DIE WELT - Die Onleihe

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MITTWOCH, 20. APRIL 2016
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Zippert zappt
D 2,50 EURO B
Nr. 92
KOMMENTAR
D
ie Krisenbewältigung
von VW ist so unglaublich dilettantisch, dass
man beinahe glaubt, das Unternehmen wüsste wirklich nicht,
wie die Abgasmanipulationen
zustande kamen. Die Konzernspitze hat jedenfalls auf keinen
Fall etwas gewusst, das war und
ist ganz sicher. Untergeordnete
Mitarbeiter wollten ihren Chefs
den Schock ersparen und haben
daher jahrelang verschwiegen,
dass und wie die Abgaswerte
massiv manipuliert wurden. Das
war einerseits sehr feinfühlig,
aber auch grob fahrlässig. Im
Moment gibt es vor allem ein
technisches Problem: Die 450
externen und internen Ermittler
können die Computer der etwa
20 mutmaßlichen Betrugsverantwortlichen nicht knacken,
weil sie mit unüberwindlichen
Pass- und Codewörtern geschützt sind. Es muss sich um
Zahlen, Buchstaben und Sonderzeichen handeln, die nach einem
ausgeklügelten System kombiniert wurden. Bisher lässt sich
mit Sicherheit nur sagen, die
Konzernspitze konnte gar nichts
wissen, weil sie ja die Passwörter
auch nicht gekannt hat. Ehe man
einen Falschen bestraft, sollte
man lieber zuerst die komplette
verlogene Belegschaft entlassen.
Terrorstrand
im Kopf
SASCHA LEHNARTZ
OLIVER KILLIG
ENRIQUE CALVO/REUTERS
E
Mallorca ist gefragt wie nie: Die Touristen wollen ins vermeintlich sichere Spanien
AFP/IMAGINECHINA/ZHANG WEI
THEMEN
AUS ALLER WELT
Der bizarre
Schlankheitswahn
junger Chinesinnen
Seite 24
POLITIK
Warum Merkel die
Gesellschaft polarisiert
Seite 6
WIRTSCHAFT
Dank niedriger Zinsen
boomt der Absatz
von Schmuck
Seite 12
IMMOBILIEN
An der Spree entsteht
eine Pyramide
Ort des Hasses: In Freital in Sachsen attackieren Neonazis seit Monaten Flüchtlinge
Furcht vor
Anschlägen
auf Urlaubsziele
Schlag gegen
Rechtsterroristen
in Sachsen
IS-Anhänger auf Mallorca festgenommen.
Attentate an Stränden in Südeuropa geplant?
Fünf Verdächtige in Freital festgesetzt. Sie sollen
auch Asylbewerberheime angegriffen haben
V
pezialeinheiten der Bundespolizei
haben am Dienstagmorgen vier
Männer und eine Frau in Sachsen
wegen Verdachts auf Bildung einer
rechtsterroristischen Vereinigung festgenommen. Die fünf Personen seien
dringend verdächtig, gemeinsam mit
weiteren mutmaßlichen Tätern spätestens im Juli 2015 die rechtsterroristische
Vereinigung Gruppe Freital gegründet
und sich darin teilweise als Rädelsführer
beteiligt zu haben.
An dem Einsatz waren mehr als 200
Beamte des Bundeskriminalamtes, der
Bundespolizei sowie der sächsischen Polizei beteiligt, teilte der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA) in
Karlsruhe mit. Am Morgen wurden mehrere Wohnungen und weitere Räumlichkeiten in Sachsen durchsucht.
Den Verdächtigen werden neben der
Bildung einer rechten Terrorgruppe versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung und mehrere Sprengstoffanschläge
vorgeworfen. Bei den Festgenommenen
handelte es sich um den 18-jährigen Justin S., den 39-jährigen Rico K., die 27jährige Maria K., den 25-jährigen Sebastian W. und den 26-jährigen Mike S. Alle
haben die deutsche Staatsbürgerschaft,
so die Karlsruher Behörde. Nach bisherigem Ermittlungsstand werden den Tatverdächtigen drei Sprengstoffanschläge
im September, Oktober und November
2015 zugerechnet. Zu diesem Zweck soll
sich die Gruppierung eine dreistellige An-
ier Wochen nach den Anschlägen
von Brüssel gibt es neue Terrorwarnungen. Mitglieder der Terrormiliz IS seien auf dem Weg nach Europa,
heißt es. Auf der Ferieninsel Mallorca
nahm die spanische Polizei einen mutmaßlichen IS-Anhänger fest, der in engem Kontakt zu IS-Anführern in Syrien
gestanden haben soll.
