VGH München: Regensburg, Grenzgarage

VGH München, Beschluss v. 05.11.2015 – 15 B 15.1371
Titel:
VGH München: Regensburg, Grenzgarage, Prüfumfang, Dachraum,
Landesanwaltschaft, Rechtsquelle, Privileg, Baugenehmigungsverfahren,
Gesamtbetrachtung, Wohnnutzung, Erledigungserklärung, Beklagte,
Klägergrundstück, Ergänzungsbescheid, ohne mündliche Verhandlung, Bauerlaubnis,
Parallele, Grenzbebauung, Baugrundstück
Normenketten:
VwGO § 161 II
BayBO Art. 6, 59 S. 1 Nr. 2, 63 I
Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO
Art. 6 Abs. 6 BayBO
VwGO § 161 II
BayBO Art. 6, 59 S. 1 Nr. 2, 63 I
Schlagworte:
Berufung, vereinfachtes Verfahren, Baugenehmigung, Abweichung, Abstandsfläche, Grenzgarage,
Wohnnutzung, Dachraum, 16m-Privileg, Prüfungsumfang, Nchbaranfechtung
Tenor
I.
Das Verfahren wird eingestellt.
II.
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 25. September 2014 ist wirkungslos
geworden.
III.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Beigeladenen tragen ihre
außergerichtlichen Kosten selbst.
IV.
In Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung wird der Streitwert für das Verfahren vor dem
Verwaltungsgericht wird auf 3.750,-- Euro festgesetzt. Dieser Streitwert wird auch für das
Berufungsverfahren festgesetzt.
Gründe
1
1. Nachdem der Beklagte und der Kläger mit Schriftsätzen vom 29. September und 19. Oktober 2015 den
Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war das Verfahren einzustellen und das
erstinstanzliche Urteil vom 25. September 2014 für wirkungslos zu erklären (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 93 Abs.
3 Satz 1 VwGO entsprechend; § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechend).
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2. Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter
Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es, die Kosten
des Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen.
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Den Gegenstand dieses Rechtstreits (zur parallelen Klage gegen einen nachfolgenden
Ergänzungsbescheid vom 11.9.2014 für dasselbe Vorhaben vgl. den Beschluss im Verfahren 15 B 15.1372
vom heutigen Tag) bildete die Nachbarklage gegen eine im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilte
Bauerlaubnis des Beklagten vom 28. Mai 2014 für den Wohnhausan- und -umbau eines auf dem westlich
an das Klägergrundstück angrenzenden Baugrundstück stehenden Gebäudes (Gesamtlänge des
ursprünglichen Bestandes: 22,74 m). Im südlichen Bereich des Baugrundstücks - an der Grenze zum
Grundstück des Klägers - wurde die Errichtung einer neuen, an das Hauptgebäude angebauten
Grenzgarage genehmigt. Im Norden des Baugrundstücks befindet sich bereits eine giebelständige
Grenzbebauung, die - nach dem Abbruch eines Schuppens - auf der dem Grundstück des Klägers
zugewandten Seite mit ihrer Traufseite künftig einen Abstand von 3 m einhalten soll.
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Wie im Zulassungsbeschluss vom 16. Juli 2015 angedeutet, war die Klage nach summarischer Prüfung
begründet; im Fall einer streitigen Entscheidung hätte die erstinstanzliche Entscheidung voraussichtlich
abgeändert werden müssen. Die Baugenehmigung vom 28. Mai 2014 dürfte rechtswidrig sein und den
Kläger in seinen Rechten aus Art. 6 BayBO verletzen.
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Wie im Folgenden näher zu erläutern ist, hat bereits die streitgegenständliche Genehmigung vom 28. Mai
2014 die Zulässigkeit des Vorhabens auf der gesamten Ostseite des Gebäudes einschließlich der neuen
Grenzgarage festgestellt, obwohl die Vorgaben des Art. 6 Abs. 6 und 9 BayBO nicht eingehalten werden.
