Prof. Dr. C. Gusy SS 2015 Semesterabschlussklausur im Polizei- und Ordnungsrecht 17. Juli 2015 Die zuständigen Polizeibeamten A und B finden am 01.02.2015 gegen 23 Uhr an den Gleisen der S-Bahn-Haltestelle „Rathaus“ in Bielefeld den auf dem Boden liegenden und stark alkoholisierten C. Die Außentemperatur beträgt -9° C. A und B bangen um den Gesundheitszustand des C und nehmen ihn daher auf das nächstgelegene beheizte Polizeirevier mit. Dort schläft C seinen Rausch unter Beobachtung aus. Am nächsten Morgen erwarten A und B gegen kurz vor 6 Uhr, dass C in wenigen Minuten aufstehen und das Polizeirevier ausgenüchtert verlassen werde. Aus diesem Grund unterlassen es A und B, mit dem beim Amtsgericht eingerichteten richterlichen Eildienst Kontakt aufzunehmen. Um 6:15 Uhr verlässt C das Polizeirevier. Bereits am nächsten Tag werden die zuständigen Polizisten A und B gegen 16 Uhr in die Nähe des Hauptbahnhofs gerufen, da der alkoholisierte C auf der Straße Menschen anpöbelt. Nach Angaben der Ladeninhaber D und E habe es schon oft Beschwerden gegeben, weil C unter Alkoholeinfluss auf der Straße Passanten beschimpfe. C sei auch schon handgreiflich geworden, wenn Passanten ihm keine Beachtung schenkten. Ohne Erfolg fordern A und B den C auf, dieses Verhalten einzustellen. Daraufhin kündigen A und B an, dass sie diesen wegfahren werden. Hiergegen protestiert C zwar, setzt sein Verhalten aber dennoch fort. A und B verbringen C sodann nach Bielefeld Gadderbaum und laden C am Rande des Teutoburger Walds mit der Aussage aus, er solle sein Verhalten überdenken, wobei ihm die frische Luft helfen werde. C muss, um zu seiner Wohnung zu gelangen, einen Fußweg von drei Stunden zurücklegen. C hält die Maßnahmen für rechtswidrig. Schließlich habe er mit seiner Alkoholisierung zu jedem Zeitpunkt nur sich selbst geschadet. Deshalb habe sich die Polizei in seine Angelegenheiten „nicht einzumischen“. Jedenfalls hätte er nicht ohne richterliche Anordnung festgehalten werden dürfen. Für den zweiten Zwischenfall hätten A und B ohne Rechtsgrundlage gehandelt. Insoweit seien A und B über das Ziel hinausgeschossen. A und B halten dem entgegen, dass der Eildienst des Amtsgerichts frühestens am nächsten Morgen wieder erreichbar gewesen sei. Die zweite Maßnahme sei ebenfalls rechtmäßig gewesen. C sei im Rahmen einer deeskalierenden Maßnahme weggefahren worden, die weniger schwerwiegend sei als eine Ingewahrsamnahme auf dem Polizeirevier. 1. Ist die Maßnahme in der Nacht vom 01.02.2015 auf den 02.02.2015 rechtmäßig? 2. C hält das Verbringen in den Teutoburger Wald für rechtswidrig. Zu Recht? Bearbeitervermerk: Auf alle im Sachverhalt aufgeworfenen Fragen ist ggfls. hilfsgutachterlich einzugehen. Es ist davon auszugehen, dass der richterliche Eildienst nur bis 21 Uhr und ab 6 Uhr erreichbar war und dass die Einrichtung eines richterlichen Nachtdienstes rechtlich nicht erforderlich ist. Zulässige Hilfsmittel sind Gesetzestexte (Bundesrecht, Landesrecht), Aufbauschemata (Folien 34, 35 des Foliensatzes zur Vorlesung). 