Die Nea Dimokratia wollte einen Vorsitzenden wählen

POLITISCHER BERICHT AUS
GRIECHENLAND
Polixeni Kapellou
Leiterin der Verbindungsstelle Athen
Nr. 23 / 2015 – 27. November 2015
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Die Nea Dimokratia wollte einen Vorsitzenden wählen
Eigentlich wollte Griechenlands größte Oppositionspartei, die konservative Nea
Dimokratia, am Sonntag, 22. November, einen neuen Parteivorsitzenden wählen oder
zumindest den notwendigen ersten Wahlgang dafür abhalten.
Die vier Kandidaten - der amtierende Interimsvorsitzende Evangelos Meimarakis sowie
die Fraktionssprecher Adonis Georgiadis und Kyriakos Mitsotakis, ferner der
Regionalgouverneur von Zentralmakedonien, Apostolos Tzitzikostas - erwarteten nach
einem zweimonatigen, teilweise erbittert geführten parteiinternen Wahlkampf nunmehr
die Entscheidung.
Die Partei ließ bereits verlauten, dass sie angesichts der Regierungsschwäche von Tsipras
nunmehr in Gestalt ihres neuen Vorsitzenden den künftigen Premier Griechenlands
präsentieren würde. "Es wird ein Festtag der Nea Dimokratia", versprach Parteisekretär
Andreas Papamimikos.
Wahllokale im In- und Ausland
Hierzu erhielt die Firma „Infosolutions“ von der Nea Dimokratia den Auftrag, ein
elektronisches Betriebssystem für die Erfassung und Auszählung der Stimmen
bereitzustellen.
Gegen 10.00 Uhr am Sonntagmorgen erfuhren die Griechen dann, dass die Firma
„Infosolutions“ erklärte, sie sehe sich nicht in der Lage, die Wahlen ordnungsgemäß
durchzuführen.
Bis dahin hatten jedoch in den ab 7.00 Uhr morgens geöffneten Wahllokalen schon viele
engagierte Helfer den Wählern die Stimmabgabe auch ohne Computerunterstützung,
sozusagen „per Hand“, ermöglicht. Die Gebühr für die Wahl betrug 3 Euro. Dieses
Verfahren war den Verantwortlichen jedoch zu unsicher, weshalb sie den Abbruch der
Wahlen anordneten.
Dieses Desaster sagte ein Internetportal bereits am Samstagabend voraus, nur wollte es
niemand glauben.
Die Firma „Infosolutions“ erklärte sich umgehend bereit, der Partei die kassierten
Vorschüsse zurückzuzahlen. Das Unternehmen hat bei einer Ausschreibung als
preiswertester Anbieter den Zuschlag bekommen. Das Auftragsvolumen soll bei 750.000
€ gelegen haben. Offenbar wurde aber das fragliche Betriebssystem weder vorher in
Betrieb genommen noch überhaupt getestet. Die Nea Dimokratia hat angeblich nun auf
Schadensersatz in Millionenhöhe geklagt.
Konsequenzen des Wahlfiaskos
Die Anhänger der Nea Dimokratia reagierten mit Wut und Enttäuschung auf die Absage
der Wahl. Innerhalb der Partei kam es zu heftigen Reaktionen. Alle verlangten den
Rücktritt des Parteisekretärs und Vorsitzenden des Wahlkomitees Andreas Papamimikos.
Apostolos Tzitzikostas und Kyriakos Mitsotakis forderten zudem den sofortigen Rücktritt
1 des amtierenden Parteivorsitzenden Meimarakis, weil sie ihm die politische
Verantwortung für "den schwärzesten Tag der Partei" zuschreiben.
Jetzt schimpft nun jeder gegen jeden. Die Mehrheit der Griechen zeigte sich über den
Fauxpas äußerst amüsiert.
Wie es nun mit der Nea Dimokratia weitergeht ist unklar. Sechzehn Parlamentarier der
Partei forderten eine außerordentliche Fraktionssitzung.