Nach Art. 6 Abs. 6 Satz 2 BayBO darf bei einem Gebäude, das mit einer Außenwand an eine
Grundstücksgrenze gebaut wird, eine zweite Außenwand nur bis zu einer Länge von nicht mehr als 16 m
die volle Abstandsfläche bis auf die Hälfte unterschreiten. Gemäß Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO darf
eine in ihren Abmessungen selbst gesetzeskonforme Grenzgarage nur dann an ein Hauptgebäude
angebaut werden, wenn dieses die eigenen Abstandsflächen einhält. Das genehmigte Vorhaben verfehlt
beide Anforderungen.
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2.1 Das Erstgericht ist davon ausgegangen, dass die Bauherren nur eine Abweichung in Bezug auf die
Nichteinhaltung der Abstandsflächen hinsichtlich des nördlich benachbarten Grundstücks beantragt hätten
und nur darüber in der Genehmigung vom 28. Mai 2014 entschieden worden sei. Hierdurch werde der
östlich benachbarte Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt.
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Bereits die erste Annahme überzeugt nicht. Das im Streit gewesene Vorhaben umfasste neben dem
„Wohnhausan- und -umbau in ein Zweifamilienhaus“ auch die Errichtung einer neuen Grenzgarage. Sie ist
nach der Eintragung auf dem Grundriss für das Kellergeschoss - einschließlich eines auf beiden Seiten
durchgängig mit Mauern versehenen und überdachten, nach Angaben 2,49 m tiefen Vorplatzes, der in
seinem westlichen Teil zugleich zu einem neu zu schaffenden Hauseingang/Treppenhaus führt - 8,74 m
lang. Dieses Gebäude befindet sich im Südosten des Baugrundstücks und damit auf der dem Grundstück
des Klägers zugewandten Seite.
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Erst diese Maßnahme führt dazu, dass die Gesamtlänge der auf dem Baugrundstück an den Grenzen
insgesamt vorhandenen Bebauung die in Art. 6 Abs. 9 Satz 2 BayBO für höchstens zulässig erklärten 15 m
überschreitet. Warum bei einer derartigen zeitlichen Abfolge nur für den an der Nordgrenze bereits
vorhandenen Altbestand (Länge des Garagenteils rund 6,80 m, die Länge der giebelständigen Grenzwand
insgesamt wird auf den Bauvorlagen mit 9,23 m angegeben) eine Abweichung in Bezug auf die
Überschreitung der Höchstlänge beantragt worden sein soll, ergibt sich - jedenfalls auch - nicht aus dem
Wortlaut des Abweichungsantrags. Danach bezog sich dieser Antrag seinem Wortlaut nach nur allgemein
auf die „bebaute Grenzlänge“. In der Bauakte ist zudem an keiner Stelle ein Hinweis darauf zu finden, dass
der Antrag auf Abweichung nur auf das bereits vorhandene Grenzgebäude beschränkt worden wäre.
Vielmehr wird zur Begründung dieses Antrags (vgl. Bl. 40 der Bauakte) ausgeführt, dass der neue, als
Kleingarage mit einem Flachdach auszuführende Stellplatz nur an der Ostseite platziert werden könne.
Daran schließt sich die Feststellung an, dass die maximale Länge der Grenzbebauung von 15 m
überschritten werde.
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2.2 In jedem Fall aber wäre der Umstand, dass es sich bei dem an der Nordgrenze stehenden Bauwerk
nicht nur um eine Garage, sondern im Obergeschoss um einen Teil des Hauptgebäudes handelt, zu
berücksichtigen gewesen. Eine Garage verliert ihre gesetzliche Privilegierung als an der Grenze zulässiges
Bauwerk, wenn ihr „Nebenraum“ funktional nicht der Garagennutzung zugeordnet ist (VG München, U. v.
24.2.2014 - M 8 K 13.922 - juris Rn. 21 m. zahlr. w. N.). Das ist hier der Fall. Im Grundriss für das
Obergeschoss dieser baulichen Anlage findet sich u. a. die Eintragung „Mögliche Wohnnutzung“. Die mit
einer Grundfläche von 29,81 qm ausgewiesene zweite Ebene dieses Gebäudeteils ist nur über eine neu
einzusetzende Tür vom Dachgeschoss des südlich direkt anschließenden Wohnhauses aus zu erreichen.
Das „Wohngaragen-Satteldach“ hat auf der Westseite eine rund 2,70 m breite und mit ihrem First bis zu
einer Höhe von etwa 1,90 m aus der Dachfläche heraustretende Gaube.
