, so
die Autoren der
Studie im Auftrag
des Finanzministeriums,
nicht
gerade ein hohes
Problembewusstsein an den Tag
legen.
Seitdem die
EU-Finanzminister eine gesetzliche Obergrenze
für
Bargeldtransaktionen ins
Gespräch gebracht
haben und die
EU-Kommission bis zum
1. Mai einen
entsprechenden
Bericht vorlegen soll, steht
die Frage im Raum: Kann eine
solche Obergrenze Geldwäsche,
Terror oder überhaupt Kriminalität eindämmen? Und wenn ja,
welche Nachteile gälte es dafür
in Kauf zu nehmen?
Hundert Milliarden Euro
jährlich. Das ist die Größenordnung, in der die Wissenschaftler aus Halle das jährliche Geldwäschevolumen in Deutschland
beziffern. Das weltweite Volumen schätzt der IWF auf umgerechnet zwischen 530 Milliar­
den und 0,9 Billionen Euro.
Darin enthalten ist der Bootsbesitzer, der sich seine Yacht
mit Geld aus der organisierten
Kriminalität bezahlen lässt. Die
Restaurantinhaberin, die nur
ausnahmsweise Gäste bewirtet
und stattdessen mit Schwarzgeld Waren einkauft und unter
der Hand wiederverkauft. Und
die illegalen Glücksspielmillio­
nen, das Geld auf Schweizer
Nummernkonten, die in Tranchen überwiesenen Beträge, die
über diverse Briefkastenfirmen
weitergewaschen werden.
Ralf Fendel, Professor für monetäre Ökonomik an der Beisheim School of Management,
erklärt das Prinzip, nach dem
Geldwäsche in der Regel funktioniert: Zuerst wird das zu waschende Geld in den Kreislauf
gebracht. Es wird hin und her
überwiesen, nach Möglichkeit
über Strohleute oder Briefkastenfirmen. Ist irgendwann die
ursprüngliche Herkunft praktisch nicht mehr zu ermitteln,
kommt der Zeitpunkt der sicheren Geldanlage – zum Beispiel
ein Immobilienkauf.
„Bargeldzahlungen sind weit
verbreitet, um terroristische Aktivitäten zu finanzieren“, sagt
ein Sprecher der EU-Kommis-
sion. Daher prüfe man ein EUweites Limit für Bargeldzahlungen. Derzeit gibt es in der EU einen Flickenteppich (siehe Karte)
– manche Länder schreiben gar
keine Grenze vor, in anderen ist
bei tausend Euro Schluss mit
Bargeld.
Hans-Peter Burghof, der an
der Universität Hohenheim unter anderem zu Finanzdienstleistungen forscht, sagt: „Sie
kriegen nicht den kleinen Drogenhändler,
der
– auch wenn es in zahlreichen
europäischen Ländern bereits
Grenzen gibt. Burghoff sagt: Es
ließe sich auch gar nicht belegen. Zwar würde bei einer Untersuchung vermutlich das gemessene Geldwäschevolumen
sinken – dafür stiege äquivalent der nicht messbare Anteil,
weil sich Zahlungswege verlagerten. Und: Die jüngsten Anschläge wurden geplant und
durchgeführt in Ländern mit
Obergrenze. In Belgien liegt das
Limit bei 3.000 Euro,
in Frankreich
in denen Verbraucher hohe
Summen mit Bargeld zahlen
müssen, ist eher begrenzt. Berühmte Ausnahme: der Gebrauchtwagenkauf. „Für uns
wäre so ein Limit tatsächlich
ein Problem, denn die meisten
Autos, die wir verkaufen, kosten
mehr als 5.000 Euro“, sagt Özlem Koc vom gleichnamigen Gebrauchtwagenhändler in Mannheim. Barzahlung sei vor allem
wichtig, weil zahlreiche KunKaum jemand hat ihn je gesehen
– oder gar besessen Foto:
vario images
kommt gut mit unter 5.000
Euro aus.“ Und für alle anderen gelte: „Die Kriminellen werden einfach stückeln oder ausweichen.“ Zum Beispiel auf andere Währungen oder eines der
zahlreichen digitalen Zahlungssysteme.
