dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung Jeremia 29,11

DR. INGRID SPIECKERMANN
... dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung Jeremia 29,11
Predigt anlässlich des Ökumenischen Dankgottesdienstes
zum 33. Tag der Organspende
Hannover, 6. Juni 2015, 10:30 Uhr, Marktkirche
„Ich gehe einen Weg“. So hat uns die Gospelinitiative Gehrden soeben
gesungen, liebe Gemeinde. Und wir haben Sie noch im Ohr, die berührenden
Statements auf dem Weg: Von Julia Fricke, der durch zweimalige
Herztransplantation zweimal das Leben geschenkt wurde. Von Jörg
Bockelmann, der uns teilhaben ließ an der bedrängenden Situation eines
Wartepatienten. Von Ingo Meisenburg, der als Chirurg um die Not der
Wartenden und die Belastung von Spender-Angehörigen weiß und gerade
darum zu einer klaren Entscheidung motiviert. Von Juliane Brauner, die - wie
ihre Schwester - die lebensrettende Niere bekam und trotz Einschränkungen
und harten Rückschlägen ihr Leben meistert. Von Frauke Trojan, die froh ist,
dass sie ganz bewusst zur Organspende ihrer todkranken kleinen Tochter Ja
sagte, wodurch vier andere junge Menschen weiterleben können. Und von
Lina, die davon berichtet, wie schwer es war und wie dankbar sie ist für all die
Unterstützung, mit der eine zweite Lebertransplantation ihr das Leben rettete.
Ja, liebe Gemeinde, das geht nahe. So auf dem Weg zu sein. DANKE Ihnen
allen. DANKE, dass Sie bereit waren, so offen über Ihre ganz persönliche
Situation zu berichten. All das Schwere Ihres Weges nicht zu verschweigen.
Dem DANK, der heute viele hier zusammenführt, Ausdruck zu geben. Aber
auch der HOFFNUNG der großen Zahl derer, die warten.
Gerade war ja zu lesen, dass die Zahl der Organspender nach manchen
Verunsicherungen wieder leicht angestiegen ist. Um fünf Prozent. 72 waren es
im vergangenen Jahr in Niedersachsen. Aber: 944 Menschen warten hier auf
ein Spenderorgan. Da ist es wichtig, das alles zu hören und sich gut informiert
damit auseinanderzusetzen. Sich selber die Frage zu stellen: Will ich ein
Organ spenden? Kann ich dazu beitragen, dass jemand im Fall meines
Hirntodes durch mein Organ leben kann? Will ich im Falle des Hirntodes
meines Angehörigen eine Organspende ermöglichen?
„Ich gehe einen Weg“.
Ja, es sind viele, oft mühsame Wege, die da gegangen werden. Wege oft
voller Ungewissheit. Mit viel Mut. Aber auch mit vielen Fragen.
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Dieser 33. Tag der Organspende beginnt, wie jeder dieser Tage seit 2008, mit
einem DANKgottesdienst. Kann man das denn? Auf dem Weg mit so viel
Fragen Gott danken?
Die ökumenische Vorbereitungsgruppe aus Geistlichen und Betroffenen und
auch betroffenen Geistlichen hat diesem Gottesdienst das Motto gegeben:
... DASS ICH EUCH GEBE ZUKUNFT UND HOFFNUNG.
Es ist ein Wort aus dem Buch des Propheten Jeremia im Alten Testament. Ich
lese es einmal im Zusammenhang von c. 29,11:
Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der
HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe
ZUKUNFT und HOFFNUNG.
ZUKUNFT und HOFFNUNG. Große Worte. Damals wie heute. Damals wie
heute macht sich unsere Gesellschaft ja gern etwas vor. Malt die oft ziemlich
gemischte Realität gern rosarot. Tut so, als brauche es nur noch diesen oder
jenen Kniff, diese oder jene Anstrengung, dann sei alles in Ordnung. „Alles
gut.“ Sagen wir doch auch gern.
Der Prophet Jeremia ist da anders. Aus dem ganzen Prophetenwort spricht:
Die Zeiten sind alles andere als einfach. Schwierig sind sie. Und das wird
nicht beschönigt. Nichts ist mehr, wie es war. Die großen Zeiten des
Glaubens, in denen – zumindest im Rückblick – alles so einfach schien, sie
sind vorbei. Große Teile des Volkes sind im Exil. Im fremden Land.
Verschleppt. Unter Menschen anderer Kultur, Sprache und Religion.
Wie viele Deutsche haben das in den großen Kriegen des letzten
Jahrhunderts erfahren. Wie viele Menschen erfahren das heute, die eine neue
Heimat suchen.