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Bei zutreffender Annahme eines dort grenzständigen Hauptgebäudes hätte sich die untere
Bauaufsichtsbehörde - auch unabhängig von der Formulierung des Abweichungsantrags durch die
Bauherren (so zutreffend VG München, B. v. 14.8.2009 - M 8 SN 09.3344 - n. v.; vgl. dazu BayVGH, B. v.
26.10.2009 - 2 CS 09.2121 - juris) - im Rahmen der sich nach dem Sachverhalt unmittelbar aufdrängenden
Prüfung der Voraussetzungen des 16m-Privilegs (Art. 6 Abs. 6 BayBO) bereits anlässlich der Genehmigung
vom 28. Mai 2014 mit der abstandsrechtlichen Situation der Außenwand des Vorhabens auf der zum
Grundstück des Klägers weisenden Ostseite befassen müssen. Das gilt in gleicher Weise für das Verfahren
vor dem Verwaltungsgericht. Bereits dieses Unterlassen indiziert die Rechtswidrigkeit der im Streit
stehenden Genehmigung und zugleich die Fehlerhaftigkeit des Urteils vom 25. September 2014.
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Die im Lauf des Rechtstreits vorgelegte Genehmigung vom 25. März 1991 („Bauvorhaben Garagendach“)
hat keinen Einfluss auf die negative abstandsrechtliche Gesamtbeurteilung des Vorhabens. Das auf den zur
Genehmigung zum Aufbau eines Satteldachs auf die jetzige „Wohngarage“ gehörenden Bauvorlagen
eingezeichnete Vorhaben hält mit seiner östlichen, schon damals als vorhandener Bestand eingetragenen,
Außenwand nur eine Entfernung von 2,50 m (Maßangaben: 2,26 m zuzüglich 0,24 m) zum Grundstück des
Klägers ein. Nun soll diese Wand 3 m von der Grenze abrücken. Darüber hinaus wird jetzt ein zuvor
zwischen der Garage und dem Wohnhaus vorhandener, 1,10 m breiter Durchgang auf der Ost- wie auch
auf der Westseite zugemauert. Insgesamt handelt es sich dabei um die Identität des verhältnismäßig
kleinen Anbaus berührende Maßnahmen, die ersichtlich nicht von jener, ohnehin nur die Aufbringung eines
Dachs beinhaltenden, Genehmigung gedeckt sind. Daneben soll das Obergeschoss der Garage, eben unter
diesem Dach, eine neue Zweckbestimmung erhalten, wodurch die Genehmigungsfrage für diesen
Gebäudeteil insgesamt neu aufgeworfen wird. Dass die in den aktuellen Bauvorlagen als Bestand
ausgegebene Gaube auf der Westseite des Dachs in ihren Abmessungen deutlich größer ausgefallen ist als
der in der Genehmigung aus dem Jahr 1991 vorzufindende Dachaufbau sei nur am Rande erwähnt. Ebenso
wenig kommt es noch darauf an, dass die Bauvorlagen zur Genehmigung vom 28. Mai 2014 im Grundriss
für das Erdgeschoss die ursprüngliche Lage der Ostwand nicht in einer der früheren Genehmigung
entsprechenden Distanz von der Grenze - nämlich 2,50 m -, sondern ganz im Norden in 2,80 m und im
weiteren Verlauf in 3,00 m Abstand von der Grenze zum Grundstück des Klägers darstellen. Der
Widerspruch zum Schnitt C-C, der mitten durch das Bauwerk gelegt ist und an dieser Stelle für die Wand
einen Grenzabstand von - allenfalls - 2,65 m zeigt, ist leicht erkennbar aber im Baugenehmigungsverfahren
ebenfalls folgenlos geblieben.