Tatsächlich ist eine positive
Auswirkung von Beschränkungen bei Bargeldtransfers etwa
auf die Geldwäsche nicht belegt
wurde
es als Reaktion auf die Anschlag
auf das Satiremagazin Charlie
Hebdo auf 1.000 Euro gesenkt.
Die Wirkung auf Kriminalität
wäre also zweifelhaft – und die
Auswirkungen für Verbraucher?
„Der Otto Normalbürger
würde von einer Bargeldtransaktionsgrenze bei 5.000 Euro
überhaupt nichts merken“, sagt
Fendel. Denn die Zahl der Fälle,
Obwohl der 500er
selten vorkommt, ist
sein Anteil am Bargeldvolumen überproportional hoch
Höchstgrenzen für die Bargeldzahlung in der EU
200 km
keine Höchstgrenze
in Euro
SCHWEDEN
keine vorgeschriebene
Höchstgrenze, aber in
der Praxis Einschränkungen – etwa wenn
die Annahme von
Bargeld nicht
verpflichtend ist
FINNLAND
Atlantischer
Ozean
Höchstgrenze für
Bargeld-Transaktionen
zwischen Händler und
Verbraucher, aber
nicht für Verbraucher
untereinander
ESTLAND
LETTLAND
IRLAND
Höchstgrenzen für alle
Bargeld-Transaktionen
LITAUEN
DÄNEMARK
GROSSBRITANNIEN
15.000
NIEDERLANDE
POLEN
DEUTSCHLAND
5.0005 15.0006
13.000
BELGIEN
LUXEMBURG TSCHECHIEN
SLOWAKEI
3.000
ÖSTERREICH
1.000 15.000
FRANKREICH
1
UNGARN
SLOWENIEN
2
15.000
KROATIEN
1.000
PORTUGAL
2.5003 15.0004
SPANIEN
2.999,99
ITALIEN
1
für in Frankreich
ansässige Steuerzahler und für ausländische Händler
2
für Steuerausländer
3
für Ortsansässige
für Ausländer, die
nicht in Spanien leben
4
5
bei Geschäften
zwischen Händlern
sowie zwischen
Händlern und
Verbrauchern
2.260
RUMÄNIEN
BULGARIEN
6
1.500
GRIECHENLAND
MALTA
Quelle: Europäisches Verbraucherzentrum Deutschland
Mittelmeer
für Privatpersonen
5.510
ZYPERN
taz.Grafik: infotext-berlin.de
den aus dem Ausland kämen.
Da sei eine Überweisung nicht
unbedingt ein verlässlicher Zahlungsweg. Und für EC- oder Kreditkarten sprenge ein Autokauf
meist das Zahlungslimit.
Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband ist gegen
ein Limit für Bargeldzahlungen. In jedem Fall müssten Verbraucher untereinander Güter
frei verkaufen können. Ohne
sich in Abhängigkeit von Anbietern zu begeben, die Zahlungswege wie Paypal mit sich
bringen. Und ohne die Unsicherheit, ob das Gegenüber die
vereinbarte Summe tatsächlich
auch überweist. „Einige Mitgliedsstaaten mit Bargeldbegrenzungen haben aus
guten Gründen private
Zahlungen
explizit ausgenommen“,
sagt Verbandsvorstand Klaus
Müller.
Und
was
ist mit einer
Abschaffung
des 500-EuroScheins?
Wissenschaftler Fendel sieht diese
Idee etwas weniger kritisch: Denn
obwohl der 500er
selten vorkomme,
sei sein Anteil am
im Umlauf befindlichen Bargeldvolumen überproportio­
nal hoch. „Das lässt
sich nicht durch normale
Transaktionen
erklären.“ In anderen
wichtigen Währungen
gebe es Scheine vergleichbarer Größenordnungen nicht. Ein 500-EuroSchein macht es Kriminellen
also leichter als notwendig –
doch auch hier gilt: Ob eine Abschaffung nur mehr Aufwand
für die Kriminellen bedeutet
oder manche Geschäfte damit
tatsächlich unattraktiv werden,
könnte nur die Praxis zeigen.
