Das Magazin der Kulturstiftung der Länder 4 2015 SCHRIFTEN RETTEN ERHALTUNG DES SCHRIFTLICHEN KULTURGUTS PHILIPP FRANCK IN BRANDENBURG MECKLENBURG- VORPOMMERN: DIE SAMMLUNGEN HENRY STOLL UND AUGUST SCHMIDT EDITORIAL Wettlauf gegen die Zeit Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder Liebe Leserin, lieber Leser, Prinz Karl war ständiger Begleiter seiner Halbschwester Königin Luise von Preußen. Als Herzog nahm er 1813 an den Befreiungskriegen teil und wurde 1816 zum kommandierenden General des preußischen Garde- und Grenadierkorps ernannt. Ab 1827 Präsident des Preußischen Staatsrates, dem Beratungsgremium der Krone Preußens. Karl Herzog zu Mecklenburg-Strelitz (Hannove r 1 7 85- 1 83 7 ) Marm or A lb er t Wo lff (Neustre lit z 1 81 4 - 1 89 2 B e r l i n) Rückseiti g sign ie r t : A : WO L F F fe c : 1 8 3 9 Höhe: 66 c m G a l e r i e N e u s e Ku n s t h a n d e l G m b H , A c hi m N e u s e Vo l ke r Wurs ter Co nt res c a rp e 1 4 , 28 2 0 3 B re m e n, Te l . : 04 2 1 3 2 56 4 2 , w w w. galerieneus e . co m Papier ist geduldig, sagt der Volksmund. Und in der Tat: Ein zweihundert Jahre altes Buch können Sie in der Regel problemlos öffnen. Versuchen Sie das mal mit einer zwanzig Jahre alten Computer-Diskette… Aber dennoch: Papier ist nicht von unbegrenzter Haltbarkeit. Wie alles Organische strebt auch Papier dem Verfall zu. Und zwar im wahrsten Sinn des Wortes: Papier zerfällt. Holzschliff und Harzleim sind es, deren Säurebestandteile das Papier von innen heraus zerfressen. Und gerade die „modernen“ Papiere ab der Mitte des 19. Jahrhunderts sind hiervon besonders betroffen, Papiere, deren massenhafte Herstellung Zeugnis ablegt von Beginn und Aufstieg des bürgerlichen Zeitalters mit seiner neuen, öffentlichen Kommunikation. Nur ein Beispiel: Gab es in Berlin um 1800 ganze zwei Tageszeitungen (die übrigens mitnichten täglich erschienen), konkurrierten einhundert Jahre später schon Dutzende Zeitungen, Zeitschriften und Magazine um eine exponentiell gewachsene Leserschaft. Kein Wunder also, dass Bibliotheken und Archive als unsere kulturellen Gedächtnisse in besonderem Maße Bestände aus dieser Zeit bewahren – und damit vor dem gewaltigen Problem des Papierzerfalls stehen, vor allem durch den „Säurefraß“. In der Dezemberausgabe von Arsprototo möchten wir Ihnen darum die Initiative „KEK“ vorstellen, die „Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts“, mit welcher Bund und Länder gemeinsam versuchen wollen, die Zeugnisse unserer Geschichte in Biblio theken und Archiven koordiniert zu restaurieren und so vor der Zerstörung zu bewahren. Ein Wettlauf gegen die Zeit! ARSPROTOTO 4 2015 Vorstellen möchten wir Ihnen mit diesem Heft auch eine ganz besondere Partnerin der Kulturstiftung der Länder seit vielen Jahren: die Ernst von Siemens Kunststiftung. Sicher haben Sie den Namen dieser wichtigen Institution im Zusammenhang vieler Erwerbungen in Arsprototo oft gelesen. Nicht von ungefähr: Denn die Ernst von Siemens Kunststiftung hat zahlreiche herausragende Ankäufe, aber auch Restaurierungen und Ausstellungen in Deutschland unterstützt, die ohne diese Hilfe nicht hätten realisiert werden können. Wir freuen uns daher sehr, dass wir auch in Sachen Arsprototo mit der Ernst von Siemens Kunststiftung zusammenarbeiten werden. Künftig stellt die Stiftung in jeder Ausgabe eine besondere Erwerbung für ein Museum vor, in diesem Heft auf den Seiten 46/47 das Gemälde „Achill empfängt die Gesandten Agamemnons“ von Gottlieb Schick für die Staatsgalerie Stuttgart. Mir bleibt, Ihnen und Ihren Familien eine schöne Weihnachtszeit und einen geruhsamen Jahreswechsel zu wünschen und Ihnen ab Seite 52 unser SammlerPorträt von Henry Stoll und August Schmidt in Neubrandenburg zu empfehlen, mit welchem wir das Land Mecklenburg-Vorpommern würdigen möchten. Ein gutes Jahr für die Kulturstiftung der Länder liegt hinter uns. Bleiben Sie uns gewogen. Ihre Ein Band der „Ersch-Gruber“, der mehr bändigen „Allgemeinen Encyclopädie der Wissenschaften und Künste“ (1818 –1889), aus dem Jahr 1840; Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz 3 AUTOREN URSULA HARTWIEG Im Studium schärfte die Arbeit für den Buchwissenschaftler Bernhard Fabian und sein „Handbuch der historischen Buch bestände in Deutschland“ Ursula Hartwiegs Blick für die besondere Überlieferungssituation historischer Buchsammlungen. Als Referentin in der Staatsbibliothek zu Berlin stand für Hartwieg die kooperative Erschließung der historischen Drucke im Mittelpunkt. So fügte sich die ab 2010 anstehende Etablierung und Leitung der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) mehr als konsequent in Hartwiegs Arbeitsfeld: Der Originalerhalt des schriftlichen Kulturerbes, quer durch alle Gedächtnisinstitutionen, erfordert eine sparten- und trägerübergreifende Sicht. Mit der KEK wurde unter Achtung der Kultur hoheit der Länder die Überlieferung des Schrifterbes erstmals auf Bundesebene verankert. Ursula Hartwieg erläutert im Interview, wie dem schriftlichen Kulturgut Deutschlands seine Stimme im europäischen Konzert weiter garantiert werden kann. ––– Seite 20 IMPRESSUM München war eine einzigartige, über 1.200 Seiten zählende und mit farbenprächtigen Miniaturen versehene persische Handschrift (siehe Arsprototo-Titel): Grüne Tusche bedrohte die wertvolle Kalligraphie, die Seiten begannen zu zerbrechen, weil kupferhaltige Farbe einen Abbauprozess im Papier auslöst. Ein im Münchner Institut entwickeltes Verfahren stoppt nun die Migration der gefährlichen Teilchen. Ein glücklich gelöster Fall für das IBR, das als international renommiertes Kompetenzzentrum für Restaurierungsfragen agiert und sich für die Erhaltung des schriftlichen Kulturerbes in den Bibliotheken des Freistaats Bayern einsetzt. Irmhild Schäfer, an der Staatsbibliothek auch verantwortlich für die Weiterentwicklung von Restaurierungstechniken, beschreibt in Arsprototo die komplexe Rettung der Prachthandschrift aus dem 16. Jahrhundert. ––– Seite 26 4 3 EDITORIAL 4 AUTOREN / IMPRESSUM 8 Herausgeberin Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder Projektleitung Dr. Stephanie Tasch Chefredakteurin Carolin Hilker-Möll Geschäftsführender Redakteur Johannes Fellmann Redaktionelle Mitarbeit Jenny Berg, Elisa Kaiser, Maika Stobbe Senior Editor Dieter E. Beuermann Consulting Editor Dr. Philipp Demandt Konzeption und Gestaltung Stan Hema mit Vladimir Llovet Casademont, www.stanhema.com Vertriebsleitung, Abonnement, Internet Johannes Fellmann Anzeigen Jenny Berg, Telefon 030 - 89 36 35-21 TEILARCHIV VON KURT JOOSS INGEBORG BECKER Als Direktorin des Bröhan-Museums in Berlin hatte Ingeborg Becker dem Maler der Berliner Secession Philipp Franck im Jahr 2010 den großen Auftritt verschafft: In Kooperation mit Martin Großkinsky vom Museum Giersch Frankfurt entstand die umfangreiche Retrospektive „Vom Taunus zum Wannsee – Der Maler Philipp Franck“. Für Arsprototo entflieht Ingeborg Becker der fortschreitenden Industrialisierung um 1900 auf einer imaginären Reise mit dem Künstler Philipp Franck in den Spreewald: Dort entdeckt sie das geheimnisvolle Licht und die detailreichen Interieurs der länd lichen Stuben, in denen Franck die suggestive Macht der Spinnkunst neu vor unseren Augen entstehen lässt. ––– Seite 42 Titelbild: SchāhnāmeHandschrift, Bl. 297r: Bankett anlässlich der Thronbesteigung von König Luhrasb (Detail), um 1550 –1600, 1218 Seiten, 39 × 26 cm; Bayerische Staats bibliothek München, Cod.pers. 15 Nachdruck von Bildern und Artikeln, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Litho Mega-Satz-Service, Berlin Herstellung Buch- und Offsetdruckerei H. Heenemann GmbH & Co., Berlin Vertrieb OML KG , Berlin ISSN 1860 - 3327 20 ZERFALLENDE BÜCHER Thomas Prinzler im Gespräch mit Ursula Hartwieg und Isabel Pfeiffer-Poensgen über die nationale Initiative zur Rettung des schriftlichen Kulturerbes 25 URAHN VON POWERPOINT Restaurierung, Rekontextualisierung und Erschließung naturwissenschaftlicher Lehrtafeln an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg — von Frank D. Steinheimer 26 UPFER FRISST DAS K KÖNIGSBUCH Die Restaurierung einer persischen Prachthandschrift aus dem 16. Jahrhundert in der Bayerischen Staatsbibliothek in München — von Irmhild Schäfer 10 Arsprototo erscheint mit Unterstützung des Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder. Kulturstiftung der Länder Stiftung bürgerlichen Rechts Lützowplatz 9, 10785 Berlin Telefon 030 - 89 36 35-0 Fax 030 - 89 14 251 E-Mail [email protected] Internet www.kulturstiftung.de Generalsekretärin Isabel Pfeiffer-Poensgen Stellv. Generalsekretär Prof. Dr. Frank Druffner Dezernenten Dr. Britta Kaiser-Schuster; Dr. Stephanie Tasch Leiterin der Verwaltung Erika Lancelle Finanzbuchhalterin Angela Neumann-Bauermeister Sekretariat Gabriele Lorenz, Monika Michalak Assistentin des Vorstands Jenny Berg TITELTHEMA ERHALTUNG DES SCHRIFTLICHEN KULTURGUTS Abonnements Arsprototo – Abonnementservice, Bessemerstraße 51, 12103 Berlin E-Mail [email protected] Telefon 030 - 89 36 35-29 Fax 030 - 26 55 56‑71 Jahresabonnement: 20 Euro Erscheinungsweise Viermal jährlich Erscheinungstermin dieser Ausgabe: 10.12.2015 Gedruckte Auflage dieser Ausgabe: 15.000 IRMHILD SCHÄFER Die Kunsthistorikerin Irmhild Schäfer, 1994 mit einer Arbeit zu Technik und Material frühmittelalterlicher Bucheinbände promoviert, entdeckte bereits während der Magisterarbeit ihre Begeisterung für kostbare Handschriften. Ein besonderes Sorgenkind der heutigen Direktorin des Instituts für Bestandserhaltung und Restaurierung der Bayerischen Staatsbibliothek (IBR) in Arsprototo Das Magazin der Kulturstiftung der Länder Lützowplatz 9, 10785 Berlin Telefon 030 - 89 36 35-0 Redaktion 030 - 89 36 35-27 Fax 030 - 8914251 E-Mail [email protected] Internet www.kulturstiftung.de INHALT BÜSTE VON JOHANN JOACHIM WINCKELMANN von Salvatore de Carlis 12 T ANZMASKEN aus Neu-Britannien VON BÖSEN DÄMONEN UND SCHLIMMEN STUDENTEN 30 Die Farb- und Maltechnik der Naumburger Chorbücher von 1504 — von Robert Fuchs 14SCHADOGRAPHIE von Christian Schad 15FRAU MIT SCHLEIER von Otto Dix 16 ERKÜNDIGUNG AN MARIA V von Daniel Mauch Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. ARSPROTOTO 4 2015 5 INHALT EIN BESCHRIEBENES BLATT 36 Eine der weltweit ältesten indonesischen Handschriften muss vor dem Zerfall gerettet werden — von Thoralf Hanstein LÄNDERPORTRÄT MECKLENBURG-VORPOMMERN IN DER TRADITION DER BÜRGER LICHEN STIFTER 52 DIE MAPPEN DES MALERS 37 Die Korrespondenz des Künstlers Ernst MüllerScheeßel konnte für die Zukunft erhalten werden — von Maria Elisabeth Müller AUSGESCHNITTEN UND EINGEKLEBT 38 Rettung für Hans Falladas Rezensionssammlung — von Erika Becker 40 MUTTER UND SOHN IN NOT Helfen Sie mit: In der Kunsthalle Rostock braucht ein Selbstporträt der Malerin Kate Diehn-Bitt Unterstützung MÄDCHEN UNTER DER HAUBE 42 Ein Biomassekraftwerk in Südafrika +++ Verwandelt Rinderdung in Energie +++ Und deckt so 30 Prozent des Strombedarfs unserer Fabrik in Rosslyn +++ Die BMW Group +++ Wegweisend bei erneuerbaren Energien +++ Nachhaltig bei der Produktion von Fahrzeugen Die Sammlungen Henry Stoll und August Schmidt in Neubrandenburg — von Uta Baier 58 Der Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder unterstützte die Restaurierung des Porträts einer Hallenser Prinzessin 48 F ASSUNG BEWAHREN Mit Ihrer Hilfe konnte das Lübecker St. Annen-Museum ein spätmittelalterliches Relief restaurieren 50 NEUE BÜCHER 51 SPENDEN / ABONNIEREN / BILDNACHWEIS BMWGROUP.COM/WHATSNEXT KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN 62 PRINZESSIN MIT STATUSSYMBOLEN Die „Spreewälder Spinnerinnen“ von Philipp Franck kommen ins Wendische Museum in Cottbus — von Ingeborg Becker Mehr erfahren im Film unter: 63IN MODE Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg präsentiert die modische Vielfalt der Frühen Neuzeit 64 NACHRICHTEN 66 S CHÖN IM DEPOT Bernd Lukasch über eine Fotomontage von Alex Krajewsky im Otto-Lilienthal-Museum in Anklam WARUM WIR FABRIKEN MIT BIOMASSE BETREIBEN? UM KEINE SPUREN ZU HINTERLASSEN. PRODUKTION NUR MIT ERNEUERBARER ENERGIE. FÜR UNS DER NÄCHSTE SCHRITT. ERWERBUNGEN RÜCKKEHR INS RHEINLAND Die zehn Männer scheinen heftig zu diskutieren. Im Scheinwerferlicht der Bühne geben sich die befrackten Herren aufgeregt, dann nachdenklich, dann gestikulieren sie wieder wild durcheinander, ehe sie ihre Köpfe konspirativ über den grünbezogenen Konferenztisch beugen. Mit seinem 1932 in Paris uraufgeführten Tanzdrama „Der Grüne Tisch“ wurde Kurt Jooss (1901–1979) über Nacht berühmt. In der stilprägenden Verbindung von klassischen und modernen Elementen entfaltete der Choreograph und Tänzer einen bittersüßen „Totentanz in acht Bildern“; bis heute wird sein Stück in Theatern weltweit aufgeführt. Mit der Gründung der Folkwang-Bühne 1928 in Essen legte der gebürtige Schwabe den Grundstein für die Durchsetzung und Ausformung eines neuen Tanztheaters. Seit der Uraufführung seines Anti-Kriegs-Balletts als einer der innovativsten Köpfe der internationalen Szene bekannt, kehrte der emigrierte Pädagoge 1949 ins Rheinland zurück, um seine Arbeit an der Folkwang-Schule, unter anderem als Lehrer von Pina Bausch, wieder aufzunehmen. Dem Deutschen Tanzarchiv in Köln ist es nun gelungen, ein bedeutendes Teilarchiv des erfolgreichen Tanzkünstlers zu erwerben. Anfang der 1970er Jahre hatte Jooss selbst das umfangreiche Material – darunter persönliche Manuskripte, Korrespondenzen, Notenschriften, Bühnenzeichnungen und Fotografien bedeutender Ateliers der 1920er und 1930er Jahre – für die Erarbeitung seiner Biographie und einer Ausstellung nach Stockholm geschickt, wo es verblieb. Die vom Künstler ausgewählten Dokumente zeichnen nicht nur ein umfassendes Bild seines Wirkens als Tänzer, Choreograph und Pädagoge, sondern ermöglichen darüber hinaus wertvolle Einblicke in die Kulturund Tanzgeschichte jener Zeit. Befindet sich der umfangreiche Nachlass Jooss’ seit 2002 im Kölner Tanzarchiv, ist die glückliche Wiedervereinigung jahrzehntelang ge trennter Bestände nicht nur für das Deutsche Tanzarchiv ein wahrer Glücksfall, sondern wird auch die Tanzforschung enorm be reichern. Collage aus: Impressionen aus dem Programm „Zwei Tänzer“ von Kurt Jooss und Sigurd Leeder (links oben); Materialien und Dokumente zum Ballett „Der Grüne Tisch“ aus der Stockholmer Kurt Jooss-Sammlung (rechts); Momentaufnahmen aus dem Unterricht an der Folkwangschule, um 1928 (links unten); Deutsches Tanzarchiv Köln Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Kunststiftung NRW 9 ERWERBUNGEN MANN AUS MARMOR Die in Versalien gemeißelte Inschrift annonciert den Porträtierten: Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), Begründer der wissenschaftlichen Archäologie und einer der Leitfiguren des europäischen Klassizismus. Rom war die ästhetische Inspirationsquelle, Wahlheimat des Gelehrten und der Entstehungsort der Skulptur: Im Auftrag des bayerischen Kronprinzen Ludwig (I.) von Salvatore de Carlis (1785 bis nach 1839) realisiert, gehörte die Büste zu den ersten Kunstwerken, welche die geplante Walhalla schmücken sollten. 1812 nach München gelangt, fand sie ihre Aufstellung bis 1837 im sogenannten Saal der Neueren der 1830 vollendeten Glyptothek, um danach in eine der Wittelsbacher Privatresidenzen überführt zu werden. So erzählt die Geschichte ihrer Aufbewahrungsorte vom Bedeutungswandel der Skulptur und dem Schicksal eines nur kurz vom Glanz fürstlicher Patronage begünstigten Künstlers. Den vom Kronprinzen präzise formulierten Auftrag hatte de Carlis gewissenhaft erfüllt: Aus Carrara-Marmor gefertigt, „ohne aller Costume in einer einfachen gerade vor sich hin sehenden Richtung“, in einer von Winckelmanns wahrscheinlich berühmtestem Zitat inspirierten „stillen ruhigen Seelengröße“. Dabei hatte de Carlis eine entscheidende Schwierigkeit zu überwinden: ein posthumes Bildnis eines ihm Unbekannten anzufertigen. Eine Porträtähnlichkeit war angesichts der seit dem Tod des Vorbilds vergangenen Zeit nicht zu erwarten; für die heutigen Betrachter stellt sich daher die Frage nach dem Bild, das sich die Nachwelt von Winckelmann machte. Dieser Frage kann nun in den Staat lichen Antikensammlungen und Glyptothek, München, nachgegangen werden, denn die Büste kehrt aus dem Kunsthandel an ihren ersten Ausstellungsort zurück. Salvatore de Carlis, Büste von Johann Joachim Winckelmann, 1808, Höhe 68 cm; Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München; bezeichnet vorne: IOHANN.WINKELMANN, signiert und datiert rückseitig: SALVATOR DE CARLIS.BILDHAUER VON.TRIENT AVSE TIRROL GEMACHT IN ROM.IM IAHR.j808 Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, Freistaat Bayern 10 RESTAURIERUNGEN Tanz der Masken Aus großen Augenringen blicken sie dem Besucher entgegen – mythische Wesen aus der Welt der Pflanzen und Tiere: In der Ozeanien-Ausstellung des Grassi Museums für Völkerkunde zu Leipzig zeugen wertvolle Tanz masken von der Kultur der Baining, einer Bevölkerungsgruppe der Gazelle- Halbinsel von Neu-Britannien im Bismarck-Archipel. Die äußerst aufwendig hergestellten und nahezu modern gestalteten Masken traten zu besonderen Feierlichkeiten auf, die dem Erhalt des Gleichgewichtes zwischen der Jenseitigen und der Welt der Menschen dienten. Nur den Männern war es erlaubt solche Masken herzustellen und damit aufzutreten; üblicherweise wurden die Masken nach einmaligem Gebrauch zerstört. Die Leipziger Masken wurden mehrheitlich 1913 von Phoebe Parkinson erworben, der Witwe des Plantagen besitzers und Ethnologen Richard Parkinson. Jedoch hatten die Ereignisse des letzten Jahrhunderts deut liche Spuren an den empfindlichen Materialien hinterlassen, so dass die Stücke nicht mehr gezeigt werden konnten. Dank des Restaurierungsbündnisses „Kunst auf Lager“ konnten nun mit Unterstützung der Kultur stiftung der Länder sechs der wert vollen Tanzmasken umfassend restauriert werden. Frisch gereinigt, mit Ergänzungen aus speziell bearbeitetem Rindenbaststoff / Tapa und mit den wieder stabilisierten Unterbauten aus Rattan kommen die charakte ristischen geometrischen Muster mit ihren feinen schwarz-roten Linien nun wieder intensiv zur Geltung. So ist die einzigartige Wirkung dieser auch für die Kunstgeschichte so wichtigen Masken in der Dauerausstellung des Grassi Museums wieder erlebbar. Tanzmasken aus Neu-Britannien, vor 1913; Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig 13 ERWERBUNGEN SCHLEIER- TANZ Schads Schattenbild Mystisch abstrakt formieren sich in einem kristallen anmutenden Rahmen dunkle Gebilde, scheinen sich geometrischen Figuren anzunähern, nur um aufzubrechen, sich zu zergliedern und schließlich der vollständigen Gegenstandslosigkeit zu erliegen: Das Fotogramm des Künstlers Christian Schad (1894 –1984), entstanden 1919, kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges, steht für die radikale Abkehr von der Gegenständlichkeit in der Kunst. Teil der später durch den Dadaisten Tristan Tzara als Schadographien bezeichneten künstlerischen Experimente mit Foto papier, verbildlicht die Schattenkomposition eine – so Schad – „Auflehnung gegen alles was bis dahin Bedeutung hatte“. Zuvor setzte man das Fotogramm – eine fotografische Technik ohne Kamera, die lediglich auf dem Zusammenspiel von Licht, Fotopapier und mehr oder weniger lichtdurchlässigen Objekten basiert – vor14 rangig in der Naturwissenschaft ein, um etwa die feingliedrige Struktur von Pflanzenblättern zu dokumentieren. Vom Abstraktionspotenzial fasziniert, erhob Schad das Verfahren zur künstlerischen Ausdrucksform und schuf aus Papierschnipseln und Fundstückenl scherenschnittartige Schattenbilder wie die Schadographie Nr. 11. Mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder erwarb die Stadt Aschaffenburg das guterhaltene Werk nun für das im Entstehen begriffene Christian Schad Museum und bringt im Zuge dessen erstmals eine solch frühe Schadographie in den Besitz einer deutschen Institution. Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Ernst von Siemens Kunststiftung, Kulturstiftung des Bezirks Unterfranken, Kurt Gerd Kunkel-Stiftung Aschaffenburg, Sparkasse Aschaffenburg-Alzenau Für die Wissenschaftler der Kunsthalle Mannheim war es ein überraschendes, ein elektrisierendes Wiedersehen mit einer alten Bekannten – fast 80 Jahre waren seit ihrem Verschwinden vergangen: Das Akt-Aquarell „Frau mit Schleier“, das in einem Londoner Auktionskatalog wieder auftauchte, war seit 1922 eines der graphischen Glanzstücke des Museums gewesen. Beschlagnahmt von den Nationalsozialisten in der Aktion „Entartete Kunst“ – der insgesamt 170 Gemälde und Skulpturen sowie 500 Graphiken der renommierten Mannheimer Avantgarde-Sammlung zum Opfer fielen –, verlor sich ab 1937 die Spur des frühen Dix-Werkes. Die „Tänzerin“ balanciert zwischen Verismus und Vision: Das Aquarell markiert einen ersten künstlerischen Höhepunkt im frühen Schaffen Otto Dix’ – so erweist sich der 1918 aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrte Maler hier bereits als Virtuose der Farbschleier und extrem dünnen Farbüberlagerungen. Vor einem abstrakten, zwischen gelb-grün und purpur-violett changierenden Hintergrund posiert eine weibliche Figur, deren Körper ein halbtrans parenter Spitzenschleier umspielt. Ungewöhnlich unbestimmt ist der Charakter des großformatigen Zeugnisses der „Neuen Sachlichkeit“: Die Aktfigur scheint Dix – Zeichner des großstädtischen Lebens und zeitgenössischer Milieustudien – einem Varieté, gar einer erotischen Postkarte entnommen zu haben. Doch die Schleiertänzerin wirkt wie eine aus dem kräftigen Kolorit entstiegene, beinah geisterhafte Vision. Der Stadt Mannheim gelang es, das Aquarell noch vor der Versteigerung direkt aus italienischem Privatbesitz zu erwerben. Die Papierarbeit, die noch bis Januar 2016 in der Ausstellung „Arche. Meisterwerke der Sammlung“ präsentiert wird, schließt nun eine der schmerzhaften Lücken, die der nationalsozialistische Bildersturm in der Kunsthalle Mannheim hinterließ. Otto Dix, Weiblicher Akt/Frau mit Schleier, 1922, 48 × 38,5 cm; Kunsthalle Mannheim Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung ARSPROTOTO 4 2015 15 ERWERBUNGEN HEIMGEKEHRTE VERKÜNDIGUNG Ergriffen sinkt Maria auf die Knie, die Arme schützend vor ihrer Brust: Gerade eröffnete ihr Erzengel Gabriel das Geheimnis – bald wird sie den Sohn Gottes gebären. Ihr in sich gekehrter Blick, das ihre Lippen umspielende Lächeln zeugen von ihrem inneren Aufruhr: Die Empfängnis durch den Heiligen Geist steht kurz bevor. Halt suchend schmiegt sich Maria an das neben stehende Betpult, das lange, weite Gewand legt sich schützend um die künftige Gottesmutter. Gabriel, der Bote Gottes, hat am Ort der Verkündigung in Nazareth seine Nachricht überbracht. Der geschnitzte Erzengel büßte zwar über die Jahrhunderte rechte Hand und Zepter ein, doch hat sich teilweise die originale Farbfassung mit Spuren jüngerer Übermalungen erhalten. Die exquisite Arbeit mit den tief ins Holz eingeschnittenen Falten, den fein ausgearbeiteten Haaren kann eindeutig der Hand Daniel Mauchs (um 1477–1540) zugeschrieben werden. Der Meister und seine Werkstatt erregten im wirtschaftlich blühenden Ulm mit originellen Altarretabeln Aufsehen. Nicht nur Mauchs plastische Reliefs im Zentrum des Schreins begeisterten die Zeitgenossen, sondern auch die auf den Seitenflügeln. Sowohl die geringe Tiefe der Verkündigung als auch die frontal ausgerichtete Kompo sition deuten bei diesem Stück auf eine Einbettung in die Innenseite eines Altar flügels hin. Nun feiert das Stück seine Heimkehr: Im Ulmer Museum, wo man den Meister bereits 2009 in einer großen Werkschau mit Leihgaben aus aller Welt präsentierte, gesellt sich nun das kostbare Relief zu dem bisher einzigen anderen Werk Mauchs der Sammlung. Daniel Mauch, Verkündigung an Maria, um 1510/15, 92 × 103 × 13,5 cm; Ulmer Museum Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, Verein der Freunde des Ulmer Museums, Sparkasse Ulm, Stadt Ulm, anonymer Förderer Doppelausstellung REINHOLD EWALD 1890–1974 noch bis 24. Januar 2016 Museum Giersch der Goethe-Universität www.museum-giersch.de Historisches Museum Hanau Schloss Philippsruhe www.ewald.hanau.de Die Doppelausstellung wird gefördert durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain Abonnieren Sie jetzt unseren Newsletter 16 Getragen wird der gemeinnützige Fonds vom Land Hessen, von Frankfurt am Main, dem Hochtaunuskreis und dem Main-Taunus-Kreis, Darmstadt, Wiesbaden und Hanau. Weitere herausragende Kunst- und Kulturprojekte finden Sie unter www.kulturfonds-frm.de / Facebook / Twitter Thomas Prinzler im Gespräch mit Ursula Hartwieg und Isabel PfeifferPoensgen über die Rettung des schrift lichen Kulturerbes — Seite 20 TITELTHEMA ERHALTUNG DES SCHRIFTLICHEN KULTURGUTS Frank D. Steinheimer über die Restau rierung naturwissenschaftlicher Lehr tafeln an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg — Seite 25 Irmhild Schäfer über die Restaurierung einer persischen Prachthandschrift in der Bayerischen Staatsbibliothek in München — Seite 26 Robert Fuchs über die Farb- und Maltechnik der Naumburger Chorbücher — Seite 30 Ernst Otto Bräunche über die erste in Deutschland empfangene E-Mail — Seite 34 IM ZEICHEN DER SCHRIFT Thoralf Hanstein über eine der weltweit ältesten indonesischen Palmblatthandschriften — Seite 36 Maria Elisabeth Müller über den Nachlass des Künstlers Ernst Müller-Scheeßel — Seite 37 Erika Becker über die Rezensions sammlung des Schriftstellers Hans Fallada — Seite 38 Fünf Bände des „Bulletin de la Société de Géographie“ (1822 –1899), das von der ältesten Geographischen Gesellschaft der Welt in Paris publiziert wurde; Staats bibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz 18 ARSPROTOTO 4 2015 19 TITELTHEMA ERHALTUNG DES SCHRIFTLICHEN KULTURGUTS ZERFALLENDE BÜCHER Thomas Prinzler im Gespräch mit Ursula Hartwieg, der Leiterin der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK), und Isabel Pfeiffer-Poensgen, der Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder, über die nationale Initiative zur Rettung des schriftlichen Kulturerbes S chimmelpilze, Käfer, Tinten- und Säurefraß – vielfältig sind die Ursachen für die Zerstörung von Büchern, Zeitungen, Handschriften, Noten und Akten in den Archiven und Bibliotheken. „Der leise Tod der Bücher“ hat das kürzlich eine Autorin genannt. Was geschieht da in den Regalen der Bibliotheken und Archive? Ursula Hartwieg: Da geschieht das, was wir selbst Tag für Tag erleben: Materie zerfällt. Kein Material ist für die Ewigkeit bestimmt. Es ist einfach nicht selbstverständlich, dass ein Buch, das wir heute im Regal haben, in 30 Jahren unverändert ist – da läuft ein Abbauprozess. Wenn ein Buch tausend oder tausendfünfhundert Jahre alt ist, kann man sich vorstellen, dass da der Zahn der Zeit nagt. Aber betroffen sind auch jüngere Bücher? Ursula Hartwieg: Richtig. Das sind einfach Schäden, die im Material angelegt sind. Das Hauptproblem ist, dass das Papier zerfällt. Säurefraß im Buch, in der Akte, in allem, was aus dem Papier hergestellt wurde, das es seit Mitte des 19. Jahrhunderts gibt. Damals wollte man immer mehr Schriften immer preiswerter herstellen und weiter ver breiten. Die Papierherstellung industri alisierte sich: In das Papier, das vorher vor allem aus Lumpen produziert wurde, brachte man ab Mitte des 19. Jahrhunderts Holzschliff ein. Darin und in der für dieses Papier erforderlichen Harz leimung sind Säurebestandteile enthalten, die das Papier auf die Dauer zersetzen. Papierzerfall wird deshalb auch gern als tickende Zeitbombe bezeichnet. Zur schleichenden Katastrophe tragen neben dem Säurefraß auch Schimmel und Insekten bei. Über welches Ausmaß reden wir? Isabel Pfeiffer-Poensgen: Alle sind betroffen, weil es Bibliotheken schon sehr lange gibt, und Archive ebenso. Es wird überall im Land versucht, allerdings mit viel zu geringen Mitteln, dieses Problems Herr zu werden. Denn in unseren Zeiten steht das schriftliche Kulturgut nicht unbedingt im Fokus, um das sich alle Parlamente oder auch Gemeinderäte, die Geld zur Verfügung stellen könnten, als erstes kümmern. Ursula Hartwieg, Isabel Pfeiffer-Poensgen und Thomas Prinzler beim Gespräch 20 Adressbuch der Dadaistin Hannah Höch (1889–1979), 2011 durch KEK-Förderung vor dem schleichenden Zerfall bewahrt; Berlinische Galerie – Museum für Moderne Kunst, Berlin Das Ulmer Münster oder der Kölner Dom werden wahrgenommen, die Handschrift in der Bibliothek, die Akte im Archiv nicht. Es gibt 3,7 Mio. laufende Meter Archivmaterial, das ist etwa die Entfernung zwischen Berlin und Grönland. In zehn Jahren wird es die Entfernung von Berlin bis zum Nordpol sein. Und 50 Prozent sind dort betroffen. Ursula Hartwieg: Maßgeblich ist das Problem des Papierzerfalls – das ist einfach flächendeckend in den Archiven präsent. Wenn wir über das Ausmaß des Problems in Bibliotheken sprechen, können wir schon – zum Glück – ein bisschen differenzieren. Bei Bibliotheken sprechen wir zum großen Teil von Mehrfachbesitz. Derselbe Titel ist einfach doch in vielen Bibliotheken vorhanden. Das, was in Bibliotheken an Druckproduktion vorhanden ist, muss nicht 1:1, kann auch gar nicht 1:1 gesichert wer- ARSPROTOTO 4 2015 den. Dafür ist das Problem einfach zu groß und das Verfahren der Massenentsäuerung zu teuer. Alles, was Archive nach einer Bewertung in ihren Bestand übernehmen, muss komplett den nachfolgenden Generationen überliefert werden. Es ist insgesamt unikal. Was sich in Bibliotheken befindet, ist nur zum Teil unikal. Wenn wir über Handschriften sprechen oder auch über die frühe Buchproduktion bis Mitte des 19. Jahrhunderts oder ein Buch, in das Günter Grass eine Notiz hineingeschrieben hat, ist das natürlich alles einzigartig und unersetzbar. Das muss gerettet werden. Isabel Pfeiffer-Poensgen: Als föderaler Staat nehmen die einzelnen Länder die Aufgabe mehr oder weniger intensiv wahr. Das dokumentiert sich am Ende immer ganz banal im Haushalt eines Landes: Werden Mittel für eine Restaurierung bereitgestellt? Ab wann hatten Sie eine Ahnung vom Ausmaß der Schäden? Ursula Hartwieg: Wenn Sie nach einem speziellen Schreckmoment fragen, würde ich tatsächlich sagen: die Ergebnisse unserer bundesweiten Umfrage. Die KEK alleine konnte natürlich nicht all die Zahlen ermitteln, die jetzt in den bundesweiten Handlungsempfehlungen stehen. Wir haben uns über die Kultusministerkonferenz für jedes Land Expertinnen und Experten für die Bestands erhaltung benennen lassen, jeweils für den Bereich Archiv und für den Bereich Bibliothek. Mit diesem Expertenwissen wurden die Bestände, der Schadens- und der Gefährdungsgrad in den Einrichtungen beschrieben. Und diese Rückmeldungen fand ich schon erschreckend. Denn es ist ja nicht nur das Problem, dass Materie zerfällt, sondern es ist auch das Problem, dass das Material, eben die Archivalien, die Bücher vor Ort fach 21 gerecht versorgt werden müssen. Dazu brauchen wir Fachkompetenz und die ist in den Einrichtungen nicht ausreichend vorhanden. Schadensfälle, dieser schleichende Zerfall aufgrund von Säurefraß, Tintenfraß oder Schimmel und was es da noch alles gibt, sind die größeren Probleme. Wer hätte gedacht, dass im Koalitionsvertrag ein nationales Bestands erhaltungskonzept angekündigt werden würde? Offensichtlich braucht es dann genau solche dramatischen Ereignisse wie es der Brand in der Anna Amalia Bibliothek 2004 und der Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009 waren, um die Koordinierungsstelle für den Erhalt des schriftlichen Kulturguts, KEK, zu gründen. Ursula Hartwieg: Ich würde es so auf den Punkt bringen: Ohne den Einsturz kurz vor Überreichung der Denkschrift „Zukunft bewahren“ der „Allianz Schrift liches Kulturgut Erhalten“ wäre der politische Handlungsdruck nicht ausreichend hoch gewesen, um tatsächlich eine Koordinierungsstelle zu gründen. Wer hätte gedacht, dass man wirklich im Herbst 2009 im Koalitionsvertrag die Absicht formuliert, ein nationales Be- Isabel Pfeiffer-Poensgen: Die wirklich großen Schadensfälle, Stichwort Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek oder der Einsturz des Historischen Stadtarchivs in Köln, haben neben aller Schrecklichkeit vielleicht mehr Menschen deutlich gemacht, was da verloren gegangen ist. Trotzdem ist eine wesent liche Erkenntnis aus dieser Erhebung und aus der ganzen Untersuchung ganz deutlich: Die sich langsam ereignenden Seit Oktober liegen die Handlungsempfehlungen der KEK vor mit dem Titel „Die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts in Archiven und Biblio theken in Deutschland“. 2012 gab es 10,9 Millionen Euro für Maßnahmen der Bestandserhaltung in Archiven und Bibliotheken, ist da zu lesen. Notwendig wären 63,2 Millionen Euro. Da ist eine große Lücke. Und nun? Isabel Pfeiffer-Poensgen: Zum ersten Mal haben wir belastbare Zahlen. Und Zahlen brauchen Sie immer, wenn Sie gegenüber der Politik Sachverhalte deutlich machen wollen. Jedes Parlament wird Sie zuerst fragen: Ja, schön, dieses Problem, interessant, aber was brauchen wir dafür, um es zu beheben? – Und diese Zahlen sind nun in aller Brutalität aufgeschrieben. Unser Plädoyer ist ganz klar: Es braucht Bundes- und Länderprogramme, um zum Beispiel das Problem der Massenentsäuerung in einem Umfang anzugehen, dass wir langfristig auch Erfolge damit haben. Die KEK hat einen Jahresetat von 600.000 Euro. 63 Millionen wären nötig. Was können Sie überhaupt erreichen? Isabel Pfeiffer-Poensgen: Wir haben uns zu Beginn gesagt, der Hauptauftrag ist es, die Handlungsempfehlungen wirklich fundiert zu erarbeiten als eine Grundlage, um strategisch langfristig die Sicherung des schriftlichen Kulturerbes abzusichern. Gleichzeitig wollten wir von Anfang an auch zeigen, wie sinnvoll das ist. Das kann man nur, indem man sehr konkrete Restaurierungsvorhaben landauf, landab fördert und so in jeder Kommune, in jedem Land sichtbar wird, dass damit Schätze gehoben werden, für die wir schönste Beispiele auch in dieser Ausgabe von Arsprototo zeigen. Sektionsprotokolle von Rudolf Virchow (1821–1902), dem Begründer der modernen Pathologie. Mit Hilfe der KEK konnte im Jahr 2012 ein Band modellhaft restauriert werden 22 men, weil auch das Metall natürlich einen Störfaktor darstellt, der beim Rosten zu Verfärbungen führt. Beim Adressbuch sollte aber alles drin bleiben, weil da ein Kunstobjekt auf dem Tisch der Restauratorin lag. Sie musste es Blatt für Blatt behandeln, ohne die innere Ordnung zu zerstören. Das war das Spannende daran. standserhaltungskonzept zu entwickeln, um das gefährdete schriftliche Kulturgut zu sichern? Die KEK hat Projekte angeschoben nicht nur in großen Bibliotheken, nicht nur, um verblassende Schrift in Archiven der Leopoldina wieder sicht- Von Schimmelpilz befallene Bücher; Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Die Kulturstiftung der Länder hilft ja den einzelnen Einrichtungen auch beim Ankauf – sei es ein wertvolles August-Macke-Gemälde oder auch der Nachlass des Berliner Wagenbach Verlages. Wonach wählen Sie aus? Isabel Pfeiffer-Poensgen: Wir fragen uns: Ist es ein herausragendes Objekt oder Konvolut? Ist es etwas, das von überregionaler oder historisch-regionaler Bedeutung ist? Wir lassen uns immer auch extern von Gutachtern beraten. Wir bar zu machen, sondern auch in Stadtarchiven wie Chemnitz, Karlsruhe oder im Kreis Teltow-Fläming bei Berlin. Ursula Hartwieg: Ja, das ist richtig. Da können wir jetzt auf eine relativ stattliche Summe zurückblicken, 2,4 Mio. Euro über die Jahre 2010 bis heute. Isabel Pfeiffer-Poensgen: Und knapp 200 Projekte… …wie das Notizbuch, das Telefonbuch der Dadaistin Hannah Höch. Was war da die besondere Herausforderung, um es der Nachwelt zu erhalten? Ursula Hartwieg: Da sprechen wir über ein Kunstobjekt. Es ist eine Künstlerin, die dort ihre Adressen in einer sehr interessanten Form verzeichnete. Hannah Höch hat ja im Grunde nur Lagen Papiers übereinander gelegt, eine stärkere Pappe drumherum gefügt, mit einer Kordel gebunden – das war’s. Sie hat natürlich selber Adressen hineingeschrieben, aber auch mit einer Stecknadel Adresszettelchen hineingeheftet und mit Tesafilm, was man aus der Perspektive der Restauratoren nie tun sollte, auch reingeklebt. Üblicherweise würde man bei einer Restaurierung das Objekt ‚enteisen‘, also alles Metall herausneh- ARSPROTOTO 4 2015 Trockenreinigung eines chinesischen Schriftfragments aus der Oase von Turfan/Ostturkestan Digitalisate schonen das Original. Doch der Referenzcharakter des Originals ist unersetzlich. fragen: Gehört es wirklich an den Ort, in den Kontext, für den es gekauft werden soll? Wir fragen uns zudem: Ist die Provenienz geklärt oder gibt es Frage zeichen? Und last but not least fragen wir uns jedes Mal: Ist der Preis gerecht fertigt? Auch das lässt sich ja deutlich überprüfen. – Das sind die Kriterien, mit denen wir uns ausführlich beschäftigen, bevor wir sagen, wir können uns vorstellen, eine solche Erwerbung für ein Museum beispielsweise oder eine Bibliothek, ein Archiv in unseren Gremien zu befürworten. 23 „Bestandserhaltung beginnt im Kopf, nicht im Geldbeutel“, hat Mario Glauert vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv geschrieben. Das heißt natürlich Priorisierung, Schwerpunktsetzung. Welche Kriterien legen Sie an? Ursula Hartwieg: Grundsätzlich wollen wir natürlich alles retten, aber das ist nicht möglich. Speziell im Bibliotheksbereich muss koordiniert werden. Und im Archivbereich kann nicht alles auf einen Schlag gerettet werden. Es braucht Priorisierung. Damit sind wir bei dem, was wir als schleichende Katastrophen bezeichnen: Beim Schimmel und Papier zerfall. Das sind fortschreitende Schadensbilder, die haben Vorrang und müssen zuerst behandelt werden. Im zweiten Schritt muss nach der Bedeutung gefragt werden, auch da muss eine Priorisierung erfolgen. Die Nutzung gibt zusätzlich Orientierung. Allerdings definiert sie sich immer wieder neu. Wir wissen heute ja noch nicht, was in drei, dreißig oder dreihundert Jahren den Forscher oder den Bürger wirklich interessiert, was wichtig wird. „Alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht“, so Mephisto zu Faust. Erhaltung kostet viel Geld. Wir haben aber inzwischen eine hervorragende Digitalisierungstechnik. Warum reicht Digitalisieren nicht? Isabel Pfeiffer-Poensgen: Man muss beides machen! Wir wollen jetzt mal nicht von der Aura des Originals sprechen, aber von der Faszination kann man schon reden. Wenn eine Pianistin, ein Geiger zum ersten Mal über der originalen Handschrift eines Werks von Beethoven im Archiv sitzt, mit dem sie oder er sich seit Jahren beschäftigt, dann geht etwas ganz Unglaubliches mit diesem Künstler vor, weil eben diese Originalhandschrift anders aussieht als das, was wir in einer gut edierten Ausgabe sehen. Auf der anderen Seite ist das Digitalisieren einer solchen Handschrift natürlich absolut sinnvoll, weil sie damit sehr demokratisch weltweit im Netz zur Verfügung steht, auch für die Menschen, die weit weg sind von dem Original. Außerdem schonen wir das Original damit. Ursula Hartwieg: Auf der anderen Seite ist der Referenzcharakter des Originals unersetzlich. Es stimmt einfach: Das Ganze ist mehr als die Summe der einzelnen Teile. Blicken wir nach Berlin zur Nofretete. Würde es uns denn reichen, wenn wir da eine 3D-Simulation hätten? Nie im Leben! Und auch, wenn es inzwischen schon 3D-Scans von schriftlichem Kulturgut gibt, die berührungslos und gestenbasiert bewegbar sind: Sie ersetzen nicht das Original. Das digitale Abbild ist manipulierbar. Als Referenz muss immer das Original im Blick gehalten werden. Und wir können uns entspannt zurücklehnen, denn wir wissen jetzt, was es kostet, die Originale zu erhalten. Wer sagt uns denn, was es kostet, all die Digitalisate, die es heute gibt, noch in hundert Jahren abzurufen? Massiver Schädlingsfraß an einer deutschen Handschrift aus dem 15. Jahrhundert; Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz 24 Was erwarten Sie vom Bund oder von der Politik ganz allgemein? 