D i g i ta l e s Ta r g e t i n g Kartoffeln für die Onliner Die bewährten Sinus-Milieus gibt es jetzt auch für Onlinekampagnen. Die Frage ist nur: Bietet das Internet nicht bereits viel bessere Datensätze? Tradition A T E XT: Kay S t äd el e Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln. Und weil Kartof feln gemeinhin keine Hirnstimulan zien enthalten, bleiben Bauern dumm. Hieß es. Manchmal aber können die Knollen tatsächlich schlauer machen. Dann nämlich, wenn sie vom Heidel berger Sinus-Institut Marketern zur Verfügung gestellt werden. In ihrem sogenannten „Kartoffelmodell“ teilen die Marktforscher Zielgruppen in 48 | W&V 9-2015 zehn sozioökonomische Milieus ein – in Hedonisten, Traditionelle, Expediti ve oder Prekäre etwa. Neu daran ist, dass sie ihre Milieus nun ins Digitale übertragen haben und Mediaagenturen auch Onlinekampagnen nach dieser Zielgruppengrafik aussteuern. Allerdings müssen die Digital planer von der Güte der Kartoffeln erst noch vollends überzeugt werden. Mit den Sinus-Milieus kommt ein jahr zehntelang bewährtes Zielgruppen modell ins digitale Zeitalter. Das klas sische Marketing nutzt die Zielgrup pen, um Produkte zu positionieren und Kampagnen zu konzipieren. In der Internetwerbung hatten die Milieus mit ihren Lebenswelten allerdings nie diese Bedeutung: Das Web bietet auf grund seiner Datenfülle weit mehr Möglichkeiten gezielter Ansprache als die klassischen Kanäle. So stehen mit 1 Oberschicht/ obere Mittelschicht 2 Mittlere Mittelschicht 3 Fotos: W&V/Christoph Born; W&V/Ken Ottmann; Unternehmen Soziale Lage > Untere Mittelschicht/ Unterschicht Modernisierung/Individualisierung Neuorientierung B C Daten aus User-Registrierungen etwa harte Angaben zu Geschlecht und Wohnort zur Verfügung. Hinzu kom men Informationen aus Cookies, die Surfvorlieben verraten. Facebook wie derum kennt Freunde und Interessen der Nutzer, Amazon die Einkäufe, Google die Suchanfragen. Smart phones liefern Bewegungsprotokol le zu, und die digitale Anzeigen buchung erfolgt über programmatische Werbeplattformen quasi in Echtzeit. Schwer vorzustellen, dass die im Ver gleich groben Lebenswelt-Zielgruppen in diesem Umfeld überhaupt einen Platz haben. Entsprechend uneins sind die Mediaplaner über die Sinnhaftigkeit des Vorstoßes aus Heidelberg. Beim Telekommunikationsunternehmen Mobilcom-Debitel kommt das Kar toffelmodell zwar bei Produktent <Grundorientierung Das Sinus- oder Kartoffelmodell teilt Konsumenten in zehn Milieus. Entwickelt wurde es 1982 wicklung und klassischer Kampa gnenkonzeption zum Einsatz. Mar ketingleiterin Kerstin Köder hält allerdings nichts von der Übertragung der Zielgruppen ins digitale Targeting: „Onlinew erbung kann bereits viel spitzer aussteuern und Werbung p ersonalisieren“, sagt sie. Gerade in Sachen leistungsorientiertes Marke ting glaubt sie nicht, dass die SinusMilieus die Ansprüche erfüllen. W&V 9-2015 | 49 Am R a n d e In Berlin drängt sich die Digitalszene um Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain. Großstadt gleich Geschwindigkeit. Dort hat auch der TargetingSpezialist Nugg.ad seinen Sitz, der neue Partner des Sinus-Instituts. Die Marktforscher arbeiten dagegen in einer Villa in Heidelberg. In der Stadt am Neckar herrscht ein ganz anderes Flair: 150 000 Einwohner, malerische Altstadt und eine der ältesten Universitäten Deutschlands. Die Wissenschaft gibt den Ton an. Es zählt