Der bisherige Interimsvorsitzende Evangelos Meimarakis kündigte am gleichen Tag nach
anfänglichem Zögern seinen Rücktritt vom Amt des Parteivorsitzenden an, will aber
weiterhin für den Parteivorsitz kandidieren.
Zum vorläufigen Nachfolger wurde der bisherige Geschäftsführer der parlamentarischen
Fraktion, Jannis Plakiotakis, von Meimarakis ernannt. Selbst dieses Verfahren gestaltete
sich schwierig und ist innerhalb der ND nicht unumstritten: Zunächst hatte Meimarakis
Jannis Plakiotakis nur zum Vizeparteiführer ernannt. Dann trat er zurück und machte
seinen Posten für Plakiotakis frei.
Für die schlechte Stimmung innerhalb der Partei spricht auch die Tatsache, dass
Meimarakis zur Sitzung der Parlamentsfraktion am Dienstag 24.11. nicht erschienen war.
Seinem Beispiel folgten auch die beiden früheren Ministerpräsidenten Antonis Samaras
und Kostas Karamanlis. Zuvor hatte Meimarakis einen Teil der Schuld am gescheiterten
Urnengang Samaras zugeschoben. Er erklärte, dass jene Firma, die das elektronische
System für den Urnengang zur Verfügung stellte, von Samaras vorgeschlagen worden sei.
Das Versagen dieses Systems war dafür verantwortlich, dass die Wahl abgebrochen
werden musste. Damit aber nicht genug! Die frühere Ministerin Dora Bakoyanni schloss in
einem Fernsehgespräch eine Sabotage des Urnengangs vom Sonntag nicht aus. Sie
deutete politische und wirtschaftliche Interessen an, deren Verfechter der ND Schaden
zufügen wollten.
Bakoyanni selbst hatte 2009 erfolglos für den Vorsitz der Partei kandidiert. Indirekt
brachte sie auch die Möglichkeit zum Ausdruck, dass es damals zu Wahlfälschungen
gekommen sein könnte. Ihr Gegenkandidat, der damals als Sieger aus diesem Rennen
hervorging, war Antonis Samaras. Nachdem er die Parlamentswahlen im Jahr 2012 für
sich entscheiden konnte, regierte er das Land bis Ende Januar 2014. Abgelöst wurde er
vom jetzigen Premier Alexis Tsipras vom Bündnis der Radikalen Linken „Syriza“.
Steht die Nea Dimokratia vor einer Spaltung?
Die zweitgrößte Partei des Landes erlebt die tiefste Krise ihrer Geschichte und wird von
der Spaltung bedroht. Man spricht sogar vom möglichen Ende der Ära der Nea
Dimokratia.
Es besteht die Gefahr, dass die ohnehin innerlich zerrissene Partei nun
auseinanderbricht. „Vor einem Auseinanderbrechen habe ich keine Angst, denn ich sehe
es.„ sagte Yiannis Varvitsiotis, Urgestein der Partei und ihr langjähriger stellvertretender
Vorsitzender.
2 Und wie reagiert die Partei von Alexis Tsipras auf die Entwicklungen bei der ND?
„Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen“. Die amtliche
Presseerklärung von Syriza „bedauerte“ die Probleme der größten Oppositionspartei,
weil das Land eine verantwortungsbewusste Opposition dringend nötig habe.
Über ein mögliches Auseinanderbrechen der ND wird in den politischen Kreisen Athens
heftig diskutiert. Mehrere Szenarien werden erörtert. Sie reichen von der Schaffung einer
neuen Rechtspartei bis hin zur Entstehung einer Partei der liberalen Mitte. „Nur ein
verstärktes politisches Engagement aller Parteimitglieder kann das Trauma der ND heilen.
Das Land braucht eine starke und geeinte Mitte-Rechts Partei“ so lautet die Botschaft von
Kyriakos Mitsotakis.
Die Partei ist im Augenblick auch auf der Suche nach einer neuen, zuverlässigen
Informatikfirma, damit die Urwahl möglichst bald stattfinden kann.
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