Arbeitsproben / Probeübersetzungen – ja, nein, vielleicht und

Arbeitsproben / Probeübersetzungen – ja, nein, vielleicht und warum (nicht)?
Heute möchten wir ein sehr kontrovers diskutiertes, sehr heißes Eisen aus der Welt der Übersetzer
näher beleuchten. Die folgenden Überlegungen sind als Entscheidungshilfe für Sie gedacht, wenn Sie
einer Ihrer bestehenden oder potenziellen Kunden um eine Probeübersetzung bittet.
Die Bitte um eine Arbeitsprobe (auch „Probeübersetzung“) ist nicht auf Übersetzer beschränkt,
sondern ist im Dienstleistungssektor allgemein und in der Industrie anzutreffen. Ehe wir auf die
Vergütung einer solchen Arbeitsprobe und ihre eventuellen Einsatzmöglichkeiten zu sprechen
kommen, möchten wir Ihnen ein paar Beispiele für Arbeitsproben geben.
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Angestellte vereinbaren eine Probezeit mit ihrem Arbeitgeber.
Designer und Grafiker präsentieren ihre Ideen mithilfe einer Studie.
Steuerberater und Rechtsanwälte bieten ein kostenloses Erstgespräch an.
In der Industrie werden Produktproben und Probefertigungen versendet und durchgeführt.
Im Handwerk gibt es den Probearbeitstag.
Auch wenn diese Beispiele nicht direkt mit einer Probeübersetzung vergleichbar sind, sie verfolgen
alle denselben Zweck: Es geht darum, sich gegenseitig kennen zu lernen und festzustellen, ob die
gegenseitigen Erwartungen an das Produkt und die jeweilige Arbeitsweise zueinander passen.
Probeübersetzungen sind in aller Regel nicht als Nachweis Ihrer Kompetenzen als Übersetzer zu
verstehen, sondern es geht darum, ob Ihr Schreibstil zum Auftraggeber passt und ob und wie weit Sie
sich dem Stil Ihres möglichen Auftraggebers anpassen (oder ihn verbessern) können.
Diese Arbeitsproben sollten in keinem Fall mehr als 200 bis maximal 300 Wörter umfassen und
entweder ein beim Kunden hierfür verwendeter Standardtext oder ein mit dem Kunden gemeinsam
ausgewählter Text sein. Das kann, je nach Ihrem Fachgebiet, ein Abschnitt aus einer Internet- oder
Intranetseite des Kunden, aus einer Broschüre, einer Bilanz, einem Handbuch etc. sein. Auch hier gilt:
Je mehr Informationen Sie im Vorfeld sammeln, umso besser wird Ihre Übersetzung. Ihr
Auftraggeber möchte wissen, ob Sie die Person sind, die genau das ausdrücken kann, was er nicht in
Worte kleiden kann – und Sie wollen den Erstauftrag und eine möglichst langfristige
Geschäftsbeziehung.
Fertigen Sie diese Arbeitsprobe mit derselben hohen Qualität, die Sie Ihren „normalen”
Übersetzungen zugrunde legen, an. Wenn Sie sie dem Kunden zuschicken, schlagen Sie gleichzeitig
einen Gesprächstermin vor, denn Sie wollen ein Ergebnis. Stellen Sie sich insbesondere bei
Marketingtexten aller Art auf Änderungswünsche des Kunden ein, nutzen Sie Ihre Arbeitsprobe und
erläutern Sie ihm, wie er mit dem von Ihnen gewählten Stil ganz neue Marktsegmente erschließen
kann. Ein Beispiel:
Eine bekannte Marke für Outdoor-Kleidung möchte ihre Webseiten moderner, dynamischer
gestalten, um ihre – bisher eher bei älteren Outdoor-Enthusiasten beliebte Kleidung und Ausrüstung
– auch an jüngere Kunden zu bringen. Die Webseiten richten sich in Wortwahl und Stil jedoch an den
bisherigen Kundenstamm und die Marke ist deshalb bei jüngeren Outdoor-Fans nicht gerade beliebt.
Ihr möglicher Kunde weiß zwar, welche Kunden er gewinnen will – aber nicht wie.
