Luxus Taxifahren im Problemviertel | Manuskript Luxus Taxifahren

Luxus Taxifahren im Problemviertel | Manuskript
Luxus Taxifahren im Problemviertel
Bericht: Thomas Kasper
Und – Abfahrt für drei tolle Taxi-Tage. Wenn der alte Monat endet und der neue beginnt,
dann herrscht Hochbetrieb an Leipzigs Taxiständen. Nicht überall, sondern
überraschenderweise genau dort, wo viele Menschen mit schmalem Budget leben. Ein
Phänomen, das Gerald Lossin seit Jahren kennt.
Gerald Lossin.
„Die, die sich das Taxifahren nicht leisten können, leisten sich das aber an den Tagen. Weil
erstens sind die Beutel auch schwer und den Luxus gönnen sie sich auch mal die 2 Tage,
weil dann ist ruckzuck auch das Geld alle. Weil Taxifahren ist ja auch Luxus, von der Seite
her. Man muss ja nicht fahren, man kann fahren. Aber die leisten sich das.
Das Taxi-Wunder im Leipziger Osten ereignet sich dann, wenn 100 Meter neben dem
Haltepunkt, an der Post, Renten und Sozialleistungen ausgezahlt werden. Gegenüber im
Einkaufszentrum brummt das Geschäft. Auch der kleine Park mit Sitzmöbeln für durstige
Anwohner ist gut besucht. Und mitten im magischen Dreieck – der Taxistand.
Gerald Lossins erste Fahrt heute: ein Ruf zum Shoppingcenter. Diese junge Frau möchte nach
Hause mit ihren Einkäufen. Am Wochenende soll es eine Party geben.
Es wird viel gefeiert im Viertel in diesen Tagen.
Reporter: „Wohin geht es?“
„Nach Hause, Geburtstag feiern.“
Reporter: „Fahren Sie öfter Taxi?“
„Zwei bis drei Mal im Monat.“
Weit fährt die Kundschaft nicht - fast alle Touren sind Kurzfahrten. Doch auch die bringen
Umsatz. Nach einer Preissteigerung am Jahresanfang sind die sogenannten „Beuteltage“ ein
Lichtblick für die Fahrer.
Gerald Lossin, Taxifahrer:
„An den ersten Tagen, sag ich mal und auch vor Feiertagen ist das so der typische Kunde
oder viele in der Richtung, dass du die bis Mittag oder bis um zwei fährst du solche Kunden
und bringst sie nach Hause mit ihrem Einkauf.“
Auch Ivette Scheermesser mit Tochter und Schwiegersohn lässt sich nach Hause bringen – in
die Eisenbahnstraße.
Reporter: „Wie weit ist es?“
Schwiegersohn: „Nicht weit, fünf Minuten von hier aus.“
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Wieder eine Kurzstrecke. Aber diese alte Fahrer-Gleichung tröstet: Fünf Kurzfahrten sind wie
eine Tour zum Flughafen. Später treffen wir Ivette Scheermesser wieder. Die
alleinerziehende Mutter von drei Kindern lebt von Hartz IV.
Reporter: „Wie viel Geld steht Ihnen im Monat zur Verfügung?“
Ivette Scheermesser: „Ja also im Monat stehen mir 500 – 600 € zur Verfügung für einen 4Personen-Haushalt.“
Reporter: „Trotzdem fahren Sie manchmal Taxi?“
Ivette Scheermesser: „Selten, ja, aber manchmal bin darauf angewiesen. Ich habe leider
kein eigenes Auto und gerade jetzt beim Großeinkauf muss man auf‘s Taxi mal
zurückgreifen.“
Höchstens 3-mal pro Monat leistet sie sich eine bequeme Heimfahrt. Im Park neben dem
Taxistand treffen wir eine weitere Stamm-Kundin. Mandy hat früher einen kleinen
Lebensmittelladen geleitet. Auch sie lebt jetzt von Hartz IV.
Mandy: „Ich selber bekomme 305 € momentan. Das ist gar nichts zum Leben, das ist gar
nichts. Für einen ganzen Moment.“
Reporter: „Aber trotzdem hin und wieder Taxi?“
Mandy: „Ja, ab und zu muss man es sich ja leisten. Obwohl man es nicht kann. Aber
Hartz4-Emfänger hin oder her, aber man kann ja nicht nur immer jeden Tag auf den
Groschen gucken. Was wir ja eh schon machen.“
Manchmal tut es eben gut, sich ein bisschen Luxus zu gönnen, sagt sie, selbst wenn später
das Geld fehlt. Auf ihre Kundschaft aus dem Kiez lassen die Taxifahrer nichts kommen. Auch
wenn Jens Geißler und Jens Läppchen hier nur an wenigen Tagen zu tun haben.
Jens Geißler:
„Die Erfahrung ist ja die, dass man mit solchen Leuten eigentlich weniger Probleme mit
dem Bezahlen hat, als wie mit anderen, denen man es eigentlich nicht ansieht. Man sieht
den Kunden immer nicht an, ob er bezahlt oder ob er nicht bezahlt.“
Jens Läppchen:
„Da denkt man nicht, dass die einem Trinkgeld geben. Aber die geben einem schon etwas
mehr, als manche betuchten Leute. Was man nicht vermutet.“
Die nächste Tour für Gerald Lossin.
Gerald Lossin:
„Ich habe jetzt die Sportsbar Montenegro gekriegt.“
Die Sportsbar liegt gleich um die Ecke. Der neue Fahrgast - ein älterer Herr mit
Gleichgewichtsproblemen. Auch bei den Senioren des Viertels mit den kleinen Renten war
gerade Zahltag.
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älterer Herr:
„Da habe ich heute gedacht, du musst mal was erleben. Und da war ich in der neuen
Gaststätte und habe sie alle kennengelernt, die da in der Gaststätte waren. Also du hast es
mitgekriegt, warum ich überhaupt mit der Taxi fahre. So viel habe ich gar nicht getrunken,
ich wollte nur nach Hause.“
Reporter: „Fahren Sie öfter Taxi?“
älterer Herr: „Nein, nur 4 mal im Monat. – So, der alte Mann ist wieder zu Hause.
Dankeschön.“
„Bis zum nächsten Mal.“
„Geld musste auch noch haben.“
Taxifahrer: „4,90 Euro.“
älterer Herr: „Oh, hier ist mickrig.“
Die mickrige Rente des 69-Jährigen reicht heute auch fürs Taxi. Die Kurzstrecke war wirklich
sehr kurz. Ganze 500 Meter weit ist es von seinem Zuhause nach Montenegro.
älterer Herr: „Tschüss. War trotzdem schön.“
Nun wechselt die Kundschaft an Taxistand. Jetzt kommen weniger Einkäufer, dafür mehr
Kunden mit Gehschwierigkeiten.
Jens Geißler: „Wir fahren sie genauso gerne. Das ist unser Umsatz.“
Gerald Lossin:
„Genau, wir nehmen das Geld auch, wir haben es auch gegeben. Das ist es ja. Wir haben es
gegeben, mit unseren Steuern, die kriegen das, weil sie in einer Notlage sind oder sowas.
Und am Ende wir kriegen es wieder und dann müssen wir die Hälfte von dem Fahrpreis
oder einen guten Teil davon geht wieder als Steuer zurück an den Staat, damit sie den
Leuten wieder Geld geben können. Damit ist der Kreislauf wieder geschlossen. Ist doch
logisch.“
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