1 Korrekturhinweise: Bitte verzichten Sie auf Hinweise, die der Notenstufe nicht entsprechen wie „gut“, „sehr gut erkannt“, etc., da der Bearbeiter / die Bearbeiterin durch solche Anmerkungen verwirrt wird und die Punktevergabe nicht nachvollziehen kann. Bitte vermeiden Sie auch Verweise auf die Lösungsskizze, da die Korrekturhinweise von sich aus nachvollziehbar sein sollen. Lösungsskizze: Die Lösungshinweise sind unverbindlich. Ein anderer gutachterlicher Aufbau darf nicht nachteilig bewertet werden, soweit dieser nachvollziehbar ist. Insbesondere können auch die Anforderungen an die richterliche Anordnung nach § 36 I 1 PolG NRW auch im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit geprüft werden und müssen nicht wie in dieser Lösungsskizze im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit diskutiert werden. A. Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme in der Nacht vom 01.02.2015 auf den 02.02.2015 (1. Frage) I. Ermächtigungsgrundlage Mit der Ingewahrsamnahme war ein Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit (Art. 104 GG, Art. 2 II GG) des C verbunden, sodass wegen des Vorbehalts des Gesetzes eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich ist. Die Polizei NRW hat den C zu seinem eigenen Schutz in Gewahrsam genommen, weshalb als Ermächtigungsgrundlage § 35 I Nr. 1 PolG NRW in Betracht kommt. II. Formelle Rechtmäßigkeit 1. Zuständigkeit A und B sind laut Sachverhalt zuständig. 2. Verfahren a) Anhörung § 28 VwVfG NRW Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, § 28 I VwVfG NRW. Vorliegend ist fraglich, ob es sich bei der in Rede stehenden Maßnahme um einen Verwaltungsakt oder einen Realakt handelt. Damit die Maßnahme als Verwaltungsakt i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG NRW zu qualifizieren ist, müsste sie insbesondere Regelungscharakter aufweisen. Eine Maßnahme weist dann Regelungscharakter auf, wenn sie auf das einseitige, verbindliche und unmittelbare Setzen einer Rechtsfolge gerichtet ist. Vorliegend könnte diese Rechtsfolge in der konkludenten Statuierung einer Verpflichtung, die 2 Ingewahrsamnahme zu dulden, liegen. Es ist weiterhin fraglich, ob das Setzen dieser Rechtsfolge – Statuierung der Duldungspflicht – gegenüber dem alkoholisierten, mithin nicht einsichtsfähigen C wirksam wäre. Jedenfalls ist in dem vorliegenden Fall – C droht zu erfrieren bzw. auf die Gleise abzurutschen – eine Anhörung wegen Gefahr in Verzug gem. § 28 II Nr. 1 VwVfG NRW entbehrlich. Selbst wenn die Maßnahme mangels Regelungscharakter als Realakt zu qualifizieren wäre und eine analoge Anwendung von § 28 VwVfG in Betracht käme, greift der Ausnahmetatbestand des § 28 II Nr. 1 VwVfG NRW analog. Folglich ist die Qualifikation der Maßnahme an dieser Stelle im Ergebnis irrelevant. Eine Anhörung ist vorliegend jedenfalls entbehrlich. b) Richterliche Entscheidung nach § 36 I 1 PolG NRW Grundsätzlich setzt eine Ingewahrsamnahme nach § 35 I Nr. 1 PolG NRW eine richterliche Entscheidung nach § 36 I 1 PolG NRW voraus (Konkretisierung des Art. 104 II GG, Art. 5 EMRK). Dadurch soll das rechtliche Gehör sichergestellt werden. Die richterliche Anhörung ist ein Ausgleich für die Schwere des Grundrechtseingriffs sowie für die fehlende Anhörung im Vorfeld der Freiheitsentziehung. Die Vorführung hat grundsätzlich unverzüglich zu erfolgen (Art. 104 II 2 GG, § 36 I 1 PolG NRW) und beginnt mit der Ingewahrsamnahme. Unverzüglich bedeutet, dass es zu keiner Verzögerung tatsächlicher oder rechtlicher Art kommen darf. Dem Sachverhalt nach verzichteten A und B auf die Einholung einer richterlichen Entscheidung. Unter den Voraussetzungen des § 36 I 2 PolG NRW entfällt das