neudruck stellungnahme a04

 Peter Gläsel Stiftung Ÿ Allee 15 Ÿ 32756 Detmold Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend des Landtags Nordrhein-­‐Westfalen Landtag Nordrhein-­‐Westfalen Postfach 101143 40002 Düsseldorf Peter Gläsel Stiftung Allee 15 32756 Detmold 16
NEUDRUCK
STELLUNGNAHME
05231-­‐30826 18 Tel.: 16/2951
Stefan Wolf Fax: 05231-­‐30826 10 s.wolf@pg-­‐stiftung.net www.pg-­‐stiftung.net A04
04.09.2015
Betreff: Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Kinder und Jugend am 17.09.2015 / A 04-­‐17.09.2015 1. Einordnung Die Peter Gläsel Stiftung verfolgt seit dem Jahr 2008 und insbesondere nach der Trägerübernahme im Jahr 2009 in der Kindertageseinrichtung „Pöppenteich“ (http://kita-­‐poeppenteich.de) in Detmold konsequent den Weg einer umfassenden Beteiligung von Kindern. Darüberhinaus hat sie seit dem begonnenen Schuljahr 2015/2016 eine Grundschule eröffnet, in der Partizipation als Grundlage von Lernprozessen verstanden und seit wenigen Wochen umgesetzt wird. Die nachfolgende Einlassung auf den vorliegenden Gesetzentwurf und die bestehende Fassung des Kinderbildungsgesetztes entspringt einer gelebten Praxis, die mehrfach evaluiert wurde, in der Kita mit Blick auf Demokratieerziehung durch die Universität Hamburg (2009 und 2014) – diese Ergebnisse wurden bereits einmal (2009) im Landtag präsentiert. In der Peter Gläsel Schule (www.pgschule.net) erfolgt durch die Universität Paderborn eine 2014 begonnene kontinuierliche noch bis 2017 andauernden Evaluation zur Kindperspektive und Lernerfolge durch unmittelbare Beteiligung der Kinder an ihren eigenen Lernprozessen. Wir sind Mitinitiator der buddY-­‐Programme „Grundschule“ und „Übergang Kita-­‐Grundschule“. Im Hintergrund der politischen Debatte in NRW steht für uns die Beteiligung an der Verbreitung des Partizipationsgedankens durch ein Modellversuch des Landes NRW, in dem die Kita Pöppenteich gemeinsam mit der Kita Berlebeck (auch bei Detmold) als „best practise“ -­‐ Einrichtungen benannt waren. 2. Ansatz Wir befinden uns mit unserer Praxis gelebter Partizipation in einem wissenschaftlichen Dialog und erleben täglich die positiven Auswirkungen dieses grundlegenden Ansatzes von Partizipation sowie die in ihm steckenden Herausforderungen für die Umsetzung durch Erwachsene, die immer wieder in weniger umfassende Beteiligung von Kindern zurückfallen. Deshalb wiederhole ich im Folgenden keine noch so richtigen theoretischen Grundlagen, wenngleich deutlich gemacht werden muss, dass gerade der Partizipationsbegriff geklärt werden müsste, weil es durchaus sehr unterschiedliche Vorstand: Inge Gläsel w Daniela Ellerbrock w Christian Gläsel Kuratorium: Prof. Dr. Petra Büker, Dr. Bernhard König, Prof. Dr. Albert Richard, Prof.Dr. Ernst Klaus Schneider (Vors. Kuratorium) Geschäftsleitung: Stefan Wolf Spendenkonto Peter Gläsel Stiftung Commerzbank Bielefeld IBAN Kontonr.: DE47480800200283 339 600 BIC: DRESDEFF480 Schwerpunktsetzungen geben oder gemeint sein kann, dass bei Demokratierziehung umfassende Partizipation schon erreicht sei. Letzteres ist aus unserer Sicht allenfalls ein erster Ansatz. Wir verstehen Partizipation als die umfassende Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in allen für Leben und Lernen sowie den für das Zusammenleben wichtigen, sie betreffenden Ereignissen und Entscheidungsprozessen. Wir haben in beiden Institutionen, der Kita sowie jetzt auch anfänglich in unserer Grundschule, dieses Verständnis von Partizipation zur Grundlage unseres pädagogischen Handels erklärt und wissen nur zu gut, dass es leichter ist, die Beteiligung von Kindern zu fordern als sie umzusetzen. Es ist eine tägliche Herausforderung in der Umsetzung immer wieder daran zu arbeiten, dass Kinderrechte beachtet werden und die Fremdbestimmung von Kindern durch Erwachsene unterbleibt bzw. die Bereiche, in denen man Kindern keine Mitsprache und echte Teilhabe geben möchte, z.B. bei Fragen der Gesundheit oder Sicherheit, sinnhaft kommuniziert sind oder zumindest für Erwachsene unter sensibler Wahrnehmung der Bedürfnisse der Kinder nachvollziehbar begründet sind. Dies ist ein sehr hoher Anspruch, der aus meiner Sicht nur dann erfolgreich sein kann, wenn man Kinder nicht nur „ein bisschen beteiligt“. Deshalb ist die durch den Gesetzentwurf der Fraktion der PIRATEN aufgeworfene Frage, wie man Kinderrechte strukturell und durch festgelegte Verfahren umfassend in Kitas des Landes verankert, berechtigt. Ich bezweifle lediglich, dass jede noch so gut gemeinte und präzise Vorschrift von zu berücksichtigenden Maßgaben auch automatisch für eine gute Praxis sorgt. Dazu sind die Verständnisse von Partizipation und Rollen im Erziehungs-­‐ und Bildungsbereich viel zu divergent, als