Entwurzelt sein. Das gibt es ja auf vielerlei Weise. Entwurzelt sein. Im eigenen
Leben. Im eigenen Körper. Wenn wir plötzlich Organe fühlen, die wir nie
gefühlt haben. Wenn der Boden unter den Füßen brüchig wird.
Wir können die Depression, die es damals gab, nur ahnen. Und wir können
das Leid und die Verzweiflung Betroffener heute nur ahnen, wenn wir
Statements wie vorhin hören. Gott wischt sie in unserem Bibelwort nicht weg.
Er schaut hin. Er nennt sie beim Namen. Und mitten hinein sagt er: Ich weiß
wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr, Gedanken
des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und
Hoffnung.
Da tritt, liebe Organspende-Gemeinde, noch eine andere Dimension in unser
Leben. Keine Maschine. Keine Prognose, so wichtig sie ist. Kein: Ist doch
nicht so schlimm. Oder: Wird schon werden. Da tritt einer in unser Leben, der
sagt: Ich. Ja, noch mehr, der sagt: Ich weiß wohl. Ich weiß wohl, wie es um
dich steht. Ich weiß wohl um das Leid, die Mühsal, die Verzweiflung. Aber
auch das nicht nur, nicht allein. Sondern: Ich weiß wohl, was ich für
Gedanken über euch habe, spricht der Herr, Gedanken des Friedens und
nicht des Leides, dass ich euch gebe ZUKUNFT und HOFFNUNG.
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Das, liebe Gemeinde, können wir uns nicht selber sagen. Das leitet sich auch
nicht ab aus unseren Erfahrungen, gerade, wenn wir ehrlich sind mit uns
selber. Das kann nur einer sagen, der unser Leben selber in seiner Hand hält.
Und der, der das hier tut, sagt auch nicht: Das hast du nun davon. Hättest du
mal anders gelebt. Hättest du dich mal anders verhalten. Mal auf das und das
geachtet!
Die große Frage: Warum? Warum passiert mir das? Warum passiert meinem
Partner das? Meinem Kind? Warum ich? Sie wird nicht beiseite geschoben.
Sie wird aber umfangen von Gottes Wissen und Willen für uns: ... dass ich
euch gebe Zukunft und Hoffnung.
Das bedeutet im Sinn der Bibel Vertrauen selbst in der Unsicherheit: Nur
wenige Verse zuvor ruft Jeremia seinen verunsicherten Landsleuten im Exil
zu: Baut Häuser und wohnt in ihnen!, pflanzt Gärten und esst ihre
Frucht!... Sucht der Stadt Bestes, in die ich euch geführt habe.
Vertrauen. Kraft zum Leben. Kraft gegen den Tod. Gegen die vielen kleinen
Tode. Die Betroffenen haben davon berichtet. Sie spüren es nur deutlicher als
andere. Da sind sie überall. Kraft zum Leben: Durch die Ärzte, ihre
Zuwendung und ihre Kunst. Durch die Familie, die mitträgt und festhält. Die
Freunde. Kraft zum Leben durch Gottes Wort selber, das aufrichtet und stärkt.
Die Hand im Rücken, wo nichts sonst hält.
Kraft zum Leben. Auch über den Tod hinaus. Ich weiß wohl, was ich für
Gedanken über euch habe, spricht der HERR, Gedanken des Friedens
und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.
Dafür steht Jesus selbst ein. Es ist das immer wieder nicht fassbare
Geheimnis unseres Glaubens, dass Gott selbst uns Leben gibt, Kraft, Zukunft
und , wo wir am Ende sind.
Frau Brauner hat es vorhin aus dem Matthäusevangelium gelesen: Was ihr
getan habt einem unter diesen meinen geringsten Schwestern und
Brüdern, das habt ihr mir getan. Da bin ich selber mitten drin und schenke
euch Zukunft und Hoffnung, in Zeit und Ewigkeit.
„Ich gehe einen Weg“. Ja, wir sind auf dem Weg. Mit all den Fragen, mit aller
Not, aller Hilfe, allem Beistand, allem Glück, die wir einander geben können.
Aber in dem allen ist Er mit uns auf dem Weg. Sind wir gehalten und
umfangen durch den, der Zukunft und Hoffnung gibt. Auch durch uns.
So sagen wir, ohne die Augen zu verschließen, von Herzen DANK: den
Spendern und Angehörigen, den Ärzten, den Menschen, die begleiten, Gott
selbst. Und lassen uns ermutigen zu eigener, getroster Entscheidung: Denn
ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR:
Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe
Zukunft und Hoffnung.
Amen.