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2.3 Bei einer vollständigen Prüfung des Bauantrags in dem von der Sache her gebotenen Umfang wäre
darüber hinaus ohne Weiteres feststellbar gewesen, dass die Wand des Bauvorhabens auf der Ostseite in
einem wegen ihrer Lage und den erreichten Höhen kritischen, insgesamt 17,49 m langen Bereich
(„Wohngarage“: 6,75 m; Wandteil des Hauptgebäudes: 10,74 m) an keiner Stelle die vollen Abstandsflächen
auf dem Baugrundstück einhält. Der Anbau der neuen Grenzgarage an das Hauptgebäude und der Abriss
des früheren Schuppens neben der „Wohngarage“ samt der Zurückverlegung von deren östlicher
Außenwand um (angeblich?) einen halben Meter samt dem direkten Anschluss an das Hauptgebäude
vermitteln dem Vorhaben in diesem Bereich ein Erscheinungsbild, das eine abstandsrechtliche
Neubeurteilung erfordert (vgl. BayVGH, U. v. 11.11.2014 - 15 B 12.2672 - juris Rn. 35 m. w. N.). Die
„Wohngarage“ verfügt nach der Ansicht Osten und dem Schnitt C-C über eine traufseitige Wandhöhe (Art. 6
Abs. 4 Satz 2 BayBO) von rund 4,20 m. Diese Anlage ist jedoch nach dem Grundrissplan für das
Erdgeschoss nur 3 m von der Grenze zum Klägergrundstück entfernt; auf dem zitierten Schnitt lässt sich wie bereits erwähnt - nur eine Distanz von 2,65 cm (entspricht 2,65 m) abgreifen. Für die daran nach Süden
hin anschließende, unveränderte Giebelwand des Hauptgebäudes errechnet sich das Maß H auf der
Grundlage der Ansicht Osten mit 5,63 m (4,60 m plus 1/3 aus 3,10 m, vgl. Art. 6 Abs. 4 Satz 2, 4 und 6
BayBO). Hier stehen auf dem Baugrundstück infolge der leicht schräg zur Grenze stehenden Wand
zwischen 4,40 m im nördlichen und 4,60 m im südlichen Bereich zur Verfügung. Die Vorgaben des 16mPrivilegs werden angesichts der Länge dieser Außenwand des Hauptgebäudes von knapp 17,50 m
offensichtlich verfehlt. Zur Rechtswidrigkeit der Genehmigung auch im Hinblick auf die neue Grenzgarage
wird auf unten 2.5 verwiesen.
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2.4 Der bereits angesprochene und im Angesicht des Falles zu verfolgende rechtliche Ansatz hat zum
Ergebnis, dass die Bauaufsichtsbehörde mit ihrer Genehmigung vom 28. Mai 2014 - unabhängig von einem
nach seinem Wortlaut konkret auch darauf bezogenen Antrag und ob sie es nun wollte oder nicht jedenfalls tatsächlich die in den Bauvorlagen dargestellte abstandsrechtliche Lage auch auf der Ostseite
des Vorhabens gebilligt hat. Die vom Kläger angegriffene Baugenehmigung hat die Rechtmäßigkeit des
Vorhabens auch in diesem Punkt festgestellt.
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Für die Frage, ob ein Vorhaben die Abstandsflächen einhält, gibt das Gesetz durch die in Art. 6 Abs. 6
BayBO enthaltenen inhaltlichen Maßgaben zugleich den Prüfumfang im Genehmigungsverfahren vor. Ohne
die Überprüfung der Lage an allen Seiten eines Gebäudes kann, wie der vorliegende Fall nachdrücklich vor
Augen führt, keine den Anforderungen des Gesetzes Genüge leistende Aussage getroffen werden. Diese
Vorgaben des materiellen Abstandsflächenrechts sind nicht disponibel, sie können insbesondere nicht
durch einen nur auf eine entsprechend ausgewählte Seite oder nur einen ganz bestimmten Teil eines
Vorhabens bezogenen Abweichungsantrag eingeschränkt werden. Dem kann nicht entgegengehalten
werden, dass die Rechtmäßigkeit eines Vorhabens, das das 16m-Privileg bereits vollständig in Anspruch
nimmt, nicht mit einer weiteren Abweichung von der Einhaltung der vollen Abstandsflächen auf einer dritten
Seite hergestellt werden könne. Eine Antwort dazu, ob ein solcher Fall gegeben ist, kann - wie gesagt sinnvollerweise stets erst nach einer Prüfung der Situation des zur Genehmigung gestellten Vorhabens an
allen Seiten erfolgen. Nur so wird ferner sichergestellt, dass ein Bauherr den gegen eine Genehmigung für
sein die gesetzlichen Abstandsflächen an einer oder mehreren Seiten nicht oder nicht voll einhaltendes
Vorhaben möglichen Nachbarrechtsschutz nicht alleine nach seinen Vorstellungen steuern kann. Dieser
Rechtsgedanke bildete im Übrigen auch eine wesentliche Überlegung in der Entscheidung des Großen
Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. April 2000 zum Anwendungsbereich des 16mPrivilegs (GrS 1/1999, 14 B 97.2901 - VGH n. F. 53, 89 ff. = juris Rn. 18). Ein als einheitliches Ganzes zur
Genehmigung beantragtes Vorhaben, das - wie hier zumindest hinsichtlich der baulich unmittelbar mit dem
Haupthaus verbundenen „Wohngarage“ - auch objektiv nicht teilbar ist, kann nicht nach dem Belieben der
am Verfahren Beteiligten in, obendrein nur dem jeweiligen Gutdünken folgende, mutmaßlich
abweichungsfähige Einzelteile zerlegt werden.