dass man erwarten könnte, dass wenn ein Gesetz nur umfangreich genug sei, die Praxis den Vorschriften folgt. Was ein Gesetz nicht regeln kann ist, mit welcher Haltung Kindern begegnet wird. Diese ist aber entscheidend, um sowohl Ansätze der sinnhaften und umfassenden Beteiligung von Kindern zu finden, als auch einen Ausgangspunkt permanenter Selbstkontrolle über den Grad eines Umgangs mit Kindern auf Augenhöhe zu etablieren. Ich denke, es wird deutlich, dass die Umsetzung von Partizipation ein nicht abgeschlossener Prozess ist. Wir haben als Ausgangspunkt in der Kita eine Verfassung erarbeitet, die wir im Vorjahr noch einmal redigiert haben, die alle Beteiligungsrechte und Grenzen der Beteiligung festhält. In der Grundschule haben wir ein Bildungsmodell entwickelt, das Lernen auf der Grundlage eines partizipatorischen Prozesses beschreibt und ein Qualitätsentwicklungs-­‐„Labor“ als festen Bestandteil der Schulentwicklung in die Struktur der Schule integriert, in dem Abläufe, Verhalten und Interaktionen analysiert und diese Beobachtungen zur Grundlage von Weiterentwicklung genutzt werden. 3. Schlussfolgerung / Forderungen Aus unserer Sicht muss die Politik entscheiden, was sich im Gesetz wiederfindet. Einen verbindlichen Nachweis über die Verankerung von Partizipation in Kitas gesetzlich festzulegen (Konzeption, Fortbildungspflicht in dem Bereich etc.) hilft, den Anspruch an Einrichtungen zu manifestieren. § 13, Abs. 6 des bestehenden KiBiz ist zu schwach formuliert und wirkt mit § 13a unverbunden. § 13 d nach Vorlage der PIRATEN wirkt viel zu deterministisch und formal. Ich würde wie folgt verfahren: 2
a) Die Aufnahme einer verpflichtenden Kita-­‐Verfassung, wie von uns praktiziert, als festen Bestandteil des pädagogischen Konzeptes als gesetzliche Forderung zu setzen halte ich für ausreichend. Die Bedingungen dieser Verfassung sind einzelfallabhängig und von den lokalen Begebenheiten bestimmt. Für eine reine U3-­‐Kita ist die Umsetzung von Partizipation genauso speziell wie in einem Umfeld mit Sprachbarrieren. Was nicht bedeutet, dass man nicht mit Kindern jeden Alters partizipativ umgehen kann, es braucht nur spezifische Zugänge. b) Es wäre sinnvoll, auf die Qualität der Bildung über Partizipation an Ausbildungsstätten für Erzieherinnen und Erzieher und Berufskollegs zu achten. Das Wissen – auch bei Lehrkräften -­‐ ist oft rudimentär und die Umsetzung der Vermittlung an Berufskollegs steckt nach unserer Erfahrung noch in den Kinderschuhen. Partizipation selbst sollte partizipativ vermittelt und nicht einfach „unterrichtet“ werden. Dazu könnten übrigens auch Formen kulturell-­‐künstlerischer Bildung einen Beitrag leisten. c) Best Practise und Vermittlung aus der Praxis für die Praxis bieten m.E. die überzeugendsten Anreize für Kitas, die erst begonnen haben, partizipativ zu arbeiten, sich weiter zu entwickeln. Es braucht konkrete Beispiele und möglicherweise einen praxistauglichen Handlungsleitfaden sowie Fortbildungskonzepte, die nur dann greifen, wenn sie als Teamfortbildung konzipiert werden. Unsere Erfahrungen damit sind sehr gut, weil sich durch die Haltungsdimension bei den Erzieherinnen und Erzieher eigene Ängste im Blick auf Kontrollverlust zeigen. Diese müssen bearbeitet werden, wenn man einen Haltung, ein Bewusstsein für die Sache schulen will. Außerdem braucht man einen Konsens unter Erzieherinnen, damit nicht unterschiedlichste Beteiligungskonzepte in einer Kita parallel existieren. d) Es muss darauf geachtet werden, dass Demokratieerziehung nicht mit der von mir beschriebenen Vorstellung von Partizipation gleichgesetzt wird bzw. der formale Nachweis von demokratischen Beteiligungsstrukturen als Erledigung von Partizipation gewertet wird, dies ist kein Automatismus. Ich vertrete den Ansatz, dass die Form dem Inhalt folgt. Deshalb haben wir sukzessive -­‐ und werden dies auch zukünftig tun müssen-­‐ , unser Konzept von Konferenzen und Parlament etc. den Bedürfnissen der Kinder angepasst. e) Ressourcen spielen eine Rolle, sind aber nicht ausschlaggebend für die Möglichkeit der Umsetzung eines partizipativen Ansatzes. Unsere Erfahrung ist, dass durch den höheren Selbstwirkungsgrad und die kommunikativen Prozesse die Kinder selbstständig sind und die Konflikte in der Kita abnehmen. Man arbeitet entspannter, wenn Partizipation einen hohen Stellenwert hat, weil die Kinder im angemessenen Rahmen ihrer Möglichkeiten Verantwortung für sich und für andere übernehmen. 4. Angebot Ich habe mir die Anlage von Untersuchungen, unserer Verfassung etc. gespart, um die Flut an Papier nicht überzustrapazieren, bin aber gerne bereit, bei Interesse Einblicke und weitere Informationen zu geben. Detmold, 03.09.2015 gez. Stefan Wolf 3