Der in der Inselhauptstadt Palma lebende Mann habe in Internetforen versucht, Terroristen für den IS anzuwerben, und angeboten, bei der Organisation
der Reise in die Konfliktgebiete in Syrien
behilflich zu sein, teilte das spanische Innenministerium am Dienstag mit. Von
dem 26-jährigen Marokkaner sei eine
„eindeutige Bedrohung für die nationale
Sicherheit“ ausgegangen. Der Verdächtige wurde in seiner Wohnung im Stadtteil
Son Gotleu festgenommen, in dem zahlreiche Zuwanderer leben. An der Polizeiaktion in Palma waren etwa 15 bewaffnete
Beamte beteiligt. Als der 26-Jährige abgeführt wurde, verhüllte er sein Gesicht
und wurde von Nachbarn beschimpft.
„Zeige dein Gesicht!“, riefen Anwohner
dem Festgenommenen zu.
Der Tourismusminister und Vizeregierungschef der Balearen, Biel Barceló,
betonte aber, bei dem Festgenommenen
habe es sich um einen einzelnen Terrorpropagandisten gehandelt, der auf der
Insel keine Anschläge geplant habe. „Es
gibt noch nicht einmal Indizien, dass er
hier ein Attentat vorbereiten wollte“,
S
zitierte die „Mallorca-Zeitung“ den Minister. Tatsächlich befürchten deutsche
Sicherheitsbehörden offenbar Anschläge
an Urlaubsstränden am Mittelmeer. Das
berichtete die „Bild“. Demnach soll der IS
Strände in Italien, Spanien und Südfrankreich ins Visier genommen haben. Die
Pläne sähen vor, Terroristen als fliegende
Händler getarnt an Strände zu schicken,
wo sie dann mit automatischen Waffen
Touristen ins Visier nehmen sollten.
Die „Bild“ bezog diese Informationen
nach eigenen Angaben „aus Ermittlerkreisen deutscher Sicherheitsbehörden“, die ihrerseits vom italienischen
Geheimdienst gewarnt worden seien.
Der italienische Dienst habe seine Informationen von einer Quelle in Afrika.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte
sich zu dem Bericht nicht äußern. Bei
einem Presseauftritt in Berlin antwortete sie allgemein auf eine entsprechende Frage, sie sei „absolut überzeugt“,
dass Europa eine enge Zusammenarbeit
in der Terrorabwehr brauche. In Belgien riefen die Behörden derweil in Erinnerung, dass die Terrorgefahr einen
Monat nach den Anschlägen von Brüssel immer noch akut sei. „Die Gefahr ist
noch nicht vorbei“, sagte der Leiter des
Krisenzentrums der Regierung, Paul
Van Tigchelt, dem Sender RTBF. Belgien werde die Terrorwarnstufe auf der
zweithöchsten Stufe belassen. Dies bedeutet, dass ein Anschlag wahrscheinlich ist. Siehe Kommentar und Seite 4
zahl von pyrotechnischen Sprengkörpern
verschiedenen Typs aus Tschechien beschafft haben, heißt es in der Mitteilung
der Bundesanwaltschaft. Ziel der Anschläge sollen zwei Freitaler Asylbewerberheime sowie ein alternatives Wohnprojekt in Dresden gewesen sein. Die Unterkünfte wurden mit Steinen und Feuerwerkskörpern angegriffen.
