Dokumentation Fachtag „Willkommen – Angekommen – Anerkannt?“ Berufliche Ein- und Aufstiegschancen für MigrantInnen in Deutschland Fachbereich Migration Inhalt Begrüßung ....................................................................................3 Einstieg .........................................................................................5 Fachlicher Input ............................................................................6 Erfahrungsberichte .......................................................................7 Podiumsdiskussion .......................................................................9 Workshops 1. Angekommen im Schulsystem? – Individuelle Schullaufbahnen junger MigrantInnen in Deutschland ........................................................................ 14 2. Integrationskurs, B1 und dann? – Sprache und Qualifikation für MigrantInnen ........................ 15 3. Willkommen im Betrieb? – Chancen und Herausforderungen für MigrantInnen und Betriebe ........................................................................... 16 4. Keine (volle) berufliche Anerkennung? – Möglichkeiten der Nachqualifikation .................................... 17 Zusammenfassung der Workshop-Ergebnisse ........................... 18 Impressum .................................................................................. 19 Die von den Referenten der Workshops zur Verfügung gestellten Unterlagen sind in einer separaten Datei/in einem separaten Ausdruck als Anhang zusammengestellt. Begrüßung Vorstand IN VIA Migration im Einsatz für langfristige Integration Sehr geehrte Damen und Herren, im Namen unseres Verbandes möchte ich Sie ganz herzlich begrüßen und freue mich über das große Interesse. Dieser Fachtag ist die letzte Veranstaltung in unserem Jubiläumsjahr „120 Jahre IN VIA München“. Der Verband wurde gegründet, um die Situation alleinreisender Mädchen zu verbessern. In der langen Verbandsgeschichte waren immer in besonderer Weise Menschen im Fokus, die unterwegs sind. Aus dieser Tradition heraus hat sich hier in München in den letzten 15 Jahren der Fachbereich Migration stetig vergrößert und diese Arbeit ist mittlerweile ein wichtiger Schwerpunkt geworden. Als vor einem Jahr das Thema des heutigen Fachtags festgelegt wurde, war nicht absehbar, wie stark die Zuwanderung in Deutschland zunehmen würde und wie aktuell das Thema der schulischen und beruflichen Integration dadurch werden würde. Fragen zu Schule, Ausbildung und Beruf sind immer schon zentrale Themen in der Beratung von Migrantinnen und Migranten gewesen. Ob diese Schritte gut gelingen, ist ganz wesentlich für das Hineinwachsen in unsere Gesellschaft. Angesichts der vielen Menschen, die aktuell zu uns kommen und von denen viele bleiben werden, werden die Fragen, mit denen sich dieser Fachtag heute beschäftigt, die Fragen und Herausforderung der nächsten Jahre sein. Barbara Igl Vorstand IN VIA München Auch im Sinne der anderen Träger hoffen wir sehr, dass hierfür genügend zusätzliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden und dass die bisher nicht ausreichende Refinanzierung der Stellen - insbesondere im Bereich der Migrationsberatung - verbessert wird. Natürlich muss akut die Unterbringung der ankommenden Flüchtlinge organisiert und finanziert werden. Es ist aber ebenso wichtig, schon jetzt in die langfristige Integration zu investieren. Nur dann können die großen Veränderungen, die diese Zuwanderung mit sich bringen wird, auch