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Wollte man in dem hier streitig gewesenen Fall die Feststellungswirkung der Genehmigung gleichwohl nur
auf die ausdrücklich beantragte Abweichung beschränken, wie es der Leitsatz einer Entscheidung vom 29.
Oktober 2015 (BayVGH, U. v. 29.10.2015 - 2 B 15.1431 -, das 16m-Privileg spielte dort allerdings keine
Rolle, vgl. Rn. 37 a.E.) einschränkungslos postuliert, hätte das im vorliegenden Fall folgendes Ergebnis:
Weil es an der Nordgrenze des Baugrundstücks in Wirklichkeit keine privilegierte Grenzbebauung gibt, geht
die mit der Bauerlaubnis verbundene Abweichungsentscheidung „hinsichtlich der Nichteinhaltung der
Abstandsflächen zum Grundstück FlNr. ...“, die nach der dazu gegebenen Begründung nur die „bestehende
Garage“ betreffen sollte, ins Leere. Der Nutzen einer solchen, hier noch dazu nicht einmal „strikt
antragsgemäßen“ (siehe oben 2.1) Baugenehmigung für den Bauherrn wäre also nicht etwa nur beschränkt
(vgl. zu diesem Argument BayVGH, U. v. 29.10.2015 - 2 B 15.1431 - Rn. 35), sondern fehlte mangels
Deckungsgleichheit mit dem Vorhaben von vorneherein. Eine so verstandene Baugenehmigung wäre auch
nicht in der Lage, irgendetwas zu regeln, weil „das auf Antrag Geregelte“ gar nicht existiert. Der von dieser
Abweichungsentscheidung formal nicht berührte Nachbar könnte dagegen nicht mit einer Anfechtungsklage
vorgehen, obgleich er mit dem Vorhaben nicht einverstanden und von diesem „in seiner neuen Gestalt“
materiell unübersehbar betroffen ist. Für keinen der Beteiligten wäre aus dieser Betrachtungsweise ein
rechtlicher Nutzen ableitbar: Der Bauherr verfügte auch nach der Durchführung des von ihm veranlassten
Baugenehmigungsverfahrens über ein formell und materiell illegales Vorhaben; der Nachbar könnte im
Hinblick darauf den Wunsch auf Einschreiten an die Bauaufsichtsbehörde herantragen und damit ein neues
bauaufsichtliches Verfahren in Gang setzen. In Anbetracht dessen bedarf es keiner Vertiefung, dass ein alle
Fälle erfassendes einseitiges Abstellen auf den „gesetzgeberischen Willen zur Einschränkung des
Prüfumfangs“ (vgl. BayVGH. U. v. 29.10.2015 - 2 B 15.1431 - Rn. 36 m. w. N. aus der eigenen
Rechtsprechung) neben der (vom Gesetzgeber so beabsichtigten?) Herbeiführung in jeder Hinsicht
offensichtlich rechtswidriger Zustände auch nicht geeignet wäre, die Arbeit der Bauaufsichtsbehörden zu
erleichtern oder zu vereinfachen.