Erfordernis einer richterlichen Entscheidung, wenn die Entscheidung voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nimmt, als es zur Durchführung der Maßnahme notwendig ist. Beim Aufgreifen und der Entscheidung, den C festzuhalten, war eine richterliche Anordnung mangels Erreichbarkeit des richterlichen Eildienstes um 23 Uhr nicht einholbar. Die Einrichtung eines richterlichen Nachtdienstes ist dem Bearbeitervermerk nach nicht erforderlich. Um 6 Uhr morgens hätten A und B allerdings eine richterliche Entscheidung beantragen können. A und B beantragten eine solche richterliche Entscheidung gerade nicht. Daraus könnte die formelle Rechtswidrigkeit der Maßnahme folgen. Es bedarf einer Auslegung des § 36 I 2 PolG NRW. Eine Auslegung des Wortlauts, der Systematik und der Historie ergeben keine eindeutige Aussage über die Pflicht zur Einholung einer richterlichen Entscheidung in der Situation von A und B. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift soll aber verhindert werden, dass sich die Entlassung des Festgehaltenen allein deswegen verzögert, weil noch keine richterliche Entscheidung ergangen ist. Die Beamten müssen demnach abwägen, wie lange die polizeiliche Ingewahrsamnahme voraussichtlich dauern wird, bzw. wie lange im Vergleich 3 dazu ein Antrag über eine richterliche Entscheidung dauern würde. Um 6 Uhr erwarteten A und B, dass C aufstehen und das Polizeirevier in absehbarer Zeit verlassen werde. Eine richterliche Entscheidung war in der kurzen Zeitspanne nicht zu erwarten. Folglich war eine richterliche Entscheidung entbehrlich nach § 36 I 2 PolG NRW. Hinweis: An dieser Stelle geht es vorrangig darum, dass der Bearbeiter / die Bearbeiterin das Problem erkennt und sich mit § 36 I 2 PolG NRW auseinandersetzt. Dieses Problem kann auch in der materiellen Rechtmäßigkeit geprüft werden. 3. Form Die polizeirechtliche Verfügung bedarf keiner besonderen Form (§ 37 II 1 VwVfG NRW). III. Materielle Rechtmäßigkeit 1. Tatbestand des § 35 I Nr. 1 PolG NRW Die Voraussetzungen des § 35 I Nr. 1 PolG NRW müssten erfüllt sein. Die Maßnahme setzt eine Gefahr für Leib oder Leben voraus. Das ist insbesondere der Fall, wenn sich die Person in einem die Willensentschließung ausschließenden Zustand befindet. Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn im Einzelfall zureichende Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein polizeiliches Schutzgut geschädigt werden wird. C zeigte keinerlei Reaktionsvermögen infolge seines Alkoholeinflusses und befand sich in einem die Willensentschließung ausschließendem Zustand wie im § 35 I Nr.1 PolG NRW explizit benannt. Die Außentemperatur betrug -9° C, sodass das Erfrieren des C nahe lag. Zudem kommt als weiterer gefahrbegründender Umstand, dass C direkt an den Gleisen lag und entweder selbst oder durch ein unvorsichtiges Vorbeigehen eines Passanten in das Gleisbett hätte abrutschen können. Eine Gefahr liegt folglich vor. § 35 I Nr. 1 PolG NRW ist final auf den Schutz des Adressaten der Regelung gerichtet und setzt daher darüber hinausgehend voraus, dass die Ingewahrsamnahme auf den Schutz des C gerichtet war. A und B handelten allein im Interesse des C, indem sie ihn in ein beheiztes Polizeirevier gebracht haben. Die Regelung setzt schließlich die Erforderlichkeit der Ingewahrsamnahme voraus. In Anbetracht des stark alkoholisierten Zustands des C, der Kälte und des Ortes, an dem A und B den C aufgefunden haben, waren keine anderen Mittel zur Abwendung der Gefahr ersichtlich, die gleich geeignet gewesen wären. Die Maßnahme war erforderlich. 