Rechtmäßigkeit einer bauaufsichtlichen Anordnung

VG München, Beschluss v. 23.11.2015 – 1 S 15.3755
Titel:
Rechtmäßigkeit einer bauaufsichtlichen Anordnung
Normenketten:
BayBO Art. 3 I, 54 II 2
VwGO § 80 V
§ 80 Abs. 5 VwGO
BayBO Art. 3 I, 54 II 2
VwGO § 80 V
§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO
Schlagworte:
bauaufsichtliche Anordnung, Gebäudeschaden, Baukontrolle, Gefahrenabwehr, Sofortvollzug,
Ermessensentscheidung
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes gegen eine bauaufsichtliche
Anordnung.
Der Antragsteller ist Eigentümer des Anwesens „...“ in der Stadt ... Dieses weist im Dachbereich und an
Seitenwänden bauliche Auffälligkeiten auf, die auf Schäden hindeuten. Das Landratsamt Altötting
(Landratsamt) stellte dies durch Baukontrollen vom ... Juni, ... November, ... Dezember 2014 sowie am ...
Januar und ... Februar 2015 fest (Bl. 30 ff., 41 ff., 49 ff. und 63 ff. der Behördenakte - BA). Zwischenzeitlich
stellte der Bauhof der Stadt ... (Stadt) einen Bauzaun vor das Anwesen, nachdem die Stadt Mitteilungen
über abgeplatzte und auf den öffentlichen Straßengrund vor diesem Anwesen gefallene Putz- und
Mörtelteile erhalten hatte. Die Baukontrolle des Landratsamtes am ... Februar 2015 ergab, dass unter
anderem im Dachbereich teilweise Firstziegel fehlen.
Einer Aufforderung des Landratsamtes an den Antragsteller mit Schreiben vom ... April 2015, er möge eine
Fachfirma mit der Untersuchung vermuteter Schäden am Anwesen beauftragen, kam dieser nicht nach.
Mit Bescheid vom ... Juli 2015, dem Antragsteller am 27. Juli 2015 bekanntgegeben, verpflichtete das
Landratsamt diesen zur Beauftragung einer geeigneten Fachfirma mit der Untersuchung der östlichen und
südlichen Fassadenflächen des genannten Anwesens auf lose Ziegel-, Mörtel- und Putzteile (Nr. I.1 des
Bescheids) sowie der südlichen Dachfläche und des Firstbereichs des Anwesens auf lose Dachschindeln
und Mörtelteile (Nr. I.2) und mit der Vorlage des Untersuchungsergebnisses an das Landratsamt. Unter Nr.
II ordnete es hierzu den Sofortvollzug an, während es unter Nr. III den Antragsteller zur Erfüllung dieser
Verpflichtungen eine Frist bis 15. September 2015 setzte. Falls er bis dahin den Anordnungen in Nr. I.1 und
I.2 nicht nachgekommen sei, werde jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 2.500,- Euro fällig. Zur Begründung
ist ausgeführt, es bestünden ernstliche Zweifel, ob sein Gebäude von ihm so instand gehalten werde, dass
von diesem Gebäude keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe. Zwar seien Mauerwerksschäden
und Schäden in der Dacheindeckung vom Erdboden aus sichtbar. Es sei aber nötig, fachlich festzustellen,
welche Schäden in welchem Umfang vorhanden seien, um die erforderlichen Maßnahmen zur Beseitigung
der Gefahren festzulegen. Seine Verpflichtung zur Beauftragung einer Fachfirma sei verhältnismäßig und
ermessengerecht. Trotz mehrfacher Aufforderungen habe er nicht von sich aus erkennbare Schäden am
Gebäude behoben. Zur sofortigen Gefahrenabwehr habe ein Bauzaun aufgestellt werden müssen. Das
ersetzte jedoch nicht die angeordneten Untersuchungsmaßnahmen. Das öffentliche Interesse an der
öffentlichen Sicherheit, insbesondere der Unversehrtheit von Passanten, überwiege sein privates,
insbesondere sein finanzielles Interesse.
Der Antragsteller erhob durch seinen Bevollmächtigten am ... August 2015 Klage zum Bayerischen
Verwaltungsgericht München mit dem Ziel der Aufhebung dieses Bescheides (M 1 K 15.3754). Ebenfalls am
... August 2015 beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Anordnung des Landratsamtes Altötting
wiederherzustellen.
Zur Begründung lässt er im Wesentlichen ausführen, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Putzteile
seien nicht herabgefallen, Feuchtstellen im Mauerwerk wegen ehemaliger verstopfter Regenrinnen habe es
zwar gegeben, jedoch sei die Verstopfung und damit die Ursache dieser Feuchtstellen beseitigt worden. Es
sei zu keinen Abplatzungen gekommen, die auf den Gehweg hätten fallen können. Anfang des Jahres 2015
habe ein Sturm im gesamten Stadtbereich ... geweht. Es habe Marmorbruch aus städtischen
Pflanzenkübeln gegeben. Er habe sein Haus begutachtet und festgestellt, dass nichts heruntergefallen sei.
Das von der Baukontrolle zu einem Foto festgestellte „lose Mauerwerk“ sei in Wirklichkeit festes,
nachträglich eingefügtes Mauerwerk um den Regenüberlauf herum. Das ihm im angefochtenen Bescheid
gesetzte Zeitfenster sei zu knapp bemessen, da eine Fachfirma derzeit schwer zu bekommen sei. Er habe
in der zweiten Septemberhälfte eine Firma gefunden und beauftragt. Vorsorgliche Ausbesserungsarbeiten
seien insgesamt abge-schlossen bzw. stünden kurz vor ihrer Vollendung.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die im angefochtenen Bescheid enthaltenen
Ausführungen. Es sei ein glücklicher Umstand und keinesfalls ein taugliches Indiz für das Nichtbestehen
einer Gefahr, dass seit Januar 2015 keine weiteren Putz- bzw. Mauerteile herabgefallen seien.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag ist unbegründet.
