Schauen Politik und Polizei weg

Manuskript
Beitrag: Rechtsextreme in Sachsen –
Schauen Politik und Polizei weg?
Sendung vom 26. April 2016
von Ulrike Brödermann, Arndt Ginzel, Manka Heise und Tonja Pölitz
Anmoderation:
Sachsen hat ein Problem mit dem Rechtsextremismus, und das
ist größer als er wahrhaben wollte, sagte kürzlich Stanislaw
Tillich, der Ministerpräsident. Das Eingeständnis kommt sehr
spät, vielleicht zu spät. Denn inzwischen ist es für viel zu viele
längst normal geworden, Flüchtlinge zu verhöhnen und zu
bedrohen. Es ist normal, daneben zu stehen und zu klatschen,
wenn Unterkünfte angegriffen werden. Und trotz Tillichs
staatlicher Selbstkritik scheint manch Staatsdiener immer noch
auf dem rechten Auge blind zu sein - oder den Rechten sogar
zuzuzwinkern. Unsere Reporter haben Beispiele.
Text:
Dresden. Das alternative Wohnprojekt „Mangelwirtschaft“. Am
späten Abend des 18. Oktober 2015 werden hier die 20
Bewohner Opfer eines Überfalls. Sie vermuten Rechtsradikale als
Täter.
O-Ton Bewohner alternatives Wohnprojekt
„Mangelwirtschaft“:
Es sind aber auch gleichzeitig Leute relativ zielstrebig hier
auf den Hof gegangen und haben hinterm Haus Feuerwerk
gezündet. Und später, als wir rausgegangen sind, haben wir
auch festgestellt, als dann auch noch die Polizei da war, dass
es da auch so Sprengsätze aus so Buttersäure und starken
Böllern gab, die versucht wurden – vermeintlich versucht
wurden – in die Fenster unserer Gemeinschaftsküche zu
werfen.
Durch Fenster flogen hochexplosive Sprengkörper und Steine.
Die meisten der Bewohner im Haus schliefen bereits, in der
Küche saßen zum Tatzeitpunkt noch einige zusammen.
O-Ton Bewohner alternatives Wohnprojekt
„Mangelwirtschaft“:
Und hier kann man zum Beispiel sehen, das ist ja die hintere
Seite des Raums, wo hier ein mehr als faustgroßer Stein in
den Ofen getroffen hat. Wenn da jemand in der Flugrichtung
gestanden hätte, das wäre sicher nicht schön gewesen.
Wahrscheinlich ging das alles auf ihr Konto: die Freitaler
Bürgerwehr. Die brüstet sich auf sozialen Netzwerken mit:
„Im Osten ist es Tradition - Da knallt es vor Silvester schon“.
Spätestens im Juli 2015 soll sich die Freitaler Bürgerwehr
gegründet haben. Mutmaßliche Rädelsführer: Busfahrer Timo S.,
27 Jahre alt, und Patrick F., 24 Jahre alt. Staatsanwaltschaft und
Polizei haben keinen Terrorverdacht, ermitteln wegen
Einschüchterung und Sachbeschädigung.
O-Ton Valentin Lippmann, B‘90/GRÜNE, MdL Sachsen:
Die Frage für mich ist, warum hat man das Umfeld
offensichtlich unterschätzt. Und da erwarte ich jetzt auch
Aufklärung. In Sachsen wurde der Job nicht ordentlich
gemacht.
Polizei und Justiz haben offenbar nicht nur die Gefahr
unterschätzt, sondern möglicherweise auch Anschläge nicht
verhindert. Das legen Dokumente nahe, die der SPIEGEL und
Frontal 21 einsehen konnten. Demnach wurde das Telefon eines
verdächtigen Mitglieds der Freitaler Gruppe mitgeschnitten.
Es fallen Begriffe wie „Buttersäure“, Böller der Kategorie „Super
Cobra“ und das mögliche Anschlagsziel Wohnprojekt
„Mangelwirtschaft“.
Zitat:
„… da wollen sie dann die Zeckenbude stürmen.“
Warum die Polizei nicht eingreift, bleibt offen. Am 27.10.2015
meldet sich ein Zeuge bei der Polizei - offenbar ein Insider. Er
berichtet von der Struktur der Gruppe, nennt Täter, Ort und
Tatwerkzeuge. Dass Menschen zu Schaden kommen könnten,
nähme die Gruppe billigend in Kauf. Nur Tage später fliegen
wieder Sprengkörper, diesmal auf ein Asylbewerberheim. Erst
jetzt erfolgen Festnahmen.
Noch immer sieht die Dresdner Staatsanwaltschaft keine
Terrorgruppe hinter der Anschlagsserie. Das passiert erst als der
Generalbundesanwalt übernimmt. Er ermittelt wegen des
Verdachts der Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung und
versuchten Mordes. Der sächsische Innenminister findet
trotzdem, dass seine Behörden gute Arbeit geleistet haben.
O-Ton Markus Ulbig, CDU, Innenminister Sachsen:
Die Polizei hat in dieser integrierten Ermittlungseinheit eine
gute Arbeit gemacht. Und letztendlich war es die Basis für
die Entscheidung des Generalbundesanwaltes.