Denn Ausweichmöglichkeiten haben Kriminelle zur Genüge – selbst falls die Eurozone
komplett das Bargeld abschaffen wollte. Andere Währungen,
ob bar oder per Überweisung,
digitale Währungen wie Bitcoin,
Geldversender wie Western
Union oder die immer wichtiger werdenden Gutschein­
karten. Vor allem bei Händlern
mit sehr umfassendem Sortiment. „Ein 50-Euro-AmazonGutschein ist so etwas wie ein
50-Euro-Schein“, sagt Fendel.
Ein Verschieben auf andere Zahlungswege also. Bis zum nächsten Verbot.
Burghof fordert daher, in
anderen Bereichen anzusetzen. Und zum Beispiel die Regeln für Geldwäsche, die bislang schon für Banken gelten,
auszudehnen. Etwa auf Immobilienmakler. Er vermutet dann
auch etwas anderes hinter dem
Vorstoß aus der Finanzpolitik:
„Die Europäische Zentralbank
würde gerne Konjunkturpolitik machen mit noch niedrigeren Zinsen.“ Doch je niedriger
die Zinsen, desto eher flüchteten Kunden ins Bargeld – zumindest, solange es möglich ist.
Schwerpunkt
Geldpolitik
FREITAG, 29. APRI L 2016
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
03
Die Abschaffung des 500-Euro-Scheins könnte nur der Anfang sein.
Viele fürchten um die Zukunft des gesamten Bargelds in der EU
Das ist
gruselig
Der anonyme
Reichtum
Ich habe eine Aversion gegen
Schnüffelei. Früher kramte die
Stasi in meinem Leben herum.
Seit dem Mauerfall ist mein Alltag stasifreie Zone. Trotzdem
fühle ich mich beschnüffelt.
Neulich auf der Bank. Die
Schalterfrau fragte, ob ich
nicht einen Kredit bräuchte.
Sie druckte meinen Umsatz
aus, kommentierte meine Einnahmen und spekulierte über
die Ausgaben. Und sagte: „Super Scoring.“
Eine Frau, die ich nicht kenne,
weiß Dinge über mich, die ich
selber nicht weiß. Das ist gruselig. Um zu vermeiden, dass
Große Mengen Bargeld sind wie
Prostitution: Die Fälle, in denen
sie der Menschheit Gutes tun,
muss man schon mit der Lupe
suchen – und doch finden sich
für beide Phänomene Verteidiger im Namen der Freiheit. Dahinter steckt im besten Fall die
Furcht vor einem Staat, der eh
schon zu viel weiß und vorgeben
will. Diese Furcht ist so berechtigt wie manch andere auch,
etwa die vor Waffen, die ja beides können: Leben vernichten
und Leben retten.
Bei uns etwa ist das Führen
von Messern rigiden Regeln unterworfen. Ein allgemeines Tem-
Hysterischer
Quatsch? Schon jetzt
sind die Daten jeder
Person über 50-mal
gespeichert
Die Begrenzung des
Bargeldverkehrs
wäre ein diskussionswürdiger Schritt hin
zu mehr Transparenz
jede Bankangestellte erfährt,
wo ich meine Schlüpfer kaufe
und ob ich genug Obst esse, bezahle ich die meisten Dinge meines täglichen Bedarfs mit Bargeld. Es geht niemanden etwas
an, ob ich abends drei Flaschen
Jägermeister wegsaufe oder mir
Hardcore-Pornos reinziehe.
Das erfahren aber viele
Leute, wenn es kein Bargeld
mehr gibt: irgendwelche Heinis vom Finanzamt, vielleicht
die Krankenkasse, mein Handyanbieter. Hysterischer Quatsch?