Genauigkeit, nicht Geschwindigkeit. So konnte die Übersetzung der Milieus ins Digitale auch zwei Jahre dauern. Sinus-Forscher Schäuble hat zehn Milieus ins Internet übertragen Genauso denkt einer exklusiven Snap shot-Umfrage von W&V und Roland Berger zufolge rund ein Viertel der Marketer in Deutschland (siehe Grafik rechts). Allerdings ist genau die Hälfte der Meinung, das Sinus-Konzept passe auch in die digitale Welt. Denn Online daten sind zwar stark personalisiert, aber auch sehr granular, geben also nur selten ein genaues Bild der Lebens situation des einzelnen Nutzers und seiner Einstellungen wider. Die Erd äpfel hingegen bieten genau das. Sie können Onlinedaten also entsprechend ergänzen. Erstmals 1982 fassten die SinusForscher Menschen mit ähnlicher Le bensauffassung und -weise in Milieus zusammen. Wichtig dafür sind Alltags einstellungen zu Arbeit, Familie, Frei zeit, Geld und Konsum. Nach zwei Jahren Vorarbeit und Daten aus über 10 000 Interviews gibt es nun die digi talen Entsprechungen. Diese Über setzung leisten WahrscheinlichkeitsAlgorithmen, die das Klickverhalten analysieren. Da es sich bei den digita len Sinus-Milieus um dieselben zehn offline etablierten Zielgruppen han delt, können Planer diese nun auch crossmedial erreichen. Websites sollen sich automatisch anpassen Nicht nur die Werbebranche soll nach Wunsch der Heidelberger die Milieus online einsetzen. Publisher und Händ ler etwa können ihre Websites auto matisch den Besuchern anpassen, wenn die Informationen zur Zielgrup pe vorhanden sind: Die spaßorientier 50 | W&V 9-2015 ten „Hedonisten“ erhalten dann bei einem Tourismusanbieter zum Beispiel Unterhaltsames, die „Expeditiven“ be kommen Angebote, um an ihre Gren zen gehen zu können. Die Forscher um Sinus-Gesell schafter Norbert Schäuble kooperie ren mit dem Targeting-Spezialisten Nugg.ad, einer Tochter der Deutschen Post, die fürs Datensammeln zustän dig ist. Auf Planerseite machen OMS, Axel Springer Media Impact, Mi crosoft Advertising und IQ Digital das Sinus-Targeting mit. Die große Nach frage nach den neuen digitalen Ziel gruppen „zeigt uns, dass der Bedarf für intelligente Targeting-Produkte da ist“, sagt Stephan Noller, CEO von Nugg.ad. Auf Kundenseite nutzen vor al lem jene Marketer die digitalen Mili eus, die bereits im klassischen Bereich damit arbeiten, sagt Linda Mozham, Commercial Director beim Zeitungs vermarkter OMS. Etwa der Tourismus anbieter Tirol Werbung. Der lang jährige Sinus-Kunde hat seine Positi onierung und sein Portfolio mit den einzelnen Segmenten offline fest gelegt und kann jetzt bei Digital kampagnen prüfen, ob die richtigen Zielgruppen auf die ihnen zugedach ten Angebote klicken. Der TargetingAufpreis lohne sich, sagt Eckard Speckbacher, Leiter Medien bei Tirol Werbung: Mit den neuen Informa tionen könnten das Themensetting und die Produkte ntwicklung ange passt werden. Die „adaptive Website“ mit ausgesteuerten Inhalten ist das nächste Ziel. Allerdings: Ganz neu ist das Milieu-Konzept für die Onlineplaner Ein zeitgemäßes Modell? Das Sinus-Institut hat sein Zielgruppenmodell digitalisiert: Einzelne Milieus wie Hedonisten, Performer und Prekäre lassen sich nun per Targeting direkt ansprechen. Doch brauchen das die Mediaplaner und Marketer überhaupt? Das Umfrageergebnis Die Hilfskonstruktion Zielgruppe ist überholt. In der digitalen Gegenwart zählt der Abverkauf. Die Sinus-Milieus sind ein Tool