63 Millionen Euro? Isabel Pfeiffer-Poensgen: Wir erwarten jetzt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesen Handlungsempfehlungen auf allen politischen Ebenen. Dann hoffen wir als Kulturstiftung gemeinsam mit den Ländern und dem Bund ein Programm auf den Weg zu bringen, das – wir sind schließlich keine Traumtänzer – uns vielleicht nicht ab morgen 63 Millionen pro Jahr auf den Tisch legt, aber doch jedenfalls eine namhafte Steigerung, die es über die Jahre erlaubt, die Aufgaben anzugehen. Politik ist das Bohren dicker Bretter, aber wir haben jetzt eine belastbare Grundlage, um mit diesem Bohren zu beginnen. Ursula Hartwieg: Angelegt ist unsere zentrale Empfehlung auf jährlich mindestens ein Prozent Sicherung des gefährdeten oder geschädigten schriftlichen Kulturguts. Daraus resultieren die 63 Millionen. Das heißt, es ist eigentlich ein Hundertjahresprojekt, aber wir haben ein Phasenmodell für die konkrete Umsetzung entwickelt. Denn es wäre eine unerträgliche Vorstellung, wenn bereitgestellte Gelder nicht abgerufen würden. Das heißt, wir brauchen Infrastrukturen in den hauseigenen Werkstätten und in den Häusern selbst Fachpersonal. Dieser Betrag von 63 Millionen Euro ist der prinzipielle Bedarf, den wir aber für eine sofortige Umsetzung nicht empfehlen können. Er lässt sich nur mit bundesweit gestärkten Infrastrukturen umsetzen. Wir wollen dahin kommen, dass wir wirklich mindestens dieses eine Prozent pro Jahr sichern. Das muss erreichbar sein! Herzlichen Dank für das Gespräch. Thomas Prinzler ist Wissenschaftsredakteur im rbb Inforadio in Berlin. http://kek-spk.de/aufgaben-und-ziele/ bundesweite-handlungs-empfehlungen/ TITELTHEMA ERHALTUNG DES SCHRIFTLICHEN KULTURGUTS URAHN VON POWERPOINT Restaurierung, Rekontextualisierung und Erschließung naturwissenschaftlicher Lehrtafeln an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg von Frank D. Steinheimer Paul Pfurtscheller, Lehrtafel der Anatomie des Regenwurms, um 1920, im Originalzustand vor der Papierrestaurierung mit etlichen Klebestellen, Einrissen und verbogener und ausharzender Bestäbung sowie einer Kohlepatina auf Grund offener Unterbringung; Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen, Halle (Saale) D as Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen (ZNS) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) besitzt eine über 2.000 Objekte umfassende naturwissenschaftliche Lehrtafelsammlung. Etwa mehr als die Hälfte der zurzeit vom ZNS erfassten Lehrtafeln sind Unikate, die eigens nach den Vorgaben der Dozenten in den jeweiligen Instituten der MLU angefertigt wurden. Einige Lehrtafeln wurden sogar von Dozenten selbst gezeichnet, wie z. B. von Prof. Dr. Ludwig Freund, der von 1950 bis 1953 als Ordinarius für Zoologie in Halle (Saale) tätig war. Der andere Teil der ARSPROTOTO 4 2015 Lehrtafeln stammt aus Manufakturen verschiedener Hersteller, wie z. B. von Paul Pfurtscheller in Wien, Theodor Fischer in Kassel (herausgegeben von Dr. R. Leuckart) oder von Jakob Ferdinand Schreiber aus Esslingen, dessen Verlag von 1878 bis 1893 in mehreren Auflagen den Dodel-Port-Atlas (AnatomischPhysiologischer Atlas der Botanik) aufgelegt hatte. Der Zustand der teilweise mehr als 100 Jahre alten Tafeln ist aufgrund falscher Lagerung und schlechtem Ausgangsmaterial oft miserabel. Die Medien der Lehre haben sich zu digitalen Powerpoint-Präsentationen weiterentwickelt. Dennoch ist die Sammlung eine einmalige Forschungs- und Lehr ressource, zeigt sie doch nicht nur die Lehr- und Forschungsfragen unserer Vorväter, sondern erklärt deren didak tische Ansprüche, kulturhistorische Einbindung und Gespür für Ästhetik, spiegelt soziopolitische Phänomene ebenso wie die Illustration des Vergänglichen wider, macht Komposition und verwendete Technik sichtbar, bringt Hersteller und die Forscher dahinter näher. Selten finden wir heute neue Abbildungen, die eine halbe Vorlesungsstunde auf zwei Quadratmetern zu illustrieren vermögen. Die Frage vieler Dozenten, ob Lehrtafeln noch zeitgemäß seien, ist mit ja zu beantworten, denn diese sind heute durch Rekontextualisierung zu einem eigenen Lehr- und Forschungsobjekt zwischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, Didaktik und Ästhetik geworden. Daher beabsichtigt das ZNS, Lehrtafeln zukünftig web- und touchscreen- basiert über eine digitale Plattform einer breiten internationalen Forschung verfügbar zu machen. Je nach Erkenntnisinteresse können unterschiedliche Pfade an Information angesteuert werden, zu Herstellern, zu Themengruppen, zur Darstellungsweise. Einige der Tafeln gehen digital wieder in die fachspezifische Lehre ein, drei bis vier Kurse an der MLU verwenden derzeit sogar noch die Originale. Mit hohem personellen Aufwand ging daher das ZNS in Zusammenarbeit mit einem professionellen Fotografen an die Digitalisierung aller Lehrtafeln im aktuellen Erhaltungszustand. Die hoch auflösenden tif-Dateien wurden in einer Bilddatenbank gespeichert. Diese Datenbank dient heute nicht nur zur digitalen Sicherung der Lehrtafeln, sondern sie dokumentiert den Ist-Zustand der Lehrtafeln vor jeglicher Konservierung und ist Arbeitsgrundlage für alle weiteren Schritte der Aufarbeitung. Für alle Lehrtafeln aus Papier, die stark angegriffen und beschädigt sind, ist eine komplette Restaurierung notwendig. Erste Versuche, diese Aufgabe aus eigenen Kräften unter fachkundiger Anleitung zu bewerkstelligen, wurden wieder aufgegeben. Es war eine Initialzündung notwendig, um nun beispielhaft über 100 Tafeln restaurieren bzw. konservieren zu lassen. Angestoßen wurde dieses Anliegen durch die finanzielle Unterstützung der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) an der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Seit nunmehr zwei Jahren kooperiert daher das ZNS mit einer Restaurierungswerkstatt in Berlin in der konservatorischen Stabilisierung und Papierrestaurierung der Tafeln. Frank D. Steinheimer leitet das Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen Domplatz 4, 06108 Halle (Saale) Telefon 0345 - 55 21437 www.naturkundemuseum.uni-halle.de 25 TITELTHEMA ERHALTUNG DES SCHRIFTLICHEN KULTURGUTS KUPFER FRISST DAS KÖNIGSBUCH Die Restaurierung einer persischen Prachthandschrift aus dem 16. Jahrhundert in der Bayerischen Staatsbibliothek in München von Irmhild Schäfer D ie Prachthandschrift aus Persien überliefert das „Königsbuch“, mit dem der Dichter Abū l-Qāsim Firdausī um das Jahr 1000 in nahezu 60.000 Versen die Geschichte Persiens von den Anfängen bis zur islamischen Eroberung im 7. Jahrhundert erzählt. Das Königsbuch, persisch „Shāhnāma“, stellt das Lebenswerk des Dichters dar, für dessen Niederschrift er nach eigenen Angaben 35 Jahre benötigte, und das zum Nationalepos der persischsprachigen Welt – die heutigen Staaten Iran, Afghanistan und Tadschikistan – avancierte. Das Königsbuch ist eines der berühmtesten Werke der persischen Literatur und der Weltliteratur. Die Schāhnāme-Handschrift entstand um 1550 –1600 in der Hofschule von Schiraz, einem bedeutenden Zentrum der Buchmalerei im Safavidenreich. Die Qualität der 26 farbenprächtigen Miniaturen und der Kalligraphie sowie der Umfang von 1.218 Seiten im Format von 39 × 26 cm machen diese Handschrift einzigartig. Die Bayerische Staatsbibliothek erwarb sie im Jahr 1858 aus der Bibliothek des französischen Orientalisten Etienne Quatremère für ihre exzellente und reiche OrientaliaSammlung, die bis in die Zeit der Bibliotheksgründung durch Herzog Albrecht V. von Bayern im Jahr 1558 zurückreicht. Aufgrund des extremen Farbschadens ist diese Schāhnāme-Handschrift allerdings seit langem für die Öffentlichkeit und Forschung nicht zugänglich, Schāhnāme-Handschrift, Bl. 296v/297r: Bankett anlässlich der Thronbesteigung von König Luhrasb, um 1550 –1600, 1218 Seiten, 39 × 26 cm; Bayerische Staatsbibliothek München, Cod.pers. 15. Die Titelabbildung dieser Arsprototo-Ausgabe zeigt einen Ausschnitt dieser Seiten ARSPROTOTO 4 2015 denn der in persischer Kalligraphie geschriebene Text droht beim Blättern der Seiten spaltenweise auszubrechen. Ursache ist die grüne, kupferhaltige Tusche, mit der die Textspalten durchgängig fein umrahmt wurden. Sie katalysiert den Abbau der Cellulose, der das Papier allmählich brüchig werden lässt. Da die Textspalten auf Vorder- und Rückseite eines Blattes an der exakt gleichen Position angelegt sind, trifft die Tusche zweifach und daher mit erhöhter Schadwirkung auf das Papier. Der Farbschaden durchzieht den Buchblock in unterschiedlicher Intensität von der ersten bis zur letzten Seite und hat an einigen Stellen bereits zum partiellen Ausbrechen von Textfeldern geführt. Angesichts des Schadenumfangs und der Empfindlichkeit der Handschrift mit ihrer Miniaturmalerei auf feinstem polierten orientalischen Papier ist die Restaurierung eine ganz besondere Herausforderung. Das Konzept für die Maßnahme zielt auf die mechanische Stabilisierung der brüchigen und gebrochenen Spaltenrahmung ab, damit die Handschrift mit der gebotenen Sorgfalt wieder benutzt werden kann. Hierfür wird das „Münchener Tissue“ verwendet, das im Institut für Bestandserhaltung und Restaurierung (IBR) der Bayerischen Staatsbibliothek entwickelt wurde und seit langem erprobt ist. Das Münchener Tissue ist ein mit einer speziellen Dispersion aus Acrylaten beschichtetes, nahezu transparentes Japanpapier mit einem Flächengewicht 27 Restaurierung der Schāhnāme-Handschrift: Sicherung der Bruch kanten mit dem sogenannten Münchener Tissue, einem thermisch reaktivierbaren acrylatbeschichteten Japanpapier von nur etwa 2,0 Gramm pro Quadratmeter. Das mit dem Heizspatel aktivierte Acrylat verliert mit dem Aufbringen auf dem Original seinen Glanz und wird kaum sichtbar. Daher eignet sich dieses dünne Tissue zur Applikation über Schrift oder Malerei, ohne diese optisch zu beeinträchtigen. Auch die schwer zugänglichen Stellen etwa im Falz des Buches können stabilisiert werden, da das Acrylat erst auf dem Objekt reaktiviert wird. Diese Restaurierungsmethode hat den Vorteil, dass das Tissue wasserfrei appliziert wird. Damit ist das Risiko einer Migration von schädlichen MetallIonen in die umgebenden Partien sowie in das Trägerpapier fast vollständig ausgeschlossen. Die verwendeten Acrylate besitzen eine hohe Alterungs beständigkeit. Tinten, Tuschen und Farben, die mit aggressiven Bestand teilen das Papier schädigen, treten in der ganzen Bandbreite des schriftlichen Kulturerbes und daher relativ häufig auf, z. B. bei mittelalterlichen und neuzeit lichen Handschriften oder Musikhandschriften, bei Atlanten, Karten oder Briefen in Nachlässen. Die Erfahrung des IBR mit Acrylaten reicht daher bis in die 1970er Jahre zurück. Derzeit wird die Schāhnāme-Handschrift mit einer Fördersumme im unteren fünfstelligen Bereich im Rahmen der diesjährigen Modellprojekte der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) restauriert. Die zugleich sehr aufwendige wie anspruchsvolle Maßnahme wird auf der Grundlage des vom IBR erstellten Konzepts mit einem Team aus drei freiberuflichen Restauratoren im IBR durchgeführt, die Erfahrung mit dem Münchener Tissue haben. Die Schäden und Maßnahmen werden im Restaurierungsprotokoll des IBR detailliert dokumentiert. Diese Kostbarkeit aus Persien mit ihren farbenprächtigen Miniaturen und ihrer exzellenten Kalligraphie bleibt auch nach der Restaurierung besonders schutzbedürftig, kann aber gemäß konservatorischer Vorgaben in Ausstellungen präsentiert oder von Wissenschaftlern im Spezial-Lesesaal konsultiert werden. Im direkten Anschluss an die Restaurierung wird die Handschrift im Scanzentrum der Bayerischen Staats bibliothek digitalisiert, damit sie in verschiedenen Kontexten zeit- und ortsunabhängig im Netz für die breite Öffentlichkeit und die Wissenschaft verfügbar ist. Bayerische Staatsbibliothek Ludwigstraße 16, 80539 München Telefon 089 - 286380 www.bsb-muenchen.de Ausbruch des Textfeldes am rechten Rahmen der Schāhnāme-Handschrift 28 Schāhnāme-Handschrift, Bl. 343v: Rustam brät am Lagerfeuer einen Esel, um 1550 –1600; Bayerische Staatsbibliothek München, Cod.pers. 15 29 TITELTHEMA ERHALTUNG DES SCHRIFTLICHEN KULTURGUTS VON BÖSEN DÄMONEN UND SCHLIMMEN STUDENTEN Die Farb- und Maltechnik der Naumburger Chorbücher von 1504 von Robert Fuchs Dieses Faksimile eines Chorbuchs im Naumburger Dom demonstriert den ursprünglichen Benutzungskontext auf einem speziell zugeschnittenen Pult 30 D er Naumburger Dom besitzt eine bedeutende Gruppe großformatiger illuminierter Chorbücher aus dem späten Mittelalter. Die acht Handschriften wurden für das Domkapitel von Meißen für das Officium in einem nicht genau bekannten Skriptorium gefertigt und können aufgrund von Einträgen auf 1504 datiert werden. Sie sind ca. 81 × 63 cm groß, zwischen 8 und 15 cm dick und wiegen jeweils zwischen 30 und 40 kg. In der Folge der Einführung der Reformation im Hochstift Meißen ging die Handschriftengruppe nach dem Tod Herzog Georg des Bärtigen im Jahr 1539 in den landesherrlichen Besitz über. Im Jahr 1579 konkurrierten die beiden nicht säkularisierten Domstifte in Merseburg und Naumburg um den Erwerb der wertvollen Chorbücher. Das Naumburger Kapitel erhielt den Zuschlag und so wurden die Bücher 1580 in den Naumburger Dom überführt, wo sie auf speziell auf ihre enorme Größe und Gewicht zugeschnittenen Pulten aufgelegt wurden. Zu den außergewöhnlichen Besonderheiten der Naumburger ChorbuchGruppe gehört ihre lange Nutzung im liturgischen Gebrauch. Die Einführung der Reformation im Naumburger Hochstift in der Mitte des 16. Jahrhunderts führte nicht zum Abbruch der überkommenen „römischen“ Liturgieformen im Chordienst. So wurde – obwohl sämtliche Naumburger Kanoniker seit dem frühen 17. Jahrhundert persönlich lutherischen Glaubens waren – an der Tradition der lateinischen Horen im Ostchor des Naumburger Domes bis in das späte 19. Jahrhundert festgehalten. Entsprechend blieben auch die acht mittelalterlichen Chorbücher weiterhin im Gebrauch. Erst im Rahmen einer Neuordnung der Stiftsverhältnisse unter der Aufsicht des preußischen Staates wurden die alten Gesänge im Jahr 1874 ausgesetzt. Trockenreinigung des Chorbuchs VIII RESTAURIERUNG – MONI- TORING – DOKUMENTATION Die acht Chorbücher wurden am CICS, dem Cologne Institute of Conservation Sciences der Technischen Hochschule Köln, im Zuge einer Kooperation mit den Vereinigten Domstiftern Naumburg in einem von der KEK geförderten Projekt detailliert dokumentiert und untersucht. Band VIII wurde modellhaft restauriert, um eine sinnvolle Kostenkalkulation für die anderen sieben Bände zu ermöglichen. Die naturwissenschaft lichen Untersuchungen sollten den Schadensverlauf ermitteln und zukünftige Schadenspotenziale aufzeigen. Diese sollten dann in einem Monitoring über die nächsten Jahre hinweg beobachtet Detail aus dem Chorbuch IV, fol. 50r ARSPROTOTO 4 2015 werden, um weitere konservatorische Maßnahmen vorher planen zu können. Für ein sinnvolles Monitoring möglicher Schadenspotenziale muss eine ausführ liche Foto- und Beschreibdokumentation angefertigt werden. Nur so können zukünftige Schäden vorhergesehen und rechtzeitig behoben werden. Jede Seite wurde nach verschiedenen Kriterien beschrieben und fotografisch dokumentiert. Die Schwierigkeit bestand wiederum in der Größe und dem Gewicht der einzelnen Bände – allein, um sie zu bewegen, braucht man mindestens vier Hände und viel Kraft. UNTERSUCHUNG DER MALTECHNIK, DER PIGMENTE UND FARBSTOFFE Die Malereien wurden zuerst mit einem Metallgriffel vorgezeichnet, der aber nur an wenigen Stellen sichtbar wird. Die Maler haben die Vorzeichnung fast immer mit den Farbschichten übermalt. Dann erfolgte der Auftrag des Polier goldes, das auf rotem Bolus (einem Erdpigment) und weißem Assis (einer Grundierung aus Kreide oder Bleiweiß) aufgetragen und poliert wurde. PROBLEME DER ANALYTIK Die enorme Größe und das Gewicht der Bände schränkte die Verwendung der Analysegeräte stark ein. So war die Röntgendiffraktionsanalyse nur an einem durch Beschädigung frei im Buch liegenden Blatt möglich. Die anderen Spezialuntersuchungen (wie z. B. die Röntgenfluoreszenzanalyse mit einem Handmessgerät) konnten in der gebundenen Handschrift erfolgen. Auch die mikroskopischen Aufnahmen mit der digitalen Mikroskopie waren stark eingeschränkt, da unter der Verwendung der vorhandenen Stative nicht jeder Ort innerhalb der Handschrift erreicht werden konnte. Die Ergebnisse zeigen eine reichhaltige Farbpalette: Das Posjnakit (basisches Kupfersulfat) ist ein typisches sekundäres Mineral, das in den Kupferbergwerken als Verwitterungsprodukt der Kupfererze anfällt und das gerade in der Zeit der Herstellung der Chorbücher auch in Quellen (unter dem Namen „Schiffer grün“) auftaucht. Typisch für ein sekundäres Vorkommen ist die Verunreinigung mit anderen Kupferverbindungen, hier Malachit. Unter den weiteren Farbmitteln sind vor allem die organischen 31 Farbmittel Brasilholz und Schildlausfarbe (Kermes) zu erwähnen. Vor allem der Schildlaus-„Purpur“ wurde wohl aus Scherwollabfällen gewonnen – eine Technik, die Anfang des 16. Jahrhunderts sehr gebräuchlich war. Die zerstörungsfreien Techniken können allerdings nicht zwischen den verschiedenen Kermesarten (Mittelmeerkermes, Araratkermes) unterscheiden. Als Blau kam nur Azurit zur Verwendung – allerdings vermischt mit Weißpigmenten für helleres Blau und mit Rotfarbmitteln für die violetten Töne. Sehr auffällig sind die Farbkombinationen beispielsweise von Orange mit Grün und Silber. FANTASIEREICHE DEKORATIONEN Die Chorbücher sind mit detailfreudigen Illustrationen aus der Pflanzen- und Tierwelt verziert. In die farbenprächtigen Voluten sind Blumen und Tierdarstellungen eingestreut, manchmal auch kleine Szenen zur Jagd und verspielte Putten. Die Malereien sind von verschiedenen Malern gefertigt und von großer Qualität. Leider ist die Werkstatt unbekannt. HÄNDESCHEIDUNG DER MALEREIEN Zwei der Maler unterscheiden sich sehr eindeutig in ihrem Malstil. Während der Eine sehr voluminös und kleinteilig modelliert, malt der Andere flach und zurückhaltend. In einigen Malereien könnte noch ein dritter Maler mit einem zwar voluminösen, aber schlichten und einfachen Stil zu unterscheiden sein. SPUREN DER NUTZUNG Aufgrund ihrer langen Nutzung bis weit in das 19. Jahrhundert hinein weisen die Chorbücher starke Gebrauchsspuren auf. Gelegentlich verewigten sich sogar Choralisten mit ihren Namen oder Monogrammen in den kostbaren Handschriften. Unter den zwölf Choralisten, die als Sänger an der Ausgestaltung der Liturgie im Chor beteiligt waren, befanden sich jeweils sechs geeignete Schüler der Domschule. Wie in jedem Unterricht dürfte auch im Naumburger Dom die Aufmerksamkeit der Schüler beim Üben gelegentlich abgenommen haben: Manch einer scheint eine Pause oder die Unachtsamkeit des Kantors dazu genutzt zu haben, sich in den imposanten und nicht durchweg beliebten Riesenbüchern zu verewigen. Über ein ganzes Jahrhundert hinweg, von 1616 bis 1711, haben Einzelne die Handschriften ihrerseits handschriftlich verändert: Mit Tinte oder Rötelstift haben sie sich in der Art von datierten Monogrammen in den überlieferten Bücherschatz eingeschrieben – ganz so, wie wir es von Bauwerken her kennen. Subtileren Einträgen stehen dick aufgetragene Signaturen oder gar Einritzungen in Blattvergoldungen gegenüber. Detail aus dem Chorbuch VI, fol. 32r Graffiti mit Initialen und Jahreszahl, Detail aus dem Chorbuch III, fol. 177r DÄMONEN Auch einer der spätmittelalterlichen Buchmaler schrieb sich als Individuum in die Chorbücher ein. Noch ganz der Bildtradition des Mittelalters verhaftet, fügte er in Initialen und Ranken Fabelwesen, Dämonen und Monstren ein. Man wird vermuten dürfen, dass er sich dabei vielleicht an ältere Bestiarien erinnert hat, die über vielfältige Ungeheuer berichteten. Im Mittelalter wurde ihrer bildlichen Darstellung eine apotropäische, das heißt abwehrende Wirkung zugesprochen: Was gezeigt wird, schien durch die malerische Fixierung gleichsam gebannt. Die acht Chorbücher aus dem Naumburger Dom konnten durch das von der KEK geförderte Projekt detailliert dokumentiert und untersucht werden. Die modellhafte Restaurierung des Bandes VIII am CICS erleichtert die sinnvolle Kostenkalkulation für die anderen sieben Bände und macht es möglich, die Mittel dafür einzuwerben. Prof. Dr. Robert Fuchs ist Leiter der Studienrichtung Restaurierung und Konservierung von Schriftgut, Grafik, Foto und Buchmalerei an der Technischen Hochschule Köln. Cologne Institute of Conservation Sciences (CICS), TH Köln Ubierring 40, 50678 Köln www.th-koeln.de Chorbuch VIII, fol. 19r, Epiphanias (Erscheinung des Herrn) 32 33 Der Originalausdruck der ersten E-Mail Deutschlands vom 3. August 1984, 90 × 30 cm; Stadtarchiv Karlsruhe TITELTHEMA ERHALTUNG DES SCHRIFTLICHEN KULTURGUTS SIE HABEN EINE NEUE NACHRICHT! In Karlsruhe bedrohte Säurefraß die erste in Deutschland empfangene E-Mail von Ernst Otto Bräunche A m 3. August 1984 um 10.14 Uhr war es so weit, auch Deutschland nahm teil an einer der revolutionärsten Entwicklungen in der mensch lichen Kommunikation: Professor Michael Rotert, der damalige Leiter der Informatikrechnerabteilung der Universität Karlsruhe, heute Karlsruher Institut für Technologie (KIT), empfing mit dem Betreff „Willkommen im CSNET!