2. Rechtsfolge a) Verantwortlichkeit 4 Bei C handelt es sich um die in § 35 I Nr. 1 PolG NRW gefährdete Person, sodass dieser Adressat der Regelung ist. Auf die allgemeinen Regeln zur Störerverantwortlichkeit ist nicht zurückzugreifen. b) Ermessensausübung, § 3 PolG NRW Die Polizeibeamten haben Entschließungs- und Auswahlermessen gemäß § 3 PolG NRW, welches ohne Ermessensfehler ausgeübt werden muss. Dem Entschließungsermessen könnte ein Ermessensfehler zugrunde liegen. Die Selbstgefährdung ist im Grundsatz durch Art. 2 I GG, Art. 2 II GG geschützt, sodass sich A und B mangels Gefährdung Dritter möglicherweise nicht um den Zustand des C hätten kümmern dürfen. Allerdings muss die Selbstgefährdung freiverantwortlich gewählt sein, wovon bei der polizeirechtlich maßgeblichen ex ante Sicht nicht ausgegangen werden konnte. Möglicherweise haben A und B ihr Auswahlermessen fehlerhaft ausgeübt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist nach § 2 PolG NRW in Anbetracht dessen, dass es die mildeste Maßnahme war, gewahrt. C wurde gemäß § 38 I Nr. 1 PolG auch entlassen, sobald es möglich war. 3. Zwischenergebnis Die materielle Rechtmäßigkeit ist zu bejahen. IV. Zwischenergebnis Die Maßnahme ist rechtmäßig. B. Rechtmäßigkeit des „erweiterten Verbringungsgewahrsams“ (2. Frage) I. Ermächtigungsgrundlage Das Verbringen des C gegen seinen Willen an den Rand des Teutoburger Walds sowie der damit verbundene Aufwand, an einen anderen Ort zu gelangen, stellt eine Freiheitsbeschränkung dar. Auch für diese belastende Maßnahme muss eine einschlägige Ermächtigungsgrundlage bestehen. Problematisch ist, ob § 35 I Nr. 2 PolG NRW samt seiner Rechtsfolge „in Gewahrsam nehmen“ das „Verbringen“ seinem Wortlaut nach erfasst, sodass darin die einschlägige Ermächtigungsgrundlage gesehen werden kann. Fraglich ist, wie der Begriff „Gewahrsam“ zu verstehen ist. Gewahrsam ist eine Freiheitsentziehung durch die Polizei oder die Ordnungsbehörde aus präventiven Gründen. Eine Freiheitsentziehung liegt bei einem allseitigen Ausschluss der Bewegungsfreiheit durch 5 Einsperren in einem eng umgrenzten örtlichen Bereich, etwa einem Raum oder Gebäude vor. 1 Eine Ansicht lehnt die Existenz eines sogenannten „erweiterten Verbringungsgewahrsams“ aufgrund der polizeirechtlichen Rechtsgrundlage des § 35 PolG NRW mangels Vereinbarkeit mit dem Wortsinn „Gewahrsam“ generell ab. Das Verbringen an einen anderen Ort gehe über den Gewahrsamsbegriff hinaus, da lediglich das Festhalten und nicht die Aussetzung im Freien erfasst werde. Außerdem begründe der Gewahrsam Obhutspflichten des Staates gegenüber dem Betroffenen, denen bei einer Aussetzung am Stadtrand schlechter nachgekommen werden könne als bei einem Gewahrsam auf dem Polizeirevier. Es gäbe im Rahmen der Standardmaßnahmen auch keine andere Regelung, die das Verbringen einer Person an einen anderen Ort erfasse. Die Ausdehnung des Begriffs stelle eine unzulässige Freiheitsberaubung dar. 2 Andere schließen diesen nicht schon begrifflich aus, da eine Freiheitsentziehung durch die Polizei oder die Ordnungsbehörde aus präventiven Gründen nicht an einen festen Ort gebunden sei. 3 Für die erste Auffassung