Hier kommt Ihre Probeübersetzung ins Spiel. Bieten Sie sie an. Sprechen Sie den Text mit dem
Kunden ab. Und dann schreiben Sie einen Text, der dem Lebensgefühl der jüngeren Outdoor-Fans
entspricht und erklären Sie Ihrem Kunden, dass Sie nicht einfach übersetzen, sondern professionelles
Copywriting anbieten. Ihr Probetext ist Ihr „Muster”, Ihr Beispiel dafür, wie Ihr Kunde mit Ihrer
professionellen Unterstützung endlich zu seinem gewünschten, jüngeren Kundenkreis kommt.
Erläutern Sie ihm, weshalb Sie bestimmte Begriffe und Ausdrucksweisen verwendet haben, weshalb
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sie andere Begriffe, die eher bei älteren Käufern ankommen, jüngere Käufer eher abschrecken und
welche kulturellen Unterschiede zwischen den jeweils angesprochenen Käuferkreisen in der
Ausgangs- und Zielsprache bestehen.
Oder Sie stehen, wie ich selbst vor einigen Jahren, vor dem Problem, dass ein sehr interessanter
potenzieller Kunde um eine Referenz bittet. Meine einzige Referenz in diesem Nischenfachgebiet war
damals der direkte Wettbewerber dieses Kunden, den ich unmöglich nennen konnte. Meinem
damaligen potenziellen und heutigen Stammkunden habe ich eine Probeübersetzung zu einem
Pauschalhonorar angeboten. Wir haben uns auf einen Text geeinigt, der sowohl zum verhandelten
Gesamtauftrag gehörte, als auch vom Kunden veröffentlicht werden sollte. Die Probeübersetzung
habe ich später mit dem Gesamtauftrag verrechnet.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Sie Ihre Probeübersetzung abrechnen und weiter verwenden
können, denn das Copyright gehört auch in diesem Fall bis zur vollständigen Bezahlung durch den
Auftraggeber Ihnen. Auch dazu haben wir ein paar Beispiele für Sie zusammengestellt:
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Sie können Ihre Arbeitsprobe verrechnen, das heißt, der Kunde bekommt den für die
Probeübersetzung bezahlten Betrag bei Erteilung des Auftrags gutgeschrieben. Die
Einkaufsabteilung Ihres Kunden freut sich über den „Nachlass”, Sie haben Ihre
Probeübersetzung erfolgreich verkauft.
Sie können den Umfang der Probeübersetzung in die Kalkulation des Gesamtpreises
einfließen lassen und Ihrem Kunden auf diese Weise eine „kostenlose” Arbeitsprobe
zukommen lassen. Sie sollten jedoch darauf hinweisen, dass diese Arbeitsprobe nur bei
Erteilung des Gesamtauftrags kostenlos ist. Nennen Sie einen Preis und weisen Sie Ihren
Kunden ausdrücklich darauf hin, dass Sie diesen in jedem Fall in Rechnung stellen, wenn der
Auftrag anderweitig oder gar nicht vergeben wird.
Sie vereinbaren ein Pauschalhonorar für die Probeübersetzung.
Sie fertigen die Probeübersetzung tatsächlich kostenlos an, weisen Ihren Kunden jedoch
ausdrücklich darauf hin, dass damit das Copyright bei Ihnen bleibt und nur Sie allein diese
Übersetzung in jeglicher Form verwerten dürfen. Sie müssen hier jedoch darauf achten, dass
keine Geschäftsgeheimnisse im Text enthalten sind, insbesondere, wenn Ihr Probetext aus
dem Finanz- oder Entwicklungsbereich des Unternehmens stammt. Diese Übersetzung
können Sie - nachdem Sie den Namen des Kunden anonymisiert haben - beispielsweise auf
Ihrer Webseite einstellen, als Übersetzungsbeispiel auf die einschlägigen Portale hochladen
oder als Fallstudie verwenden, ohne dafür die Zustimmung des Kunden einholen zu müssen.