“ die erste Mail auf einem deutschen Rechner. „This is your official welcome to CSNET. We are glad to have you aboard“, begrüßte Laura Breeden vom berühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston den deutschen Kollegen im Kreis der an das CSNET angeschlossenen Rechner. Die erste E-Mail, die der Empfänger dem Stadtarchiv Karlsruhe 2009 im historischen Ausdruck überlassen hat, markiert damit einen Meilenstein in der Entwicklung des deutschen Internets und des elektronischen Nachrichtenverkehrs. Umso bedauerlicher ist es, dass das elektronische Original der ersten deutschen Internet E-Mail nicht mehr existiert. Nichts könnte besser die Flüchtigkeit digitaler Unterlagen belegen. Die Archive müssen sich deshalb einer weiteren gewaltigen und auch kostenintensiven Herausforderung stellen. Der dauerhafte Erhalt solcher in zunehmendem Maße auch in den öffentlichen Verwaltungen anfallenden digitalen Daten ist die derzeit wohl komplexeste archivische Aufgabe. Die erste E-Mail steht aber auch für ein weiteres gravierendes aktuelles Problem: Sie ist heute nur noch in Form eines 90 × 30 cm großen Ausdrucks 34 überliefert. Die Information hat auf diese Weise zwar bis heute überdauert, ihr Erhalt ist aber in hohem Maße gefährdet, da sie auf säurehaltigem Papier ausgedruckt wurde. Archive fordern deshalb aus gutem Grund den unbedingten Einsatz alterungsbeständiger Papiere (nach DIN EN ISO 9706), Druckfarben und Schreibstoffe für die Unterlagen, die von ihnen archiviert werden. Als von der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) gefördertes Modellprojekt hat das Stadtarchiv Karlsruhe nun alle derzeit möglichen konservatorischen und restauratorischen Maßnahmen zur Rettung dieses einmaligen Dokuments ergriffen. Die Selbstklebefolie wurde entfernt, Risse wurden geschlossen. Die Entsäuerung des Papiers erfolgte mit einem wässrigen Verfahren (Papierentsäuerung mit dem „Bückeburger Verfahren“). Für eine künftig sichere Aufbewahrung erstellten die Restauratoren ein maßgenaues Schutzbehältnis. Um Schäden im Rahmen der Nutzung oder Präsentation zu verhüten, wurde die erste E-Mail digitalisiert und drei Fak similes angefertigt. Damit wird eine möglichst lange Lebensdauer dieses einmaligen historischen Dokuments unter optimalen klimatischen Lagerungsbedingungen im Stadtarchiv Karlsruhe gewährleistet. Dr. Ernst Otto Bräunche ist Leiter des Stadtarchivs Karlsruhe. Stadtarchiv Karlsruhe Markgrafenstraße 29, 76133 Karlsruhe Telefon 0721-1334225 www.karlsruhe.de 35 TITELTHEMA ERHALTUNG DES SCHRIFTLICHEN KULTURGUTS Gebang-Palmblatthandschrift, 15. Jh., 89 Palmblätter, Schriftbild 35 × 3 cm, 4 Zeilen pro Blattseite, altjavanische quadratische Schrift; Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Schoemann I 21 EIN BESCHRIEBENES BLATT Eine der weltweit ältesten indonesischen Handschriften muss vor dem Zerfall gerettet werden von Thoralf Hanstein S eit Mitte des 19. Jahrhunderts gehört eine der ältesten Gebang-Palmblatthandschriften Südostasiens zum Bestand der Sammlung der Staats bibliothek zu Berlin. Es handelt sich um einen religiösen Text in der bereits von Wilhelm von Humboldt untersuchten altjavanischen Kawi-Schrift. Sie ist in einem für Java typischen hölzernen Kasten aufbewahrt. In den Sammlungen weltweit haben nur wenige Dutzend Gebang-Handschriften die Zeit überdauert. Lange ging man davon aus, dass es sich bei den wenigen ältesten erhaltenen Exemplaren um Handschriften aus den Blättern der Nipah-Palme (Nypa fruticans) handelte, aber nach neuesten Erkenntnissen wurden Blätter der Gebang-Palme (Corypha gebanga) verwendet. Sie stellen den Übergang von Steinund Metallinschriften zum portablen Schriftträger dar und wurden direkt mit Rußtusche beschrieben. Später wurde dieses Material recht schnell von Blättern der Lontar-Palme verdrängt, die dicker und stabiler sind, so dass der Text in den 36 Schriftträger eingeritzt werden konnte. Gebang-Handschriften sind also unikale Objekte aus einer ganz besonderen Epoche der frühen Schriftlichkeit, deren Bestand und Erforschung unbedingt gesichert werden muss. Die Berliner Handschrift ist auf 1407 oder 1467 datiert – je nach Lesung. Damit gehört sie zu den ältesten Exemplaren weltweit. In der Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin gibt es über 3.500 Palmblatthandschriften, aber nur diese eine GebangPalmblatthandschrift. Nicht nur Alter und Material der Handschrift sind ungewöhnlich, sondern auch der Text ist unikal, von dem keine weitere Kopie bekannt ist. Es ist ein shivaitischer Text auf Sanskrit mit alt javanischen Erläuterungen mit dem Titel Darma Pātañjala. Im Text werden u. a. die Kosmologie des Shivaismus und das Konzept von Yoga und Karma behandelt, und zwar in Form eines Frage-AntwortDialogs zwischen der Hindu-Gottheit Bhattara und seinem Sohn Kumara. Die Aufbewahrung der Handschrift in dem hölzernen Kasten hat zwar den Verlust loser Teile verhindern können, da aber die Maße des Kastens zu knapp bemessen wurden sind, leiden die einzelnen Blätter bei jeder Nutzung. Hinzu kommt, dass durch den Faden im Schnurloch in der Mitte der Blätter Feuchtigkeit eingedrungen und das Material an diesen Stellen spröde und brüchig geworden ist. Die einzelnen Palmblätter sind an diesen Stellen durch Brüche so destabilisiert, dass eine Digitalisierung oder gar Nutzung durch die Forschung ohne eine grundlegende konservatorische Sicherung und Neukonzeption der Aufbewahrung ausgeschlossen ist. Dieses Objekt ist für die Benutzung zurzeit gesperrt. Mit Fördermitteln aus der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts wird diese Zimelie jetzt vom Berliner DiplomRestaurator Dirk Schönbohm aus dem verordneten Dornröschenschlaf geholt. Hauptziel der Maßnahmen ist die nachhaltige, konservatorische Sicherung des unersetzbaren Originals für die Zukunft. Das neue Aufbewahrungskonzept soll die Nutzung des Originals durch Handschriftenexperten ermöglichen, ohne dass das Palmblatt selbst angefasst werden muss. Nach erfolgter Konservierung und Umsetzung des neuen Konzepts steht diese Handschrift der Wissenschaft wieder zur Verfügung. Gerade für die Forschung sind neben dem Text die physischen Aspekte des Objekts von Bedeutung, die nur am Original angemessen untersucht werden können. Das Risiko weiterer Schäden ist durch diese Maßnahme und durch die Lagerung in dem der DIN-Norm entsprechend klimatisierten Tresormagazin weitgehend minimiert. Nach der Digitalisierung werden die Scans in hoher Qualität in der Online-Datenbank www.orientdigital.de frei verfügbar sein. Dr. Thoralf Hanstein ist Mitarbeiter der Orientabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Potsdamer Str. 33, 10785 Berlin Telefon 030 - 266 435851 www.sbb.spk-berlin.de TITELTHEMA ERHALTUNG DES SCHRIFTLICHEN KULTURGUTS DIE MAPPEN DES MALERS Die Korrespondenz des Künstlers Ernst Müller-Scheeßel konnte für die Zukunft erhalten werden von Maria Elisabeth Müller D er Begründer des „Bremer Künstlerbundes“ Ernst Müller-Scheeßel (1863 –1936) ist als Maler und Gestalter des Roselius-Hauses in der Bremer Böttcherstraße bekannt. 1903 hatte er eine Schwester des Mäzens und Kaffee-HAG-Produzenten Ludwig Roselius (1874 –1943) geheiratet, für dessen Sammlung er das Haus in der Böttcherstraße umgestaltete und wo er sich ein Atelier einrichtete. Beide verband ein starkes Interesse an niederdeutscher Kunst und Volkskultur. Die Anbindung an die Heimat(-kunst)bewegung erklärt auch Müller-Scheeßels Motivund Formwahl im malerischen, graphischen und kunstgewerblichen Werk. 1908 eröffnete er auf dem Meyerhof in Scheeßel das sogenannte Kunstgewer- Geschäfts- und Privatkorres pondenz Ernst Müller-Scheeßels; Staats- und Universitäts bibliothek Bremen ARSPROTOTO 4 2015 behaus, in dem Möbel nach seinen Entwürfen ausgestellt und verkauft wurden. In einer Synthese aus Jugendstil und niedersächsischer Volkskunst wurden sie im Auftrag Müller-Scheeßels von ortsansässigen Tischlereibetrieben gefertigt. In betuchten bürgerlichen Haushalten war es en vogue, sich mit Mobiliar von Müller-Scheeßel einzurichten. Ähnlich wie bei Heinrich Vogeler und Bernhard Hoetger war diese Tätigkeit Resultat eines umfassenden Kunstverständnisses, zugleich sicherte sie dem späteren Professor an der Hochschule für Künste in Bremen auch ein zuverlässiges Einkommen. Aus dieser Zeit übernahm die Staatsund Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen im Juli 2011 durch eine Schen- kung der Erben die Geschäftskorrespondenz Müller-Scheeßels in ihren Bestand. Weiterhin befinden sich darunter Briefe, Zeitungsausschnitte, Plakate, Kataloge, Fotos und Klischees. Diese Materialien verstehen sich als wertvolle Ergänzung zu dem im Heimatmuseum in Scheeßel verwahrten Nachlass. Die übernommene Korrespondenz befand sich jedoch in physisch schlechtem Zustand. Eine konservatorische Bearbeitung war unerlässlich, da ein Verlust zumindest von Teilen des Bestandes drohte. In der Restaurierungswerkstatt der SuUB Bremen wurde die Geschäftskorrespondenz, die in Aktenordnern abgeheftet war, Blatt für Blatt gereinigt und geglättet. Einrisse an den Blattkanten wurden mit Japanpapier geschlossen. Anschließend wurden die Papiere in transparente Archivhüllen aus Pergamin mit seitlicher Ablochheftung eingelegt. Dadurch ließ sich das von Müller-Scheeßel selbst praktizierte Ablagesystem in Ordnern beibehalten. In diesen Zustand wurden auch die mit Bindfäden grob zu Stapeln gebündelten Korrespondenzen aus den späteren Geschäftsjahren überführt. Briefe, Zeitungsausschnitte und Kataloge, die unsortiert in Mappen oder Postumschlägen beilagen, wurden – nach Themen und Jahrgängen geordnet – mit alterungsbeständigen Schutzverpackungen versehen. Fotografien und Plakate erhielten Passepartouts. Durch diese Maßnahmen, die von der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) und dem Freundeskreis der SuUB Bremen finanziell unterstützt wurden, konnte der Nachlass für die Zukunft bewahrt und eine Nutzung für die wissenschaftliche Öffentlichkeit im Handschriftenlesesaal der Bibliothek ermöglicht werden. Maria Elisabeth Müller ist Direktorin der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen. Staats- und Universitätsbibliothek Bremen Bibliothekstraße, 28359 Bremen Telefon 0421- 218 594 00 www.suub.uni-bremen.de 37 TITELTHEMA ERHALTUNG DES SCHRIFTLICHEN KULTURGUTS AUSGESCHNITTEN UND EINGEKLEBT Rettung für Hans Falladas Rezensionssammlung von Erika Becker D as Literaturzentrum Neubrandenburg führt seit über 30 Jahren ein regionales Literaturarchiv, dessen wichtigster Bestand der Nachlass von Hans Fallada (1893 –1947) ist. Falladas Bücher werden seit einigen Jahren weltweit neu übersetzt und verlegt. Das Forschungs- und Medieninteresse im In- und Ausland wächst seitdem deutlich, was zu einer stärkeren Nutzung der Archivbestände führt. Die Dokumente geben Einblicke in die Lebens- und Schaffensumstände dieses populären Schriftstellers und spiegeln ein Stück Zeit- und Verlagsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Es ist daher wichtig, sie für zukünftige Forschungsvorhaben zu erhalten und zu sichern. Einen bedeutenden Beitrag dazu leistet die Projektförderung der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) für die Restaurierung stark gefährdeter Teile der Rezensions- und Briefsammlung Hans Falladas aus den 1930er und 40er Jahren. Zu Beginn des Jahres 1930 wurde Hans Fallada Mitarbeiter im Ernst Rowohlt Verlag in Berlin. Bis dahin hatte er sich seinen Lebensunterhalt als Lokalreporter und Annoncenwerber in Neumünster verdient. In seinem Erinnerungsbuch „Heute bei uns zu Haus“ (1943) schreibt er darüber: „Kommt in einem Verlag ein neues Buch heraus, so werden Besprechungsexemplare an Zeitungen und Zeitschriften versandt. […] Mein Amt sollte es nun sein, übersichtliche Listen über den Versand dieser Besprechungsexemplare anzulegen, aus denen auf einen Blick zu ersehen war, wer wann was erhalten hatte. Weiter 38 musste ich dann die von zwei Ausschnittbüros übersandten Kritiken ordnen und in ebendiesen Listen abbuchen. […] Worauf ich mich auf wahre Berge von Zeitungsausschnitten stürzte. Ich las, ordnete, klebte ein, buchte – kurz, aus dem Straßenläufer war ein Bürositzling geworden. Mir gefiel das ausgezeichnet.“ Falladas Angestellten-Dasein im Verlag währte nur kurz bis 1931, aber das Sammeln, Ordnen und Bewahren der Rezensionen zu seinen Büchern hat er weiter akribisch betrieben. Im Nachlass haben sie sich erhalten, geordnet nach Büchern und Erscheinungsorten, darüber hinaus eine große Anzahl von Briefen von und an den Schriftsteller, die er ebenfalls nach Briefpartnern und Jahrgängen abgelegt hatte. Im Laufe der Jahre haben diese alten Papiere stark gelitten. Das holzhaltige Papier zerfällt langsam. Die säurehaltigen Klebstoffe fingen an, die aufgeklebten Zeitungsartikel zu zersetzen und die Schrift verblassen zu lassen. Mechanische Beschädigungen wie Risse oder Knicke waren aufgetreten. Mit Hilfe der Förderung durch die KEK können diese Papiere nun vor weiterem Zerfall geschützt werden. Dazu werden die alten Verklebungen gelöst, Zeitungsausschnitte und Trägerpapiere getrennt, beides wird entsäuert und anschließend mit neuen Klebern in archivgerechter Qualität wieder zusammengefügt. Bei mechanischen Beschädigungen werden die Blätter mit neuem Trägerpapier hinterlegt und so stabilisiert. Die Restaurierungs arbeiten werden von der Papierwerkstatt des Neubrandenburger Regionalmuseums durchgeführt. Erika Becker ist Leiterin des Hans-Fallada-Archivs. Hans-Fallada-Stiftung c/o Literaturzentrum Neubrandenburg e.V. Brigitte-Reimann-Literaturhaus Gartenstraße 6, 17033 Neubrandenburg Telefon 0395 - 5719180 Der Schriftsteller Hans Fallada an seiner Schreibmaschine in Carwitz, 12.3.1934; Hans-Fallada-Archiv, Neubrandenburg Rezension der Heilbronner Neckar-Zeitung zu Hans Falladas Roman „Bauern, Bonzen und Bomben“ von 1931 aus dem Nachlass Falladas; Hans-Fallada-Archiv, Neubrandenburg 39 HELFEN SIE MIT: MUTTER UND SOHN IN NOT In der Kunsthalle Rostock braucht ein Selbstporträt der Malerin Kate Diehn-Bitt Ihre Unterstützung von Stephanie Tasch Kate Diehn-Bitt, Selbstbildnis mit Sohn, um 1930, 99 × 74 cm; Kunsthalle Rostock 40 M utter, „Neue Frau“, Arbeiterin? Frontal schaut die junge Frau in Schwarz, mit hellblondem garçonne-Schnitt auffallend mondän vor einer Naturkulisse im Hintergrund, auf den Betrachter. Sie umfasst einen Knaben in Unterhemd und Mütze, der sich uns ebenfalls zuwendet. Mutter und Sohn halten unseren Blicken mit weit geöffneten Augen stand, sie sind in ihrer Umarmung ganz für sich. Das rote Halstuch der Malerin mag ein Wink in Richtung ihrer – der bürgerlichen Herkunft zuwiderlaufenden – politischen Überzeugungen sein. Das Bild ist auf Holz gemalt, die Malweise glatt, kühl, ein wenig konstruktivistisch, vor allem aber an der „Neuen Sachlichkeit“ der Weimarer Republik orientiert. Kate Diehn-Bitts „Selbstbildnis mit Sohn“, um 1933 entstanden, ist ein Schlüsselwerk der Malerin. 1900 in Schöneberg bei Berlin geboren, war Kate (ursprünglich: Käthe) Diehn-Bitt eine Tochter aus bürgerlichem Hause. Ihre Ausbildung erfolgte ausschließlich in verschiedenen privaten Kunstschulen; nach der frühen Heirat und der Geburt des Sohnes im Jahre 1920 nahm sie 1929 –31 ein Studium an der – wiederum – privaten Kunstaka demie Dresden auf, an der Woldemar Winkler (1902–2004) ihr Lehrer wurde, der sie später als „eine sehr kluge, sehr selbstbewusste, emanzipierte Persönlichkeit“ beschrieb. Die Dresdner Kunstszene um Otto Dix, Otto Griebel und andere dürfte für Diehn-Bitt so eindrücklich gewesen sein wie die politische Stimmung in der Stadt. Zurück in Rostock richtet sie 1933 ihr erstes Atelier ein; 1935 stellt sie zusammen mit der Bildhauerin Hertha von Guttenberg in der Galerie von Wolfgang Gurlitt in Berlin aus – es wird bis 1948 dauern, bis ihr in Schwerin wieder eine Ausstellung gewidmet wird. Während der NS-Zeit wird Kate Diehn-Bitts Stiefvater Dr. Leo Glaser als Jude verfolgt; sie selbst und ihr Werk werden als „artfremd“ diffamiert. Nach Kriegsende engagiert sich DiehnBitt in der neu gegründeten DDR zunächst kulturpolitisch, zieht sich aber nach dem Verdikt, „nicht zukunftweisend und optimistisch“ zu malen, in den ARSPROTOTO 4 2015 Kate Diehn-Bitt, Kirchenruine in Rostock, nach 1942, 99 × 74 cm; Kunsthalle Rostock 1950er Jahren aus allen Funktionen zurück und stirbt 1978 in Rostock. Sämtliche politisch-historischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland lassen sich an Biographie und Werk ablesen. Der Kunsthalle Rostock ist es zu verdanken, Teile ihres fast vergessenen Œuvres zusammengeführt und 2002 in einer Retrospektive gewürdigt zu haben. Inzwischen gibt es Interesse auch aus der Gegenwartskunst: Im vergangenen Jahr integrierte die in Berlin lebende Künstlerin Michaela Meise Werke Diehn-Bitts in ihre Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien. Die Rückseite des in der Kunsthalle Rostock aufbewahrten Selbstporträts offenbart die Konsequenzen des Zweiten Weltkriegs für die Stadt: Nach 1942 gemalt, sieht man über einer Wand aus Trümmern emporragend die Ruine der Ende April 1942 teilweise zerstörten St. Nikolai-Kirche in Rostock mit den charakteristischen Fensteröffnungen des Turms. Vorder- und Rückseite stehen in einer mehr als nur inhaltlichen Spannung zueinander: Von der Aufbruchsstimmung der am Beginn eines Erfolges stehenden Künstlerin ist nichts übrig geblieben, und die Wiederverwendung des Bildträgers spricht deutlich von der Materialknappheit der Kriegs- oder unmittelbaren Nachkriegszeit. Später setzten dem Gemälde weitere Faktoren zu; nach Auskunft der Kunsthalle müssen Spannungsrisse im Holz beseitigt, Fehlstellen der Malschicht ausgeglichen und der alte Firnis abgetragen und erneuert werden. Mit Hilfe der Arsprototo-Leser hofft die Kunsthalle Rostock, das Gemälde restaurieren zu können, ist doch „Selbstbildnis mit Sohn“ von zentraler Bedeutung für das Verständnis einer Künstlerin, deren Werk es in seinen sämtlichen Facetten wiederzuentdecken gilt. Dr. Stephanie Tasch ist Dezernentin der Kulturstiftung der Länder. Kunsthalle Rostock Hamburger Straße 40, 18069 Rostock Telefon 0381-3817000 www.kunsthallerostock.de Wir bitten Sie herzlich, liebe Leserin und lieber Leser, um Unterstützung für die Kunsthalle Rostock. Spenden Sie für die Restaurierung des Gemäldes „Selbstbildnis mit Sohn“ von Kate Diehn-Bitt und überweisen Sie bitte unter dem Stichwort „Kunsthalle Rostock“ auf eines der Konten der Kulturstiftung der Länder. Überweisungsträger finden Sie im Heft nach der Seite 66. Vielen Dank! 41 ERWERBUNGEN MÄDCHEN UNTER DER HAUBE Die „Spreewälder Spinnerinnen“ von Philipp Franck kommen ins Wendische Museum in Cottbus von Ingeborg Becker E ffektvoll im Hell-Dunkel einer abendlichen Raumbeleuchtung inszeniert, erscheinen zwei Mädchen am Spinnrad mit Spindel und Rocken (altdeutsch Kunkel), die der Berliner Maler Philipp Franck 1907 während einer seiner zahlreichen Reisen in den Spreewald porträtierte. Zwar mit Verspätung zu Vorgängern wie den Malern Paul Gauguin, Vincent van Gogh oder dann Max Liebermann, die bretonische oder holländische Frauen und Mädchen in ihrer charakteristischen Tracht als Bildsujet wählten, fand auch Philipp Franck (1860 Frankfurt a. M. – 1944 Berlin) im Spreewald jene Exotik im Nahen, eine nahezu unberührte Landschaft mit autochthonen Bewohnern, die Brauchtum und Tracht bewahrt hatten und ein malerisch reizvolles Gegenbild zum städtischen