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BÜRGERSCHAFT
DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG
21. Wahlperiode
Drucksache
21/2228
11.11.15
Antrag
der Abgeordneten Dr. Wieland Schinnenburg, Daniel Oetzel, Katja Suding,
Anna-Elisabeth von Treuenfels, Michael Kruse(FDP) und Fraktion
Betr.:
Neue Wege in der Drogenpolitik – Ein Modellprojekt für die kontrollierte
Abgabe von Cannabis
Das Verhältnis zu Produkten aus Cannabis hat sich in den letzten Jahren gewandelt.
In immer mehr Ländern wird mäßiger Konsum toleriert. Neben dem Bundesstaat Colorado in den USA sind die Niederlande und Spanien für weitreichende Legalisierungen
bekannt geworden. In Deutschland werden Verfahren wegen Verstoßes gegen das
Betäubungsmittelgesetz (BtMG) bei geringen Mengen an Cannabisprodukten wie
Marihuana oder Haschisch in vielen Fällen eingestellt.
Gleichwohl ist die Droge keine ungefährliche Substanz, bei etwa 10 Prozent der
Intensivkonsumenten entstehen Abhängigkeiten oder negative Auswirkungen auf die
psychische Gesundheit. Das bestehende Verkaufsverbot kann jedoch den illegalen
Handel nicht verhindern, nach Angaben des United Nations Office on Drugs and Crime sind schätzungsweise 4,8 Prozent der Bevölkerung in Deutschland Konsumenten
von Marihuana. Der Kauf auf dem Schwarzmarkt birgt dabei erhebliche gesundheitliche Risiken. So sind mittlerweile Züchtungen mit sehr hohem Gehalt des psychoaktiven THC im Umlauf, die rasch zu Überdosierungen führen können. Verunreinigungen
durch Streckmittel wie zum Beispiel Blei bei Haschisch werden mitkonsumiert. Wegen
der Illegalität des Konsums wenden sich Nutzer und Nutzerinnen – darunter Jugendliche und viele junge Erwachsene – in der Regel erst im Notfall an Ärzte und Krankenhäuser. Gefährliche Nutzungen und Tendenzen zur Suchtgefährdung bleiben so unerkannt.
Der offene Drogenhandel führt die Käufer zudem auch in die Nähe von Angeboten
harter Drogen wie Heroin oder Kokain. Hinter den Dealern steht zumeist eine organisierte Kriminalität, die nicht nur hierzulande, sondern vor allem auch in den Herkunftsländern der Drogen ein oft erhebliches Problem darstellt.
In Hamburg ist die Sternschanze als größter Umschlagplatz von Cannabis bekannt.
Vor etwa drei Jahren nahm der Handel aufgrund von Verteilungskämpfen verschiedener Dealergruppen im und um den Florapark sprunghaft zu. Passanten wurden durch
aggressives Verkaufswerben belästigt, in den späten Nachmittag- und Abendstunden
war die Nutzung des Parks durch die Anwohner und Anwohnerinnen praktisch unmöglich. Im Bezirk wurde daraufhin ein Runder Tisch zur Abhilfe in Leben gerufen. Mit
verstärkter polizeilicher Überwachung einerseits und vielfältigen Aktivitäten zur Belebung des Parks andererseits konnte der Drogenhandel vorübergehend zurückgedrängt werden. In den letzten drei Monaten wurde wegen neuer Vorkommnisse der
Runde Tisch fortgesetzt; dabei setzte sich die Erkenntnis durch, dass den Delikten mit
herkömmlichen Mittel nicht dauerhaft beizukommen sein wird. Daher wurde das im
Koalitionsvertrag verankerte Vorhaben des neuen Senates mit großem Interesse aufgenommen, ergebnisoffen zu beraten, ob und wie ein Modellprojekt zur kontrollierten
Abgabe von Cannabis an Erwachsene in Hamburg durchgeführt werden könnte.
Der Runde Tisch hat sich eingehend mit der Frage beschäftigt und mit großer Mehrheit für ein derartiges Projekt in der Sternschanze ausgesprochen. Zum einen wäre
die Sternschanze für diesen neuen Weg in der Drogenpolitik aufgrund ihrer Bekannt-
Drucksache 21/2228
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode
heit beim Drogenhandel in besonderer Weise geeignet, zum anderen könnte das
Modellprojekt hier auch die Auswirkungen des offenen Drogenhandels auf den Stadtteil und die Chancen zu seiner Eindämmung untersuchen.
Die Bürgerschaft möge beschließen:
Der Senat wird aufgefordert,
1.
einen Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
gemäß BtMG § 3 (2) zur Durchführung eines zeitlich befristeten und wissenschaftlich begleiteten Modellprojektes zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an
Erwachsene zu stellen.
2.
im Rahmen des Projektes Cannabisprodukte sowohl für medizinische Zwecke mit
Cannabinoiden wie CBD als auch THC-haltiges Cannabis anzubieten.
3.
als den beziehungsweise einen der Standorte des beantragten Projektes eine
Ausgabestelle in der Sternschanze zu prüfen.
4.
einen Forschungs- und Durchführungsplan zu erstellen, der sicherstellt, dass alle
wesentlichen Kriterien für eine Ausnahmeregelung gemäß § 3 BtMG erfüllt werden. Dazu gehört die Definition einer Untersuchungsgruppe mit Teilnahmeberechtigung sowie einer Kontrollgruppe. Gesundheitliche Risiken sind darzustellen,
unvertretbare Gefährdungen müssen zum Beispiel durch Verwendungskontrollen
ausgeschlossen werden können. Die Bereitstellung fachkompetenter Personen
an der Ausgabestelle, die sichere Aufbewahrung des Cannabis sowie dessen
Bezug als qualitätsgesichertem Produkt durch Nachweis bei Anbau oder Import
sind dabei deutlich zu machen. Zur Einhaltung der Kriterien gemäß § 3 BtMG sind
die Ablehnungsgründe für die Beantragung aus dem Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zur gleichen Thematik auszuwerten und bei der Planung als
wesentliche Grundlage zu berücksichtigen.
5.
Institutionen der Suchtprävention und des Jugendschutzes bei Planung und
Durchführung des Projektes ständig einzubinden. Dem Jugendschutz ist insgesamt ein hoher Stellenwert in der gesamten Untersuchung einzuräumen.
6.
den Datenschutz der Teilnehmenden in vollem Umfang zu gewährleisten.
7.
als Projektphase mindestens 24 Monate festzulegen. Während der gesamten
Laufzeit sind die Effekte sowohl auf die Konsumenten als auch auf den Stadtteil
wissenschaftlich zu beobachten und auszuwerten.
8.
mit einem Beteiligungsverfahren eine Anlaufstelle zu schaffen, mit der die Bevölkerung des Stadtteils aktiv am Projekt teilhaben kann. Der Verlauf des Beteiligungsverfahrens soll einen Bestandteil der Gesamtauswertung bilden.
9.
der Bürgerschaft halbjährlich, erstmals am 31.03.2015, über Fortschritte und
gegebenenfalls den Projektverlauf zu berichten.
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