18. Der Ressourcenboom und seine Folgen. Rekonfigurierungen von Landschaften, Territorien und symbolischen Bezugssystemen Karin M. Naase und Carsten Wergin Discussant: Andrea Behrends Der globale Wettlauf um sogenannte natürliche Ressourcen hat bis in den entlegensten Gebieten der Erde zu Verwerfungen und Krisen geführt. Er verändert die Lebensbedingungen lokaler Bevölkerungsgruppen nachhaltig, denn die Ausbeutung von Bodenschätzen, Böden, Wäldern und Wasserressourcen schädigt die Umwelt. Zudem werden Eigentums- und Verfügungsrechte zuungunsten lokaler Praktiken in Privatrecht überführt bzw. werden natürliche Ressourcen auch illegal angeeignet. Lokale Produktionssysteme werden unterminiert, territoriale und symbolische Bezugssysteme entfremdet sowie soziale Organisationsformen zerstört. Häufig wird außerdem durch entsprechende Aneignungsprozesse (trans-)nationaler Großunternehmen die Abwanderung lokaler Bevölkerung in urbane Gebiete initiiert bzw. werden bestehende Tendenzen verstärkt. Diese Entwicklungen sind global festzustellen. In unserem Workshop wollen wir lokale Auswirkungen des Ressourcenbooms anhand empirischer Forschungen in unterschiedlichen Regionen vergleichend zur Diskussion stellen. Gefragt wird nach den Voraussetzungen und Ursachen lokaler Aneignung von Naturressourcen durch (trans-)nationale Unternehmen sowie nach den Auswirkungen dieser Prozesse auf lokale (indigene und nicht-indigene) Bevölkerungsgruppen. Unser besonderes Augenmerk liegt auf den Reaktionen lokaler Bevölkerungsgruppen angesichts von Ab- und Raubbau von Natur: Welche Formen von Widerstand sind möglich? Inwieweit durchlaufen betroffene Gruppen soziale, territoriale und symbolische Anpassungsprozesse? Schließlich werden wir anhand der Fallbeispiele diskutieren, inwieweit übergreifende Systematiken zu erkennen oder Prozesse als singulär zu betrachten sind. Hierbei ist gerade die Rolle der jeweiligen Nationalstaaten zu berücksichtigen. Wir wünschen uns regional breit gestreute Beiträge und einen intensiven Austausch darüber, inwiefern die beobachteten Aneignungsprozesse und Transformationen als Teile von lokalen bzw. globalen Krisen zu deuten sind oder auch als wirtschaftliche und soziopolitische Chancen für die lokale Bevölkerung verstanden werden können. Vorträge: Oliver D. Liebig, Ludwig-Maximilians-Universität München Der Wind der Ikojts. Neue Konzeptionalisierungen von Natur, Ressourcen und Territorium im Spannungsfeld erneuerbarer Energien Die Erschließung von Wind als Energieressource lässt Regionen wirtschaftlich attraktiv werden, die bislang weder von unternehmerischer noch staatlicher Seite Beachtung erfuhren. In Mexiko am Isthmus von Tehuantepec entstehen jedes Jahr ab Oktober starke Nordwinde, die für sechs Monate anhalten. Dieses Umweltphänomen betrachten transnationale Unternehmen sowie der mexikanische Staat als „grüne“ und dringlich benötigte Ressource. Durch eine Intensivbebauung soll die weltweit größte regionale Konzentration von Windturbinen erreicht werden. Im Gegensatz dazu sehen die dort siedelnden Ikojts – besser bekannt unter ihrer Sprachgruppe Huave – Umwelt, Biodiversität und damit in Zusammenhang stehende kulturelle Praxisformen bedroht. Seite 1 von 4 In der Folge werden nicht nur krisenhafte Konflikte zwischen den jeweiligen Akteuren verstärkt, es müssen sich auch konkurrierende Vorstellungen von „Natur“, „Ressourcen“ und „Territorium“ neu zueinander positionieren und verändern sich dabei wechselseitig. Im Rahmen des Vortrags werde ich diese komplexen Formen des Austauschs und der transkulturellen Interaktion von Menschen, Umwelt, Wissen und Technologien im Feld der erneuerbaren Energien analysieren. Ana Echeverría, Ludwig-Maximilians-Universität München Verhandlungen von Zugehörigkeit. Eine Gemeinde im Bergbaukontext der Peruanische Anden Peru setzt für seine wirtschaftliche Entwicklung auf