von vorgestern. Das gilt für digitale wie für klassische Kanäle. Die Sinus-Milieus sind ein wichtiges Tool in der klassischen und digitalen Marketingplanung. Keine Angaben W&V Shop Neuerscheinung 27 % 8 % 50 % 15 % Profitieren Sie vom gesammelten Know-how der Branche – mit den Büchern aus dem W&V Shop. Für alle Abonnenten Versand gratis. BESTE G L E IC H LLEN UNTE R wuv-s hop.de Umfrage unter 188 Marketingentscheidern in Deutschland. Teilnehmerbasis: n = 48. Quelle: Roland Berger Strategy Consultants, Münchner Gespräche und W&V© Die schwierige Sache mit den Gefühlen Zuletzt wurden die Zielgruppen der Web Milieus laut UIM durchschnitt lich von 20 Kunden im Jahr gebucht. Dazu gehören Finanz-, Versicherungsund Konsumgüterunternehmen, aber vor allem Automobilhersteller. „Hier sind Emotionen, Einstellung und Lifestyle entscheidend – soziodemo grafische Kriterien rücken eher in den Hintergrund“, sagt UIM-Chef Rasmus Giese. Gefühle spielen im schnelllebigen Internetgeschäft jedoch meistens eine untergeordnete Rolle. Dagegen zählen Response-Raten, der direkte Return on Investment und schlichtweg Klicks. Sinus-Targeting ist aber gerade für emotionale Markenbildung prädesti niert. Laut Anna Neite, Director Digital Planning bei der Mediaagentur Minds h a r e , k ö n nt e n d i e d i g i t a l e n Sinus-Milieus daher vor allem bei Mar kenherstellern Gefallen finden, deren Produkte sich an speziellen Lebens stilen orientieren. „Bei Automarken spielt das Thema Milieu von jeher eine große Rolle und stößt damit natürlich auf offene Ohren“, sagt Neite. Aber auch bei Spirituosen könne es in diese Richtung gehen. Christian Franzen zufolge, Spre cher des Fachkreises Online-Media agenturen im Bundesverband Digitale Wirtschaft, sieht wiederum große Chancen in der technischen Verknüp fung der Zielgruppendaten mit den Realtime-Advertising-Plattformen. Noch mehr Onlineübersetzungen klas sischer Konzepte braucht Franzen al lerdings nicht: „Viel eher sehe ich den Bedarf, in die Belastbarkeit von beste henden Konzepten zu investieren“, sagt der Foma-Sprecher. Die Planer mahnen vor allem, die Qualität der Daten zu erhöhen, damit es die Zielgruppenmodelle mit den Datenbeständen der US-Riesen auf nehmen können. Oder anders ausge drückt: Es obliegt also den Marktfor schern, für die Branche die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen. ks @ w u v.d e W&V 9-2015 | 51 ADC Deutschland Jahrbuch 2014 Art Directors Club Deutschland Weg vom Prunkband, hin zum Gebrauchswerk: Im Flexband in Tablet-Größe werden die Gewinnerarbeiten aus dem Wettbewerb des Art Directors Club für Deutschland e. V. (ADC) sowie dem ADC Nachwuchswettbewerb präsentiert. Ein besonderer Service für den Leser: QR-Codes führen in die ADC Gewinnergalerie und ermöglichen so den Mediensprung zu Case-Filmen oder Audioformaten. Nur 78,00 € inkl. MwSt., zzgl. Versand Anzeige nicht. Bereits 2004 hatte der Vermark ter United Internet Media (UIM) soge nannte „Web Milieus“ auf den Markt gebracht. Diese Typologie gruppiert Nutzer der United-Internet-Portale wie Web.de und GMX nach deren Werten und Einstellungen sowie deren sozialer Situation. Das von der Universität Erlangen-Nürnberg entwickelte Mo dell unterscheidet ebenfalls zehn Mili eus; ein Eins-zu-eins-Vergleich mit Sinus ist aufgrund verschiedener Defi nitionen aber nicht möglich. W&V VOR ALLEM.
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