gemeinschaftlich in positiver Weise gestaltet werden. Ich danke allen sehr herzlich, die diesen Fachtag vorbereitet haben und allen, die heute daran mitwirken und wünsche uns allen eine interessante Veranstaltung. Seite 3 Begrüßung Bereichsleitung Berufliche Ein- und Aufstiegschancen für MigrantInnen müssen weiter optimiert werden Sehr geehrte Damen und Herren, die Förderung der sozialen und beruflichen Integration von MigrantInnen ist eine zentrale Aufgabe sowohl der Beratungsdienste Jugendmigrationsdienst und Migrationsberatung als auch der anderen Projekte von IN VIA Migration, sei es im Spracherwerb, in der Vorbereitung des qualifizierenden Mittelschulschulabschlusses oder der Begleitung von jungen Flüchtlingen in der Ausbildung. Die beruflichen Ein- und Aufstiegschancen von Migrantinnen sind eng verknüpft mit der Möglichkeit, in Deutschland im erlernten Beruf arbeiten zu können. Rund zwei Drittel der ZuwanderInnen verfügen über eine berufliche Qualifikation in einem reglementierten oder anderen Beruf. Bei der Planung des Jubiläumsjahres 2015 lag es somit auf der Hand, dass sich IN VIA Migration an einem Fachtag zum aktuellen Stand zu diesem Thema austauschen will. Frau Özlem Sarikaya wird uns mit ihrer Moderation und ihren Interviews durch diesen Tag begleiten. Elisabeth Götz Bereichsleitung IN VIA Migration Ich freue mich sehr, dass wir heute sowohl an Erfahrungen aus der Anerkennungsberatung teilhaben können, als auch an den Erfahrungen von persönlich Involvierten. Klienten von IN VIA Migration sowie eine Mitarbeiterin werden berichten, wie es im „echten Leben“ verläuft. Auf eine lebhafte Diskussion von ExpertInnen und Politik hoffe ich mit unserem Podium. Mit ExpertInnen können Sie am Nachmittag in einer Gruppe von fachlich Interessierten in vier Workshops vertieft arbeiten. Mir persönlich geht die Entwicklung in der Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen insgesamt dann doch zu langsam voran. So habe ich bereits Anfang der 90er Jahre einen jungen berufserfahrenen Ingenieur aus dem Irak begleitet, der dann quasi zum Kfz-Mechaniker umgeschult wurde. 2015 ist meine Erkenntnis, dass ein Hochschulstudium zwar als gleichwertig anerkannt wird, aber dann doch keine adäquate Beschäftigung erfolgt. Ich bin daher gespannt auf die Ergebnisse der Workshops und welche Postulate Sie formulieren werden. Seite 4 Einstieg Geschichte von dem Mädchen und den Seesternen Nach einem schweren Sturm am Meer läuft ein Mädchen am Strand entlang. Der Strand ist übersät mit vielen tausenden Seesternen. Das Mädchen geht von einem Seestern zum nächsten, hebt ihn hoch und wirft ihn in den Ozean zurück. Ein Mann beobachtet aus der Ferne das Mädchen, geht zu ihm hin und sagt: „Was glaubst du denn, was du hier tust? Das macht doch nicht den geringsten Unterschied - es sind einfach viel zu viele Seesterne.“ Das Mädchen schaut ihn an, und fährt in dem, was es tut unbeirrt fort. Es hebt einen weiteren Seestern auf und wirft ihn zurück ins Meer mit den Worten: „Für den hier hat es einen Unterschied gemacht.“ Das Mädchen hebt den nächsten Seestern auf, schleudert ihn ins Wasser zurück und sagt: „Und für den hat es auch einen Unterschied gemacht.