Leben verkörperten. Der Spreewald, mythisch durch die Ursprungs bevölkerung der Wenden und Sorben, mit einer eigenen Sprache und der malerischen Tracht seiner Bewohner, den zahllosen Wasserwegen und der gewissen Melancholie der Landschaft, war durch Ausflügler aus der nahegelegenen Großstadt Berlin zunehmend tou ristisch erkundet worden. Graphische Mappen mit romantischen Ansichten zirkulierten und verhalfen der abgeschiedenen Gegend seit den 1880er Jahren zu Popularität. Francks Hinwendung zur SpreewaldRegion entsprang jedoch nicht einem Interesse an der Eigentümlichkeit dieser Landschaft, sondern es entstand hier eine kleine Reihe von Gemälden, intime Interieurs, die Frauen und Mädchen in ihren dekora tiven Trachten bei häuslichen Arbeiten zeigen. Die sukzessive Stadtflucht des seit 1892 in Berlin lebenden Malers hatte mit seiner Übersiedlung ins Wannseedörfchen Stolpe begonnen, einem Ort, der noch durch eine bäuerliche Bevölkerung geprägt war und sich erst allmählich mit der Villenkolonie Alsen zu 42 Philipp Franck in seinem Atelier, 1920 einer städtischen Sommerresidenz der prosperierenden Reichshauptstadt entwickelte. Auch in den Genrebildern aus Stolpe stand für Franck zunächst die Faszination der einfachen Arbeit, wie es die Kartoffelernte oder Feldarbeit war, die zumeist von Frauen ausgeführt wurde, im Vordergrund. Das große Vorbild Liebermann hatte den Weg frei gemacht für solche Motive. Denn je stärker die Industrialisierung fortschritt, desto mehr rückte die nicht entfremdete Arbeit der Landbevölkerung auch in der modernen Malerei in den Mittelpunkt. Diese Darstellungen avancierten zum Sinnbild eines traditionellen sozialen Gefüges, das noch intakt zu sein schien und ein mentales und ideologisches Gegengewicht zu dem Topos ‚Stadt‘ darstellte. Im Gegensatz zu der Vereinzelung des Städters, seiner Wurzellosigkeit und Individualisierung, erkannte man im Menschen auf dem Lande einen Typus, dessen Philipp Franck, Spreewälder Spinnerinnen, 1907, 68 × 53 cm; Wendisches Museum, Cottbus ARSPROTOTO 4 2015 43 Max Liebermann, Amsterdamer Waisenmädchen im Garten, 1885, 116,5 × 95,5 cm; Hamburger Kunsthalle Herkunft feststand. Ein sichtbarer Indikator dieser Bindung war die jeweilige regionale Tracht. Im Gegensatz zu der städtischen, bürgerlichen Kleidung, die als gekünstelt und von der Mode abhängig gesehen wurde, verkörperte die Tracht mit ihrem festgelegten Regelwerk ein Gegenbild. Die Trachtenkleidung ist seit Jahrhunderten entwicklungslos und bedeutete damit eine Konstante innerhalb einer sich stetig wandelnden Welt. Sie gab darüber hinaus auch Auskunft über den sozialen Stand, besonders seiner Trägerin: Das unverheiratete Mädchen, die ehrbare Ehefrau und die Witwe waren leicht zu erkennen. In der Malerei des 19. Jahrhunderts hatte sich mit der Frau in volkstümlicher Tracht ein reizvolles Bild sujet entwickelt. Sind es zunächst die schönen, idealischen und exotischen Südländerinnen, die das Repertoire bestimmen, verschiebt sich gegen Ende des Jahrhunderts zunehmend das Interesse der modernen Künstler zu einem Frauentyp, welcher einem näheren Umfeld entstammt. So malte Max Liebermann die holländischen Waisenmädchen und sein Freund, der schwedische Maler Anders Zorn, seit 1898 Frauen und Mädchen in Tracht aus seiner Heimatregion Mora in Mittelschweden. Die Faszination dieses Frauentypus lässt sich nur zum Teil auf das Malerische der Ausstattung zurückf ühren. Es ist auch „die Frau unter der Haube“, die ein traditionelles Rollenbild erfüllte. Die Haube war in einer regulierten Kleiderordnung das weithin sichtbare Zeichen der Unterwerfung unter eine höhere Ordnung, ob es sich um Nonnen, Kommunikantinnen, Waisenmädchen, Ammen, Dienstmägde oder Frauen in einer ländlich strukturierten, patriarchalisch ausgerichteten 44 Gesellschaft handelte. Im Zeichen einer neuen Kodierung der Geschlechter um 1900, angesichts von Frauenemanzipation und Gleichberechtigung erschien ein solches Frauenbild wie ein Stabilitätsfaktor innerhalb eines sich wandelnden Sozialgefüges. Die malerische Spreewälder-Tracht mit den großen Hauben, Schürzen und vielen übereinander getragenen Röcken der Frauen und Mädchen interessierte Franck vordringlich. Es war ein Bildsujet, das sich auch in Berlin großer Popularität erfreute, da die Spreewälder Amme als Kindermädchen der reichen Familien fast ein unabdingbarer, zudem pittoresker Bestandteil im Kaleidoskop der unterschiedlichen Berufstypen der Hauptstadt war – Franck konnte mit diesem Motiv also durchaus auf Resonanz hoffen. In der Neuerwerbung für das Wendische Museum in Cottbus zeigt Franck eine einfühlsame Interieurdarstellung, bei der die geheimnisvolle Lichtführung eine große Rolle spielt und die weißen, kunstvoll gebundenen Hauben und bunten Trachtentücher besonders gut zur Geltung kommen. Die beiden Spreewälder Spinnerinnen sind zudem im Kontext einer tradierten Bildüberlieferung zu sehen. Als eine der ältesten Kulturtechniken der Menschheit, speziell der Frauen, gilt das Spinnen als das archaische Sinnbild der Frauenarbeit schlechthin. In Mythos, Sage und Märchen spielen Rocken und Spindel sowie die spinnende Frau eine schicksalshafte, oftmals dämonische, manchmal sogar hexenhafte Rolle. Selbst Arachne, Gattungsname der Spinne, ist dem antiken Mythos nach die Metamorphose einer (unbotsamen) Frau. Die tanzende Spindel, die wie durch Zauberhand sich von allein zu bewegen scheint und nicht gleich den Antrieb durch das fußbetriebene Spinnrad erkennen lässt, gibt der Spinnkunst der Frauen eine eigentümliche suggestive Macht. Die Spinnerinnen in Francks Gemälde sind durchaus als Nachfahren der Moiren oder Parzen, Schicksalsgöttinnen, die den Lebensfaden spinnen, abmessen und durchschneiden, anzusehen. Franck gibt mit diesem Interieur Einblick in eine Spinnstube, eine Einrichtung, die seit dem frühen Mittelalter überliefert ist, geselliger Treffpunkt der Frauen, die sich hier in den dunklen Herbst- und Wintermonaten zusammenfanden. In den Licht- oder Kunkelstuben (Spinnstuben) schienen sich frauliche Tugend und Häuslichkeit zu manifestieren. Oftmals waren sie aber auch als Kernzelle weiblicher Macht und Verschwörung gefürchtet – der sprachlich pejorative, etymologisch verwandte Begriff der „Kungelei“ verweist noch darauf. Das Gegenbild der häuslichen, vorbildhaften Frau, war die nicht gezähmte, auch sexuell unangepasste Frau. Oftmals als Prostituierte im gesellschaftlichen Abseits lebend, war für sie eine übliche Strafe das Verbringen in das öffentliche Spinn- und Arbeitshaus. Emblematisch für die christliche Todsünde der Acedia, der Trägheit, wird die eingeschlafene Spinnerin in der Bildkunst verwandt. Die beiden Spreewälder Spinnerinnen in Francks Gemälde geben uns aber auch ein kleines Fragezeichen auf: Während die im Vordergrund sitzende junge Frau tugendhaft die Augen niedergeschlagen hat, schaut ihre Nachbarin fragend oder fast sogar trotzig aus dem Bild auf den Betrachter. Sind hier vielleicht die beiden „Schwestern“ gemeint: Das gute und das schlechte Mädchen? Bahnt sich hier Rebellion an, ein Bruch mit Tradition und Konvention? Philipp Franck gehört einer Generation an, die für die Kunst der Jahrhundertwende bedeutend werden sollte, eine Generation, die zudem mit einer Fülle von „Ismen“ innerhalb des Kunstgeschehens konfrontiert wurde: Dem Salon-Idealismus der Gründerzeit, dem sozialen Naturalismus der 1880er Jahre, dem scheinbar neutralen Realismus, sowie sich dem daraus wenig später entwickelnden Impressionismus deutscher Ausprägung. Nach einer profunden Ausbildung als Maler am Frankfurter Städelschen Kunstinstitut war Franck Mitglied der Künstlerkolonie Kronberg geworden und betrieb weiterhin Studien an der Kunstakademie in Düsseldorf. Seit 1892 lebte er in Berlin, 1898 schloss er sich als Mitbegründer der Künstlervereinigung „Berliner Secession“ an. Mit den Gemälden, die um 1900 bis 1910 entstanden, gilt er als einer der bedeutenden Vertreter des deutschen Impressionismus. Nicht mit solchen materiellen Gütern ausgestattet wie sein Freund, Künstlerkollege und Nachbar am Wannsee, Max Liebermann, übte Franck, neben seiner rein künstlerischen Profession für Jahrzehnte den Beruf als Kunstpädagoge und Zeichenlehrer an der Berliner Königlichen Kunstschule aus. Seine Reisen in den Spreewald waren für ihn die „kleinen Fluchten“. In seiner 1920 erschienenen Autobiographie „Vom Taunus zum Wannsee“ schrieb Philipp Franck über diese Zeit: „Unmittelbar nach dem Unterricht fuhr ich aus der Kunstschule weg über Cottbus nach Burg [Bórkowy], wo ich kurz vor 12 in der Nacht ankam […] am nächsten Morgen wartete das Modell schon auf die Sitzung. Sommers wie winters hatte ich regelmäßig diese Fahrten in den Spreewald fast zwei Jahre lang unternommen und oft blieb ich gleich eine halbe Woche dort.“ Mit den „Spreewälder Spinnerinnen“ gelangt nun ein Hauptwerk dieser Schaffensphase Francks, der wenige Jahre nach seiner Serie der Genrebilder in Berlin zum Direktor der Königlichen Kunstschule ernannt wurde, in das Wendische Museum in Cottbus. Die Kulturstiftung der Länder unterstützte den Ankauf: In der Cottbusser Sammlung, die sich der Darstellung und Bewahrung der wendischen /sorbischen Kultur verschrieben hat, zeugt es – inmitten der reichen Kollektion niedersorbischer Trachten des Museums – von erst vor Kurzem verschwundenen Kulturpraktiken der einstigen Bevölkerung. Wendisches Museum Cottbus Mühlenstr. 12, 03046 Cottbus Telefon 0355 – 794930 Öffnungszeiten: Mi – Fr 10 –17 Uhr Sa, So und feiertags 13 –17 Uhr www.wendisches-museum.de Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Stiftung für das Sorbische Volk, Sparkasse Spree-Neiße, Spenden der Bevölkerung Anders Zorn, Auf der Bodentreppe, 1898, 138 × 79 cm; Kunstmuseum Göteborg ARSPROTOTO 4 2015 45 Heiliger Zorn Die Ernst von Siemens Kunststiftung erwirbt für die Staatsgalerie Stuttgart ein lange verschollenes Frühwerk von Gottlieb Schick Gottlieb Schick, Achill empfängt die Gesandten Agamemnons, 1801, Öl auf Leinwand, 108,5 ×142 cm; Staatsgalerie Stuttgart. Leihgabe der Ernst von Siemens Kunststiftung Ähnlich wie heute New York oder Berlin waren im 18. und frühen 19. Jahrhundert Paris und Rom die beiden zentralen Orte für Kunststudenten, die sich zeitgemäß ausbilden und Chancen auf dem auch damals schon heiß umkämpften Kunstmarkt sichern wollten. In Paris zog besonders das Atelier des führenden Porträt- und Historienmalers der Revolutionszeit, Jacques-Louis David, Studenten aus dem In- und Ausland an. Zu diesen zählte ab 1798 auch der Stuttgarter Gottlieb Schick (1776 –1812). Mit seinem Wunsch, seine Ausbildung zunächst in Paris und danach in Rom zu vervollkommnen und in beiden Städten Inspiration und Aufträge zu finden, folgte er dem Vorbild seiner Stuttgarter Lehrer, dem Maler Philipp Friedrich Hetsch und dem Bildhauer Johann Heinrich Dannecker, die beide in Paris und Rom studiert und gearbeitet hatten. 1799 und erneut 1801 bewarb sich Schick um den „Prix de Rome“, den die Pariser Académie des Beaux-Arts alljährlich auslobte und der seinem Gewinner einen fünfjährigen Aufenthalt in der Ewigen Stadt ermöglichte. Das jetzt in die Staatsgalerie gelangte Gemälde, das seit 1914 als verschollen galt und erst vor wenigen Jahren in Privatbesitz identifiziert wurde, war Schicks Wettbewerbsbeitrag um den Rompreis des Jahres 1801. Am Ende des dreistufigen Auswahlverfahrens, an dem unter anderen auch Schicks jüngerer Mitschüler Jean-Auguste-Dominique Ingres teilnahm, musste für den „concours définitif“ innerhalb von 72 Tagen ein Ölgemälde fertiggestellt werden. Die Akademie hatte eine zentrale Episode aus dem 9. Buch von Homers Illias als Preisaufgabe vorgegeben: Die Boten Agamemnons – der listenreiche Odysseus, der Hühne Ajas, Achills Ziehvater Phönix sowie die Herolde Odios und Eurybates – sollen den zürnenden Achill mit dem Versprechen reicher Sühnegaben dazu bewegen, wieder am Kampf um Troja teilzunehmen. Achill bleibt dem Kampfgeschehen demonstrativ fern, seit ihm der Führer der Griechen, Agamemnon, wichtige Teile der Beute aus den Kämpfen um Troja, vor allem jedoch die Sklavin Briseïs entzogen und ihn dadurch tief in seiner Heldenehre gekränkt hat. Der Wunsch des ehrgeizigen jungen Stuttgarters, den Wettbewerb um den prestigeträchtigsten französischen Förderpreis für sich zu entscheiden, lässt ihn folgerichtig sein am deutlichsten von der französischen Tradition geprägtes Bild malen: Die friesartige, nahsichtige Anordnung der groß gesehenen Figuren im Vordergrund der Raumbühne geht letztlich auf das Vorbild der Historien Nicolas Poussins zurück, während die nachdrückliche physische Präsenz und Gespanntheit der Körper auf Davids malerische Neuinterpretation der französischen Meister des 17. Jahrhunderts wie auch der klassischen römischen Skulptur der Antike verweist. Auch die theatralische Gestik der Figuren sowie die Vielzahl der sich in Gesichtern und Körpersprache der Boten spiegelnden Affekte verraten das Vorbild Davids. Im Sinne seines verehrten Lehrers lässt Schick die Bildhandlung in der Konfrontation Achills mit den Boten kulminieren: Achill, der sich und seinen Freund und Waffenbruder Patroklos mit Heldenliedern unterhalten hat, zu denen er sich selbst auf der Leier begleitete, tritt den Boten mit raumgreifendem Willkommensgestus entgegen, dessen Ausladung durch seinen lang nachschleppenden Umhang noch verstärkt wird. Der Kontrast der je nach Person und Charakter argumentierend, trotzig, demütig bittend und zagend sich annähernden Boten zu den beiden idealen Jünglingsgestalten Achill und Patroklos – dieser als Halbakt gegeben, um den Juroren der Académie Schicks Befähigung zur Aktmalerei zu demonstrieren – könnte kaum größer sein. So wird das bei Homer später geschilderte Scheitern } www.ernst-von-siemens-kunststiftung.de der Mission im Bild vorweggenommen: Achill wird sich von den Reden der Boten und den ihm versprochenen Sühne gaben nicht zur erneuten Teilnahme am Kampf um Troja bewegen lassen. Obwohl sterblich, ist Achill durch seine Mutter, die Nereide Thetis, göttlicher Abkunft. Diese manifestiert sich im übermenschlichen, eben göttlichen Zorn Achills, den keine irdische Wiedergutmachung lindern kann. Schick macht die göttliche Überhöhung des gekränkten Helden anschaulich, indem er ihn als apollinischen Sänger mit Leier, exaltierter Gestik und demonstrativ unkriegerisch in Szene setzt. Auch Achills Zelt mit Marmorfußboden, thronartigem Greifen-Sessel und von einer baldachinartigen Draperie beschattet, wird als Ort der göttlichen Inspiration nachdrücklich vom übrigen Bildraum abgegrenzt. Hier definieren Mauerfragmente rechts und ein Schiff im Mittelgrund kulissenartig den Ort der Handlung. Im Himmel über den Häuptern der Boten setzt ein Geier zum Sturzflug auf die belagerte Stadt an. Der Aasfresser steuert auf den Ort zu, wo andauernde todbringende Kämpfe reiche Beute für ihn erwarten lassen. Im Wettbewerb um den Rompreis sollte sich schließlich nicht Gottlieb Schick, sondern sein Mitschüler Ingres durchsetzen, dessen Aufnahmestück sich in der Sammlung der Pariser Académie des Beaux-Arts erhalten hat. Schick scheint sich deswegen nicht gekränkt gefühlt zu haben. Dank eines durch Herzog Friedrich II. von Württemberg gewährten Reisestipendiums reiste er nach kurzem Zwi- Gottlieb Schick: Selbstbildnis, um 1800, Aquarell auf Elfenbein, 7,5 × 6 cm; Staatsgalerie Stuttgart schenaufenthalt in Stuttgart 1802 nach Rom. In seinen dort entstandenen Hauptwerken „David spielt vor Saul“ (1802–1803) und „Apoll unter den Hirten“ (1806 –1808, beide Staatsgalerie Stuttgart) werden göttlich überhöhte Sterbliche – der musizierende David beziehungsweise der die Menschen lehrende Gott Apoll selbst – im Mittelpunkt stehen. Die Gestalt Achills aus Schicks Pariser Frühwerk darf als erste Manifestation dieser idealen Jünglingsgestalten angesehen werden. Dr. Christofer Conrad Staatsgalerie Stuttgart NEUE ERFOLGE FASSUNG BEWAHREN Mit Ihrer Hilfe konnte das Lübecker St. AnnenMuseum ein spätmittel alterliches Relief restaurieren von Jan Friedrich Richter In einer Sammlung mittelalterlicher Kunst, wie sie das Lübecker St. AnnenMuseum besitzt, hat die Formulierung „Fassung bewahren“ einen tieferen Sinn. Viele Arbeiten müssen aufgrund von Personalmangel und beschränkten Finanzmitteln zurückgestellt werden, eine mitunter aufreibende Verzögerung, die den zuständigen Kollegen einiges an Nervenstärke abverlangt. „Fassung bewahren“ betrifft aber auch den Kern musealer Denkmalpflege, sind es doch gerade die Farbfassungen auf den mittelalterlichen Skulpturen, die den Restauratoren aufgrund ihres hohen Alters viel Arbeit und Kopfzerbrechen bereiten. Umso erfreulicher sind die seltenen Gelegenheiten, bei denen derartige Arbeiten durch äußere Hilfe ermöglicht werden. In Arsprototo 3/2014 hatten wir uns mit dem Aufruf an Sie gewendet, uns bei der Restaurierung eines Reliefs zu unterstützen, auf dem die Anbetung der Heiligen Drei Könige dargestellt ist. Das Relief entstand um 1500 in einer unbekannten Werkstatt in den nörd lichen Niederlanden und befand sich ursprünglich in der Predella, also dem Unterbau eines Altaraufsatzes, der für die Lübecker Jakobikirche bestimmt war. Von diesem Altaraufsatz hat sich als einziger Rest dieses Relief erhalten, Teil einer ursprünglich größeren Szene, die sich rechts an den in Anbetung knienden König anschloss. Die hohe künstlerische Qualität der Arbeit zeigt sich nicht zuletzt in der zu großen Teilen original erhaltenen Farbfassung. Sie hatte in weiten Bereichen den Kontakt zum Holz verloren und lag nur noch als lose und damit höchst gefährdete Schicht auf dem Relief auf. Mit Ihrer Hilfe ist es gelungen, diese Fassung zu sichern und das Relief wieder dauerhaft in der Ausstellung präsentieren zu können. Neben seiner künstlerischen Qualität nimmt das kleine Fragment auch kunsthistorisch einen besonderen Stellenwert in Lübeck ein. Werke wie dieses stehen beispielhaft für eine heute aufgrund der Bilderstürme in den Niederlanden kaum noch nachweisbare Kunstform, die im europäischen Kontext eine nicht zu unterschätzende Bedeutung besaß. Dies gilt auch für das Lübecker Relief. Obwohl die Hansestadt um 1500 zu den bedeutendsten Kunstmetropolen im Ostseeraum gehörte, vergaben viele Lübecker Stifter ihre Aufträge an auswärtige, bevorzugt niederländische Werkstätten. Verantwortlich dafür war ein veränderter Zeitgeschmack, der es diesen Werkstätten ermöglichte, im Ostseeraum neue Märkte zu erschließen. Der bis dato von Lübeck dominierte Absatzmarkt geriet unter starken Druck und reagierte mit künstlerischen Veränderungen auf die Konkurrenz. Das Lübecker Relief steht beispielhaft für eine alles umwälzende Entwicklung. Die Darstellung einer über die gesamte Breite der Predella reichenden Szene war aus Lübecker Sicht völlig neuartig, wurde aber sofort von einheimischen Künstlern für ihre eigenen Werke übernommen. Das lässt sich an einem der teuersten Werke nachweisen, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Lübeck entstanden sind, dem 1512 fertig gestellten Hochaltarretabel der Marienkirche in Prenzlau. Der dort in der Predella dargestellten Anbetung der Könige diente das Lübecker Fragment als unmittelbares Vorbild, wie sich an der von seinem Pferd steigenden Figur des jüngsten Königs zeigt. Dass der Lübecker Bildschnitzer dabei seine künstlerischen Eigenarten durchaus bewahren konnte, lässt sich jetzt im St. Annen-Museum überprüfen. Beide Werke sind für einen begrenzten Zeitraum zusammen zu sehen, als Teil der Sonderausstellung „Lübeck 1500 – Kunstmetropole im Ostseeraum“, eine Gegenüberstellung, die nicht zuletzt durch Ihre großzügige Spende ermöglicht worden ist, für die wir uns herzlich bedanken möchten. Dr. Jan Friedrich Richter arbeitet als freier Kurator am Lübecker St. Annen-Museum, verantwortlich für die Sonderausstellung „Lübeck 1500 – Kunstmetropole im Ostseeraum“ (noch bis zum 10. 1. 