Handelsrecht - Vorlesung 2

Vorlesung Handelsrecht
Prof. Dr. Martina Benecke
Literatur:
Gesetzestext HGB und
• Grundkurs Handels- und Gesellschaftsrecht
Kindler, Peter. - 7. Aufl. - München : Beck, 2014
• Handelsrecht : [mit vielen Übersichten, Beispielen und Fällen]
Jung, Peter. - 10. Aufl. - München : Beck, 2014
• Handelsrecht : mit Grundzügen des Wertpapierrechts ; [mit Fällen und
Aufbauschemata]
Brox, Hans/Henssler, Martin - 21., neu bearb. Aufl. - München : Beck, 2011 (neu
2016)
• Handelsrecht : mit UN-Kaufrecht [mit zusätzlichen Fällen und Lösungen auf CD]
Bitter, Georg/Schumacher, Florian 2. Aufl. – Vahlen 2015
• Grundzüge des Handelsrechts
Klunzinger, Eugen. - 14., überarb. Aufl. - München : Vahlen, 2011
Handelsrecht in der Rechtspraxis:
Ihr Freund Franz (F) hat sein BWJ-Studium nach dem 2. Semester abgebrochen, um sich seiner Leidenschaft zu widmen und einen
Laden für rare Jazz- und Rock-CD’s zu betreiben. Tatsächlich beginnt der Laden nach einiger Zeit zu florieren, er macht erhebliche
Umsätze und muss auch bald den Gerhard (G) als Angestellten beschäftigen, um selbst noch in seiner Jazz-Band spielen zu können. F
ist mit sich und der Welt zufrieden. Er meint, er hätte in den ersten zwei Semestern genug über Kauf-, Dienstverträge und
Stellvertretung gelernt und habe nun keine unangenehmen Überraschungen mehr zu erwarten.
Hat er Recht?
1. F bestellt bei der X-GmbH ein neues Ladenregal. Da viel zu tun ist, bleiben die unausgepackten Kisten zunächst vier Wochen
stehen. Beim Auspacken stellt F fest, dass das Regal wackelt und etliche Schrauben fehlen.
Er verlangt von der X Nacherfüllung nach §§ 433, 434, 437 Nr. 1, 439 BGB.
 Rügeobliegenheit, § 377 I, II HGB.
2. Der G ist eines Morgens wegen des Genusses illegaler Rauschmittel am Vortag nicht ganz auf der Höhe. Er verkauft daher dem
erfreuten Kunden K einige rare Stücke aus der Privatsammlung des F. F sucht K auf, teilt ihm mit, die Vertretungsmacht des G habe
sich darauf nicht bezogen und verlangt nach § 812 I 1 1. Fall BGB die CD’s zurück.
 Scheinhandlungsvollmacht, § 56 HGB
Struktur und Bedeutung des Handelsrechts
Sonderprivatrecht der Kaufleute: Handelsrecht knüpft subjektiv nicht an das Geschäft, sondern grundsätzlich
(Ausnahmen!) an die Kaufmannseigenschaft an
 Kaufmannsbegriff in § 1 ff. HGB
Bedeutung des Handelsrechts:
a.
Rechtsvereinheitlichung
b. Besonderer Bedarf: Schnelligkeit – Vertrauensschutz
Rechtsgrundlagen
a.
HGB
b. Handelsrechtliche Nebengesetze, z. B. Wechsel-, ScheckG
c.
Gewohnheitsrecht: im Handelsrecht kaum, aber:
d. Handelsbräuche (§ 346 HGB): große Bedeutung in der Praxis
e.