“ Dann geht es weiter am Strand entlang) Seestern um Seestern) Originalgeschichte in: Lency, Chuck; J’aime Spezzano, Christopher: Brücken zwischen Himmel und Erde, Petersberg: ViaNova Verlag, 2009, S. 123; Interpretiert von Mioara Irimie-Bastius (Migrationsberaterin und Teamleitung Erwachsenenberatung bei IN VIA Migration) Seite 5 Fachlicher Input Berufliche Anerkennung in der Praxis Der Unterstützungs- und Beratungsbedarf bei der beruflichen Anerkennung ist auch nach den gesetzlichen Änderungen im Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz hoch. Die Erfahrungen mit den Neuerungen sind unterschiedlich bei der Servicestelle der Landeshauptstadt München zur Erschließung ausländischer Qualifikationen: Verfahren: - Die Verfahren konnten verkürzt werden - Anerkennungsverfahren funktionieren gut, sofern ein Antrag gestellt wird Anerkennungsquote: - Hohe Anerkennungsquoten, aber: Diskrepanz zwischen Fallzahlen in der Beratung und tatsächlichen Antragsstellungen ist hoch: 62,3 % der Ratsuchenden stellen nach der Anerkennungsberatung einen Antrag, 37,7 % verzichten darauf, bzw. haben keine Möglichkeit einen Antrag zu stellen - Das Gesetz wirkt besonders gut für qualifizierte junge europäische MigrantInnen (insbesondere im medizinischen und im Gesundheits- und Pflegebereich) Regina Ober Leiterin der Servicestelle der Landeshauptstadt München zur Erschließung ausländischer Qualifikationen Berufserfahrung: Kompetenzorientierte Bescheide führen zu einem dynamischen Anerkennungsverfahren Berufserfahrung wird berücksichtigt: - nach Teilanerkennung kann durch Anpassungsmaßnahmen oder Berufserfahrung die volle Anerkennung erreicht werden - im Bereich der nicht reglementierten Berufe ist die Berücksichtigung von Berufserfahrung von großer Bedeutung Seite 6 Erfahrungsberichte Unklare Zuständigkeiten in der Vergangenheit Welchen Abschluss haben Sie in Ihrem Heimatland erworben? Ich habe in Peru einen Universitätsabschluss als Sozialpädagogin erworben. Wie lief Ihre berufliche Anerkennung in Deutschland ab? Ich wollte mir meinen Universitätsabschluss 1998 anerkennen lassen. Dazu stellte ich einen Antrag bei der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen in Bonn. Ich sollte ein Jahrespraktikum machen und eine Prüfung in den Fächern Sozial- und Verwaltungsrecht an der Fachhochschule ablegen. Nach einjährigem Praktikum beim IN VIA KOFIZA Landesverband und der abgelegten Prüfung an der Katholischen Stiftungsfachhochschule schickte ich alle Unterlagen nach Bonn. Aber ich sollte nun wegen meines Wohnsitzes in München nicht mehr dort die Anerkennung beantragen, sondern beim Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen. Dort wiederum fühlte sich niemand dafür zuständig und man verwies mich wieder nach Bonn. Im Jahr 2009 beantragte ich erneut beim Bayerischen Staatsministerium die Anerkennung meines Berufes. Nach einigen Monaten bekam ich endlich die Anerkennung als Sozialpädagogin. Das heißt, Sie hatten schon vor der offiziellen Anerkennung eine adäquate Tätigkeit? Ja, ich konnte auch ohne Anerkennung arbeiten, aber die Eingruppierung war nicht wie bei einer anerkannten Sozialpädagogin. Lourdes Valencia de Stangl (Pädagogische Mitarbeiterin im Fachbereich Migration/IN VIA KOFIZA) Seite 7 Erfahrungsberichte Kein Berufseinstieg trotz Anerkennung Welchen Abschluss haben Sie in Ihrem Heimatland erworben? Ich habe im Irak den Bachelor of Science in IT absolviert. Wie lief Ihre berufliche Anerkennung in Deutschland ab? Ich habe 2012 selbstständig meine berufliche Anerkennung beantragt. Informationen und Anträge habe ich über das Internet recherchiert. Bereits zwei Wochen nach dem Antrag hatte ich die Anerkennung. Haben Sie nach der Anerkennung eine adäquate Arbeitsstelle gefunden? Leider nein. Ich habe 45 Bewerbungen geschrieben, die ich per EMail oder