11 Kapitel 1 Ursprung und Wesen des Rechts «Ene, Mene, Mischt und Du bisch!» Conni (4) wird zur «blinden Kuh» bestimmt, Dani (3), Michèlle und Tom (beide 5) sind die weiteren Mitwirkenden. Das Spiel beginnt und alle haben ihren Spass daran. Es ist doch erstaunlich, dass sich bereits kleine Kinder draussen treffen, selbstständig Regeln vereinbaren und ein Spiel miteinander veranstalten. In der Erwachsenenwelt sind die Verhältnisse natürlich unendlich viel komplizierter. Es besteht aber offenbar ein gesellschaftliches Ur-Bedürfnis, ja geradezu die Notwendigkeit, einen bestimmten Rahmen zu setzen und «Spielregeln» zu bestimmen, die den Einzelnen wie auch der Gemeinschaft als Ganzes gerecht werden und ein Zusammenleben ermöglichen. Im eingangs erwähnten Spiel gibt es Sehende und «Blinde», die ganz selbstverständlich miteinander umgehen. Trotz der Unterschiede funktioniert das Spiel. Übersetzt auf eine Gesellschaft bedeutet dies, dass nicht alle genau gleich sein müssen, um sich in der gültigen Ordnung zu bewegen. Die einzelnen Menschen können sich ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen entsprechend am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Geschehen beteiligen. Ob Jurist, Anwalt, Richter, Geschäftsfrau oder als Mann von der Strasse: Die von der Gemeinschaft aufgestellten, gültigen Regeln müssen verständlich sein und allgemein akzeptiert werden. Das Recht war aber nicht einfach eines schönen Tages da, sondern hat sich entwickelt. Es wurde immer von den Menschen und ihren Vorstellungen geprägt. Bis vor zweihundert Jahren ging es praktisch überall mit der politischen Macht im Staat einher. Erst die Vorstellung von der Trennung der Gewalten und die Entwicklung der Menschenrechte führten zu Rechtsordnungen, welche die bis dahin bevormundeten Menschen in Freiheit und Eigenverantwortung entliessen. Wo dies der Fall ist, sind heute die Bürger und Bürgerinnen an der Gestaltung des Rechts aktiv beteiligt und geniessen dessen Schutz. In diesem Kapitel ist die Rede davon, wie sich das Recht entwickelt hat und durch welche grundlegenden Merkmale es sich in der Schweiz auszeichnet. Ursprung und Wesen des Rechts – Panoptikum Panoptikum Einteilung des Rechts 13 Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 14 1.1 Rechtsordnungen gab es seit jeher Recht und Staat waren lange identisch Menschenrechte, Bürgerrechte und Gewaltentrennung Sicherheit, Gesundheit und Ausbildung. Zu ihrer Sicherung forderten verschiedene Zeitgenossen, dass das Volk auch politische Rechte oder Bürgerrechte erhalten sollte. Europa stand damals unter dem Eindruck des Sonnenkönigs Ludwig XIV., der alle Macht in seiner Hand vereint hatte und unter seinem Leitspruch «Der Staat bin ich» nach Belieben schaltete und waltete. Um die Menschen vor solcher Tyrannei zu schützen, schlugen einige Gelehrte die Gewaltentrennung im Staat vor. Erst die Aufteilung der Macht auf verschiedene Institutionen versprach den Rechtsstaat. Was ist «Recht» und wie hat es sich entwickelt? Es gilt als gesichert, dass zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte das Leben der Völker und Volksgruppen geordnet war. Unabhängig davon, wann und wo auf unserem Planeten die Menschen eine Gemeinschaft gebildet hatten, bestimmten sie, was zum «recht»mässigen Handeln gehörte und was nicht. Wer dies nicht respektierte und dagegen verstiess, begab sich unweigerlich ins Unrecht und wurde meistens dafür bestraft. Unterschiedliche Vorstellungen darüber, was «Recht» ist, existierten sehr wohl. Doch nie bezweifelte man, dass es eine Rechtsordnung an sich geben musste. Streit entstand lediglich darüber, wie die Rechtsordnung aussehen sollte. Ohne sie wollte und konnte niemand auskommen. Dies lag daran, dass das geltende Recht eines der wichtigsten Erkennungsmerkmale einer Gemeinschaft überhaupt darstellte. Recht und Staat waren praktisch gleichbedeutende Begriffe, denn das Recht bestand im Wesentlichen darin, das Gebilde «Staat» zu definieren. Bedeutungsvoll war dabei, dass das Recht die Frage klärte, wer regierte und damit für das Wohl der Gemeinschaft die Verantwortung trug. In der Regel konnten die Herrschenden Vorrechte (Privilegien) für sich in Anspruch nehmen, weshalb immer ein grosses Interesse bestand, zur Führungsschicht zu gehören. Dies erklärt auch die zahllosen Kämpfe und Kriege, bei denen es um die Rechte einzelner Gruppen oder ganzer Zweck und Ziele der Völker ging. Doch meist profitierten von den Machtkämpfen nur Eidgenossenschaft die Eliten, das Leben der grossen Masse blieb davon mehr oder (BV Art. 2) weniger unberührt. Grundsätze (BV Art. 5) Das begann sich erst im 17. und 18. Jahrhundert zu ändern, als in England und später in Frankreich eine neue Vorstellung von «Recht» aufkam. Nicht der Staat – genauer, die Führungsschicht, die die Geschicke des Staates lenkte – sollte darüber befinden, was «Recht» sei. Vielmehr besitze der Einzelne, das Individuum, von Natur aus bestimmte Rechte, die ihm niemand wegnehmen Grund- oder Freiheitsrechte (BV Art. 7 ff.) könne, wurde argumentiert. Dies war die Geburtsstunde der Universal- oder Menschenrechte, wie sie schon damals hiessen. Als elementare Rechte der Menschen galten unter anderem die Rechte auf Freiheit, Staatsbürgerliche und politische Rechte (BV Art. 24; 25, 34 ff., 138 ff.) Die Dreiteilung in die «gesetzgebende», die «richterliche» und die «ausführende» Gewalt (Legislative, Judikative und Exekutive) wurde zu einer unabdingbaren Voraussetzung, dass die Bürger ihre verfassungsmässig garantierten Grund- und Bürgerrechte durchsetzen konnten. Dies verhinderte die Vormachtstellung einer bestimmten Elite, die den Wohlstand des Landes vor allem für sich beanspruchte. Bei der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Unabhängigkeitskrieg mit dem Mutterland England (1771), während der Französischen Revolution (1789) und bei der Bildung des Schweizerischen Bundesstaates im Jahre 1848 gelang es, dass die Menschen- und Bürgerrechte nicht nur auf dem Papier bestanden. Dank der Gewaltenteilung wurden sie für alle Bürger Realität. In der Schweizerischen Bundesverfassung sind die Grundpfeiler unseres Rechtsstaates festgelegt. Darin heisst es unter anderem: Freiheit, Unabhängigkeit, gemeinsame Wohlfahrt innerer Zusammenhalt, nachhaltige Entwicklung, kulturelle Vielfalt 1. Grundlage staatlichen Handelns ist das Recht (Legalitätsprizip, Willkürverbot) 2. Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. 3. Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben. 4. Bund und Kantone beachten das Völkerrecht Recht auf Leben, Recht auf Menschenwürde, Ehefreiheit, Rechtsgleichheit, Diskriminierungsverbot, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit usw. Niederlassungsfreiheit, Recht auf Staatszugehörigkeit, Schutz vor Ausweisung, Auslieferung und Ausschaffung, Stimm- und Wahlrecht, Referendumsrecht, Initiativrecht Ursprung und Wesen des Rechts – 1.2 Formen des Zusammenlebens 15 1.2 Das Recht im Umfeld weiterer Regeln Die aufgezählten Verhaltensweisen sind zufällig ausgewählt. Sie sind aber Teil eines ganzen Systems von Regeln, das sich über ungezählte Generationen hinweg entwickelt hat. Die Regeln passten sich der jeweiligen Zeit an und waren immer ein Spiegelbild der Menschen, die sie erschaffen und befolgt hatten. Dadurch wissen wir heute, wie diese Menschen dachten, welche Bedürfnisse sie hatten, und wie sie untereinander Umgang pflegten. Formen des Zusammenlebens In einer Gemeinschaft ist nicht nur das Recht für das Verhalten des Einzelnen bedeutsam. Je nachdem, wo der Mensch aufwächst, prägt ihn vorerst seine Umgebung, und zwar nachhaltig. Schon bald nach der Geburt werden ihm die gängigen Umgangsformen nahegelegt. Er erfährt, was sich gehört, wie er sich zu benehmen hat, was als «gut» und was als «schlecht» gilt. Diese Regeln sind, lange bevor der Mensch selbstständig zu denken beginnt, verinnerlicht. Er handelt bewusst und unbewusst danach. Einige Beispiele, wie wir Menschen heute zusammenleben: a. Wenn wir hungrig sind, gehen wir in ein Lebensmittelgeschäft, nehmen die gewünschte Ware vom Regal und zahlen an der Kasse. Es kommt uns nicht in den Sinn, die Ware zu stehlen. b. Wenn wir ein Büro betreten, grüssen wir zuerst die Anwesenden und nicht umgekehrt. c. Wenn wir auf der Strasse am Steuer eines Autos sitzen, fahren wir auf der rechten