spricht der Wortlaut des § 35 PolG NRW. Für die zweite Ansicht spricht, dass das Verbringen an einen anderen Ort im Einzelfall eine Minusmaßnahme zur Ingewahrsamnahme darstellen kann. Hinweis: Die Lösungsskizze folgt der zweiten Ansicht, um eine weitere Prüfung vornehmen zu können. Die erste Ansicht ist ebenfalls gut vertretbar. An dieser Stelle ist nicht zu erwarten, dass der Bearbeiter / die Bearbeiterin beide Ansichten bis in das Detail kennt. Ein Problembewusstsein des Bearbeiters / der Bearbeiterin an dieser Stelle ist jedoch vorauszusetzen. Weiterhin stellt sich die Frage, ob ein Rückgriff auf die polizeirechtliche Generalklausel nach § 8 PolG NRW möglich ist. § 35 PolG NRW entfaltet aber eine Sperrwirkung aufgrund der Schwere des Grundrechtseingriffs. Es liegt auch keine Vollstreckung eines Platzverweises nach § 34 PolG NRW vor. Das folgt daraus, dass aus einem Platzverweis lediglich die vorübergehende Entfernung von einem bestimmten Aufenthaltsort der Person folgt, nicht aber das Verbringen in ein entfernteres Gebiet. II. Formelle Rechtmäßigkeit 1. Zuständigkeit 1 Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 9. Aufl., Rn. 301. So z.B. LG Hamburg, NVwZ 1997, 537. 3 So z.B. OVG Bremen, NvWZ 1987, 235; Leggereit, NVwZ 1999, 263. 2 6 A und B waren zuständig. 2. Verfahren a) Anhörung Eine Anhörung ist nur für den Fall erforderlich, dass ein Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG NRW angenommen wird. Der Streit um die Rechtsnatur der Maßnahme kann hier aber dahinstehen, wenn dem Betroffenen, wie hier, eine Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben wurde. b) Richterliche Entscheidung Wenn ein Gewahrsam bejaht wird, ist auch eine richterliche Entscheidung erforderlich. Hinweis: Dies kann auch im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit erfolgen. In dem Fall war die Einholung einer richterlichen Entscheidung möglich und die Verbringung ohne deren Einholung somit formell rechtswidrig. Hinweis: Es besteht die Möglichkeit, falls ein Verwaltungsakt angenommen wurde, über eine Heilung nach § 45 I Nr. 5 VwVfG NRW nachzudenken. Mangels Vorliegens eines mehrstufigen Verwaltungsaktes ist diese Idee aber schnell zu verwerfen. Sollte der Bearbeiter / die Bearbeiterin einen Realakt angenommen haben, kann über eine analoge Heranziehung des § 45 I Nr. 5 VwVfG nachgedacht werden. Auch hier ist zu erkennen, dass die Regelung nicht passt. Zudem würde dadurch der Zweck der richterlichen Anordnung unterlaufen werden. 3. Form Die Maßnahme ist an keine bestimmte Form gebunden (§ 37 II 1 VwVfG NRW). III. Materielle Rechtmäßigkeit 1. Voraussetzungen des § 35 I Nr. 2 PolG NRW § 35 I Nr. 2 PolG NRW setzt die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit voraus. Zu denken ist an die §§ 185 ff., 223 StGB. C pöbelte auf der Straße Menschen an, sodass sich der Schaden bereits realisiert hatte und solange andauerte, bis C mit dem Pöbeln aufhörte. Den Angaben der Ladeninhaber D und E nach war C in der Vergangenheit auch schon handgreiflich geworden, sodass aus ex ante Betrachtung die Gefahr bestand, dass C in unmittelbarer Zeit den § 223 StGB erfüllen würde. Die Voraussetzungen des § 35 I Nr. 2 PolG NRW sind erfüllt. 