Post versandt habe. Manche habe ich auch persönlich abgegeben. Ich habe nur Absagen erhalten. Nicht einmal ein Praktikum habe ich bekommen, obwohl es doch immer heißt, IT-Fachkräfte werden Händeringend gesucht in Deutschland. Meine Anerkennungsurkunde kann ich mir rahmen und über das Sofa hängen, denn die Anerkennung hat mir nicht beim Berufseinstieg geholfen. Was machen Sie jetzt beruflich? Um nicht arbeitslos zu sein, mache ich jetzt eine Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel. Ali Hadi Abas (Auszubildender zum Kaufmann im Einzelhandel & Bachelor of Science in IT) Seite 8 Podiumsdiskussion Die berufliche Integration Erfahrungen und Postulate 2015 sind ca. 11.000 Ausbildungsplätze und 132.000 Fachkräftestellen in Bayern nicht besetzt. In der Zukunft soll sich dieser Mangel weiter verstärken: Die IHK für München und Oberbayern erwarten für 2030 fehlende 400.000 Fachkräfte in Bayern, davon 80% Nicht-Akademiker. Zuwanderung und die Integration von Flüchtlingen sind die Schlüsselfaktoren für eine weiter florierende Wirtschaft. Welche Themen dabei besonders im Fokus stehen und in welchen Bereichen es Verbesserungen bedarf, darüber diskutierten wichtige Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Sozialverbänden: Von links nach rechts: Özlem Sarikaya (Redakteurin Bayerischer Rundfunk) Norbert J. Huber (Geschäftsführer Caritas München Stadt/Land, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Freier Träger in München) Christine Kamm (MdL Die Grünen, Sprecherin Europa-, Asylpolitik und Integration) Regina Ober (Leiterin Servicestelle LH München zur Erschließung ausländischer Qualifikationen) Marian Offman (Sozialpolitischer Sprecher CSU Fraktion Stadtrat München) Hubert Schöffmann (Stv. Leiter Berufsbildung der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern) Arif Tasdelen (MdL SPD, Sprecher Migrations- und Integrationspolitik) Seite 9 Podiumsdiskussion Sicherer Aufenthalt und Bleibeperspektive erleichter Integration Die nachfolgenden Aussagen und Inhalte sind im Kontext der geltenden Rahmenbedingungen von November 2015 zu sehen. Die Dokumentation der Podiumsdiskussion basiert auf Mitschriften von Carla De Virgilio, Manuel Mosler und Stefanie Ziegler (MitarbeiterInnen von IN VIA Migration). Von einer personellen Zuordnung aller Aussagen wurde aus folgenden Gründen abgesehen: Manche Aspekte wurden von mehreren Teilnehmern der Podiumsdiskussion dargelegt, spontane Publikumsbeiträge sollten ebenfalls berücksichtigt werden. Direkte Zitate sind als solche gekennzeichnet. Aufenthalt und Integration Aktuelle Situation: - Unsicherer Aufenthalt führt zu Unsicherheit („Hängepartie“) während der Ausbildung, da der Aufenthalt ohne Anerkennung maximal sechs Monate gewährt wird. - Eine Verlängerung der Duldung im Jahresrythmus entspricht nicht einer Willkommenskultur. Dies kann dem Ziel eines erfolgreichen Ausbildungsabschlusses entgegenwirken. Postulate: - Feste Aufenthaltszeit für Auszubildende 3+2 (Sicherer Aufenthalt während der dreijährigen Ausbildung + 2 Jahre im Anschluss im Betrieb) Integration muss von Anfang an erfolgen, um die Potentiale zu nutzen: Den Menschen muss eine Perspektive gegeben werden. Man kann den Leuten am Anfang nicht sagen: ‚Ihr müsst sowieso bald wieder gehen.