2016, www.luebeck1500.de). St. Annen-Museum St. Annen-Straße 15, 23552 Lübeck Telefon 0451-122 41 34 Öffnungszeiten: Di – So 10 –17 Uhr www.st-annen-museum.de Relief der Heiligen Drei Könige, um 1500, 50 × 70 × 18 cm; St. Annen-Museum, Lübeck 48 Der digitale Kunstführer für das Ruhrgebiet www.kunstgebiet.ruhr gefördert durch die ARSPROTOTO 4 2015 NEUE BÜCHER EINBLICKE / DURCHBLICKE In dieser Hommage an die Vielfalt der eigenen Sammlung stellt das Grassi Museum unkonventionelle Zusammenhänge zwischen Objekten der angewandten Kunst her: So wird auf den Seiten des Buchs ein Handstaubsauger, entworfen in den 1960ern von Wolfgang Dyroff, mit einem vergoldeten Leuchter der Jahrhundertwende verkuppelt; ein zarter Spitzenvolant aus Frankreich verpaart sich dort mit den Ranken eines schmiedeeisernen Tors, gefertigt im Leipzig des 17. Jahrhunderts. Die Bezüge – mal überraschend, mal provokant, dabei immer inspirierend – entstehen nicht wie gewohnt über Chronologie oder Kategorie, sondern über raffinierte Umwege und Durchblicke. Abgebildet in außergewöhnlichen Ausschnitten und extremen Vergrößerungen, treten die Sammlungsobjekte wie eigenständige Persönlichkeiten auf und können so vom üblichen Kontext losgelöst wahrgenommen werden. Auf dieser neuen Wahrnehmungsebene offenbaren sich unverhoffte Qualitäten und Parallelen unter den Objektpaaren. Eine visuelle Delikatesse in Buchform, die großes Vergnügen bereitet und von der Faszination der Museumssammlung zeugt. Eva Maria Hoyer (Hg.), Einblicke / Durch blicke. Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig. Ein Parcours durch die Sammlungen. Arnoldsche Art Publishers, Stuttgart. 294 Seiten, 275 Abbildungen in Farbe, 39,80 Euro 50 TEMPEL DER KUNST – DIE GEBURT DES ÖFFENTLICHEN MUSEUMS IN DEUTSCHLAND Dieser Band ist „dem großen und fruchtbaren Durcheinander“ (Thomas Gaethgens) gewidmet, in dem sich die Institution des Museums in Deutschland seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte. Genauer gesagt, in jenen kleinstaatlichen Strukturen des Reiches, deren Erbe das heutige föderative System mit seiner reichen Kunst- und Museumslandschaft ist. Ausgehend von zeitgenössischen Quellen, wie dem 1807 erschienenen „Taschenbuch für junge Reisende um Kunstgalerien, Museen und Bibliotheken mit Nutzen zu besuchen“ konzentrieren sich die Aufsätze nach einem einleitenden Teil, der sich dem historischen Entstehungskontext widmet, auf zwei Museumstypen: Bildergalerien und Antikensammlungen. Die Leser sind auf eine Reise durch die Sammlungen eingeladen, die durch zeitgenössische Stimmen und weitere Abbildungen auf der dem Buch beigelegten CDROM um eine inhaltliche Dimension erweitert wird: Den Stimmen der heutigen Autoren, die die Galerien von Düsseldorf, Dresden, Kassel oder Braunschweig vorstellen, antworten die historischen Besucher dieser Museen. Ein Reise führer durch die Museumsgeschichte, der die „Tempel der Kunst“ in ihrer ganzen Vielfalt entdecken lässt. Bénédicte Savoy (Hg.), Tempel der Kunst. Die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland 1701– 1815. Böhlau Verlag, Köln. 592 Seiten, ca. 100 Abbildungen sowie eine CD-ROM mit 200 Abbildungen, 44,90 Euro DIE ZEIT IN KARTEN Ist es heute selbstverständlich, mit einem einfachen Liniendiagramm komplexe Zusammenhänge und Abläufe graphisch darzustellen, so verlangte die Visualisierung zeitlicher Ereignisse bis vor einigen hundert Jahren noch viel Kreativität. Dargestellt als Baum mit weit verzweigten Ästen oder gleichsam einem Fluss mit zahllosen Nebenarmen, in Form einer Weltkarte oder in Kombination mit figürlichen Darstellungen – die Reise durch die Zeit ist abwechslungsreich. Beim Blättern entdeckt man immer wieder Außergewöhnliches wie das Spiel der Universalgeschichte und Chronologie von John Walis von 1840, auf dem jedes Feld ein historisches Ereignis zeigt, oder die Weltgeschichte von Johannes Buno aus dem Jahr 1672, bei der sich u.a. über den Körper eines Bären einprägsame Figuren und kuriose Details in Kombination mit einer Jahreszahl verteilen. Daniel Rosenberg und Anthony Grafton – zwei Experten der Wissenschaftsgeschichte – versammeln in dieser eindrucksvollen Bilderreise zum Teil bislang unveröffentlichtes Material. Neben den beeindruckenden Abbildungen wird in einem wissenschaftlich fundierten Text die Geschichte der Darstellung der Zeit von der Antike bis in die jüngste Vergangenheit beleuchtet. Daniel Rosenberg, Anthony Grafton, Die Zeit in Karten. Eine Bilderreise durch die Geschichte. Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt. 301 Seiten mit 268 farbigen und 40 Abbildungen in Schwarzweiß, 79,95 Euro KANDINSKYS BRIEFE Was als ein geschäftlicher Kontakt begann, sollte sich zu einer engen Freundschaft entwickeln: Wassily Kandinsky stand zwischen 1923 und 1943 postalisch im intensiven Austausch mit dem Kunstkritiker und Ausstellungsmacher Will Grohmann. Die Briefe und Postkarten des Künstlers an seinen Vertrauten – anfangs handschriftlich verfasst, ab 1925 auf der Schreibmaschine – zeugen lebhaft von den beruflichen und persönlichen Umständen Kandinskys während der Weimarer Zeit, seiner Jahre als Lehrer am Bauhaus und während des einschneidenden Exils in Paris. In den intellektuellen Dialog, in dem sich die Freunde insbesondere über Kandinskys Kunsttheorie austauschten und der als wichtige Quelle für das Œuvre des Malers fungiert, mischen sich Anekdoten über Künstlerkollegen wie Paul Klee und Oskar Schlemmer oder Berichte von Reiseerlebnissen. Die 250 vorwiegend noch nicht publizierten Schriftstücke des Malers an Grohmann offenbaren die rege, konstruktive Zusammenarbeit der Männer. Ergänzt durch hilfreiche Kommentare der Herausgeber, vermitteln sie dem Leser ein umfangreiches Verständnis von der Person Kandiskys und seinem Wirken. Barbara Wörwag (Hg.), Wassily Kandinsky. Briefe an Will Grohmann 1923 –1943. Hirmer Verlag, München. 544 Seiten, 39,90 Euro UNTERSTÜTZEN SIE UNS RETTEN SIE KUNST Unterstützen Sie die Spendenaufrufe von Arsprototo. Spenden Sie unter dem Stichwort „Kunsthalle Rostock“ und helfen Sie bei der Restaurierung von Kate Diehn-Bitts Gemälde „Selbstbildnis mit Sohn“. ––– Siehe Seite 40 Haben Sie weitere Fragen zu den Projekten? Rufen Sie die Redaktion unter 030 - 89 36 35 27 an. DIE KULTURSTIFTUNG DER LÄNDER Die Kulturstiftung der Länder ist eine Stiftung bürger lichen Rechts und verfolgt ausschließlich gemeinnützige Zwecke. Sie hat die Berechtigung, steuerlich wirksame Spendenbescheinigungen auszustellen. Spenden an die Kulturstiftung der Länder sind steuerlich abzugsfähig. Die Kulturstiftung der Länder wurde 1987 von den Ländern der Bundesrepublik Deutschland gegründet und nahm am 1. April 1988 in Berlin ihre Arbeit auf. Im Oktober 1991 traten die neuen Bundesländer bei. Die Kulturstiftung der Länder unterstützt und berät deutsche Museen, Bibliotheken und Archive bei der Erwerbung und Bewahrung von national wertvollem Kulturgut. Darüber hinaus widmet sie sich wichtigen kulturpolitischen Themen wie dem „Deutsch-Russischen Museumsdialog“ und hat mit „Kinder zum Olymp!“ eine erfolgreiche Bildungs initiative für Kinder und Jugendliche ins Leben gerufen. ––– www.kulturstiftung.de BILDNACHWEIS Titel: © Bayerische Staatsbibliothek; S. 3 o.: © Oliver Helbig; S. 3 u.: © Jörg F. Müller; S. 4 l.o.: © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz; S. 4 l.u.: © Bayerische Staatsbibliothek / I. Schäfer; S. 4 r.: © Urbschat; S. 5 l.: © Deutsches Tanzarchiv Köln / Foto: Susanne Fern; S. 5 r.: © Vereinigte Domstifter / Universitätsbibliothek Leipzig; S. 6 l.: © Wendisches Museum, Cottbus / Foto: Bernd Choritz, Eichow/Dubje; S. 6 r.: © Bernd Kuhnert, Berlin; S. 8-9: © Deutsches Tanzarchiv Köln / Foto: Susanne Fern; S. 10-11: © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München / Foto: Renate Kühling; S. 12-13: © Kaspar & Lauterwald GbR Leipzig, GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig; S. 14: © Christian-Schad-Stiftung Aschaffenburg / Foto: Ines Otschik (Museen der Stadt Aschaffenburg) / VG Bild-Kunst, Bonn 2015; S. 15: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: Cem Yucetas, Kunsthalle Mannheim; S. 16: © Ulmer Museum / Foto: Oleg Kuchar, Ulm; S. 18-19: © Jörg F. Müller; S. 20: © Stefan Gloede; S. 21: © Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Hannah Höch-Archiv / Kai-Annett Becker / VG Bild-Kunst, Bonn 2015; S. 22: © Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité / Foto: Christa Scholz; S. 23 o.: © Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts; S. 23 u.: © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz; S. 24: © Jörg F. Müller; S. 25: © Restaurierungswerkstatt Claus Schade; S. 26-29: © Bayerische Staatsbibliothek; S. 30-32: © Vereinigte Domstifter / CICS Cologne Institute of Conservation Sciences / Fotos: Robert Fuchs; S. 33: © Vereinigte Domstifter / Universitätsbibliothek Leipzig / Foto: Robert Fuchs; S. 34: © Stadtarchiv Karlsruhe; S. 36: © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz; S. 37: © Staats- und Universitätsbibliothek Bremen / Foto: Thomas Steinle; S. 38: © Hans-Fallada-Archiv; S. 39: © Literaturzentrum ARSPROTOTO 4 2015 BESTELLEN SIE ARSPROTOTO Arsprototo, das Magazin der Kulturstiftung der Länder, erscheint viermal im Jahr. Das Abonnement ist kostenlos. Wir möchten Sie dennoch herzlich bitten, sich mit einem kleinen Beitrag an den Herstellungs- und Vertriebskosten zu beteiligen. Bitte überweisen Sie unter dem Stichwort „Arsprototo“ auf eines unserer Konten (beispielsweise 20 Euro). Vielen Dank! Leider können wir Ihnen für diesen Beitrag keine Spendenbescheinigung ausstellen. So können Sie Arsprototo bestellen: mit der Postkarte am hinteren Heftumschlag per E-Mail: [email protected] per Fax: 030 - 26 55 56 71 telefonisch: 030 - 89 36 35 0 im Internet: www.kulturstiftung.de Auch vorangegangene Hefte von Arsprototo sind bei der Kulturstiftung der Länder bestellbar – folgende Ausgaben sind jedoch vergriffen: 2/2005, 1/2007, 2/2007, 4/2007, 2/2009, 3/2009, 2 – 4/2010, 1– 4/2011, 1– 4/2012, 1/2014, 4/2014 PATRIMONIA Die Kulturstiftung der Länder gibt seit 1988 die Schriftenreihe PATRIMONIA heraus, in der sie ihre wichtigsten Förderungen ediert. Bislang sind über 350 Bände erschienen. Einzelhefte können Sie – soweit nicht vergriffen – bei der Kulturstiftung der Länder bestellen. Eine Liste mit Kurzbeschreibungen der einzelnen Bände und Preisangaben finden Sie auf unserer Webseite. Neubrandenburg / Winfried Braun; S. 40-41: © Kunsthalle Rostock; S. 42: © Galerie Mutter Fourage, Berlin; S. 43: © Wendisches Museum, Cottbus / Foto: Bernd Choritz, Eichow/Dubje; S. 44: © bpk / Hamburger Kunsthalle; S. 45: © Foto: Hossein Sehatlou – Göteborgs konstmuseum – 2015; S. 48: © St. Annen-Museum, Lübeck / Foto: Annette Henning; S. 50: © bei den Verlagen; S. 52: aus: Neubrandenburg und Umgebung, 1913, S. 32; S. 53 o.: aus: Katalog Grosse Berliner Kunstausstellung, 1897, S. 96; S. 53 u.-54: © Amtsgericht Neubrandenburg, Nachlassakten Henry Stoll; S. 55-56 o., 57: © Bernd Kuhnert, Berlin; S. 56 u.: © Marg. Brauer, in: Schriftenreihe des Karbe-Wagner- Archivs, 1972, Heft 10, S. 15; S. 58 l.: © Estate of George Grosz, Princeton, N.J. / VG Bild-Kunst, Bonn 2015; S. 58 2.v.l.: © Bayerische Staatsgemäldesammlungen / Foto: Sibylle Forster; S. 58 3.v.l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015; S. 58 r.: © Stiftung Gerhard Altenbourg, Altenburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2015; S. 59 l.: © Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen, Kupferstichkabinett; S. 59 2.v.l.: © bpk, Hamburger Kunsthalle / Foto: Elke Walford; S. 59 3.v.l.: © Nationalmuseum, Stockholm; S. 59 r.: © VG Bild-Kunst Bonn 2015 / Foto: Gabriele Bröcker; S. 60 l.: © Mang Chen; S. 60 2.v.l.: © LWL-MKuK Münster / Foto: Hanna Neander; S. 60 3.v.l.: © Künstlerin; S. 60 r.: © Weltkulturerbe Völklinger Hütte / Hans-Georg Merkel / Franz Mörscher / Glas AG; S. 61 l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: Kunstsammlungen Chemnitz / May Voigt; S. 61 2.v.l.: © LDA Sachsen-Anhalt / Foto: Juraj Lipták; S. 61 3.v.l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: Jörg Schanze, Düsseldorf; S. 61 r.: © Lindenau-Museum Altenburg, Jens Paul Taubert; S. 62: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg / Foto: Wolfgang Pfauder; S. 63 o.: © Verlag des Germanischen Nationalmuseums; S. 63: © Lippisches Landesmuseum, Detmold; S. 64: © Stefan Gloede; S. 66: © Oliver Mark 51 LÄNDERPORTRÄT MECKLENBURG-VORPOMMERN Die Sammlungen Henry Stoll und August Schmidt IN DER TRADITION DER BÜRGERLICHEN STIFTER Die alten Kunstsammlungen der Stadt Neubrandenburg sind seit 1945 verschollen von Uta Baier Die Innenräume der Städtischen Kunstsammlung in der Alten Mädchenschule, Badstüberstraße, 1913 52 Carl Ludwig, Hohenzollern. Frühlingsmorgen, o. J., 1897 erworben auf der „Grossen Berliner Kunst-Ausstellung“ E s ist an der Zeit, den kinderlosen unverheirateten Mann und seine Bedeutung für die deutsche Museumslandschaft ins rechte Licht zu rücken. An dieser Stelle war bereits von Hermann Roemer und Wilhelm Pelizaeus die Rede, deren Stiftungen zur Gründung des Roemer- und PelizaeusMuseums in Hildesheim führten. Nun soll es um Henry Stoll und August Schmidt gehen. Auch sie waren ledige und kinderlose Kunstsammler und Kunststifter und ermöglichten es ihrer Heimatstadt Neubrandenburg, ein Museum zu gründen und auszubauen. Wer allerdings heute in der Kunstsammlung Neubrandenburg nach dem Erbe dieser beiden Männer sucht, findet nur einige Bruchstücke. Denn die Neubrandenburger Sammlungen sind seit 1945 komplett verschollen. Allein ein Berg Porzellanscherben wurde 2006 bei Bauarbeiten gefunden. Insgesamt vermisst das Museum 10.000 bis 20.000 Kunstwerke. 1.151 Verluste hat man in die Datenbank von www.lostart.de eingegeben, denn nur die sind genauer beschreib- und nachweisbar. Fundmeldungen gibt es – bisher – keine. Weder in Auktionen noch in Nachlässen oder in Depots anderer Museen ist etwas aufgetaucht. „Die Recherche ist so schwierig, weil mit den Sammlungen auch alle Unterlagen verschwunden sind“, sagt Museumsmitarbeiterin Elke Pretzel. Pretzel begann 1998 aus eigenem Interesse und ganz allein, die alte Sammlung zu erforschen. Bis dahin hatte sich niemand um diesen Teil der Stadtgeschichte gekümmert. Ihr äußerst informatives Buch „Die Geschichte einer verlo- ARSPROTOTO 4 2015 renen Sammlung“ erzählt von diesen Recherchen, ihren Schwierigkeiten, Ergebnissen und Fehlstellen. Denn als sie mit der Recherche begann, waren auch die Erinnerungen der meisten Augenzeugen nur noch undeutlich. Viele waren 1945 Kinder, als sie das letzte Mal die Sammlungen sahen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Stadt Ende April 1945 zu 80 Prozent zerstört wurde. Auch das Stadtarchiv ist verbrannt. Viele Bürger verließen die Stadt für immer. „Es heißt, Ende April 1945 wurden die Museumsbestände auf einen LKW geladen, der Richtung Schwerin fuhr“, erzählt Pretzel. Da muss die Sammlung noch vollständig gewesen sein, denn unter der Aktion „Entartete Kunst“ hatte das Museum nicht zu leiden – es hatte keine „entartete“ Kunst. Mehr ist nach Elke Pretzels Forschungen über den Verbleib der Sammlung bisher nicht bekannt. Wie beim Bernsteinzimmer gebe es zwar immer wieder Gerüchte, wo die Sammlung sein könnte, doch gefunden wurde nichts – bis auf einige Porzellane. Diese Stücke waren offenbar nicht evakuiert worden, 53 denn der Scherbenhaufen befand sich dort, wo einst das Kunstmuseum im Südflügel des ehemaligen Herzog lichen Palais’ seine Ausstellungsräume hatte. Außerdem konnten an einigen der gefundenen Scherben Anhaftungen von geschmolzenem Glas nachgewiesen werden, so dass die Annahme, eine komplett gefüllte Ausstellungsvitrine sei beim Brand des Museums zerstört worden, naheliegt. Auch für eine Befragung des zwischen 1934 und 1945 amtierenden Museumsverwalters Walter Günteritz war es 1998 zu spät. Günteritz, 1888 geboren, starb bereits 1962. Allerdings profitiert das heutige Museum von einer Stiftung seiner Witwe, die dem Haus vor einigen Jahren ihr Vermögen vererbte, so dass man von den Zinsen regelmäßig neue Werke für die Sammlung kaufen kann. Doch über die vermutlich evakuierten Kunstwerke erfuhr Elke Pretzel auch von der Witwe des letzten Museumsdirektors nichts Neues. So viel ist immerhin klar: Die Geschichte der ersten Sammlung, die nach heutigem Forschungsstand 1945 endet, begann 1890 mit dem Testament von Henry Stoll. Stoll (1828 –1890) war ein in Neubrandenburg geborener und in Berlin lebender Maler und Sammler. Der kinderlose, unverheiratete Stoll war außerdem ein weitblickender Mann. Sein Testament bestimmte nicht nur seine Kunstsammlung für Neubrandenburg. Er stellte darüber hinaus Bedingungen: „Für gute Beleuchtung der Gemälde (Nordlicht) ist vornehmlich zu sorgen“, schrieb er und mahnte außerdem eine öffent liche Ausstellung und die kontinuierliche Erweiterung der Sammlung an. Ähnliches wünschen sich Stifter heute auch. Zum Kauf neuer Werke hatte Stoll der Stadt sogar Kapital vererbt. „Die Zinsen dieses auf die Erbnehmerin eigenthümlich übergehenden Vermögens sollen lediglich zur Erweiterung der Sammlung durch Ankauf gediegener Werke der Malerei und Bildhauerei, vornehmlich aber der Ersteren für alle Zukunft dienen“, heißt es im Testament. Sollten diese Vorgaben nicht erfüllbar sein, hätte das benachbarte Neustrelitz Stolls Kunstbesitz geerbt. Das wollten die Neubrandenburger Stadtväter unbedingt verhindern. Daher war der Magistrat der Stadt sofort bereit, diesen Bedingungen zu folgen. Er kümmerte sich um eine Versicherung und die dazu nötige Inventarisierung der Sammlung, er mietete die Wohnräume des Sammlers an, um die Kunstwerke der Öffentlichkeit sofort zugänglich zu machen. Für die Bestandsaufnahme konnte der Direktor des Großherzoglichen Museums in Schwerin, Friedrich Schlie, gewonnen werden. Schlie erstellte ein erstes Nachlassinventar, das 671 Gemälde auflistete, allerdings ohne sie abzubilden. Darunter waren zugeschriebene Bilder von Karl Blechen, Anthonis van Dyck und Esteban Murillo. Andere identifizierte er als Arbeiten holländischer, französischer und italienischer Schule, zwei Drittel waren Kopien nach berühmten Gemälden – viele von Henry Stoll selbst gemalt. Dazu kamen 54 Christian Gottfried Jüchtzer, Die Glückseligkeit des Schlafes, Modell: 1786, Ausformung: 1786 –1817, 37,5 × 19 × 18 cm; Kunstsammlung Neubrandenburg Handschriftliches Verzeichnis von Lithographien der Henry Stollschen Kunstsammlung, vor 1890; Amtsgericht Neubrandenburg Graphik, eine kunstwissenschaftliche Bibliothek und kunstgewerbliche Gegenstände. Für die Präsentation empfahl der Schweriner Museumsdirektor Schlie, jeweils um ein größeres Hauptbild motivisch passende kleinere Bilder zu hängen. „Das ist weniger schwer als es scheint, verlangt nur etwas Geschmack. Eine kunstsinnige Dame Ihrer Stadt würde sich vielleicht dazu finden, wenn unter den, mit den rauheren Mächten des Lebens kämpfenden Herren, niemand sein sollte.“ Letztlich fand sich dann doch ein Senator, der die Erstpräsentation verantwortete. Bald danach konnten neue Räume in der ehemaligen Mädchenschule bezogen werden, um die Sammlung angemessen zu präsentieren. Ein Foto-Blick in die Ausstellung in der Alten Mädchenschule zeigt, wie wohl geordnet und voller Stolz die Stadt ihren Kunstbesitz dort herzeigte. Es ist das einzige Foto, das einen Eindruck von der Sammlungsausstellung gibt (siehe S. 52). Das Beispiel von Henry Stoll imponierte offenbar dem ebenfalls unverheirateten und kinderlosen August Schmidt (1825 –1911). Auch dieser Neubrandenburger Kunsthändler vererbte der Stadt seine schon damals für ihre Porzellane berühmte Sammlung. Zu ihr gehörten neben mindestens 100 Meissener Porzellanen auch ARSPROTOTO 4 2015 55 Bernd Hahn, Ohne Titel, 1994, 100 × 150 cm; Kunstsammlung Neubrandenburg antike Bronzen, Terrakotta-Objekte, Gemälde und Graphiken – vor allem Kupferstiche. Was die Sammlung Schmidt genau enthielt und wie umfangreich sie war, ist nicht im Einzelnen überliefert. Fest steht, die Sammlung war weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt. Nach dem Tod Schmidts zeigte die Stadt ihr neues Erbe erst in dessen privaten Räumen, doch nach der Abschaffung der Monarchie und damit auch des Großherzogtums fiel das Palais des Großherzogs von Mecklenburg-Strelitz an die Stadt. Nun hatte sie einen repräsentativen innerstädtischen Ort, um die Kunstschätze von Stoll und Schmidt zu vereinen. Die Kunstsammlung eröffnete 1920 im Palais „mit einer Feuerlöscheinrichtung und einer Klingelleitungsanlage mit Alarm glocken“, wie in der Neubrandenburger Zeitung berichtet wurde. Ihr Leiter wurde der Maler Josef Alterdinger (1874 –1934), der auch eine Wohnung im Palais bekam. Das war ein cleveres Arrangement für beide Seiten: Der Künstler kümmerte sich um die Sammlung und machte Führungen, dafür wohnte er kostenlos im Museum. Die Bürgerschaft übernahm nun tatkräftig die Aufgabe, das Interesse für Kunst zu fördern und das Museum zu stärken. 