7 2. Rechtsfolge a) Verantwortlichkeit Die Eigenschaft des C als Adressat der Maßnahme ergibt sich daraus, dass er die Menschen auf der Straße anpöbelt. b) Verhältnismäßigkeit / Ermessensfehler Die Maßnahme müsste auch verhältnismäßig sein (§ 2 PolG NRW). Möglicherweise kam ein Verbringen des C an den Rand des Teutoburger Walds als Minusmaßnahme zu einer Ingewahrsamnahme auf das Polizeirevier in Betracht. Zunächst setzt die Verhältnismäßigkeit einen legitimen Zweck voraus. Jeder Zweck, der den Wertungen des Grundgesetzes nicht widerspricht, ist legitim. A und B verfolgten das Ziel, dass C daran gehindert wird, andere Menschen anzupöbeln. Dies widerspricht nicht dem Grundgesetz und stellt daher einen legitimen Zweck dar. Zudem setzt die Verhältnismäßigkeit die Geeignetheit der Maßnahme voraus. Geeignet ist eine Maßnahme, wenn sie den Zweck zumindest fördert. Grundsätzlich kann eine Aussetzung im Freien durch den Ortswechsel und die Bewegung an der frischen Luft deeskalierend wirken und somit auch den Zweck fördern, das Pöbeln zu unterlassen. Doch ist äußerst fraglich, ob C, der weiterhin unter Alkoholeinfluss stand, nicht erst Recht zornig auf die Maßnahme hätte reagieren und an einem anderen Ort sein Verhalten hätte fortsetzen können. Dem Zustand des C zufolge sprachen mehr Anhaltspunkte für diesen Verlauf. Die Geeignetheit der Maßnahme ist abzulehnen (a.A. vertretbar). Zudem ist die Erforderlichkeit der Maßnahme zweifelhaft. Die Erforderlichkeit ist zu bejahen, wenn unter allen gleich geeigneten Mitteln das Mildeste gewählt wird. C war in der Vergangenheit schon mehrfach wegen seines Fehlverhaltens unter Alkoholeinfluss auffällig geworden. Somit war das Verbringen an einen anderen Ort möglichweise besser geeignet als eine Ingewahrsamnahme auf dem Polizeirevier und somit auch erforderlich. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass C sein Fehlverhalten auch auf dem Polizeirevier unterlassen musste, sodass ein Festhalten auf dem Polizeirevier gleich geeignet war. In Anbetracht dessen, dass die Polizei gegenüber dem Festgehaltenen gewisse Obhutspflichten hat, die sie bei einer Aussetzung schlechter ausüben kann als auf dem Polizeirevier, ist davon auszugehen, dass eine Ingewahrsamnahme auf dem Polizeirevier leichter wiegt als das Verbringen an einen fremden Ort. Im Rahmen der Angemessenheit ist schließlich zu bedenken, dass C drei Stunden brauchte, um zu seiner Wohnung zu gelangen, was eine lange Zeitspanne darstellt und sich als 8 Freiheitsbeschränkung von einigem Gewicht erweist. Unter Alkoholeinfluss hätte C unter Umständen sogar noch länger als eine Person im nüchternen Zustand brauchen können. Zudem ist die Jahreszeit zu beachten. Bei kalten Temperaturen ist ein Fußmarsch sehr mühsam. A und B hätten auch beachten müssen, dass es im Februar schon am späten Nachmittag dunkel wird und dass sich C hätte verirren können. Unter Alkoholeinfluss war schließlich ein Sturz des C und die damit verbundene Verletzungsgefahr nicht auszuschließen. Die Maßnahme ist folglich nicht angemessen. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ist zu verneinen (an dieser Stelle a.A. kaum vertretbar). IV. Zwischenergebnis Die Maßnahme ist rechtswidrig. C. Ergebnis Die erste Maßnahme ist rechtmäßig. Das Verbringen an den Rand des Teutoburger Walds erfüllt dagegen nicht die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, sodass C zu Recht von der Rechtswidrigkeit der Maßnahme ausgeht. 9
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