‘ Auch wenn sie nur einige Jahre bleiben und dann in ihr Heimatland zurückkehren: es profitieren alle davon. Christine Kamm (MdL Die Grünen, Sprecherin Europa-, Asylpolitik und Integration) Die Integration der Flüchtlinge muss ein Hauptaugenmerk der Politik sein und Einwanderung als ein Geschenk für Deutschland anerkannt werden, um den Lebensstandard in Deutschland aufrecht zu erhalten. Marian Offman (Sozialpolitischer Sprecher CSU Fraktion Stadtrat München) Seite 10 Podiumsdiskussion Mehr Fachkräfte durch einfacheres Anerkennungsverfahren und bessere Möglichkeiten der Qualifizierung Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen Aktuelle Situation: - Ohne Zeugnis bleibt die Anerkennung nach wie vor schwierig - Anerkennungsverfahren dauern zu lange: zu kompliziert, zu wenig Personal - Bei reglementierten Berufen muss im Bescheid auf wesentliche Unterschiede hingewiesen werden und beschrieben werden, wodurch diese Defizite ausgeglichen werden können. Dies ist noch nicht in allen Berufen umgesetzt. Die Unterschiede beim Verfahren der Zeugnisanerkennung zwischen den Bundesländern sind geringer geworden. Dies reduziert das „Länder-hopping“, die Anerkennungssuche in verschiedenen Bundesländern. Regina Ober (Leiterin Servicestelle LH München zur Erschließung ausländischer Qualifikationen) Postulate: - Angebote der Anpassungs- & Weiterqualifizierung müssen ausgebaut und passgenauer werden - Vereinfachung der Verfahren zur beruflichen Anerkennung Seite 11 Podiumsdiskussion Schnellere Integration in den Arbeitsmarkt durch Finanzierung von Sprachkursen bis B2 Spracherwerb Aktuelle Situation: - Berufliche Integration erfordert Sprachkenntnisse Niveau B2, Förderung aber nur bis B1 - Kursangebot: o nicht ausreichend lange Wartezeiten Demotivation o nicht spezialisiert genug für die jeweiligen Fachsprachen o Mangelnde Koordination der Kursanbieter - Finanzierung: o Priorisierung der Finanzierung der Integrationskurse auf Asylsuchende und Geduldete mit jeweils guter Bleibeperspektive (4 Länder) o Unklare Zuständigkeit (Bund/Land/Kommune) bei Qualifikation und Sprachvermittlung. LH München ist nicht verantwortlich, hat aber Servicestelle eingerichtet und finanziert z.T. Sprachkurse Die bayerischen IHKs investieren 2016 acht Millionen Euro in ein ganzheitliches, nachhaltiges und strategisches Maßnahmenpaket zur Integration von Flüchtlingen. Zwei Millionen Euro davon fließen in die ausbildungsbegleitende und berufsbezogene Sprachförderung. Hubert Schöffmann (Bildungspolitischer Sprecher BIHK) Postulate: - Ausreichend Sprachkursangebote sollten wie in Schweden kostenfrei mit niederschwelligem Zugang zur Verfügung stehen. - Zeitfaktor muss beim Spracherwerb und der Weiterqualifizierung durch flexiblere Kursmodelle stärker berücksichtigt werden. - Förderung bis Sprachniveau B2 Ich setzte mich für den Ausbau von Intensiv-Integrationskursen mit längerer Dauer ein. Spätaussiedlern wurde in den 90-er Jahren sechs Monate Intensivsprachkurs finanziert. Dadurch war eine schnelle Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt möglich. Arif Tasdelen (MdL SPD, Sprecher Migrations- und Integrationspolitik) Seite 12 Podiumsdiskussion Politische Lobbyarbeit für mehr Fördermittel für Institutionen und Auszubildende Themenübergreifende Postulate In der Podiumsdiskussion wurden auch folgende themenübergreifende Feststellungen und Postulate geäußert: Momentan findet mehr Abwehr- und weniger Integrationspolitik statt. Es gibt keinen politischen Willen für eine echte Willkommenskultur, wir geben keine Perspektive, es wird bewusst kompliziert organisiert, bzw. kein Personal zur Verfügung gestellt. Aber die Realität holt uns ein und zur Wahrung des Wohlstandes ist Einwanderung unabdingbar. Obdachlose