Schon jetzt sind die Daten jeder Person über 50-mal gespeichert: Polizei, Rentenkasse, Autoversicherung. Harmlose Institutionen.
Das wird sich ohne Bargeld
ändern. Wenn ich jedes U-BahnTicket, jede Currywurst und jede
Socke mit meiner Geldkarte bezahlen muss, kann der Staat ein
lückenloses Bewegungsprofil erstellen. Dann bin ich nicht nur
privat gläsern. Dann ist auch
jede politische Aktivität unter
staatlicher Kontrolle. Und das
hat noch nicht einmal die Stasi
geschafft. SIMONE SCHMOLLACK
polimit beim Führen eines deutlich effektiveren Mordgeräts
einzuführen, gilt hingegen als
unzumutbare Einschränkung.
Wer große Mengen Geld besitzt oder in Umlauf bringt –
was groß meint, muss die Gesellschaft gemäß ihrer Vorstellung von einem harmonischen
Zusammenleben entscheiden –,
sollte nachweisen müssen, wie
er zu ihnen gekommen ist. Tatsächlich ist es aber so: Bei den
Zahlen zur Vermögensverteilung in Deutschland werden
Haushalte über 18.000 Euro Monatseinkommen gar nicht erst
erfasst. Reichtum ist anonym,
eine Vermögenssteuer brächte
wenigstens mal eines: Auskunft
über die Verhältnisse.
Wer solches Streben nach
Transparenz, zu der die Begrenzung des Bargeldverkehrs
ein diskussionswürdiger Schritt
ist, dem gegenüber Sentimentalität oder Freiheitsbeschwörungen blass aussehen, ablehnt,
sollte aber einfach tun dürfen,
wonach ihm ist: Das fällige Bußgeld kann er dann ja bar bezahlen. AMBROS WAIBEL
Geduld! Sie wird die passenden Noten schon noch finden. So viel Zeit muss sein Foto: René Zieger/Ostkreuz
Die Schein-Debatte
GELDWECHSEL Die einen nennen es Hysterie, die anderen skandieren „Wehret den
Anfängen!“ – Die Frage dahinter lautet: Sind wir auf dem Weg in eine bargeldlose
Zukunft? Und was droht Verbrauchern, wenn Scheine und Münzen wirklich
abgeschafft werden? Vier taz-Redakteure machen sich Gedanken zum Geld
Das slowenische Abenteuer
„Ihr Kassenbon, Ihr Kassenbon!“
Die Verkäuferin war aus ihrem
Kassenkabuff geradezu herausgefallen und lief mir mit dem
kleinen Zettel wedelnd hinterher. Ach ja, der Kassenbon. Seit
dem Jahreswechsel verlangt die
slowenische Regierung, dass jedes Geschäft, vom Obststand am
Seit Jahreswechsel
muss jedes Geschäft
direkt mit dem Finanzamt verbundene Kassen verwenden
Markt bis zum Discounter, direkt
mit dem Finanzamt verbundene
Registrierkassen verwendet.
Zur Vorbeugung des Steuerbetrugs diene die Maßnahme
hieß es, Mehreinnahmen von
75 Millionen Euro versprachen
sich die Behörden schon im ersten Jahr. Teil der Regularien ist
die Pflicht, nach jeder Transaktion einen zertifizierten Kassenbon auszugeben, den Kun-
dInnen tatsächlich mit sich zu
führen hätten.
Den Bon also musste ich mitnehmen, sonst würde die Verkäuferin vermutlich von verrohten Finanzbeamten gerädert
und ich müsste die Urlaubskasse
dem slowenischen Staatshaushalt zuführen. Immerhin darf
noch Bargeld verwendet werden. Sonst wüssten gleich alle,
inklusive des ideellen Gesamthackers, dass ich rauche, zu wenig Gemüse esse und Laško statt
Union-Bier trinke, obwohl das in
Ljubljana als unangemessen gilt.