1. Der Antragsgegner hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids
ausreichend und schriftlich begründet (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Die Begründung muss auf den konkreten
Einzelfall abstellen und darf nicht lediglich formelhaft sein. Die im Rahmen der geforderten Begründung
angeführten Gründe müssen über das Interesse am Erlass des Verwaltungsaktes hinausgehen (Schmidt in
Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014 § 80 Rn. 42). Hier hat der Antragsgegner fehlerfrei auf die Bedeutung der
Einhaltung des materiellen Baurechts abgestellt, insbesondere auf die bei Herabfallen von Putz- und
Bauteilen mögliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, insbesondere der Unversehrtheit von
Passanten.
2. Des Weiteren trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat abzuwägen zwischen dem
von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem
Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung
sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des
Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche summarische Überprüfung, dass der Rechtsbehelf
offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich
dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht
kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens
nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Im vorliegenden Fall bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die angeordneten
Untersuchungsmaßnahmen, weshalb die in der Hauptsache erhobene Klage keine Erfolgsaussichten hat.
2.1. Gemäß Art. 54 Abs. 2 Satz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) hat der Antragsgegner unter anderem
darüber zu wachen, dass bei baulichen Anlagen öffentlich-rechtliche Vorschriften eingehalten werden,
insbesondere diejenigen, die die Sicherheit von Gebäuden betreffen. Gemäß Art. 3 Abs. 1 BayBO sind
Anlagen so instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und
Gesundheit von Menschen nicht gefährdet werden. Nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO kann die
Bauaufsichtsbehörde in Wahrnehmung ihrer Aufsichtsfunktion (vgl. Art. 54 Abs. 2 Satz 1 BayBO) die hierzu
erforderlichen Maßnahmen treffen. Dazu zählen unter anderem auch Anordnungen zu Untersuchungen
bzw. Überprüfungen durch Sachverständige (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand: Mai 2015, Art. 54
Rn. 47). Bei begründeten Zweifeln, ob öffentlich-rechtliche Vorschriften (hier: die Pflicht zur Instandhaltung
von baulichen Anlagen zur Verhinderung einer Gefahr für die öffentlichen Sicherheit und Ordnung)
eingehalten werden, darf sie den Pflichtigen mit entsprechenden Anordnungen heranziehen. Voraussetzung
hierfür ist das Vorliegen einer konkreten Gefahr (Dirnberger a. a. O. Rn. 48; SächsOVG, B. v. 31.3.2014 - 1
A 699/13 - juris Rn. 5 ff. zur insoweit vergleichbaren Regelung in § 58 Abs. 2 Satz 2 der Sächsischen
Bauordnung)
2.2 Nach summarischer Prüfung der Sachlage ist vom Vorliegen einer solchen konkreten Gefahr
auszugehen. Für Nr. I.1 der angeordneten Maßnahmen ist nach den Einschätzungen infolge der vom
Landratsamt durchgeführten Baukontrollen die Gefahr eines Abplatzens von Mörtelteilen nachvollziehbar
(vgl. Fotos Bl. 52 ff., 56 ff. BA), ebenso die mögliche Lockerung von Bauteilen im Bereich der südöstlichen
Gebäudeecke (Regenüberlaufrinne, vgl. Bl. 33 ff. BA). Für Nr. I.2 der Anordnungen ergibt sich die
Möglichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch das mit Fotoaufnahmen dokumentierte
Fehlen von Firstziegeln auf dem Dach des Anwesens des Antragstellers (vgl. Bl. 32 ff. BA).
Die Einwände des Antragstellers können diesen konkreten Gefahrenverdacht nicht entkräften. Es kommt für
die Rechtmäßigkeit einer Untersuchungsanordnung wie im vorliegenden Fall nicht darauf an, dass bereits
konkret Mauer-, Putz- oder Ziegelteile auf den Gehweg oder die Straße gefallen sind. Vielmehr genügt
hierzu die konkrete Möglichkeit. In Anbetracht der vorherigen Ausführungen besteht diese konkrete
Möglichkeit beim Anwesen des Antragstellers. Mit Marmorbrocken von städtischen Pflanzkübeln nach
einem Sturm ist dies ebenso wenig zu entkräften wie mit dem Hinweis auf sturmverwehte Dachpappestücke
oder Laub von anderen Anwesen. Der vom Antragsgegner dokumentierte Bauzustand lässt zweifelsfrei auf
die Möglichkeit eines sicherheitsgefährdenden Bauzustands schließen. Ob der Zustand im Fassaden- bzw.
Dachbereich wirklich sicherheitsgefährdend ist, soll die angeordnete Untersuchung durch eine Fachfirma
gerade erst zeigen.
Die vom Landratsamt am ... Juli 2015 gesetzte Frist, bis zum 15. September 2015 und damit innerhalb von
etwa 6 Wochen eine Fachfirma zu beauftragen und ein Untersuchungsergebnis vorzulegen, ist nach
Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden, auch wenn der größte Teil dieser Frist im Bereich der
Bayerischen Schulferien liegt. Ebenso wenig zu beanstanden ist die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes.
Die Androhung bezieht sich auch auf die jeweils angeordneten Untersuchungsbereiche (Nrn. I.1 und I.2 des
Bescheidstenors) und ist somit bestimmt.
3. Aus diesem Grund ist der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die
Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.
V. m. dem Streitwertkatalog 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.