O-Ton Frontal 21:
Sie weichen meiner Frage aus. Noch einmal, haben Sie sie
freiwillig abgegeben oder hat er sich den Fall genommen?
O-Ton Markus Ulbig, CDU, Innenminister Sachsen:
Letztlich hat der Generalbundesanwalt entschieden.
O-Ton Frontal 21:
Das heißt, er hat den Fall übernommen, ohne Sie zu fragen?
O-Ton Markus Ulbig, CDU, Innenminister Sachsen:
Der Generalbundesanwalt ist für diese Verfolgung von
Straftaten zuständig und deswegen hat er entschieden.
Greifen Sachsens Behörden nicht konsequent gegen Rechts
durch? Wir stoßen auf Verbindungen der Polizei zu bekannten
Neonazis.
Der Fall: Fernando V. Der Leipziger Bereitschaftspolizist ist
offenbar mit dem vorbestraften Neonazi Alexander Kurth
befreundet. Der war Mitglied bei der NPD – inzwischen ist er
Vertreter der Partei „die Rechte“ in Sachsen. Auf WhatsApp bittet
Kurth den befreundeten Polizisten um Hilfe:
K: Vor meinem Haus sollen Zecken stehen. Habt ihr
Einsatzkräfte in der Nähe
F: Ich bin nicht im Einsatz, aber ich rufe jemand an.
K: Sollen etwa 12 Vermummte sein.
F: Meldung ist weitergegeben…
K: Vielleicht wollten sie nur Macht demonstrieren. Danke für
deine Hilfe
F: Immer gerne mein Freund….
Disziplinarrechtliche Maßnahmen gab es dafür nicht. Fernando V.
wird im vergangenen Sommer trotz seiner RechtsradikalenKontakte vor einem Asylbewerberheim eingesetzt. Inzwischen
bildet er sogar junge Polizisten aus.
Nachfrage bei einem, der sich mit Rechtsextremismus unter
Polizisten im Osten Deutschlands auskennt.
O-Ton Bernd Wagner, ehemaliger Kriminaloberrat:
Wenn wir uns daran gewöhnen, dass rechts unklare und
politische illoyale Beamte möglicherweise hier auch noch als
Ausbilder tätig werden, dann fürchte ich also um den
Bestand unserer Demokratie sehr ernsthaft. Von daraus ist
das eine Frage tatsächlich an die Qualität von Politik. Das ist
ganz eindeutig und dafür gibt es namhaft Verantwortliche.
O-Ton Frontal 21:
Wir haben heute erfahren, dass Fernando V. von seinen
rechtsextremen Kontakten für die Ausbildung junger
Polizisten eingesetzt wird. Finden Sie das gut als
Innenminister?
O-Ton Markus Ulbig, CDU, Innenminister Sachsen:
Die Entscheidung ist getroffen, dass er eben aus dem
Vollzug von der Straße weggenommen worden ist und wird
im Teilbereich, im Innenbereich, in diesem Bereich der
Ausbildung eingesetzt. Und ich denke, damit ist die
Entscheidung sehr konsequent getroffen worden.
Auch Lutz Bachmann, Initiator der fremdenfeindlichen
Organisation Pegida, prahlt mit guten Kontakten zur sächsischen
Polizei:
„Gut, die richtigen Freunde und Unterstützer zu haben!“
Ein ehemaliger Mitstreiter Bachmanns gibt dazu sogar ein
Radiointerview.
O-Ton Rene Jahn, Quelle: Deutschlandfunk, 4.11.2015:
Es ist so, dass die sächsische Polizei, die auch Pegida
begleitet, die Demonstrationszüge, doch der ganzen Sache
eher zugetan ist.
Interview-Versuch mit Lutz Bachmann:
O-Ton Frontal 21:
Herr Bachmann, ganz kurz, Sie haben doch so gute Kontakte
gehabt zur Polizei. Bekommen Sie immer noch Informationen
zugesteckt?
[Keine Antwort]
Dresden, Robert-Matzke Straße. Im Keller des Hauses wurde
Feuer gelegt. Die Bewohner sind überzeugt: Rechtsradikale
stecken dahinter.
O-Ton Bewohner:
Hier sind auch noch Hebelspuren an dem Fenster und hier ist
es auch das richtig rausgebrochen. Das haben wir auch der
Polizei mitgeteilt. Sie haben davon keine Spuren genommen,
nur Fotos gemacht.
Ihr Vorwurf: Ausgerechnet im Wahlkreis von Sachsens
Innenminister mache die Polizei ihre Arbeit nicht. Ein
Brandgutachter wird später zwar ein Fremdverschulden
feststellen, doch um die Täter zu ermitteln, ist es zu spät.
O-Ton Bewohner:
Dank der Nichtbearbeitung der Polizei werden wir
wahrscheinlich nie genau wissen, wer diesen Anschlag auf
uns durchgeführt hat. Es wurden Fotos gemacht. Und
ansonsten wurde halt nichts gemacht.
Rechter Terror und kein Ende. Solange die Polizei und Justiz in
Sachsen nicht durchgreifen, kann sich daran auch nichts ändern.
Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur
zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der
engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten
unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen
Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem
Stand des jeweiligen Sendetermins.