Das mit den Steuermehreinnahmen hat übrigens nicht geklappt, im ersten Quartal sind
die versteuerten Umsätze des
Einzelhandels in Slowenien um
gut ein Prozent gesunken.
„Jetzt nehmen Sie doch in
Gottes Namen Ihren Kassenbon.“ Die Frau zwang sich zurück in ihr Kabuff, und ich warf
den Bon in respektvoller Distanz
in den Müll. Als ich dann festgenommen wurde, war ich gar
nicht überrascht. Es hatte alles
seine Ordnung.
DANIÉL KRETSCHMAR
Bare Münze?
Der radikalste Versuch
■■Der EU-Kommissar: Günther
Oettinger prophezeite vor wenigen Wochen auf einer Veranstaltung: „Bargeld stirbt aus:
Wir werden mit der Apple-Watch
bezahlen, mit dem Smartphone
bezahlen.“ Dabei sprach er sich
aber gegen die Abschaffung des
500-Euro-Scheins aus: „Haltet
am Bargeld fest – der Markt
macht es“, so Oettinger.
■■Der Wirtschaftsweise: Peter
Bofinger forderte schon 2015 im
Spiegel das Ende des Bargelds:
„Bei den heutigen technischen
Möglichkeiten sind Münzen
und Geldscheine tatsächlich ein
Anachronismus.“ Die Abschaffung trockne „die Märkte für
Schwarzarbeit und Drogen
aus“. Der Euro­raum, die USA,
Großbritannien und die Schweiz
sollten gleichzeitig auf Bargeld
verzichten.
■■Der Bundesbank-Chef:
Carl-Ludwig Thiele sagte, es
dürfe nicht der Eindruck erweckt
werden, der Bevölkerung würde
nach und nach das Bargeld entzogen: „Man muss sich hierbei
vor Augen halten: Die Freiheit
stirbt häufig scheibchenweise.“
Die Idee, nicht nur große Banknoten und Bares, sondern – viel
radikaler – gleich alles Geld abzuschaffen, hat es schon gegeben. Und das nicht nur in der
Theorie.
Es waren aber nicht gierige Kapitalisten, die das Projekt ausbrüteten, um auf diese
Weise Kunden und Konsumenten zu versklaven.
Nein, es waren Revolutionäre
um den Kambodschaner Saloth
Sar, die sich in Paris in marxistischen Zirkeln eine neue, gerechtere Welt erträumt hatten.
Als ihre Truppen, später bekannt als „Rote Khmer“, am
17. April 1975 in der Hauptstadt
Phnom Penh einmarschierten,
machten sie schnell kurzen Prozess: Innerhalb von drei Tagen
zwangen sie alle Bewohner, die
Stadt zu verlassen. Sie erklärten
alles Geld für wertlos, verboten
privaten Besitz, stellten Tauschhandel unter Todesstrafe. Von
rund 2 Million Menschen, die
bis dahin in Phnom Penh gelebt
hatten, durften nur 50.000 „Zuverlässige“ zurückbleiben, die
meisten waren Soldaten.
Saloth Sar, der den Kampfnamen Pol Pot angenommen hatte,
ließ die Nationalbank Kambodschas sprengen. Die aus den
Tresoren und Säcken befreiten
Scheine bedeckten die Straße
rund um das zerstörte Gebäude.
Die „Angka“ (Organisation)
Pol Pots erklärte, sie werde je-
Die Roten Khmer
in Kambodscha
erklärten alles Geld
für wertlos und verboten Privatbesitz
den „nach seinem Verdienst für
die Revolution“ mit Lebensmitteln versorgen. Mindestens 1,7
Mil­lio­nen Menschen – ein Viertel der Bevölkerung – kamen bis
zum Sturz des Regimes Anfang
1979 ums Leben.
Pol Pots Leute verkauften derweil Antiquitäten ins Ausland –
gegen Geld. Er selbst starb am
18. April 1998 friedlich in seinem
Bett. JUTTA LIETSCH