und andere Armutsgruppen dürfen aber nicht das Gefühl haben, es geht auf ihre Kosten. Norbert J. Huber (Geschäftsführer Caritas München Stadt/Land, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Freier Träger in München) - Mehr institutionelle und weniger projektbezogene Förderung - Mehr interkulturelle Kompetenz im bayerischen Staat - Finanzierung der Ausbildung: - Bestehende finanzielle Förderung (wie BaföG, BAB) für alle Auszubildenden ermöglichen und aufstocken - Zusätzliche finanzielle Förderung anbieten, damit die Ausbildung auch für Familienväter und – mütter möglich ist. Zur Zeit spiegelt sich in der Höhe der Ausbildungsvergütung das traditionelle Bild wider, beim dem der/die Auszubildende noch im Elternhaus wohnt und kaum eigene Kosten hat. - Bessere Begleitung junger Flüchtlinge in den Beruf: Aktuell fehlt ein verschränktes Zusammenarbeiten aller Akteure, sowohl bei der Ausbildung als auch im Bereich der Wohngruppen und deren Betreuung. politisches Lobbying durch Akteure aus der Praxis erforderlich Seite 13 Workshop 1 Angekommen im Schulsystem? – Individuelle Schullaufbahnen junger MigrantInnen in Deutschland Für Kinder mit Migrationshintergrund, welche erst nach der Einschulung in das deutsche Schulsystem einsteigen, gibt es verschiedene Angebote im Schul- und Bildungssystem: - Übergangsklassen/ Deutschförderklassen eignen sich für Kinder mit begonnener Schulbildung, die neu nach Deutschland gekommen sind und nicht ausreichend Deutsch sprechen. Hauptziel ist der Erwerb der deutschen Sprache. - Schularten: - städtische schulartunabhängige Orientierungsstufe Neuperlach: in 5. und 6. Klassen Vorbereitung d. SchülerInnnen auf den Übertritt in die 7. Klasse der weiterführenden Schule. - städtische Willy-Brandt-Gesamtschule: vereint Mittelschule, Realschule und Gymnasium. Dr. Olena Kuprina Bildungsberatung International der Stadt München - Gastschulverhältnis in Realschule und im Gymnasium: SchülerInnen, die die Übergangsklassen besuchten, können bei entsprechenden Schulleistungen ein halbes bis ein ganzes Jahr als Gast am Unterricht einer Realschule oder eines Gymnasiums teilnehmen. Eine Lehrerkonferenz wird über Aufnahme der SchülerInnen entscheiden. Berücksichtigt werden müssen Noten, pädagogische Gutachten und Altersgrenze. - Notenbonus für SchülerInnen mit nichtdeutscher Muttersprache: Beim Übertritt ins Gymnasium, in die Realschule oder in die M-Klassen wird ein Notenbonus bis zu 3,33 gemäß §25 ABs.5 GrSO gegeben, wenn die SchülerInnen die 1. Klasse außerhalb Deutschlands besuchten und deren Nachholbedarf in Deutsch behebbar ist. - Ersetzen der Fremdsprache durch Muttersprache an Gymnasien, Realschulen und M-Klassen: im Stundenplan und in Prüfungen von M-Klassen, Quali und Mittlere Reife - Weitere Angebote für über 15-jährige Jugendliche: Anerkennung der ausländischen Schulzeugnisse, Nachholen von Abschlüssen und Berufsausbildung. Im separaten Anhang finden Sie die vollständige Präsentation zu diesem Workshop. Seite 14 Workshop 2 Integrationskurs, B1 und dann? – Sprache und Qualifikation für MigrantInnen Der gemeinsame Europäische Referenzrahmen unterteilt den Wissensstand beim Erlernen der deutschen Sprache in sechs Sprachniveaus. Diese sind: - A1, A2 (Elementare Sprachverwendung) - B1, B2 (Selbstständige Sprachverwendung) - C1, C2 (Kompetente Sprachverwendung) Zu Sprachniveau B1: - Bei diesem Sprachniveau werden Hauptpunkte verstanden, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Themen geht. - Es ist auch eine