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Es sind nicht zuletzt Fälle wie dieser, die Zweifel daran begründen, inwieweit die durch Art. 59 Satz 1
BayBO mit Wirkung zum 1. Januar 2008 eingeführte, gezielte Eliminierung des Bauordnungsrechts aus dem
Prüfungskatalog des vereinfachten Genehmigungsverfahrens sinnvolle und vertretbare Ergebnisse zu
liefern imstande ist und die die Erwartung wecken, dass eine künftige Novelle hier die im Interesse aller
Beteiligten zu wünschenden, die Rechtslage eindeutig klärenden Korrekturen vornimmt. Bis dahin lässt sich
der mit Wirkung vom 1. August 2009 in das Gesetz eingefügten Ablehnungsbefugnis eines Bauantrags aus
nicht zum Prüfumfang gehörenden, aber „zufällig entdeckten“ Gründen (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2
BayBO) der Wunsch des Gesetzgebers entnehmen, dass trotz des im vereinfachten
Baugenehmigungsverfahren grundsätzlich eingeschränkten Prüfumfangs möglichst wenige rechtswidrige
Baugenehmigungen zustande kommen mögen. Soll der Zweck eines jeden Baugenehmigungsverfahrens,
die Herstellung rechtmäßiger Verhältnisse und der mit der Klärung der Rechtslage am Ende herbeigeführte
Rechtsfrieden, nicht handgreiflich verfehlt werden, bleibt bis auf Weiteres nichts Anderes übrig, als in einem
Einzelfall wie hier unvollständig gestellte oder ihrem Wortlaut nach an der Sache vorbeigehende Anträge
auf Abweichung von den Abstandsflächen im Verfahren ergänzend auszulegen und damit einen dem
Vorhaben gerecht werdenden Prüfumfang im Genehmigungsverfahren zu eröffnen.
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2.5 Die Nachbarrechtswidrigkeit der Baugenehmigung vom 28. Mai 2014 ergibt sich hier nach alledem aus
der bereits unter 2.3 am Ende getroffenen Feststellung.
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Die an die dort beschriebene östliche Außenwand des Hauptgebäudes im Süden anschließende neue
Grenzgarage verschärft den Widerspruch des Vorhabens mit den Abstandsflächenvorschriften auf dieser
Seite zusätzlich. Diese Garage darf gemäß Art. 6 Abs. 9 Satz 1 BayBO nicht an das die eigenen
Abstandsflächen nicht einhaltende Hauptgebäude angebaut werden.
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Die in Art. 7 Abs. 4 Satz 3 BayBO 1998 noch ausdrücklich enthaltene Anforderung, dass die Verbindung der
nach Art. 7 Abs. 4 Satz 1 BayBO zulässigen Grenzbebauung mit einem Hauptgebäude zulässig ist, soweit
dieses Gebäude für sich betrachtet die auf es selbst treffenden Abstandflächen einhält, ist - verklausuliert -
in Art. 6 Abs. 9 Satz 1 BayBO 2008 aufgegangen. Danach sind die dort aufgezählten Vorhaben, damit auch
Garagen, in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen zulässig, auch
wenn sie nicht an die Grundstücksgrenze oder an das Gebäude angebaut werden. Der Bezugnahme auf die
Abstandsflächen eines (Haupt-)Gebäudes ist zu entnehmen, dass dieses selbst auch im Fall des Anbaus
einer Garage „in dessen Abstandsflächen“ die eigenen Abstandsflächen einhalten muss, wenn das
privilegierte Grenzgebäude an Ort und Stelle die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO
erfüllen soll (ebenso: Molodovsky/Kraus in Molodovsky/Famers/Kraus, BayBO, Stand 1. August 2015, Art. 6
Rn. 262). Das ist hier nicht der Fall.
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In dem Bereich des Hauptgebäudes, in dem die Grenzgarage angebaut werden soll, springt die Außenwand
des hier unveränderten Hauptgebäudes um 0,50 m zurück. Sie hält - bei dem bereits erwähnten leicht
schrägen Verlauf - zur Grundstücksgrenze nach der Angabe auf den Bauvorlagen einen Abstand von
mindestens 5,195 m ein. Dieser Teil der Wand ist 5,25 m lang. Auf der Ansicht von Süden lässt sich auf der
rechten (östlichen) Seite für den Schnitt dieser Wand mit der Haut des hier von Nord nach Süd verlaufenden
Satteldachs ein Maß von rund 4,7 cm (entspricht 4,70 m) abgreifen. In diesem Teilbereich hält die
Außenwand des Hauptgebäudes damit die Abstandsflächen zum Grundstück des Klägers zwar ein.