1920 konstatierte der frisch gegründete Kunstverein: „Unsere Stadt besitzt in ihrer Kunstsammlung einen reicheren Schatz von Kunst werken als mancher je geahnt hat. Diesen Schatz allen denen zu erschließen, die die Kunst als Gemüts- und Lebensbedürfnis empfinden – das soll vornehmlich der Zweck des Kunstvereins sein.“ Und weiter: „Keiner soll sich dem Irrtum hingeben, dass sein Geschmack nicht 56 noch bildungsfähig wäre in der Beurteilung von künstlerischen Dingen.“ Der Verein warb geschickt, man kann sogar sagen: absolut modern. Von der Bedeutung der Kunst als „weichem Standortfaktor“ war er, im Gegensatz zu Neubrandenburger Geschäftsleuten, überzeugt: „Je mehr Anziehungskraft unsere Stadt durch Förderung der Künste ausübt, desto reger der Verkehr und mit ihm der Handel“, hieß es in einem 1921 in der Neubrandenburger Zeitung erschienenen Text des Kunstvereinsvorstandes. Dessen Arbeit ist bis 1934 dokumentiert. In diesem Jahr werden auch Por träts von Heinrich Stoll in einer Bilderausstellung in Rostock gezeigt. Elke Pretzel vermutet, dass der Verein seine Arbeit nach dem Wahlsieg der Nationalsozialisten einstellte, denn verschiedene Neubrandenburger Bürger gaben ihre Vereinsarbeit angesichts der Gleichschaltung nach 1933 auf und traten aus. Palais, Südflügel, Eingang zur Städtischen Kunst sammlung, dort 1920 –1945 Es wäre schön, wenn man sagen könnte, dass das Wissen um die alte Sammlung und der Stolz auf die Tradition die Neugründung des Neubrandenburger Museums 1982 befördert habe. Doch dem war nicht so. Die Neugründung des Museums war allein eine Entscheidung der DDR-Kulturpolitik. „Neubrandenburg wurde Bezirksstadt, die Einwohnerzahl stieg, und da sollte es auch ein Museum geben“, sagt seine heutige Leiterin Merete Cobarg. Gesammelt wurde, was in der DDR entstand: zeitgenössische Malerei, Graphik und Plastik, anfangs insbesondere von Künstlern aus dem damaligen Bezirk Neubrandenburg und von Dresdner und Ber liner Künstlern, seit 1989 von Künstlern aus ganz Deutschland, mit einem Fokus auf den Norden. Doch auch die Geschichte der Kunstsammlungen in der DDR ist eine Geschichte der Verletzungen, der Un sicherheiten, der Auslagerung und des Kampfes um einen angemessenen Platz für die Kunst. Dieser Kampf dauerte von der Gründung 1982 bis zur Eröffnung des heutigen Museums 2003 in einem historischen Fachwerkhaus mit modernem Anbau in der Großen Wollweberstraße. Erst seit dieser Zeit besitzt Neubrandenburg wieder einen würdigen Ort für seine Kunstsammlung. Museumsleiterin Merete Cobarg ist trotz fehlender alter Kunstsammlung überzeugt: Ohne das Erbe von Henry Stoll und August Schmidt gäbe es heute kein Museum. „Wir sehen uns in der Tradition der bürgerlichen Sammler und Stifter“, sagt Cobarg, deren Museum von einem wachsenden Freundeskreis unterstützt wird. Bürgerliches Engagement und das Wissen um die lange Sammeltradition in Neubrandenburg halfen dem Museum immer dann, wenn es in den vergangenen Jahren aus politischen und Kostengründen um seine Existenz fürchten musste. Um dieses neue bürgerliche Bewusstsein weiter zu fördern, restauriert das Museum die wiedergefundenen Porzellane durch Spenden aus der Bevölkerung – auch wenn das länger dauert als eine Restaurierung mit Fördergeld. Doch seit die Scherben gefunden und einige Stücke restauriert wurden, kann das Museum in einem eigenen Ausstellungsraum die Geschichte der alten verschollenen Sammlung erzählen. Dieses Ausstellungskabinett zieht Besucher in die Kunstsammlungen, die sich eigentlich „nur“ für die Geschichte ihrer Stadt interessieren. Doch oft bleiben sie, um die neue Sammlung mit zeitgenössischer Kunst kennenzulernen. Uta Baier ist Kunsthistorikerin und Journalistin in Berlin. Otto Möhwald, Akt, 1977, 57,5 × 70,5 cm; Kunstsammlung Neubrandenburg ARSPROTOTO 4 2015 57 KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN BREMEN HAMBURG HESSEN MECKLENBURG-VORPOMMERN François Boucher, Leda und der Schwan, 1742 Angela Hampel, Paar, 1988/89 GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN — DIE KUNST DES FRANZÖSISCHEN ROKOKO AUSSER KONTROLLE ! — FARBIGE GRAPHIK UND MAIL ART IN DER DDR Losgelöst von schablonenhaften Vorgaben für Gefühlsdarstellungen zeigten Künstler um 1750 individuelle Gefühlswelten. Zerstörerische Götter- und Heldenleidenschaften wandelten sich zu Genreszenen mit Schäfern und Gärtnern, in denen die Liebenden durch verwunschene Gärten und Parklandschaften streifen und sich ihre zärtliche Zuneigung offenbaren. Die Verführungskraft des Rokoko wird mit Skulpturen, Biskuitporzellanstatuetten, Gemälden, Graphiken sowie Kunsthandwerk in den Fokus gerückt. Künstlerische Vielfalt und Experimentierfreude zeichnet die Graphik in der DDR aus: Besonders in den graphischen Künsten eröffneten sich Freiräume, die es den Künstlern ermöglichten, unkonventionelle Drucktechniken zu entwickeln. Neben der farbigen Graphik in Schwerin werden auf Schloss Güstrow grenzüberschreitende Kunstformen wie Mail Art, experimentelle Happenings und Performances gezeigt. von Carolin Hilker-Möll BADEN-WÜRTTEMBERG BAYERN BERLIN BRANDENBURG Gjon Mili, Pablo Picasso making a space drawing using a flashlight, 1949 Adolf Ziegler, Die Vier Elemente, vor 1937 George Grosz, Karpfen vor Winterlandschaft, 1929 POESIE DER FARBE „3 Farben Blau Gelb Rot. Parallelerscheinung Traurig heiter brutal“: Mit diesen Worten erklärte August Macke in einem Brief an Franz Marc im Dezember 1910 die ästhetische Bedeutung der Primärfarben. Nach diesen drei Kategorien – Melancholie, Heiterkeit, Brutalität – ist die Ausstellung „Poesie der Farbe“ geordnet. Gezeigt werden Gemälde, Zeichnungen und Druckgraphik der Klassischen Moderne aus dem Bestand der Staatsgalerie Stuttgart. Viele bedeutende Künstler sind vertreten, darunter Max Beckmann, Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Paul Klee sowie die Freunde August Macke und Franz Marc. Staatsgalerie Stuttgart www.staatsgalerie.de bis 14.2.2016 MAX PECHSTEIN — KÖRPER, FARBE, LICHT Inspiriert vom Fauvismus setzte Max Pechstein (1881–1955) kräftige, reine Farben ein, um ausdrucksstarke Körper zu schaffen und Emotionen auf die Leinwand zu bannen. Das Thema Körper nimmt im Werk des Künstlers einen zentralen Platz ein und wird nun erstmals in einer Ausstellung in den Mittelpunkt gestellt: Das gerade vom Internationalen Kunstkritikerverein AICA zum Museum des Jahres 2015 gekürte Kunstmuseum Ravensburg präsentiert Pechsteins Frühwerk, seine expressionistischen Akte, seine aus der Erinnerung geschaffenen Menschendarstellungen seines Südsee-Aufenthaltes in Palau sowie die Porträts der 1920er Jahre bis hin zum Spätwerk. Kunstmuseum Ravensburg www.kunstmuseum-ravensburg.de bis 10.4.2016 58 GEGENKUNST — „ENTARTETE KUNST“ — NS-KUNST — SAMMELN NACH ’45 Am Ort der 1937 parallel veranstalteten ersten „Großen Deutschen Kunstausstellung“ und der FemeAusstellung „Entartete Kunst“ werden in München Kunstwerke der als „entartet“ diffamierten Künstler Max Beckmann und Otto Freundlich den NS-Künstlern Adolf Ziegler und Josef Thorak gegenübergestellt. Die Ausstellung will Rahmenbedingungen schaffen, jenseits von Dämonisierung und Verharmlosung, unter denen NS-Kunst auch im Kunstmuseum präsentiert und diskutiert werden kann. Pinakothek der Moderne, München www.pinakothek.de bis 31.1.2016 PICASSO — MANN UND FRAU Eine bislang noch nie im Museum gezeigte Farbkreidezeichnung Picassos bildet das Zentrum der Ausstellung im Buchheim-Museum: Das Bildnis mit dem rauchenden Mann im blau-weiß gestreiften Fischerhemd, mit Schirmmütze und Dreitagebart verwirrt auf den ersten Blick am meisten mit der gebogenen Relingkordel, an die sich der Raucher lehnt, die wie ein üppiges Dekolleté anmutet. Selten hat Picasso die beiden Geschlechter derart eng miteinander verwoben, wenngleich das Verhältnis zwischen Mann und Frau ein Leitmotiv seines Schaffens ist. Die Ausstellung konzentriert sich auf den späten Picasso und zeigt 150 Werke des Künstlers sowie Fotografien von ihm und seinen Frauen. Buchheim-Museum, Bernried www.buchheimmuseum.de bis 8.3.2016 Georg Tappert, Zwei Mädchen im Profil, 1918 ZEITENWENDE — VON DER BERLINER SECESSION ZUR NOVEMBERGRUPPE An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kam es in Berlin in einem Zeitraum von nur 20 Jahren zu diversen künstlerischen Umwälzungen: vom Impressionismus zum Expressionismus, Kubismus und Futurismus zur Neuen Sachlichkeit und dem Konstruktivismus. Die großbürgerliche Welt des Kaiserreichs wandelte sich in kurzer Zeit zu einer aufgewühlten Welt im Umbruch nach der Novemberrevolution 1918. Das Bröhan-Museum macht diese Zeit der Wendepunkte zwischen 1898 und 1918 mit rund 250 Werken erlebbar. Bröhan-Museum, Berlin www.broehan-museum.de bis 3.4.2016 MAX BECKMANN UND BERLIN Alles dreht sich um Berlin: Anlässlich ihres 40-jährigen Bestehens zeigt die Berlinische Galerie Werke Max Beckmanns, die in der Stadt entstanden und mit ihr verknüpft sind oder in großen Ausstellungen in Berlin vertreten waren und die städtische Kunstszene mitgeformt haben. Deutlich wird dabei der große Einfluss, den die Stadt auf den Künstler hatte. Zwei Mal lebte Beckmann in Berlin – von 1904 bis 1914 und von 1933 bis 1937 –, war der Stadt jedoch auch sonst immer eng verbunden. Werke von Zeitgenossen ergänzen die Schau und beleuchten beispielhaft die vielfältige Kunstszene Berlins der 1910er bis frühen 1930er Jahre. Berlinische Galerie – Museum für Moderne Kunst, Berlin www.berlinischegalerie.de bis 15.2.2016 Gerhard Altenbourg, Hoch die Hacken, Philinchen, o. J. GERHARD ALTENBOURG — ARBEITEN AUF PAPIER Selten der Öffentlichkeit präsentierte Werke aus der privaten Sammlung Brusberg eröffnen in Cottbus neue Einblicke in das Werk Gerhard Altenbourgs (1926 –1989). Mit ausgewählten Papierarbeiten wird seine künstlerische Entwicklung seit den 1950er Jahren erfahrbar. Alle Schaffensphasen sind vertreten: die vom Trauma des Zweiten Weltkriegs und der Orientierung an Paul Klee geprägten frühen Werke ebenso wie die enigmatischen Ich-Bilder und Seelenlandschaften des späten Schaffens. Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus www.museum-dkw.de 30.1. – 3.4.2016 KÜNSTLERINNEN DER MODERNE — MAGDA LANGENSTRASS-UHLIG UND IHRE ZEIT Wenn im 20. Jahrhundert Künstler zu neuen Ufern aufbrachen, war meist auch Magda Langenstraß-Uhlig (1888 –1965) nicht weit – immer zog es sie an den Ort des Geschehens. Sie war vertreten in der „Sturm“-Galerie, Mitglied in diversen Künstlergruppen und gestaltete die Kunstszenen in Berlin, Weimar, Dessau und Jena mit. Werke weiterer Malerinnen, mit denen Langenstraß-Uhlig in direktem oder indirektem Kontakt stand und mit denen sie gemeinsam Themen, Stile und Techniken der Moderne prägte, werden ebenfalls in Potsdam gezeigt. REGISSEURE DES LICHTS — VON REMBRANDT BIS TURRELL Werke der unterschiedlichsten Künstler aus vier Jahrhunderten werden in Bremen versammelt, denn sie alle haben etwas gemeinsam: Licht. Ob Kerzen-, Fackel-, Feuerschein oder doch elektrische Bühnenbeleuchtung – das Licht dient der Dramatisierung und inhaltlichen Aufladung der Sujets, wird schließlich sogar selbst zum Zeichenmittel. Nebeneinander werden unterschiedliche Werke in unterschiedlichen Medien unter anderem von Henri de Toulouse-Lautrec, Karl Blechen, Olafur Eliasson und den Bremer Künstlern Constantin Jaxy und Norman Sandler gezeigt. Kunsthalle Bremen www.kunsthalle-bremen.de bis 14.2.2016 TER HELL — WERKE AUS DER SAMMLUNG BÖCKMANN Malerei gepaart mit Graffiti, ungegenständliche Farben und Formen kombiniert mit Satzfragmenten und Sprachzeichen: Die Kunst des in Berlin lebenden Künstlers ter Hell (*1954) ist spannungsreich. In seinen Werken bleibt der Anspruch des Widerständigen, die Kritik gegenüber bestehenden Verhältnissen und damit auch eine politische Haltung des Künstlers spürbar und lesbar. Die Ausstellung zeigt etwa 40 Werke aus der Sammlung Böckmann: eine Kollektion, die seit den Anfängen von ter Hells Schaffen über drei Jahrzehnte stetig gewachsen ist und einen umfassenden Überblick über sein Werk gibt. Stiftung Neues Museum Weserburg www.weserburg.de bis 10.4.2016 Gabriel Charles Rossetti, Helena von Troja, 1863 JUGENDSTIL — DIE GROSSE UTOPIE Mit der aktuellen Sonderausstellung feiert das Museum für Kunst und Gewerbe die Neupräsentation der Sammlung Jugendstil und eine Epoche, die weit mehr hervorbrachte als verspieltes Dekor. Die Neueinrichtung der Dauerausstellung orientiert sich an der ersten Präsentation, die Museumsgründer Justus Brinckmann 1900 mit seinen Ankäufen auf der Pariser Weltausstellung einrichtete. Gezeigt werden über 350 Werke, von Malerei, Skulptur und Fotografie bis zu Mode, Textilkunst sowie naturwissenschaftlichen und medizinhistorischen Apparaturen. Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg www.mkg-hamburg.de bis 7.2.2016 Liebieghaus, Frankfurt a. M. www.liebieghaus.de bis 28.3.2016 STURM-FRAUEN — KÜNSTLERINNEN DER AVANTGARDE LICHTE FINSTERNIS — ALFRED IN BERLIN 1910 –1932 KUBIN UND ERNST BARLACH Herwarth Walden gründete 1910 Obwohl sie sich nie begegnet sind, lassen sich im Werk des deutschen Bildhauers Ernst Barlach (1870 –1938) und des österreichischen Zeichners Alfred Kubin (1877–1959) Parallelen entdecken. Ähnliche Interessen sowie künstlerische Intentionen führten zu einer wechselseitigen Sympathie und zu stilistischen wie motivischen Gemeinsamkeiten. Beide erkundeten in ihrer Kunst das Unbewusste, Abgründige und Groteske sowie die Licht- und Schattenseiten des Menschseins. Die Ausstellung geht mit 80 teils selten gezeigten Blättern in 13 Kapiteln dem „Geheimnis der graphischen Sprache“ (Kubin) nach. die Zeitschrift „Der Sturm“ zur Förderung der expressionistischen Kunst. Waldens Ziel: die Rundum erneuerung der Kunst und Kultur. Er traf einen Nerv und eröffnete kurz darauf die „Sturm“-Galerie. Neben Marc Chagall und Paul Klee stammte rund ein Viertel der präsentierten Werke von Künstlerinnen. Die „Sturm“-Frauen leisteten einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung der Moderne, der in der Frankfurter Ausstellung erstmals gewürdigt wird. Die Schau versammelt eindrucksvolle Werke des Expressionismus, Futurismus, Dadaismus, Konstruktivismus und der Neuen Sachlichkeit. Ernst-Barlach-Haus, Hamburg www.ernst-barlach-haus.de bis 10.1.2016 Schirn Kunsthalle Frankfurt a. M. www.schirn.de bis 7.2.2016 Staatliches Museum Schwerin / Ludwigslust / Güstrow www.museum-schwerin.de bis 14.2.2016 DAS STILLLEBEN UND DIE ENTDECKUNG DER WELT Schmetterlinge und Schnecken, Reptilien und Raupen bevölkern das „Blumenstillleben mit Insekten“ von Rachel Ruysch (1664 –1750), das den Mittelpunkt der Rostocker Ausstellung bildet. Als erste Frau wurde sie 1701 in eine Malergilde aufgenommen. Schon zu Lebzeiten waren ihre Stillleben begehrt und gelangten in Museen auf der ganzen Welt. Insgesamt haben sich nur 100 von der Künstlerin signierte Gemälde erhalten – eines davon in Rostock. Weitere Stillleben anderer Künstler vom 17. bis 19. Jahrhundert werden in der Ausstellung zoologischen und botanischen Präparaten an die Seite gestellt und lassen die Faszination der Entdeckung der eigenen und exotischen Welt nachempfinden. Kulturhistorisches Museum Rostock www.kulturhistorisches-museumrostock.de bis 17.1.2016 Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte www.potsdam-museum.de bis 31.1.2016 ARSPROTOTO 4 2015 59 NIEDERSACHSEN NORDRHEIN-WESTFALEN RHEINLAND-PFALZ SAARLAND SACHSEN-ANHALT SACHSEN SCHLESWIG-HOLSTEIN Vera Mercer, The Bass, 2014 Zwei Elefanten mit Deckelvasen auf dem Rücken, Qing-Dynastie, 18. Jahrhundert Die Ausstellung in Hildesheim ist eine faszinierende kleine Reise in einen kaiserlichen Palast: Verschiedene Gemächer des Kaisers und seines Hofstaates können entdeckt werden – seien es die Thronhalle oder ein Gelehrtenzimmer. Zusätzlich gibt die neueröffnete Dauerausstellung einen Einblick in Gesellschaft, Religion und Kultur des Alten China. Einen dritten Schwerpunkt bildet der Blick in die Sammlung Ohlmer, ab 1888 von Ernst Ohlmer (1847–1927) gestiftet, die mit ihren prachtvollen Porzellanen heute zu den bedeutendsten ihrer Art in Europa zählt. Roemer- und Pelizaeus-Museum, Hildesheim www.rpmuseum.de bis 4.12.2016 UNSERE SAMMLER, UNSERE STIFTER Das Sprengel Museum in Hannover ehrt die Sammler und Stifter, die das Museum unterstützt und die Sammlung bereichert haben. Schon den Ausgangspunkt für die Gründung des Museums bildete die Schenkung von Margrit und Bernhard Sprengel 1969 an die Stadt Hannover. Die engen Verbindungen zwischen weiteren Sammlern, Leihgebern und Stiftern, die eine lebendige und aktive Museumsarbeit gewährleisten, sollen nun Beachtung finden. Dabei präsentiert die Ausstellung einen Weg durch die moderne Kunst bis ins 21. Jahrhundert, mit Werken von Pablo Picasso, Gerhard Richter, Ilya Kabakov u.v.m. Sprengel Museum Hannover www.sprengel-museum.de bis 31.1.2016 60 Conrad Felixmüller, Raoul Hausmann oder Der Dadasoph, 1920 VERA MERCER — STILLLEBEN SCHÄTZE FÜR DEN KAISER — Wilhelm Morgner, Ornamentale Komposition VI, 1912 MEISTERWERKE WILHELM MORGNER UND CHINESISCHER KUNST DIE MODERNE Anlässlich seines 125. Geburtstags erinnert das LWL-Museum für Kunst und Kultur an den expressionistischen Künstler Wilhelm Morgner (1891–1917) und zeigt ihn erstmals im Kontext seiner Zeit. Seine Werke werden anhand gezielter Vergleiche mit Zeitgenossen betrachtet, darunter Vincent van Gogh, Oskar Kokoschka und Wassily Kandinsky. Neben interessanten Einblicken in Morgners Gesamtwerk steht dabei die Frage im Fokus, inwieweit sein künstlerisches Umfeld und die vielfachen Anregungen – er war unter anderem involviert in Künstlerkreise wie „Brücke“ und „Der Blaue Reiter“ – zu seinem ganz eigenen Stil geführt haben. LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster www.lwl-museum-kunst-kultur.de bis 6.3.2016 ZURBARÁN — MEISTER DER DETAILS Lange galt er als Geheimtipp, nun wird ihm erstmals eine umfassende Retrospektive im deutschsprachigen Raum gewidmet: Francisco de Zurbarán (1598 –1664). Gemeinsam mit Velázquez zählt er zu den herausragenden Malern des Goldenen Zeitalters Spaniens. Spezialisiert auf religiöse Themen und christliche Motive, gelang ihm eine subtile Synthese von Realismus und Mystizismus. Seine Werke bestechen vor allem mit ihrer großen Detailgenauigkeit: Sowohl Schafsfell als auch Seide oder Brokat stellte Zurbarán virtuos und überzeugend dar. Museum Kunstpalast Düsseldorf www.smkp.de bis 31.1.2016 Gemälde vom 17. bis 19. Jahrhundert werden den Fotoarbeiten von Vera Mercer (*1936) entgegenstellt und bilden trotz der gleichen Sujets starke Kontraste: Während die niederländischen Stillleben u. a. von Peter van Boucle (etwa 1610 –1673) mit Arrangements von Blumen, Früchten und erlegten Tieren auf die Vergänglichkeit aller Dinge oft nur subtil hinweisen, sprechen die fotografierten Stillleben Vera Mercers eine deutlichere Sprache. So gesellen sich zum Silberbesteck abgetrennte Schweinefüße, oder ein gehäuteter Hase wird kunstvoll auf Gläsern drapiert – realistische Details zwischen Vasen und Kerzen, die gleichermaßen faszinieren wie schockieren. Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern www.mpk.de bis 3.4.2016 WIE LEBEN? — ZUKUNFTS- BILDER VON MALEWITSCH BIS FUJIMOTO Die Welt von morgen – wie wird sie aussehen? Diese Frage beschäftigt die Menschen seit jeher. Zukunftsvisionen der letzten 100 Jahre werden nun in Ludwigshafen ins Blickfeld gerückt. Ideen und Entwürfe aus Kunst, Architektur und Design versuchen Antworten auf die Fragen zu geben: Wie wollen wir leben? Wie wollen wir arbeiten? Wie gestalten wir die Welt? In Werken und Entwürfen von El Lissitzky, Buckminster Fuller, Bernd und Hilla Becher und Verner Panton wird diesen Fragen nachgegangen. Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen www.wilhelmhack.museum 5.12.2015 –28.2.2016 THÜRINGEN Karl Schmidt-Rottluff, Heuernte, 1921 Schädel aus Bergkristall, 21. Jahrhundert (Fotomontage) SCHÄDEL — IKONE, MYTHOS, KULT Spektakuläre Geschichten von Kopfjägern, Voodoo-Zaubern und hochverehrten Schädelreliquien erzählt die Ausstellung im Saarland. Als wahrscheinlich wichtigster Teil unseres Körpers – dort sitzen der Geist, die Erinnerungen, die Gefühle, die Persönlichkeit – faszinierte der Schädel die Menschheit schon immer, sei es als Trophäe, Kultobjekt oder Briefbeschwerer. Schädel und Köpfe von der Eiszeit bis zur Gegenwart und von fast allen Kontinenten vergegenwärtigen die jahrtausendealte Geschichte dieses Kulturphänomens. Völklinger Hütte, Völklingen www.voelklinger-huette.org bis 3.4.2016 GREGOR HILDEBRANDT — STERNE STREIFEN DIE FLUTEN Gregor Hildebrandt (*1974) arbeitet fast ausschließlich mit Kassetten, Ton- und Videobändern sowie Schallplatten und verwandelt die analogen Datenträger in Kunstobjekte. Dabei schafft er Skulpturen und Installationen oder klebt Bänder – meist mit Liedern seiner Lieblingsmusiker – minutiös auf Leinwände. Mit unter anderem über eintausend Schallplatten lässt der Künstler in Saarbrücken einen Kosmos analoger Datenträger entstehen. Dabei fügt er seinen Werken eine unsichtbare Dimension hinzu, indem der Betrachter das Werk in seinem Kopf mit den Klängen der Lieder und damit verbundenen Erinnerungen vervollständigt. Saarlandmuseum, Moderne Galerie, Saarbrücken www.kulturbesitz.de bis 24.4.2016 KARL SCHMIDT-ROTTLUFF — 490 WERKE IN DEN KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ Mit 15 Jahren zeichnete der Gymnasiast Karl Schmidt-Rottluff (1884 –1976) einen Baum – streng nach der Natur, wie er vermerkte. Zwischen diesem frühesten Zeugnis seiner künstlerischen Auseinandersetzung und dem am spätesten datierten Werk im Bestand der Kunstsammlungen Chemnitz liegen über 70 Jahre. Die Arbeiten des Künstlers bilden heute das Kernstück der Sammlung, in der Ausstellung sind alle Schaffensperioden vertreten. Damit wird in Chemnitz die bisher umfangreichste Schau mit Werken des Künstlers präsentiert. Kunstsammlungen Chemnitz www.kunstsammlungenchemnitz.de 13.12.15 – 10.4.2016 DISEGNO — ZEICHENKUNST FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT Ausgehend von der italienischen Renaissance erfuhr die Zeichnung hohe Wertschätzung als Ausdruck der direkten schöpferischen Idee. Der „Disegno“ war den weiteren bildenden Künsten als geistige Quelle übergeordnet. Die Ausstellung in Dresden belebt diese Idee neu und betrachtet die Zeichnung als Impulsgeber für die Gegenwartskunst. Zeichnerische Konzepte und die daraus resultierenden Kunstwerke eröffnen dem Besucher einen Einblick in den aktuellen Dialog der Zeichnung mit anderen Künsten. Dabei entstehen einzelne Werke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler exklusiv für die Ausstellung. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett www.skd.museum bis 29.3.2016 ARSPROTOTO 4 2015 Das Massengrab von Lützen (Ausschnitt) KRIEG — EINE ARCHÄOLOGISCHE SPURENSUCHE 47 Tote in einem Massengrab: Dies sind die einzigen Zeugen der Schlacht von Lützen vom 6. November 1632 – mit mehr als 6.500 Gefallenen eine der blutigsten Schlachten des gesamten 30-jährigen Krieges. Als sogenannte Blockbergung im Ganzen (3,5 × 4,5 m) gesichert, bildet das Massengrab das Herzstück der Ausstellung. Originale wie die mit Einschuss- und Einstichlöchern versehene elchlederne Reitjacke des in Lützen gefallenen Schwedenkönigs Gustav II. Adolf sind ein besonderer Höhepunkt. In einem zweiten Ausstellungsteil werden das Phänomen „Krieg“ sowie die Geschichte seines Ursprungs beleuchtet. Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle (Saale) www.lda-lsa.de bis 22.5.2016 BAUHAUS MUSEUM DESSAU — INTERNATIONALER ARCHITEKTURWETTBEWERB 831 Entwürfe wurden beim offenen, internationalen Wettbewerb für den Neubau des Bauhaus Museums zum 100-jährigen Jubiläum im Jahr 2019 eingereicht. Die Jury hat bereits getagt und gleich zwei Gewinner gekürt, die gegensätzlicher kaum sein könnten: zum einen ein schlichter quadratischer Baukörper in Schwarz, zum anderen eine bunte Mischung aus organischen Formen und Pastellfarben. Die Sieger sowie die weiteren prämierten Entwürfe sind mit Plänen und Modellen noch bis Ende Januar 2016 im Bauhaus in Dessau ausgestellt. Bauhaus Dessau www.bauhaus-dessau.de bis 31.1.2016 Hannah Höch, Die Puppe Balsamine, 1927 VORHANG AUF FÜR HANNAH HÖCH Vorhang auf für die Grande Dame des Dada: Als einzige Frau im Berliner Dadakreis gilt Hannah Höch (1889–1978) heute als eine der wichtigsten Vertreterinnen dieser internationalen Künstlerbewegung. Dada stellt seit seinen Anfängen 1916 alles auf den Kopf, provoziert, sprengt Konventionen und stellt den Kunstbegriff radikal in Frage. Die Ausstellung anlässlich des 100. Jubiläums setzt ihren Schwerpunkt auf Collagen von Hannah Höch. Gemeinsam mit Zeichnungen und Gemälden sind Werke aus allen Schaffensphasen vertreten, die die Theaterbühne thematisch in den Mittelpunkt rücken – eine bisher wenig beachtete Facette im Werk der Künstlerin. IN SZENE GESETZT — AUS PORTRÄTS WERDEN KLEIDER Wenn Raoul Hausmann aus seinem Gemälde heraustritt und im Lindenau-Museum strammsteht, ist das das Werk von Studierenden des Studiengangs Theaterausstattung der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Von zahlreichen Porträts aus der Sammlung des LindenauMuseums ab dem 15. Jahrhundert haben die Studierenden die Kostüme historisch genau nachempfunden und hergestellt sowie oft kleine Theaterszenen geschaffen. Im gesamten Museum wird der Besucher auf eine Zeitreise durch die Welt der Kleider und Kostüme entführt. Ergänzt wird die Schau durch Werke des Altenburger Künstlers Tilman Kuhrt und des Berliner Photographen Oliver Mark. Lindenau-Museum, Altenburg www.lindenau-museum.de bis 3.4.2016 Kunsthaus Stade www.museen-stade.de bis 21.2.2016 SAFET ZEC — SINNBILDER DES SCHICKSALS DAS MEER — VON DER ROMANTIK BIS ZUR GEGENWART Vom Stillleben über die Landschaft bis zur Figur: Das Werk von Safet Zec (*1943 in Bosnien-Herzegowina) umfasst alle klassischen Techniken und Genres. Stilistisch verknüpft er die realistische Malweise der Alten Meister mit den Errungenschaften der neueren Kunstentwicklung. Thematisch sind seine Werke geprägt von den traumatischen Erfahrungen seiner Familie während des Zweiten Weltkriegs und der Flucht vor dem Bosnienkrieg nach Italien. Die Ausstellung ist die erste große Überblicksschau im deutschsprachigen Raum. Aufgepeitschte Wellen mit weißer Gischt oder eine leicht gekräuselte Wasseroberfläche, in der sich die Wolken spiegeln: Das Meer kennt viele Facetten, und die überzeugende Darstellung der unterschiedlichen Stimmungsbilder des Wassers galt schon immer als Herausforderung. Mit Werken von Johan Christian Dahl, Emil Nolde und Yinka Shonibare gibt die Ausstellung einen Überblick über die Geschichte des Seestücks in der norwegischen, dänischen, deutschen und niederländischen Kunst vom frühen 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Panorama Museum, Bad Frankenhausen www.panorama-museum.de bis 21.2.2016 Museum Kunst der Westküste, Alkersum/Föhr www.mkdw.de bis 10.1.2016 61 FREUNDESKREIS Unbekannter Maler, Eine Tochter des Herzogs August von Sachsen-Weißenfels (Prinzessin Katharina von Sachsen-Weißenfels? (1655– 1663)), um 1665, 68 × 55 cm; Museum Schloss Neu-Augustusburg Weißenfels PRINZESSIN MIT STATUS- SYMBOLEN Der Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder unterstützte die Restaurierung des Porträts einer Hallenser Prinzessin 62 IN MODE Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg präsentiert die modische Vielfalt der Frühen Neuzeit von Jenny Berg von Frank Druffner „Ist nicht die Menge der fürstlichen Höfe ein herrliches Mittel dadurch sich soviel Leute hervor thun können, so sonst im Staube liegen müsten?“ Diese rhetorische Frage stellte Gottfried Wilhelm Leibniz 1683 in seiner „Ermahnung an die Teutsch[n]“. Der große Universalgelehrte hatte den Wesenskern des Alten Reiches scharfsinnig erfasst und ins Positive gewendet. Souverän erkannte er das kulturelle Potenzial der später despektierlich „Kleinstaaten“ oder „Duodezfürstentümer“ genannten Territorien. Tatsächlich befanden sich die vielfältigen Glieder des Reichs, die weltlichen und geistlichen Fürsten, die katholischen und protestantischen Stände, die Reichs- und Hansestädte, in einem kontinuierlichen Wettstreit. Vom Herzog bis hinunter zum Grafen und zur Fürstäbtissin bemühten sich alle Machthaber, ihre Position durch die Zurschaustellung von Prunk und Luxus zu legitimieren und zu stärken. Folgerichtig florierte nicht nur die Baukunst, sondern auch die Luxusindustrie – Möbelkunst, Porträtmalerei, Textilkunst, Gold- und Silberschmiedekunst, Porzellanmanufakturen. Letztlich spiegelt die Vielfalt der heutigen Museums-, Theater- und Opernlandschaft Deutschlands noch immer die Verhältnisse vor dem Ende der Monarchien. Das Porträt, das dank der Förderung des Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder restauriert werden konnte, AUSSTELLUNGEN veranschaulicht das Gesagte auf schönste Weise. Es befindet sich im Besitz der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, geht aber als Dauerleihgabe nach Schloss Weißenfels. Denn es entstand für einen jüngeren Zweig der sächsischen Wettiner, der durch August, den protestantischen Administrator des Erzstiftes Magdeburg, begründet wurde und zunächst in Halle residierte, bis 1694 das Schloss NeuAugustusburg in Weißenfels bezugsfertig war. Das Residenzleben in Halle geriet danach weitgehend in Vergessenheit. Die dargestellte Prinzessin könnte Augusts Tochter Katharina sein, die 1663 mit noch nicht einmal acht Jahren verstarb. Auf jeden Fall entstand das Gemälde für die Hofhaltung in Halle, die in der dortigen ehemals erzbischöflichen Residenz untergebracht war. Es wurde beim Umzug nach Weißenfels sicherlich mitgeführt, zumal sein Erinnerungswert aufgrund des frühen Todes der Dargestellten sehr hoch war. Der Maler, dessen Identität noch umstritten ist, erfasste die Züge der zarten Prinzessin mit den großen Augen, dem kleinen roten Mund und dem an den Seiten locker herabfallenden Haar mit einfühlsamen Pinselstrichen. Doch auch wenn uns hier ein kindliches Individuum entgegen tritt, wird gleichzeitig unmissverständlich die Angehörige eines alten Fürstengeschlechts inszeniert. Das verdeutlicht der äußere Apparat, in den das Konterfei eingefügt wurde, ohne auch nur ein einziges architektonisches Versatzstück zu verwenden: Bunte, von einer edelsteinbesetzten Agraffe gehaltene Bänder im Haar, eine delikat gegebene zweireihige Perlenkette, die üppige Brosche auf der Brust dienen der Repräsentation am Körper und korrespondieren mit dem aus verschiedenen wertvollen Materialien gefertigten raffinierten Kleid. Brokat, Spitze, Seide sind Statussympole auch am Kinderkörper. Farbkorrespondenzen zwischen den Haarbändern, Ohrgehängen und Ärmelschleifen und die auf eine Linie gesetzte dreiteilige Schmuckgarnitur mit Gold und Schwarzblau demonstrieren das ästhetische Vermögen des Künstlers, der sein ganzes Augenmerk auf die Wiedergabe des Gesichts und der Körperhülle richtet. Nach Reinigung und Restaurierung wird sein gemaltes Schmuckstück nun in neuem Glanz auf Schloss NeuAugustusburg die Hofkultur einer weitgehend vergessenen Epoche sächsischer Landesgeschichte beleuchten. Prof. Dr. Frank Druffner ist stellvertretender Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder und Geschäftsführer des Freundeskreises. Geschlitzte Wämser, geschmückte Federbaretts, dekorative Stiefelstulpen: Dies sind nur einige der modischen Raffinessen, die zur frühneuzeitlichen Garderobe gehörten. Je nach Stand und Geschlecht reichte die Kleidung von Leinen bis Samt, von einem schlichten Grau bis hin zum kostbar aus Schnecken gewonnenen Purpur, vom einfachen Alltagsgewand bis zum reich verzierten Schnabelschuh. Doch wie wurde ein geschlitztes Wams um 1600 überhaupt hergestellt? Wie pflegte man seinen filzenen Radmantel und bei welchen Anlässen gehörte eine üppige Halskrause zum verpflichtenden Dresscode? Im Germanischen Nationalmuseum kann man diesen Fragen ab sofort auf den Grund gehen und in einer Sonderausstellung die Vielseitigkeit der Mode des 16. und 17. Jahrhunderts als Teil der materiellen Kultur erfahren. Als größtes kulturhistorisches Museum des deutschen Sprachraums verfügt das 1852 gegründete Nürnberger Museum über eine herausragende Sammlung frühneuzeitlicher Kleidung in Europa. Bisher wurde diese nur in einem Teilkatalog von Walter Fries aus dem Jahr 1926 publiziert. Eine 1990 erschienene Publikation von Jutta Zander-Seidel, Kuratorin der Ausstellung und Leiterin der Sammlungen Textilien und Schmuck, ist mittlerweile vergriffen. Grund genug für ein vierjähriges Forschungsprojekt, bei dem der Bestand nicht nur sorgfältig im hauseigenen Institut für Kunsttechnik und Konservierung restauriert, sondern auch wissenschaftlich neu bearbeitet wurde. In der Ausstellung zeigt das Museum Objekte dieser einzigartigen Sammlung nun Grabkleid der 6-jährigen Katharina Gräfin zur Lippe, 1600; Lippisches Landesmuseum, Detmold ARSPROTOTO 4 2015 In Mode. Kleider und Bilder aus Renaissance und Frühbarock, Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg. 300 Seiten mit ca. 300 meist farbigen Abbildungen, 38,50 Euro erstmals öffentlich und stellt die wichtigsten Ergebnisse der Forschungsarbeiten vor. Neben der Präsentation von rund 50 Originalkostümen aus den Jahren 1530 bis 1650 ergänzen rare Objekte und Funde zur Herstellung und Pflege von Kleidung die von der Kulturstiftung der Länder geförderte Schau. Historische Handwerksutensilien wie Nadeln, Scheren und Fingerhüte vermitteln einen Eindruck von der täglichen Arbeit des Schneiders, während Kleiderbürsten oder Wäschetafeln von der frühneuzeitlichen Reinigungspraxis erzählen. Die Zusammenführung der erhaltenen Zeugnisse mit zeitgenössischen Porträts – darunter Leihgaben aus New York, Wien und Stockholm – thematisiert darüber hinaus die Lesbarkeit von Kleidung im Bild und greift damit die aktuelle Diskussion der Kleiderkunde auf. Während die textilen Originale Nahsichten auf Formen, Materialien und Macharten zulassen, vermitteln die Bildnisse Wirkung und ursprüngliche Trageweise. Anhand von modekritischen Flugblättern und Trachtenbüchern wird allerdings schnell deutlich, dass die Kunstwerke nicht als Abbild der Realität zu begreifen sind, sondern vielmehr der Inszenierung von Persönlichkeit und Status des Auftrag gebers dienten. Die Publikation zur Ausstellung erfasst den kostbaren Bestand frühneuzeitlicher Kleidung des Germanischen Nationalmuseums und stellt die Ergebnisse des Forschungs projektes dauerhaft zur Verfügung. Jenny Berg ist Assistentin des Vorstands der Kulturstiftung der Länder. In Mode Kleider und Bilder aus Renaissance und Frühbarock Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 3.12.2015 – 6.3.2016 www.gnm.de 63 NACHRICHTEN 2015/16 10 JAHRE DEUTSCHRUSSISCHER MUSEUMSDIALOG DER WETTBEWERB Festveranstaltung im Berliner Bode-Museum und Kolloquium in der Akademie der Künste Aus Anlass des 10-jährigen Jubiläums des Deutsch-Russischen Museumsdialogs (DRMD) trafen sich in Berlin am 16. und 17. November auf Einladung der Kulturstiftung der Länder und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz rund zweihundert Direktorinnen und Direktoren sowie Kuratorinnen und Kuratoren der von Kriegsverlusten betroffenen russischen und deutschen Museen, um ihre langjährige Zusammenarbeit zu vertiefen und neue Projekte zu erörtern. Bei einer Festveranstaltung im Bode-Museum und einem Kolloquium in der Akademie der Künste berichteten renommierte Expertinnen und Experten von ihren neuesten Forschungsergebnissen in Bezug auf kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter. http://www.kulturstiftung.de/ initiativen/deutsch-russischermuseumsdialog/ Die Festveranstaltung im Berliner Bode-Museum Feierliche Übergabe eines Kurzschwertes aus deutschem Privatbesitz durch Veronika Ellert an Natalja Grigorjewa, Direktorin des Staatlichen Museums Nowgorod Rückgabe eines Gemäldes aus dem Stadtmuseum Dresden an die Kunstsammlung der Akademie der Künste. 1946 aus Berlin nach Moskau verbracht, kehrte das „Bildnis des Schauspielers J. F. Reinecke“ von Anton Graff bereits 1958 aus der Sowjetunion in die DDR zurück, gelangte irrtümlich aber nach Dresden. Recherchen des DRMD ermöglichten nun seine Rückkehr nach Berlin. Feierliche Übergabe eines Messbuches von 1651, kirchenslawisches Sluzebnik, mit Nowgoroder Stempel durch Barbara SchneiderKempf, Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, an Natalja Grigorjewa, Direktorin des Staat lichen Museums Nowgorod 64 DER OLYMP ZUKUNFTSPREIS FÜR KULTURBILDUNG Der Wettbewerb der Kulturstiftung der Länder in Zusammenarbeit mit der Deutsche Bank Stiftung Informationen unter www.kulturstiftung.de/kinder-zum-olymp Anmeldung zum Wettbewerb bis zum 31. Dezember über die Webseite JETZT BEWERB EN ! SCHÖN IM DEPOT Was verbergen Sie eigentlich vor uns, Herr Lukasch? Eineinviertel Jahrhunderte nach den sensationellen Flügen Otto Lilienthals (1848 –1896) verdanken wir unser Wissen zu Details seiner Flugtechnik einer großen Zahl von Fotografien. Es war ein glückliches Zusammentreffen zweier technischer Pionierleistungen: die ersten freien Flüge eines Menschen und der Beginn der sogenannten Augenblicksfotografie. Lilienthal ließ sich regelmäßig von Fotografen begleiten und benutzte die Bilder in Vorträgen und Artikeln. Die Sammlung von Vintage-Prints im Otto-Lilienthal-Museum, großenteils 66 Albumin- und Kollodiumpapierabzüge, geht auf Lilienthals eigene Sammlung zurück. Einem Foto der Sammlung jedoch fehlte jeder geschichtliche Kontext: Ein großformatiger Kollodiumpapierabzug auf Schmuckkarton von 1893 zeigt Lilienthal im Flug hoch über einer Stadtsilhouette. Die Vorbereitung einer Hochstapelei? Der Schmuckkarton ist dem Berliner Hoffotografen Alex Krajewsky zuzuordnen. Erst jüngst wurde das Bild als Blick über die Havel von der Zitadelle Spandau aus identifiziert. Krajewsky kombinierte es mit einer seiner 1893 entstandenen LilienthalAufnahmen. Die aktuelle Interpretation sieht das Bild als persönliches ironisches Geschenk des Fotografen an Lilienthal, mit dem er nebenbei seine fototechnischen Fähigkeiten dokumentieren wollte. Die Fotosammlung wird dauerhaft ein Depotschatz bleiben. Die Ausstellung zeigt Motive in großformatigen Reproduktionen und erfüllt damit ihren Zweck, Schaufenster in die verborgenen Sammlungen des Museums zu sein. Dr. Bernd Lukasch, Direktor des OttoLilienthal-Museums in Anklam, mit einer Fotomontage von Alex Krajewsky aus der Sammlung von Otto Lilienthal im Depot des Museums, fotografiert von Oliver Mark Karl Schmidt-rottluff 490 Werke in den Kunstsammlungen Chemnitz 13.12.2015 – 10.4.2016 Kunstsammlungen Chemnitz theaterplatz 1 | 09111 Chemnitz | www.kunstsammlungen-chemnitz.de Karl Schmidt-Rottluff, Seehofallee, 1956, Öl auf Hartfaser, 88,3 x 102,3 cm, Kunstsammlungen Chemnitz, Foto: bpk/Kunstsammlungen Chemnitz/May Voigt © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Sparkassen-Finanzgruppe llung die Ausste sance“ lli Renais e ic t t o B 016 „The 5 – 24.01.2 24.09.201 r der Wir fördern Berliner Sparkasse DekaBank Deutsche Girozentrale Sparkassen-Kulturfonds des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes ördere als Hauptf zu Berlin n Museen e h ic Staatl Wann ist ein Geldinstitut gut für Deutschland? Wenn es nicht nur die Tore zu Berlins besten Museen öffnet. Sondern auch deren Vielfalt fördert. Als größter nichtstaatlicher Kulturförderer wenden die Sparkassen jährlich über 144 Mio. € auf, um unter anderem die Qualität und die Vielfalt der deutschen Museumslandschaft zu stärken und bedeutende Institutionen wie die Staatlichen Museen zu Berlin zu unterstützen. Das ist gut für die Kultur und gut für Deutschland. www.gut-fuer-deutschland.de Sparkassen. Gut für Deutschland.
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