Vorlesung Polizeirecht 13.01.2016 Vertretung: Juliane Hettche, LL.M. Fall 2: Schlangen im Sägewerk • Was ist wichtig/auffällig – Zusage des Polizisten – Am Anfang unklar, ob wirklich gefährliche Schlange oder nicht – Letztlich keine gefährliche Schlange – Fünf Tage Absperrung des Gebiets, zur Sicherheit der Arbeitnehmer, deshalb Produktionsausfall Fall 2: Schlangen im Sägewerk • Was soll man lernen: – Verschiedene Arten von Gefahrenbegriffen und ihre Folgen – Verschiedene Entschädigungsansprüche aus dem Staatshaftungsrecht – Konkurrenzen zwischen diesen Entschädigungsansprüchen – Klare Herleitung einer Analogie – Verhältnis Polizeipflichtigkeit auf Primärebene und Kostenpflichtigkeit auf Sekundärebene Entschädigungsansprüche im Staatshaftungsrecht - Überblick 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. § 7 StVG – Halterhaftung/Gefährdungshaftung durch Halter eines Kraftfahrzeugs Enteignungsgesetz – enthält spezielle Entschädigungsklausel nach Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG § 48 Abs. 3 LVwVfG – Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakt § 55 PolG Amtshaftungsanspruch nach Art. 34 S. 1 GG i.V.m. § 839 Abs. 1 BGB enteignungsgleicher/enteignender Eingriff bzw. Anspruch aus Aufopferung/aufopferungsgleicher Eingriff Folgenbeseitigungsanspruch Art. 20 Abs. 3, §§ 1004, 862 BGB – nur auf Beseitigung einer Folge, nicht auf Geld gerichtet § 55 Abs. 1 PolG analog, wenn jemand als Verdachtsverantwortlicher in Anspruch genommen wurde Ansprüche aus öffentlich-rechtlichem Schuldverhältnis Fall 2: Schlangen im Sägewerk • Vor staatshaftungsrechtlichen Ansprüchen immer Anspruch aus VA prüfen • Anspruch auf Erlass eines Verwaltungsakts der Entschädigung garantiert aus Zusicherung nach § 38 LVwVfG? • Zusicherung § 38 LVwVfG existent – ist selbst ein VA, weil alle Voraussetzungen erfüllt • Es fehlt erforderliche Schriftform nach § 38 Abs. 1 S. 1 • Zudem: bei Zusicherung muss unmittelbare Verpflichtung zu späterem Handeln gewollt sein, hier allerdings lediglich vage Zusage, später eine Lösung zu finden. • Kein Anspruch auf Erlass eine VA mit Inhalt der Entschädigung aus § 38 Abs. 1 S. 1 LVwVfG Fall 2: Schlangen im Sägewerk • Anspruch auf Erlass eines VA, der Entschädigung garantiert, aus einer Zusage? – Eine Zusage ist die verbindliche Inaussichtstellung eines Realaktes/hier wohl eher weniger, weil Entscheidung über Entschädigung in Aussicht gestellt – Hier im Übrigen ohnehin wohl keine verbindliche Inaussichtstellung, wie oben bei der Zusicherung Prüfungsschema § 55 Abs. 1 PolG I. II. III. IV. Konkurrenzen Maßnahme durch Polizeibehörde Inanspruchnahme eines Nichtstörers nach § 9 PolG Kausalität und Unmittelbarkeit des Schadens (kein eigenverantwortliches Dazwischentreten Dritter) V. Vorrang des Primärrechtsschutzes: Wenn noch möglich, muss man sich zuerst gegen die Maßnahme selbst richten, kein „dulde und liquidiere“. VI. Keine Minderung des Schadensersatzes a) b) c) Kein anderweitig erlangter Ersatz Kein Ausschluss wegen des Schutzes eigener Rechtsgüter, § 55 Abs. 1 S. 2 Var. 2 PolG Kein Mitverschulden nach § 55 Abs. 1 S. 3 PolG Fall 2: Schlangen im Sägewerk • Entschädigungsanspruch aus § 55 Abs. 1 PolG – P: Nichtstörer nach § 9 PolG? • Setzt voraus, dass die KG nicht Störer i.S.d. § 6 oder 7 PolG war • Störer i.S.d. § 6 PolG? • Nötig: Gefahr für öffentliche Sicherheit oder Ordnung – Definition für öffentliche Sicherheit: Beinhaltet die gesamte