Andererseits verlängert die grenzständige neue Garage infolge ihres nach Süden versetzten Anbaus an das
Hauptgebäude die Gesamtlänge der grenznahen bzw. grenzständigen Bebauung auf dem Baugrundstück
von bisher 22,74 m (Wohnhaus samt „Wohngarage“) auf nunmehr 27,24 m (17,49 m plus 1,01 m plus 8,74
m). Mit ihren weit überwiegenden Teilen unterschreitet die gegliederte Außenwand des Hauptgebäudes
jedoch die gesetzlichen Abstandsflächen, weshalb der genehmigte Anbau so nicht zulässig ist.
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2.6 Mangels der Voraussetzungen hierfür dürfte die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO
ausscheiden.
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Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, worin - wenn man von dem deutlich hervortretenden Wunsch der
Bauherren, den eigenen Grund und Boden baulich möglichst umfangreich auszunutzen und im Süden und
Westen des Baugrundstücks vorhandene Freiflächen beizubehalten, einmal absieht - das Besondere dieses
Falles, die „Atypik“ bestehen soll (vgl. zu dieser Voraussetzung näher: König, Baurecht Bayern, 5. Aufl.
2014, Rn. 865 mit zahlreichen Beispielen in Fn. 443 sowie BayVGH, B. v. 15.9.2015 - 2 CS 15.1792 - juris
Rn. 4; B. v. 21.7.2015 - 22 ZB 14.2340 - juris Rn. 24 bis 26; B. v. 9.2.2015 - 15 ZB 12.1152 - juris Rn. 16).
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Rechtmäßige Verhältnisse könnten eventuell dadurch hergestellt werden, dass die neuen Eigentümer des
ehemals klägerischen Grundstücks im Norden auf einer von eigenen Gebäuden freien Länge von rund 5 m
die für die „Wohngarage“ auf dem Baugrundstück fehlende Abstandsfläche auf ihr Grundstück übernehmen
(vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 3 3. Var. BayBO). Diese Lösung wurde zuletzt in einer Mitteilung des Beklagten vom
29./25. September 2015 ins Gespräch gebracht.
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2.6 Um nach seiner Auffassung die Rechtsschutzmöglichkeiten aller durch Grenzbauten auf dem
Baugrundstück betroffenen Nachbarn zu wahren, hat der Beklagte im vorliegenden Fall im Übrigen mit
einem Ergänzungsbescheid vom 11. September 2014 in Bezug auf die Nichteinhaltung der Abstandsflächen
durch die - nach dem Hinzutreten der neuen, 8,74 m langen Garage im Südosten - sich an den Grenzen
des Baugrundstücks nach seiner Berechnung über insgesamt 17,73 m erstreckenden baulichen Anlagen
eine Abweichung auch gegenüber dem Grundstück des Klägers erteilt. Wie eingangs erwähnt, wurde dieser
Bescheid Gegenstand eines eigenen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und Urteils (RO 7 K 14.1553, vgl.
dazu den unter dem Aktenzeichen 15 B 15.1372 ergangenen Beschluss von heutigen Tag).
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Da sie sich keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, tragen die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten
selbst, § 154 Abs. 3 Halbs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
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3. Streitwert: § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung
der Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nachdem das
Verwaltungsgericht für die Klagen gegen die Genehmigung vom 28. Mai 2014 und gegen den dasselbe
Vorhaben betreffenden Ergänzungsbescheid vom 11. September 2014 jeweils eigene Verfahren angelegt
hat und dies auch im Berufungsverfahren geschehen ist, andererseits aber keine Anhaltspunkte für ein
Abweichen von der Regelempfehlung von 7.500,-- Euro erkennbar sind, wurde die erstinstanzliche
Festsetzung halbiert und auch für das Berufungsverfahren nur die Hälfte festgesetzt.
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4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 4 GKG.