Voraussetzung, um bestimmte Aufenthaltstitel bekommen zu können. - Für Personen, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorgegebene Voraussetzungen erfüllen, werden die Kosten übernommen. Hierfür ist mit einem Formblatt ein Antrag zu stellen. - Damit können nur einfache Hilfstätigkeiten ausgeübt werden. Lidia Bosak IBZ – IntegrationsBeratungsZentrum Initiativgruppe München Zu Sprachniveau B2: - Absolventen dieses Sprachniveaus können Hauptinhalte komplexer Texte zu konkreten und abstrakten Themen verstehen und sich spontan und fließend verständigen - Mögliche Finanzierung: - Kann-, nicht Sollleistung der Arbeitsagentur bzw. des Jobcenters in Form von „Bildungsprämie“. Die „Bildungsprämie“ ist für Menschen gedacht, die 15 Std. / Woche arbeiten und weniger als 20 000 Euro pro Jahr verdienen. - Für Personen die ALG I oder ALG II erhalten, können berufsbezogene Kurse durch EU-Gelder finanziert werden. - Für Langzeitarbeitslose werden vom „Verbundprojekt Perspektive Arbeit“ (VPA) kostenlose Kurse angeboten, die städtisch finanziert sind. Im separaten Anhang finden Sie die Systematik der Sprachniveaus sowie die vollständige Präsentation zu diesem Workshop. Seite 15 Workshop 3 Willkommen im Betrieb? – Chancen und Herausforderungen für MigrantInnen und Betriebe Beschäftigung von MigrantInnen in Betrieben in Deutschland bedeutet ein gegenseitiges sich aufeinander einlassen. Die Erfahrung zeigt, dass die Zusammenarbeit für beide Seiten Vorteile bringt. Es kristallisierten sich aber auch Thematiken heraus, die Herausforderungen für die Beteiligten darstellen. Die hier genannten Themen beziehen sich hauptsächlich auf gerade in Deutschland angekommene junge Menschen. Chancen für Betriebe - Langjährige Berufserfahrung - Innovation durch Diversität - Mehrsprachigkeit - Hohe Motivation Chancen für MigrantInnen - Netzwerkbildung - berufliche Integration - Kennenlernen des deutschen Arbeitsmarktes - Selbstständigkeit Herausforderungen für Betriebe - Umgang mit anderen Lebenserfahrungen - Kulturelle Integration im Betrieb, ggf. Maßnahmen initiieren (z.B. Interkult. Training, Psychosoziale Beratung) - Rechtliche und politische Rahmenbedingungen (z.B. Arbeitserlaubnis abhängig von Genehmigung der Ausländerbehörde/ der Arbeitsagentur) => Investitionsrisiko - Anpassung an Bedürfnisse der MigrantInnen - Kundenwünsche vs. Kompetenz Azubi Herausforderungen für MigrantInnen - 3 und 2 (Aufenthalt währ. Ausbildung + 2 Jahre im Betrieb) als Hürde und Chance, da hohe Abhängigkeit vom Betrieb - Schulische Anforderungen allgemein - Ausbildung und zusätzliche sprachliche Unterstützung durch DAZ (Deutsch als Zweitsprache) und DAF (Deutsch als Fremdsprache) in Berufsschulen Schriftliche und mündliche Prüfung in Deutsch als besondere Herausforderung Serkan Engin Handwerkskammer München und Oberbayern, Ausbildungsplatzakquise Christoph Karmann Handwerkskammer München und Oberbayern, Ausbildungsplatzakquise Im separaten Anhang finden Sie weiterführende Informationen zu diesem Workshop. Seite 16 Workshop 4 Keine (volle) berufliche Anerkennung? – Möglichkeiten der Nachqualifikation Für die berufliche Anerkennung existieren zahlreiche gesetzliche Vorgaben: - Anerkennungsgesetz vom 01.04.2012 - reglementierte Berufe (Anerkennung ist eine notwendige Voraussetzung für die Berufsausübung) - nicht-reglementierte Berufe (Anerkennung ist keine Voraussetzung für eine Berufsausübung, z. B. rund 350 Ausbildungsberufe im dualen System) - bundesrechtliche Regelungen (z.B. für Ärzte, Rechtsanwälte) - landesrechtliche Regelungen (z.B. für Lehrer, Ingenieure) Die Erfahrungen bei der beruflichen Anerkennung sind sehr unterschiedlich: - gute Chancen auf berufliche Anerkennung haben z.B. Berufe im Gesundheitsbereich - kaum Chancen haben z.B. LehrerInnen; sie haben meist nicht die richtige Fächerkombination und können dann höchstens an einer Privatschule angestellt werden Yuliya Gorbunova MigraNet – IQ Landesnetzwerk Projekt „Beruflich anerkannt?!