die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, auch gegen lokalen Widerstand. Mitten im Gebiet der Kupferkonzession Las Bambas in Apurímac liegt Fuerabamba, eine comunidad campesina, die bis vor zehn Jahren noch von Landwirtschaft und Viehdiebstahl lebte. Die meisten ihrer jüngeren Mitglieder waren in die Städte migriert und sind erst nach der Konzession zurückgekehrt. Ihre Rückkehr ist neben der Vorbereitung des Bergbaus der größte Einflussfaktor in der Transformation. Die Menschen versuchen einerseits, ihre Vorstellung der Gemeinde zu erhalten. Andererseits möchten sie die wirtschaftliche Chance, die sich ihnen bietet, nicht verpassen. Dies geschieht zu Lasten der Einigkeit innerhalb der Gemeinde; unterschiedliche Mitgliederkategorien entstanden. Etwaiger Widerstand verläuft in engen Grenzen; die meiste Zeit verhandelt die Junta der Gemeinde eng mit der Bergbaufirma und hat dabei im Vergleich große Zugeständnisse erreicht. Diese Verhandlungen ebenso wie die veränderten Lebensbedingungen und die drohende Umsiedlung begründen eine Krise der hergebrachten Konzepte und Praktiken, die sich etwa am Landkonzept analysieren lassen. Katharina Farys, Freie Universität Berlin Ressourcennutzung im Wandel. Transformationen eines Waldes und deren Auswirkungen auf die Lebensbedingungen im Biosphärenreservat Calakmul, Mexiko Die Region Calakmul, mit dem größten tropischen Regenwaldbestand Mexikos, hat hinsichtlich der Nutzung ihrer sogenannten natürlichen Ressourcen einen signifikanten Wandel durchlebt. Anfang des 20. Jahrhunderts lag der Nutzungsschwerpunkt auf der kommerziellen Abholzung durch US-amerikanische Unternehmen. Anschließend wurden bestehende Waldflächen von der ansässigen Bevölkerung gerodet und kultiviert. Die Subsistenzwirtschaft spielt auch heute noch eine große Rolle, kollidiert jedoch zunehmend mit Tourismusprojekten und politischen Umweltschutzmaßnahmen, wie zum Beispiel der Ernennung zum Weltkulturerbe (2014). Die sich gegenüberstehenden unterschiedlichen Interessen und Rechtsansprüche führen zu Konflikten und beeinflussen die lokalen Wirtschaftsweisen, territorialen Bezugssysteme und familiären sowie gemeinschaftlichen Organisationsstrukturen. Anhand empirischer Daten wird aufgezeigt, wie es zu dem Paradigmenwechsel bei der Verwendung natürlicher Ressourcen kam und welche Vor- und Nachteile sich für die lokale Bevölkerung durch die Aneignung und Ablehnung neuer „Umwelt-“ bzw. Unternehmensinitiativen aufgetan haben. Jannik Schritt, Georg-August-Universität Göttingen Öl und Territorialisierung in Niger Seite 2 von 4 Mit dem Aufbau der Erdölinfrastruktur in Niger 2008 wurden symbolische Prozesse der Territorialisierung ausgelöst. Während sich die Ölreserven Nigers in der östlichsten Region Diffa befinden, wurde die Ölraffinerie in der Nachbarregion Zinder installiert. Von dort aus wird der Großteil der raffinierten Produkte in die Hauptstadt Niamey im Westen des Landes gebracht. Vor diesem Hintergrund verhandeln politische Akteure in den jeweiligen Regionen die Frage nach Eigentumsrechten an natürlichen Ressourcen entlang regionaler Identitäten. Während in der Hauptstadt Niamey ein neuer Ressourcennationalismus entsteht, der eine Subvention von Kraftstoffen fordert, beanspruchen politische Akteure in Zinder regionale Bevorzugung in Form von regionalen Arbeitsquoten und regionalen Benzinpreisen. Sie bedienen sich dabei Narrativen historischer Marginalisierung und behaupten, am stärksten von den negativen Auswirkungen der Erdölförderung betroffen zu sein. In Diffa hingegen wehren sich die politischen Akteure gegen die Enteignung „ihres“ Öls. Sie sehen in der Raffinerie zuallererst Vorteile für die Region Zinder durch die Entstehung von Arbeitsplätzen und Handel. Cornelia Günauer und Afra Schmitz, beide Johannes Gutenberg-Universität Mainz Widerstand dem Widerstand. Strategien lokaler Akteure im Wettstreit um Ressourcen in Indien und Ghana