Rechtsordnung, Individualrechtsgüter, Funktionen und Bestand des Staates und seiner Einrichtungen – Hier betroffen, Leib und Leben gefährdet – Aber: auch konkrete Gefahr im Sinne einer Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung der Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führt? Übersicht Gefahrbegriffe Gefahrverdacht Ex ante liegen Anhaltspunkte vor, dass eine Gefahr möglich ist (oft im Umweltrecht) – unvollständige Informationen, was der Polizei bewusst ist Gefahr Ex ante besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass es in absehbarer Zeit zu einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kommt Anscheinsgefahr Ex ante liegt eine Gefahr vor/ im Gegensatz zum Gefahrverdacht vollständige Informationen Putativgefahr Ex ante liegt lediglich die irrige Annahme einer Gefahr vor Ex post liegt keine Gefahr vor Ex post liegt Gefahr im Sinne der Definition vor Störer = Verdachtsstörer Übliche Störerbegriffe Ex post liegt keine Gefahr im Sinne der Definition vor Anscheinsstörer Ex post liegt keine Gefahr im Sinne der Definition vor Kein Störer Bürger muss Aufklärungsmaßnahmen dulden, mehr nur, wenn wegen Effizienz der Gefahrenabwehr kein Abwarten möglich ist Pflichten des Bürgers nach üblichen Pflichten des Bürgers polizeirechtlichen nach üblichen Grundsätzen polizeirechtlichen Grundsätzen wegen effizienter Gefahrenabwehr Kostenpflicht des Störer ist kostenpflichtig, es sei Der Anscheinsstörer ist Verdachtsstörers, wenn dieser den denn, eine Inanspruchnahme wäre nur kostenpflichtig, Gefahrverdacht in zurechenbarer unverhältnismäßig wenn er den Anschein in Weise gesetzt hat (wenn zurechenbarer Weise tatsächlich Gefahr vorliegt, wie gesetzt hat übliche Gefahr zu behandeln) Keine Handlungspflicht des Bürgers Keine Kostenpflicht, da keine Gefahr, Staat muss Kosten tragen. Fall 2: Schlangen im Sägewerk • Subsumtion hier: entweder Anscheinsgefahr oder Gefahrenverdacht – Letztlich egal, weil Maßnahme in beiden Fällen hätte ergriffen werden können • Für § 6 fehlt es aber an der Verantwortlichkeit für Anscheinsgefahr oder Gefahrverdacht • § 7 PolG: Zustandsstörer? – KG ist Eigentümer der Sache, deren Zustand eine Gefahr darstellt – Verschulden spielt hier keine Rolle, § 7 PolG deshalb + • § 55 Abs. 1 PolG scheitert am Erfordernis des Nichtstörers Prüfungsschema Amtshaftungsanspruch Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB I. Konkurrenzen II. Handelnder in Ausübung eines öffentlichen Amtes III. Verletzung der einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht IV. Verschulden der Amtspflichtverletzung V. Adäquat-kausaler Schaden VI. Haftungsausschluss, z.B. § 839 I S. 2 BGB (Ausschluss Inanspruchnahme bei anderer Ersatzmöglichkeit) VII. Verjährung, § 195 BGB Fall 2: Schlangen im Sägewerk I. Konkurrenzen – Neben § 55 PolG anwendbar weil nicht Aufopferungs-, sondern Verschuldenshaftung II. Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes + III. Amtspflichtverletzung: – – Verletzung einer Pflicht zu drittbezogenen Pflicht zum rechtmäßigem Verhalten entweder durch Umlagerung oder durch Zusage Inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen Fall 2: Schlangen im Sägewerk • Rechtmäßigkeit der Anordnung zur Umlagerung und der Absperrung • Ermächtigungsgrundlage: Keine Spezialbefugnis nach den §§ 20 ff. PolG, deshalb §§ 1, 3 PolG • Als erstes prüfen, weil eventuell spezielle Vorgaben für Zuständigkeit aus §§ 20 ff. PolG • Formelle Rechtmäßigkeit – Zuständigkeit: Örtlich § 75 PolG, sachlich § 60 Abs. 2 PolG – Verfahren: § 28 LVwVfG – Form 37 Abs. 2 LVwVfG – mündlich Fall 2: Schlangen im Sägewerk • Materielle Rechtmäßigkeit – Tatbestandsvorraussetzungen §§ 1, 3 PolG • Konkrete Gefahr öffentliche Sicherheit und Ordnung – hier + als Anscheinsgefahr oder Gefahrverdacht • Maßnahme gegenüber dem richtigen Störer: nur Zustandsstörer KG i.S.d. § 7 PolG • §§ 1, 3, 5 PolG: Verhältnismäßigkeit – Geeignet? – Erforderlich, also kein milderes Mittel, § 5 Abs. 1 – Angemessenheit § 5 Abs. 2: Abwägung Schutz des Rechtsguts und Beeinträchtigung Zustandsstörers • Keine Ermessensfehler i.S.d. § 3 PolG • Deshalb: Maßnahme rechtmäßig, keine Verletzung einer Amtspflicht durch Anordnung der Umlagerung und Absperrung Fall 2: Schlangen im Sägewerk • Rechtmäßigkeit zweiter Akt, der Zusage der Entschädigung • Formelle Rechtmäßigkeit – Zuständigkeit: P ist nach Aussage des Landes Baden-Württemberg nicht zuständig für die Zusicherung einer Kostenübernahme. – Die „Zusicherung“ ist rechtswidrig und führt zur Amtspflichtverletzung. • Verschulden bei Amtspflichtverletzung: Jedenfalls Fahrlässigkeit • Schaden: 2500 € • Kausalität: Wäre der Schaden auch ohne die Zusage eingetreten? – Ja, denn die Umstapelung und Sperrung hätten sowieso stattgefunden, da sie rechtmäßig waren, bei Weigerung der KG wären Zwangsmittel eingesetzt worden, selbst einstweiliger Rechtsschutz hätte wohl nicht geholfen – Der Schaden beruht deshalb nicht auf der Zusage. • Ergebnis: Mangels Kausalität des Schadens kein Anspruch aus Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB. Prüfungsschema enteignungsgleicher Eingriff I. Anspruchsgrundlage: § 75 Einleitung ALR, Aufopferungsgewohnheitsrecht II. Konkurrenzen III. Betroffenheit des Eigentums (SB Art. 14 GG eröffnet) IV. Unmittelbarer, rechtswidriger und hoheitlicher Eingriff ins Eigentum V. Gemeinwohlbezug des hoheitlichen Handelns VI. Enteignungsgleiche Wirkung (Sonderopfer) – folgt aus der Rechtswidrigkeit des Eingriffs VII. Mitverschulden (§ 254)/ Subsidiärität (Vorrang des Primärrechtsschutzes) VIII. Rechtsfolge: Entschädigung, also Substanzverlust ausgeglichen Fall 2: Schlangen im Sägewerk I. Konkurrenzen: – Zur Amtshaftung: Hinter Amtshaftung steht Verschuldensgedanke, hinter Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff Aufopferungsgedanke, nebeneinander – § 55 PolG: auch diese Regelung beruht auf Aufopferungsgedanken • Deshalb teilweise als abschließende Spezialregelung im Polizeirecht verstanden • Andere Ansicht (wohl herrschend): neben § 55 PolG auch andere Aufopferungsansprüche anwendbar – Argument dass enteignungsgleicher Eingriff speziell das Eigentum schützt – Teilweise auch mit Argument, dass nicht Aufopferungsgedanke, sondern Art. 14 Abs. 3 GG Grundlage des enteignungsgleichen Eingriffs (hier eher weniger systemkonform – Argument, dass § 55 PolG Nichtstörer schützen soll, aber nicht die Möglichkeit der Inanspruchnahme anderer Schutzmöglichkeiten abschneiden soll. Fall 2: Schlangen im Sägewerk II. Betroffenheit des Eigentums – hier Nutzung des Eigentums nicht mehr möglich, deshalb + – Exkurs zum eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb III. Hoheitliche Maßnahme: Umlagerung von P angeordnet, + / Zusicherung greift nicht in Eigentum ein IV. Unmittelbarkeit: soll sichern, dass typische Schäden einer Maßnahme ersetzt werden. Unmittelbarkeit hier +, Schaden resultiert