“ Als Schwierigkeiten bei der beruflichen Anerkennung erwiesen sich: - sehr hohe bürokratische Hürden: So sind oft Unterlagen im Original vorzulegen (z.B. ein Auszug aus dem Strafregister des Heimatlandes, der aber nur eine kurze Gültigkeit hat.). - hohe Kosten: zwischen 100 und 600 Euro, dazu kommen noch Übersetzungs- und Notarkosten. Einen Sonderfall stellt die berufliche Anerkennung für papierlose MigrantInnen mit Berufserfahrung dar: - Regelung durch §14 des Anerkennungsgesetzes. Bei Personen, die ohne Dokumente zum Beleg ihrer Ausbildung nach Deutschland kamen, soll es hier auch eine Möglichkeit der Anerkennung geben, z.B. durch Prüfungen in der Praxis. - sehr viele Schwierigkeiten in der Durchsetzung Im separaten Anhang finden Sie die vollständige Präsentation zu diesem Workshop. Seite 17 Postulate der Workshops Zahlreiche Herausforderungen für die politischen Entscheidungsträger Workshop 1: Angekommen im Schulsystem? - Deutschförderung als Standard an allen dt. Schulen festlegen Schnellere Erteilung der Integrationskurs-Zulassung für junge MigrantInnen Mehr Jugendintegrationskurse mit besserer Qualität bis B2 Bessere Finanzierung der Jugendintegrationskurse bzw. bessere Bezahlung für LehrerInnen der Integrationskurse - Flexibilität bei der Schulaufnahme von Kindern, die das Schulpflichtalter knapp überschreiten Workshop 2: Integrationskurs, B1 und dann? - Finanzierung der Integrationskurse bis B2, da man ab diesem Sprachniveau anerkannte Berufe ausüben und sich selbstständig auf Deutsch bewerben kann Workshop 3: Willkommen im Betrieb? - Bleibeperspektive für die zu uns bekommenden jungen Menschen, um die Motivation der Auszubildenden und der Ausbildungsbetriebe zu fördern. Aus sozialpsychologischer Sicht ist eine Zukunftsperspektive von größter Bedeutung, um ein Ziel, wie der erfolgreiche Abschluss einer Berufsausbildung zu erreichen. Und für die Betriebe gibt es die Sicherheit, dass es sinnvoll ist, personell wie monetär in die Ausbildung von MigrantInnen zu investieren. Workshop 4: Keine (volle) berufliche Anerkennung? - Vereinfachung der Anerkennung für Menschen, die ohne Dokumente einreisen (v.a. bei Personen auf der Flucht) - Schaffung weiterer Möglichkeiten zur Nachqualifikation Seite 18 Impressum Fachbereich Migration IN VIA München e. V. Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit Goethestraße 12/III 80336 München Fon Fax E-Mail 089 5488895 0 089 5488895 69 [email protected] V.i.S.d.P. Redaktion Elisabeth Götz, Fachbereichsleitung Melitta Fischer (Redaktionsleitung), Carolin Danzer, Carla de Virgilio, Alice Goldbergova, Sr. Francesca Hannen, Mioara Irimie-Bastius, Nadezhda Krainenko, Quin Le, Manuel Mosler, Natalie Nachtrab-Kremp, Sylvia Ramos, Rozalyia Yordanova, Stefanie Ziegler Verena Allinger, Olena Farynets Melitta Fischer Melitta Fischer Lektorat Bilder Layout München, April 2016 Wir danken allen, die uns im Rahmen des Fachtages sowie bei der Erstellung dieser Dokumentation unterstützt haben.
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