AGB, vgl. § 310 I 1 BGB
Kaufmannsbegriff - § 1 HGB
1. Betrieb eines Handelsgewerbes
a) Handelsgewerbe = offene, planmäßige, erlaubte, auf Gewinnerzielung
gerichtete und selbständige Tätigkeit, die kein freier Beruf ist (s. auch §§ 1 II,
2 S. 1 HGB)
• offen = tritt nach außen in Erscheinung
• planmäßig = auf Dauer angelegt
• erlaubt (streitig) = nicht verboten
• auf Gewinnerzielung gerichtet – tatsächlicher Gewinn egal. Bei Privaten zu
vermuten, bei öff. Hand nicht
• selbständig
• kein freier Beruf (hist. Gründe)
Kaufmannsbegriff - § 1 HGB
1. Betrieb eines Handelsgewerbes
b) Betrieb = Gewerbe muss selbst betrieben werden, Geschäfte müssen
für und gegen den Kaufmann wirken.
• nicht Verwaltung fremden Vermögens
• nicht entscheidend, auf wessen Rechnung gehandelt wird oder mit
wessen Mitteln gehandelt
• unerheblich außerdem: Ausbildung, Geschäftsfähigkeit, Familienstand
(in den 50ern Einschränkungen für Ehefrauen!), Verfügungsbefugnis
(bei Insolvenz), ör Gewerbeerlaubnis; Gewerbe (anders vor 1998!)
• Bei Mischtätigkeit: Überwiegendes Gewerbe
• Beginn: Aufnahme der Geschäftstätigkeit
Kaufmannsbegriff
2. Istkaufmann und Kannkaufmann
a. Istkaufmann: Gewerbe erfordert in kaufmännischer Weise eingerichteten
Betrieb, § 1 II HGB; Eintragung ins HReg nur deklaratorisch
b. Kannkaufmann
• Kleingewerbetreibender, § 2 HGB
• Land- und Forstwirt, § 3 HGB
3. Handelsgesellschaften als Kaufleute
a. AG, GmbH: § 6 II HGB – Formkaufleute
b. OHG, KG: § 6 I HGB
Die Bürgschaft
Der Hochstapler Krull arbeitet in einem Grandhotel als Nachtportier. In seinem umfangreichen Bekanntenkreis behauptet er indes, das
Hotel gehöre ihm („und das ist nicht das einzige“). Eines Tages tritt sein Freund Frido sichtlich verlegen an ihn heran. Er benötigt
dringend einen Kredit, dem die Firma Shark GmbH ihm nur geben möchte, wenn er einen solventen Bürgen beibringen kann. K
begleitet F in die Geschäftsräume der Shark und erklärt dem Geschäftsführer gegenüber, er, der „Hotelier“ K verbürge sich für den
Kredit des F in Höhe von 10.000 €. Wie zu erwarten, wird K nach einiger Zeit aus der Bürgschaft in Anspruch genommen. Mit
Aussicht auf Erfolg?
§ 350 HGB: § 766 BGB gilt nicht, formlose Bürgschaft wirksam, wenn K Kaufmann ist.
Variante: K hat, um seinen künftigen Schwiegervater zu beeindrucken, im Handelsregister eine Eintragung als Betreiber eines Hotels
erwirken lassen.
1. Fiktivkaufmann, § 5 HGB
a) Sinn: Rechtsverkehr
b) Fallgruppen:
• Nichtkaufmann wird als Kaufmann angesehen
• Beweiserleichterung bei Zweifeln
• Gilt auch, wenn GBR statt OHG oder KG
c) Voraussetzungen/Prüfungsschema
• Eintrag im HReg
• Gewerbe wird unter Firma betrieben (str., aber hM, da Gesetzeswortlaut
Gewerbe voraussetzt
• Partei beruft sich auf Eintragung
d) Folgen: Eintragung wirkt für und gegen alle, also auch zugunsten des
Eingetragenen. Allerdings nur im Privatrecht, nach hM auch nicht im Deliktsrecht
2. Scheinkaufmann
a) Quelle: Analogie zu §§ 171, 405, 409 BGB
b) Voraussetzungen
• jemand hat Rechtsschein gesetzt, Kfm. zu sein
• zurechenbar, d. h. selbst oder durch andere verschuldet
• Gutgläubigkeit des Dritten
• Rechtsschein für dessen Handeln ursächlich
c) Folgen: Rechtsschein wirkt nur zugunsten des Dritten und nur soweit
er reicht
Recht des Handelsregisters
1. Begriff
• Öffentliches Verzeichnis (jedermann!)