Innenminister Thomas de Maizière bezeichnete die Polizeiaktion als „entscheidenden Schlag gegen eine regionale
rechtsterroristische Struktur“. Durch
den konzertierten Zugriff würden „weitere mögliche Anschläge dieser Gruppierung gegen Asylunterkünfte und politische Gegner verhindert“. Nach Informationen von „Spiegel Online“ soll auch der
Sprengstoffanschlag auf Michael Richter,
den Freitaler Stadtrat, der auch Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke ist,
auf das Konto der Gruppe Freital gehen.
Der Politiker hatte gegen Vorurteile und
Intoleranz gegenüber Asylbewerbern und
Flüchtlingen gekämpft, Demonstrationen von Pro Asyl mitorganisiert und dafür Morddrohungen erhalten. Die
40.000-Einwohner-Stadt Freital, nur wenige Autominuten von Dresden entfernt,
hatte im Sommer vergangenen Jahres
bundesweit Schlagzeilen gemacht. Wochenlang demonstrierten Fremdenfeinde
vor dem zum Asylbewerberheim umfunktionierten Hotel „Leonardo“. Immer wieder kam es zu Angriffen und Anschlägen
auf Asylbewerber und ihre Unterstützer.
s ist eine Nachricht, die aufschrecken lässt, weil sie das
Horrorkino im Kopf in Bewegung setzt: Auf Mallorca ist ein Mann
unter Terrorverdacht festgenommen
worden. Angeblich hat er in einschlägigen Internetforen versucht, Nachwuchskräfte für den IS anzuwerben.
Der 26-Jährige soll „in engem Kontakt“ zu IS-Führern in Syrien gestanden haben. Wie belastbar die Informationen sind, steht nicht fest. Doch
sie passen in ein unverändert bedrohliches Gesamtszenario: Die zentrale
Einrichtung zur Bewertung der Terrorbedrohung in Brüssel (Ocam)
warnte am Dienstag, der IS habe weitere Kämpfer nach Europa geschickt,
um Anschläge durchzuführen. Aus
deutschen Sicherheitskreisen hört
man die Befürchtung, Islamisten
planten Anschläge auf europäische
Touristenziele. Italienische Dienste
verfügen angeblich über Hinweise
„aus Afrika“, wonach Terroristen,
„getarnt als fliegende Händler“, Anschläge an voll besetzten Urlaubsstränden planen.
Es liegt in der Natur solcher Meldungen, dass ihr Realitätsgehalt sich
erst erweist, wenn Anschläge stattfinden. In Sicherheitskreisen wird
berufsbedingt viel geraunt und
schwadroniert, was nicht heißt, dass
dem Raunen nicht gelegentlich Fakten zugrunde liegen. Und die Gefahr
real ist. Anschläge auf sogenannte
weiche Ziele – und dazu gehören populäre Urlaubsdestinationen, die
kaum effektiv zu schützen sind – sind
fester Bestandteil der Strategie des
IS. Das hat die Terrororganisation bereits mehrfach grausam unter Beweis
gestellt. Im Januar traf es eine Gruppe von deutschen Touristen vor der
Hagia Sophia in Istanbul, im März
mehr als 30 Menschen in einer Fußgängerzone derselben Stadt. In Tunesien töteten Terroristen im März vergangenen Jahres 24 Besucher des Nationalmuseums, im Juli brachte ein
Attentäter am Strand von Sousse 39
Menschen mit einer Kalaschnikow
um, die er in einem Sonnenschirm
verborgen hatte. Diese Attacken verfolgen zwei Ziele zugleich: Sie destabilisieren ohnehin fragile Gesellschaften, und sie steigern unsere
Furcht. In Tunesien ist der Tourismus, in dem mehr als 40 Prozent aller unter 30-Jährigen arbeiten, zusammengebrochen. Bislang hat Spanien davon profitiert. Das könnte
sich nun ändern. Wenn die Angst vor
Terror unsere Urlaubspläne regiert,
haben die Terroristen gewonnen.
Sich im eigenen Balkon zu verbunkern, kann keine Antwort sein. Was
es braucht, ist eine Mischung aus
Wachsamkeit und Gelassenheit. Wir
sollten für die Sommersaison 2016
Handtücher bedrucken lassen: Keep
calm and Touri on.
