1 Vorlesung 4,Sommer 05, M.Nida

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Vorlesung 4,Sommer 05, M.Nida-Rümelin, handout
ZUR ERKENNTNISTHEORIE VON RODERICK M. CHISHOLM
3 epistemische Einstellungen zu Propositionen:
- S glaubt, dass p
- S glaubt, dass nicht p
- S enthält sich bezüglich p des Urteils
Wichtiger Grundbegriff der Theorie:
Die Einstellung E zur Proposition p ist für S zu t vernünftiger als die Einstellung E‘ zur
Proposition p‘.
Zur Erläuterung dieses Grundbegriffs:
(a) Erläuterung durch axiomatische Charkterisierung
(1) Die fragliche Relation ist transitiv und asymmetrisch.
Def.: Eine Relation ist transitiv genau dann, wenn für alle a,b, und c gilt. Falls aRb
und bRc, so aRc.
Def.: Eine Relation ist asymmetrisch genau dann wenn für alle a,b gilt: falls aRb, so
nicht bRa.
(2) Wenn es für S zu t vernünftiger ist p zu glauben als p‘, so versteht S p.
(3) Wenn es nicht vernünftiger ist, sich zu bezüglich einer Proposition des Urteils zu
enthalten als sie zu akzeptieren, so ist es vernünftiger, sie zu glauben, als zu
glauben, dass sie falsch ist.
Beispiel: Wenn es nicht vernünftiger ist, Agnostizist zu sein als Theist, dann ist es
vernünftiger Theist zu sein als Atheist.
(2) Erläuterung durch Übersetzung in eine andere Terminologie
Intellektuelle Verpflichtungen:
Man sollte sein Bestes tun, um zu erreichen, dass
(a) man glaubt, dass p, falls p wahr ist und
(b) man nicht glaubt, dass p, falls p falsch ist.
Jedes dieser Desiderate einzeln ist leicht zu erreichen:
(a) indem man alles glaubt
(b) indem am Skeptiker wird (sich bezüglich aller Propositionen des Urteils enthält).
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Erläuterung des fraglichen Grundbegriffs:
Die epistemische Haltung E einzunehmen ist für S zu t vernünftiger als die
epistemische Haltung E‘ einzunehmen genau dann wenn S seine epistemischen
Pflichten durch das Einnehmen von E besser erfüllt als durch das Einnehmen von E‘.
Definition 1: h ist für S zu t jenseits vernünftigen Zweifels genau dann wenn gilt,
dass es für S zu t vernünftiger ist zu glauben, dass h als sich bezüglich h des Urteils
zu enthalten.
Definition 2. Es gibt für S zu t eine Präsumption zugunsten von h genau dann wenn
gilt, dass es für S zu t vernünftiger ist h zu glauben als zu glauben, dass h falsch ist.
Definition 3: h ist für S zu t akzeptabel genau dann wenn es für S zu t nicht
vernünftiger ist sich bezüglich h des Urteils zu enthalten als h zu glauben.
Definition 4: Die Proposition h ist für S zu t sicher genau dann wenn gilt:
(a) h ist für S zu t jenseits von vernünftigem Zweifel und
(b) Es gibt kein i, sodass es für S zu t vernünftiger ist i zu glauben als h.
Definition 5 Die Proposition h ist für S zu t evident genau dann wenn gilt:
(a) h ist für S zu t jenseits vernünftigen Zweifels und
(b) wenn für eine Proposition i gilt, dass es für h zu t vernünftiger ist, i zu glauben als
h zu glauben, dann ist diese Proposition i für S zu t sicher.
Frage: Gibt es einen Schlusspunkt epistemischer Rechtfertigung? (D.h. gibt es
Überzeugungen, die gerechtfertigt sind, aber nicht durch andere Überzeugungen
gerechtfertigt sind?)
Chisholm’s Antwort: Ja.
Frage: Welche Überzeugungen bilden einen solchen Schlusspunkt?
Chisholm’s Antwort:
Das Selbstpräsentierende einerseits und das, was durch intuitive Induktion
anderertseits (siehe weiter unten) gewusst werden kann.
Frage: Wie gelangt man von diesen Fundamenten zu weiterem Wissen?
Chisholm’s Antwort:
Durch eine Reihe epistemischer Prinzipien. (Diese Umfassen viel mehr als nur
Deduktion und empirische ‘Induktion‘).
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Das Selbstpräsentierende
Beispiel:
(G) Ich glaube, dass ich gerade dabei bin eine Vorlesung über Chisholm zu geben.
Woher weiss ich, dass ich dies glaube?
Antwort: Ich weiss es, weil ich es glaube. Mein Grund dafür zu glauben, dass ich
gerade dabei bin eine Vorlesung über Chisholm zu geben ist, dass ich glaube, dass
ich gerade eine Vorlesung über Chisholm gebe.
Sei E die Eigenschaft, zu glauben, dass man selbst gerade eine Vorlesung über
Chisholm gibt.
Die Selbstzuschreibung von E bildet einen Schlusspunkt epistemischer
Rechtfertigung (nach Chisholm) in folgendem Sinne:
Wann immer jemand die Eigenschaft E hat, dann ist er dadurch, dass er E hat
schon gerechtfertigt in seiner Meinung, dass er E hat.
Ferner gilt nach Chisholm: E ist selbstpräsentierend in folgendem Sinne: Wann
immer jemand die Eigenschaft E hat, so ist es notwendigerweise für ihn/sie
evident, dass er E hat.
Definition 6 (modifiziert MNR): Eine Eigenschaft E ist selbsträsentierend genau
dann wenn notwendigerweise für jedes Subjekt S und jeden Moment m gilt: hat S E
zu m, so ist es für S evident, dass er/sie E hat.