• Derjenigen Tatsachen, die für den Rechtsverkehr erheblich sind
(eintragungsfähige und eintragungspflichtige Tatsachen)
2. Eintragungsverfahren
• Anmeldung in Form des § 12 I HGB
• Ggf. Beugestrafen, § 14 HGB iVm § 132 ff. FGG
• Ggf. Klage auf Eintragung der WE zur Eintragung
• Im Verfahren Amtsermittlungsgrundsatz, § 12 FGG
• Eintragung mit Veröffentlichung, §§ 10 f. HGB
Rechtliche Bedeutung des Handelsregisters: §
15 HGB
Übersicht:
• § 15 II HGB: Handelsregister ist richtig
• § 15 I HGB: HReg ist unrichtig, weil etwas fehlt – negative Publizität
• § 15 III HGB: HReg ist unrichtig wegen falscher Bekanntmachung
1. Negative Publizität, § 15 I HGB
a) Voraussetzungen:
• Eintragungspflichtige Tatsache (z. B. Prokura, § 53 HGB), d. h. nicht nur
eintragungsfähige Tatsache
• Auch Veränderung!
• Tatsache nicht eingetragen oder (!) nicht bekannt gemacht
• Dritter nimmt gutgläubig eine Rechtshandlung vor, für die guter Glaube
ursächlich ist. Nur beim rechtsgeschäftlichen Handeln!
b) Folgen:
• Wirkung nur zuungunsten des Eintragungspflichtigen
• Und zugunsten des Dritten
• Ggf. Wahlrecht zwischen eingetragener und wahrer Tatsache: „Rosinentheorie“
2. Richtige Eintragung, § 15 II HGB
a) Voraussetzungen:
• auch eintragungsfähige Tatsachen
• richtige Tatsache
• eingetragen und bekanntgemacht
• Dritter ist nicht bösgläubig (Beweislastumkehr!)
• Schonfrist 15 Tage
b) Folgen:
• Wirkung zuungunsten des Dritten
• Kann auch einem Rechtsschein widersprechen
3. Falsche Bekanntmachung/Positive Publizität, § 15 Abs. 3 HGB
„Der Bekanntmachung kann man trauen“
a) Voraussetzungen
• einzutragende Tatsache
• nach hM auch eintragungsfähige Tatsache, wenn falsch bekanntgemacht
• Tatsache unrichtig bekanntgemacht (Eintragung kann richtig sein!!!)
• Guter Glaube, Ursächlichkeit (s.o.)
b) Folgen
• Dritter kann (Wahlrecht!) sich auf die falsch bekanntgemachte Tatsache
• Gegenüber (zuungunsten) demjenigen berufen, in dessen Angelegenheiten
sie einzutragen war
• Str.: muss Antragsgegner Eintrag (durch Antrag) veranlasst haben? HM ja.
Der Pilzfreund
Die Grundstücksmaklerin K kauft am 5. 3. formwirksam ein Grundstück von der YGmbH. Ihr Verhandlungspartner ist G, der ihr mitgeteilt hat, Geschäftsführer und
damit gesetzlicher Vertreter der Y-GmbH zu sein. Als K am 16. 5. Auflassung
(Übereignung) des Grundstücks verlangt, teilt ihr X, der amtierende
Geschäftsführer der Y-GmbH mit, G sei aufgrund des Genusses berauschender Pilze
bereits seit dem vergangenen Winter an einer schizoiden Psychose erkrankt und
unerkennbar geschäftsunfähig. Seit dem 1. 3. sei er nicht mehr Geschäftsführer der
GmbH. K erwidert, es sei erst am 6.4. in das Handelsregister eingetragen worden,
dass G nicht mehr Geschäftsführer ist.
Kann K Auflassung verlangen?
Variante: Was ist, wenn K inzwischen in Geldnöten ist und ihr die Unwirksamkeit
des Grundstücksgeschäfts ganz recht wäre?
(Fall sehr frei nach BGHZ 115, 78, s. Kindler, Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn.
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