[email protected]
Seite 17
Im Plus
Im Namen des Vaters
Seite 15
Kinder können ihre vermeintlichen Erzeuger nicht zum Gentest zwingen, urteilt das Verfassungsgericht – und verweist an den Gesetzgeber
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I
st dieser Mann mein Vater? Eine 66 Jahre alte Frau wird auf die
quälende Frage wohl keine Antwort mehr bekommen – sie scheiterte am Dienstag mit ihrer Verfassungsklage. Dabei ging es um
die Möglichkeit, den heute fast 90-Jährigen zum Gentest zu zwingen.
Nach Auffassung der Karlsruher Richter ist das Recht, die eigene
Abstammung zu kennen, aber nicht absolut. Es müsse insbesondere
mit den widerstreitenden Grundrechten der von einer Klärung Betroffenen in Ausgleich gebracht werden, urteilten sie.
Die Frau aus Nordrhein-Westfalen hatte alle Hoffnungen in das
Verfahren der sogenannten rechtsfolgenlosen Abstammungsklärung
gesetzt, das es erst seit 2008 gibt. Einen Anspruch darauf hat sie aber
nicht, denn der Mann, den sie für ihren Vater hält, steht außerhalb
der Familie. Die Abstammungsklärung kann ein Kind nur gegenüber
dem Mann durchsetzen, der rechtlich als Vater gilt. Aus Sicht der
Richter ist diese enge Begrenzung mit dem Grundgesetz vereinbar.
Denn eigentlich haben Menschen, die Zweifel an ihrer Herkunft pla-
gen, auch noch die Möglichkeit, über eine Vaterschaftsklage Gewissheit zu bekommen. Der Hauptunterschied zur Abstammungsklärung
ist, dass das Testergebnis zwangsläufig rechtliche Konsequenzen hat
– so kann es etwa sein, dass ein Mann das Sorgerecht verliert oder im
umgekehrten Fall Kindesunterhalt nachzahlen muss.
Der Klägerin steht dieser Weg nicht mehr offen. Denn ein Gericht
hatte 1955 auf Grundlage zweier Gutachten nach den medizinischen
Möglichkeiten der Zeit eine Vaterschaft rechtskräftig verneint. Ihr
Anwalt Paul Kreierhoff nannte die Karlsruher Entscheidung daher
„eine große Enttäuschung“ für seine Mandantin.
Das Bundesverfassungsgericht nimmt in seinem Urteil vor allem
die Grundrechte der anderen Beteiligten in den Blick. Die Mutter und
der vermeintliche Vater hätten das Recht, ihre intime Beziehung
geheim zu halten. Der Mann habe vielleicht Frau und Kinder, diese
Familie könne schon durch den Verdacht beeinträchtigt werden.
Auch in der eigentlichen Familie des Kindes, das Gewissheit sucht,
gehe womöglich Vertrauen verloren. Ein Test, der ja auch negativ
ausfallen könne, könne so Schäden anrichten, die nicht mehr gutzumachen seien. Allerdings betont der erste Senat unter Vizegerichtspräsident Ferdinand Kirchhof den weiten Gestaltungsspielraum
des Gesetzgebers: Eine andere Lösung sei zwar nicht geboten, aber
verfassungsrechtlich denkbar. Im Bundesjustizministerium lotet
derzeit ein Arbeitskreis die Möglichkeiten einer Reform des Abstammungsrechts aus. Ergebnisse sollen Mitte 2017 vorliegen. Staatssekretärin Stefanie Hubig sagte in Karlsruhe, dabei werde auch eine
Änderung des Paragrafen zur Abstammungsklärung diskutiert. Eine
Position zu der Frage habe sie aber noch nicht. „Es ist eine ganz
schwierige Abwägungsfrage.“ Die rechtspolitische Sprecherin der
Grünen-Bundestagsfraktion, Katja Keul, sagte, die Auskunftsansprüche des Kindes müssen gestärkt werden. „Die Bundesregierung muss
regeln, unter welchen Umständen und gegen wen das Kind seinen
Auskunftsanspruch durchsetzen kann.“
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ISSN 0173-8437
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