Lesen Sie das ungekürzte Interview mit Hans-Georg Willmann auf www.haysworld.de Der Mensch hat eine Leistungslust, sagt der Freiburger Coach Hans-Georg Willmann. Wer vorübergehend an seine Leistungsgrenzen kommt, kann das als motivierend erleben. Wer aber dauerhaft über die eigenen Leistungsgrenzen geht, wird krank. 18 | HaysWorld 02/2015 Foto: Alex Jung „NICHT STÄNDIG DEN MOTOR ÜBERHITZEN“ Das Interview führte Michael Vogel Herr Willmann, wann sind Sie zuletzt an Ihre Leistungsgrenzen gekommen? Beim Verfassen meines jüngsten Buchs über die Willenskraft. Da hat sich meine eigene Willenskraft tatsächlich erschöpft, weil ich zu lange am Stück geschrieben und dadurch meine körperlichen Grenzen überschritten habe. Wie fühlt sich das an? Zuerst gab es mir einen Kick – Mensch, bin ich leistungsfähig! Als ich mich dann allerdings „von außen“ betrachtet habe, spürte ich, dass meine Leistung im Sinne des ökonomischen Ergebnisses gelitten hatte. Mit anderen Worten: Was ich in dieser Verfassung geschrieben hatte, war nicht überzeugend. Und dadurch war auch der Kick weg. Ich erkannte, dass ich mich zwar noch weitere Stunden mit Kaffee hätte wachhalten können, um weiterzuschreiben, aber das Ergebnis meiner Arbeit wäre nicht mehr befriedigend geworden. Gibt es denn Mittel und Wege, um die eigenen Leistungsgrenzen zu verschieben? Auf jeden Fall. Es gibt vier Einflussgrößen, die über Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen entscheiden: die Leistungsdisposition – was ich sozusagen aus der Veranlagung mitbringe, worauf wir also wenig Einfluss haben; die Leistungsbereitschaft – den Willen, die mentale Einstellung; die Leistungsfähigkeit – das, was man gemeinhin mit Talent und Kompetenzen bezeichnet – sowie die Leistungsmöglichkeit – das Umfeld, der Kontext. Die durch diese vier Faktoren bestimmte Leistungsgrenze kann man verschieben. Persönlich durch Training der Leistungsbereitschaft und der Leistungsfähigkeit sowie natürlich durch die richtigen Rahmenbedingungen bei den Leistungsmöglichkeiten. Letzteres heißt: Spitzenleistungen sind nur dann möglich, wenn das Umfeld eine Spitzenleistung ermöglicht. Sie werden niemals Olympiasieger, wenn Sie nicht im Olympiastützpunkt mit den besten Trainern, den besten Sportpsychologen und Ärzten, dem besten Material und der besten Ernährung trainieren. Im Arbeitsleben kann also ein Team die Leistungsgrenzen des einzelnen Teammitglieds verschieben? Ja, über die Leistungskultur und die sozialen Normen. Leistungswille ist ansteckend. Wir vergleichen uns. Wenn einer im Team eine große Bereitschaft hat, Leistung zu bringen, und wir alle am selben Strang ziehen und das gemeinsame Ziel etwas mit uns zu tun hat, dann wollen wir da mitmachen. Das ist wie im Sport: Wenn Sie mit einem guten 100-Meter-Läufer trainieren, werden Sie schneller – und umgekehrt. Woran kann denn eine Führungskraft erkennen, wo die Leistungsgrenzen ihrer Mitarbeiter liegen? Die Grundlagen können die Unternehmen bereits bei der Personaleinstellung durch eine gute Diagnostik legen. So lassen sich Leistungsmotivation und Fähigkeiten des Bewerbers ermitteln. In Verbindung mit einer guten Personaleinsatzplanung, einem guten Monitoring und einem begleitenden Coaching kann man dann als Führungskraft sehr wohl erkennen, wann Mitarbeiter an ihre Leistungsgrenzen stoßen. Diese Grenzen können verschiedene Ursachen haben und sich im Lauf der Zeit auch verändern, denn wir haben nur ein begrenztes Reservoir an Leistungsbereitschaft. Wer soeben Vater geworden ist, gerade ein Haus baut oder einen Angehörigen pflegt, kann dieses Reservoir nicht mehr voll für die Arbeit ausschöpfen. Anders ist die Situation, wenn die Leistungsgrenze kognitiver Natur ist, der Mitarbeiter also intellektuell mit seiner Arbeit überfordert ist. Das ist eine harte Grenze. Und dann? Dann zahlt es sich aus, wenn man als Führungskraft ein vertrauensvolles Verhältnis zum Mitarbeiter aufgebaut hat, z. B. in Form einer ehrlichen, wertschätzenden, authentischen Kommunikation, und wenn man die Möglichkeit hat, seine Teammitglieder entsprechend ihrer Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit einzusetzen. Sind einem da die Hände gebunden, sollte man auf längere Sicht im ehrlichen Gespräch prüfen, ob es im Unternehmen geeignetere Einsatzorte gibt oder eben in anderen Unternehmen. Angenommen, ich bewege mich dauerhaft an der Leistungsgrenze – was ist die Folge? Wenn man eine Schraube zugedreht hat, sitzt sie fest. Wenn man sie überdreht, bricht sie ab. Wir Menschen sind allerdings sehr hoch belastbar. Wir können über Jahre hinweg an und über unsere Leistungsgrenzen gehen – siehe Leistungs- oder Extremsportler. Aber es braucht ein Gleichgewicht zwischen all den Faktoren, die ich genannt habe, dann können wir sehr, sehr lange an der Leistungsgrenze arbeiten, ohne Folgeschäden, ohne Erkrankung. Wenn wir aber dauerhaft über die Leistungsgrenze gehen, dann werden wir schlussendlich krank. Klingt eigentlich ganz einfach. Leistung macht Spaß. Der Mensch hat eine Funktionsund Leistungslust. Wir sind nicht dafür geboren, auf der Couch zu sitzen. Wir sind aber auch nicht dafür geboren, wie ein Rennwagen dauerhaft durchs Leben zu heizen und dabei ständig den Motor zu überhitzen. Hans-Georg Willmann Hans-Georg Willmann (47) arbeitet seit 2003 als selbstständiger Coach und Autor in Freiburg im Breisgau. Als Diplom-Psychologe berät er seit 1998 Frauen und Männer in beruflichen Veränderungsprozessen und Krisen und unterstützt sie dabei, ihre Ziele zu erreichen. Als Experte für Eignungsdiagnostik berät er zudem Unternehmen in Personalfragen wie z. B. zu den Themen Assessment-Center und Outplacement. Er ist Autor zahlreicher Erfolgsratgeber. HaysWorld 02/2015 | 19
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