Gerade in marginalisierten Regionen ressourcenstarker Länder hat der Abbau von Bodenschätzen verheerende Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung. In Meghalaya, im Nordosten Indiens, ist der Kohleabbau ein zentrales Streitthema; in der Upper West Region Ghanas bereitet eine australische Minengesellschaft den Goldabbau vor. Die Suche bzw. der Abbau von Ressourcen führt in beiden Fällen zu Umweltverschmutzung und Landkonflikten. Der Zuzug (illegaler) Arbeitsmigranten sowie Uneinigkeiten betroffener Akteure über das Recht auf Bodenschätze führen zur Destabilisierung der Sozialstruktur und fördern soziale Missstände. Umso überraschender sind die Dynamiken und Strategien des lokalen Widerstands. Während sich in Meghalaya Streiks und Proteste gegen das staatliche Verbot des Kohleabbaus richten, spalten interne Streitigkeiten um die Legitimität des Goldabbaus durch Privatpersonen den Widerstand in Upper West. Die lokalen Akteure berufen sich dabei auf die Rechte indigener Gruppen, stellen Fragen nach Zugehörigkeit und fordern Mitspracherechte. Der Vortrag analysiert diese Widerstandsprozesse vergleichend im Hinblick auf gemeinsame Dynamiken und Strategien in ihrer lokalen Umsetzung. Martina Grimmig, Universität Bremen Holzwege. Machteffekte der Koproduktion Der Beitrag thematisiert die Auswirkungen von Ressourcenbooms aus einer historischen Perspektive. Im Fokus steht eine Waldregion im Südosten Venezuelas, die seit Jahrzehnten von Konflikten um Waldzerstörung, Gold, Landrechte und Naturschutz geprägt ist. Mit dem Begriff der Koproduktion wird eine theoretische Perspektive eingeführt, die die Hervorbringung natürlicher Ressourcen und lokale Dynamiken und Artikulationen des Kulturellen als eng verwobenen Prozess analysiert und den Blick für ihre produktiven Verbindungen, Verwerfungen und „Reibungen“ schärft. Am Beispiel der Ressource Holz zeige ich, wie die venezolanische Forstwirtschaft früh in Diskurse um Staatlichkeit und Souveränität eingebettet wurde. Dies artikulierte sich zunächst in symbolischen und formalen Aneignungsstrategien des Staates. Im Kontext einer nationalen Krisensituation Ende der 1980er Jahre wurde mit der Vergabe von Forstkonzessionen an nationale Konzerne eine aggressive Erschließungspolitik eingeläutet, die in der Chavez-Ära Seite 3 von 4 kaum geändert worden ist. Dabei erweisen sich Machteffekte als zentral für Schwierigkeiten der indigenen Bevölkerung, alternative Ansprüche auf Land und Ressourcen zu artikulieren. Karin M. Naase, Philipps-Universität Marburg Der Run auf die Naturressourcen und der Staat. Ausverkauf der Interessen der lokalen Bevölkerung? Es wird die Rolle des Nationalstaates bei der Ausbeutung von Naturressourcen anhand von eigenen empirischen Arbeiten sowie anhand von Inputs aus den Beiträgen dieses Workshops diskutiert. Der Staat in seiner Funktion als Eigentümer des nationalen Territoriums und der sich darin befindlichen Ressourcen kommt häufig seiner Aufgabe als Garant des Interessensausgleich nicht ausreichend nach. Konflikte um Naturressourcen sind vorprogrammiert; und dies umso mehr wenn unterschiedliche Rechtsregimes, Territorialitätsverfassungen und Interessen unter den beteiligten Akteuren aufeinander treffen. Naturressourcen befinden sich häufig in peripheren Territorien, in denen bis dato als marginal erachtete lokale Bevölkerungsgruppen leben. Unter Verwendung moderner Machttechnologien (Partizipation, Raumordnung, statistischer Kennzahlen) moderiert der Staat die Konflikte um Ressourcen und trägt sie unterschiedlich aus; ggfs. delegiert er diese Aufgaben auch an die interessierten Unternehmen (corporate social responsability). Die lokale Bevölkerung sieht sich einem übermächtigen Geflecht von Interessen ausgesetzt, und es fällt ihr schwer den eigenen Standpunkt zu identifizieren und durchzusetzen. Seite 4 von 4
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