Rechtsanwalt Norman Jäckel · Dr. Berend Koll Annina Männig · Solveig Meinhardt · Dr. Anna Mrozek AG Staatsrecht II Fall: Schmerzhafte Strafverfolgung Der Student Emmeran Empfindlich (E) wird von seiner Mitbewohnerin Otgunde Opfer (O) zum dritten Mal dabei erwischt, wie er gegen ihren Willen ihr Fahrrad benutzt. Nachdem die O wutentbrannt Strafantrag gestellt hat, ergeht auf Antrag der Staatsanwältin Volkberta Verknack (V) gegen E ein Strafbefehl (§ 248b StGB), gegen welchen E jedoch fristgerecht Einspruch einlegt. In der daraufhin stattfindenden Hauptverhandlung bleibt der E schweigsam und blickt fortwährend starr vor sich hin, was nur ab und an von kurzen, aber heftigen Lachattacken unterbrochen wird. Vor diesem Hintergrund kommen langsam Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit auf. Nachdem sich zusätzlich herausgestellt hat, dass der E im frühen Kindesalter infolge einer Kopfverletzung eine schwere Gehirnerschütterung erlitten hat, zieht der Amtsrichter Gildbrecht Genervt (G) den Psychiater Frodemund Folter (F) hinzu. Nach dessen Ausführungen besteht die Möglichkeit, dass die Kopfverletzung des E über die Gehirnerschütterung hinaus auch eine ernste Hirnschädigung ausgelöst haben könne. Dies sei allerdings nur durch eine sogenannte Pneumoenzephalographie (Hirnkammerlüftung) festzustellen, bei welcher durch eine Punktion mittels einer langen Hohlnadel entweder im Bereich der oberen Lendenwirbel (Lumbalpunktion) oder im Nacken zwischen Schädel und oberstem Halswirbel (Okzipitalpunktion) Gehirn- und Rückenmarkflüssigkeit entnommen werde, um durch die damit einhergehende Entleerung und Luftfüllung der Gehirnkammern (Ventrikel) zu erreichen, dass diese sich im Röntgenbild abzeichnen. Eine Pneumoenzephalographie sei zwar schmerzhaft, aber weitgehend ungefährlich. Bei der Lumbalpunktion träten in 10 % aller Fälle für mehrere Tage Kopf-, Rückenschmerzen und Übelkeit auf. Um die Frage der Zurechnungsfähigkeit zu klären, ordnet G gegen den – nun plötzlich doch artikuliert und lautstark zum Ausdruck gebrachten – Willen des E eine Pneumoenzephalographie an. Gegen diese Anordnung legt E beim zuständigen Gericht form- und fristgerecht, aber erfolglos Beschwerde ein. Aufgabe 1: Erörtern Sie in einem Rechtsgutachten, ob in der Anordnung der Pneumoenzephalographie eine Grundrechtsverletzung liegt. Aufgabe 2: Prüfen Sie, ob eine Verfassungsbeschwerde des E gegen diese Anordnung zulässig ist. Für die Bearbeitung des Falles benötigen Sie einen Gesetzestext des Grundgesetzes. Lesen Sie die Entscheidungen BVerfGE 16, 194–203 und BVerfGE 17, 108–120. Seite 1 Rechtsanwalt Norman Jäckel · Dr. Berend Koll Annina Männig · Solveig Meinhardt · Dr. Anna Mrozek AG Staatsrecht II § 81a Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO): Eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten darf zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Zu diesem Zweck sind [. . . ] körperliche Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchungszwecken vorgenommen werden, ohne Einwilligung des Beschuldigten zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Seite 2
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