direkt aus Maßnahme V. Rechtswidrigkeit des Eingriffs: NEIN, rechtmäßig VI. Ergebnis: Enteignungsgleicher Anspruch - Übersicht enteignender Eingriff I. II. III. IV. AGL: § 75 EALR, Aufopferungsgewohnheitsrecht Konkurrenzen Betroffenheit Eigentum Eingriff ins Eigentum, der die unmittelbare, ungewollte (faktische) Nebenfolge eines rechtmäßigen hoheitlichen Handelns ist V. Gemeinwohlbezug hoheitliches Handeln VI. Enteignende Wirkung hoheitliches Handeln – Sonderopfer – besonders schwere Beeinträchtigung im Eigentum VII. Mitverschulden (§ 254) (Vorrang des Primärrechtsschutzes ist hier nicht denkbar) VIII. Rechtsfolge: Entschädigung Fall 2: Schlangen im Sägewerk • Grundsätzliches: – Unterschied zu enteignungsgleichem Eingriff: es geht um die faktische enteignende Wirkung einer rechtmäßigen Maßnahme – bei zielgerichteten Eingriffen in Eigentum ausgleichpflichtige Inhaltsund Schrankenbestimmung i.S.d. Art. 14 Abs. 1 GG – Umstritten, ob neben der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung überhaupt noch Platz für den Anspruch aus enteignendem Eingriff ist, teilweise wird nur noch bei Unfall- oder Zufallsschäden eine Anwendung bejaht • Konkurrenzen: Wie bei enteignungsgleichem Eingriff • Eigentumsbeeinträchtigung + • Unmittelbare, ungewollte Nebenfolge hoheitlichen Handelns: möglicherweise verneinen, da Folge der Betriebsstilllegung beabsichtigt • Sonderopfer: -; 2.500 € Zahlung keine schwere, die Opfergrenze überschreitende Folge • Kein Anspruch aus enteignenden Eingriff Fall 2: Schlangen im Sägewerk • Entschädigung aus öffentlich-rechtlichem Folgenbeseitigungsanspruch (FBA)? – Aus Art. 20 Abs. 3 GG, §§ 1004, 862 BGB hergeleitet – Gedanke: Staat, der subjektiv-öffentliche Rechte des Bürger beeinträchtigt, muss diese Beeinträchtigung auch wieder beseitigen – Hier FBA sinnlos, weil nur Folgen öffentlich-rechtlichen Handelns durch Realakt zurücknimmt und nicht entschädigt • Analoge Anwendung des § 55 PolG auf den Anscheins/Verdachtsstörer – Vergleichbare Interessenlage Nichtstörer/Anscheins- und Verdachtsstörer auf Sekundärebene, wenn es um die Kosten geht. § 55 PolG zeigt Rechtsgedanken, dass wer Gefahr nicht verursacht hat, auch keine Kosten tragen soll. – Regelungslücke: Keine Regelung wie § 55 PolG in Bezug auf Anscheinsund Verdachtsstörer – Planwidrig: widerspricht Grundwertungen des GG, da Ungleichbehandlung potentiell einen Verstoß gegen Art. 3 I GG hervorrufen würde • Analoge Anwendung § 55 PolG + Fall 2: Schlangen im Sägewerk Prüfung § 55 PolG analog I. Maßnahme der Polizei + II. Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht notwendig, da kein Grund besteht, den Empfänger einer rechtswidrigen Maßnahme nicht den Schutz des § 55 PolG zukommen zu lassen. III. Inanspruchnahme eines Anscheins- oder Verdachtstörers + IV. Kausalität und Unmittelbarkeit des Schadens + V. Vorrang des Primärrechtsschutzes: zeitlich und rechtlich erfolglos VI. Keine Minderung des Schadensersatzes a) b) Kein anderweitig erlangter Ersatz + Kein Ausschluss wegen des Schutzes eigener Rechtsgüter, § 55 Abs. 1 S. 2 Var. 2 PolG • Geschädigt ist die KG in ihrem Vermögen, geschützt wurden deren Mitarbeiter an Leib und Leben. Dies schützt das Vermögen der KG nicht (Unfallversicherung). c) Kein Mitverschulden nach § 55 Abs. 1 S. 3 PolG + VII. Ergebnis: Schadensersatz in Höhe von 2.500 € + Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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