Probeübersetzungen sind in jedem Fall eine Investition, unabhängig davon, ob Sie sie nach einem der
oben genannten Beispiele abrechnen oder nicht. Sie können sie tatsächlich nutzen, um einen noch
zweifelnden, möglichen Neukunden zu gewinnen oder, falls sie tatsächlich kostenlos war, andere
mögliche Neukunden von Ihrem Können zu überzeugen.
Wenn Ihr Kunde eine Agentur ist und eine Probeübersetzung verlangt, achten Sie unbedingt darauf,
dass Sie einen Standardtext bekommen. Wenn Ihnen beschieden wird, dass man noch auf einen
passenden Kundentext wartet, nehmen Sie unbedingt Abstand! Das heißt nichts anderes, als dass
man dem Endkunden einen völlig unrealistischen Preis angeboten hat und/oder dass ein
möglicherweise sehr umfangreicher Text in mehrere kostenlose Probeübersetzungen
„umgewandelt” und dem Endkunden kostenlos oder gegen geringes Entgelt überlassen wird. Den
häufig gleichzeitig versprochenen Auftrag oder gut bezahlte Folgeaufträge erhalten Sie in der Regel
nie.
Das gilt auch, wenn man Sie um eine kostenlose Probeübersetzung bittet und Ihnen ein hohes
Auftragsvolumen verspricht, das in aller Regel mit Preisen unter 10 Cent vergütet werden soll, Sie
werden allerdings nie wieder etwas von diesem „Kunden” hören oder nur Kleinstaufträge erhalten.
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Giselle Chaumien hat Ihre Erfahrungen mit solchen Auftraggebern in Ihrem Blogeintrag
Probeübersetzung – nein danke auf Rüsterweg zusammengefasst. In allen diesen Fällen sollten Ihre
Alarmglocken schrillen und Sie dieses „Angebot” unbedingt ablehnen.
Einige Agenturen versenden in der Regel eine Standarddatei, in der mehrere Probetexte enthalten
sind. Niemand verlangt, dass Sie sie alle übersetzen. Suchen Sie sich den passenden Text aus. Ist die
Agentur seriös, wird das akzeptiert und Ihre Probeübersetzung auch bezahlt.
Es kann auch vorkommen, dass eine Agentur trotz jahrelanger Zusammenarbeit mit Ihnen, plötzlich
einen Probetext von Ihnen erbittet. Das hat nichts mit Ihrer Qualifikation oder der Qualität der
bisherigen Übersetzungen zu tun, sondern beruht in der Regel auf einem Wunsch des Endkunden,
der wissen möchte, ob man zueinander passt. Trifft Ihre Probeübersetzung, die von einer seriösen
Agentur selbstverständlich bezahlt wird, ins berühmte Schwarze, haben Sie den Auftrag.
Mit einer Probeübersetzung haben Sie ein häufig unterschätztes Werkzeug in der Hand. Sie sollten es
jedoch nur ausnahmsweise einsetzen, denn Sie müssen zunächst einmal Zeit dafür investieren, die
Ihnen dann nicht für einen bezahlten oder höher bezahlten Auftrag zur Verfügung steht. Sie werden
auch nicht jeden Kunden mit diesem Werkzeug überzeugen können. Wenn Sie hauptsächlich für
Agenturen arbeiten und/oder diese zurzeit hauptsächlich akquirieren, machen im Vorfeld gesendete
Probeübersetzungen keinen Sinn, sie werden nicht gelesen. Ist ein Kunde jedoch Erfolg versprechend
und es fehlt nur noch eine „Kleinigkeit”, mit der Sie ihn endgültig gewinnen, können Sie zum Beispiel
eine Probeübersetzung ins Spiel bringen.
Auch hier gilt: Je länger Sie im Geschäft sind, umso seltener wird man Sie um einen Probetext bitten.
Ob Sie generell keine Probetexte anbieten wollen oder dieses Angebot grundsätzlich machen, bleibt
Ihnen überlassen. Sie sollten, wenn Sie sich dafür entscheiden, jedoch daran denken, dass diese
Probeübersetzung ein mächtiges Werkzeug sein kann und eine Ausnahme bleiben sollte.
Sie entscheiden – und wir wünschen Ihnen viel Erfolg!
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