Strassenseite, beachten den Rechtsvortritt auf einer Kreuzung und lassen Passanten auf einem Fussgängerstreifen den Vortritt usw. d. Wir trösten ein kleines Kind, das seine Mutter aus den Augen verloren hat, und helfen ihm, sie wieder zu finden. e. Im Zug fragen wir, ob noch ein Platz im zum Teil besetzten Abteil frei ist. f. Wenn wir einen anderen Menschen absichtlich verletzen oder töten, wenn wir zu schnell mit dem Auto fahren oder etwas stehlen, werden wir bestraft. Höhlenbemalung in der libyschen Wüste, aus den Anfängen der Menschheitsgeschichte Die Entstehung von Sitte, Sittlichkeit und Recht Aufgrund von Funden geht die Forschung davon aus, dass die ersten Menschen in Afrika beheimatet waren. Es lebten jeweils mehrere Familien in losen Gruppen zusammen, wobei die Männer einzeln oder gemeinsam zur Jagd gingen und die Frauen die Kinderbetreuung übernahmen und als Sammlerinnen tätig waren. Der frühe Mensch war vielen Tieren und den Naturgewalten völlig ausgeliefert. Die Natur machte ihm Angst. Er glaubte, dass Dämonen die Welt erschaffen hatten und diese beherrschten. Der Mensch wollte aber frei sein und versuchte mittels Zauberei, die Unabhängigkeit zu erlangen. Die Religion, und später das Recht, halfen diese Urängste einzudämmen und zu überwinden. Für das tägliche Leben bildeten sich je nach Lebensbedingungen viele unterschiedliche Gewohnheiten (Kulturen) heraus – die Sitten und Gebräuche (Regeln für den Umgang miteinander). Je mehr Menschen zusammenlebten, desto mehr Regeln wurden für die Aufrechterhaltung der Ordnung nötig. Nur dadurch war es einigermassen möglich, ohne Streit und Missgunst auszukommen. Mit dem Ackerbau als Nahrungsgrundlage begannen die Menschen sesshaft zu werden. Eigentum an Boden und Vieh war die Voraussetzung dafür. Da immer mehr Menschen auf zunehmend engerem Raum zusammenleben mussten, nahmen die Konflikte zu. Es wurden Verfahren nötig, die in Streitfällen vermitteln konnten. Erste rechtliche Normen waren unumgänglich. Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 16 Sitte Handeln aus… Anstand, Brauch, Umgangsformen Unter Sitte verstehen wir alle Regeln, welche von den Menschen als Anstand, Höflichkeit, Brauch oder als üblich bezeichnet werden. Der Begriff «allgemeine Umgangsformen» wird oft gleichbedeutend verwendet, obschon er nicht ganz identisch ist. Recht Recht=Ordnungsregeln und Verhaltensvorschriften Beispiel: Beispiel: Wenn wir mit dem Tram unterwegs sind, besitzen wir einen gültigen Fahrschein (auch wenn keine Kontrolle stattfindet). Bevor wir ein Tram oder einen Bus betreten, lassen wir den aussteigenden Personen den Vortritt. Das Recht regelt das äussere Verhalten und ist im Unterschied zu Sitte und Sittlichkeit erzwingbar. Wer sich nicht an die Vorschriften hält, wird bestraft (z. B. 50 Franken Busse fürs Schwarzfahren im Tram). Die Sitte regelt das äussere Verhalten und ist nicht erzwingbar. Sittlichkeit (Moral/Ethik) …oder aus innerer Gesinnung, religiöser/ethischer Überzeugung Sittlich oder moralisch handelt, wer aus einer inneren Haltung heraus etwas tut oder unterlässt. Es kann sich dabei um eine bestimmte Gesinnung (z. B. Samariter- oder Pfadfindergedanke) handeln, aus religiösen Gründen geschehen oder auf der Grundlage ethischer Überzeugungen (Werte wie Liebe, Freundschaft, Pflichtbewusstsein, das «gute» Gewissen, Schutz des Lebens und der Umwelt usw.) erfolgen. Beispiel: Im voll besetzten Tram überlassen wir einem am Stock gehenden Fahrgast unseren Sitzplatz. Sittliches Verhalten kommt von innen her und ist ebenso wenig erzwingbar, wie es Anstand und Höflichkeit sind. Ein wichtiger Unterschied besteht allerdings darin, dass die Gesellschaft es mit den Umgangsformen ziemlich genau nimmt. Sie werden von den meisten erwartet, während moralisches Verhalten davon abhängt, ob man die ensprechende innere Einstellung hat oder eben nicht. Daher kann man moralisches Handeln nicht allgemein voraussetzen. Kommt hinzu, dass es meist auch verschiedene Auffassungen darüber gibt, was «richtig» oder «unangebracht» ist. Das Recht umfasst alle Ordnungsregeln und Verhaltensvorschriften, die innerhalb eines bestimmten Gebiets von allen einzuhalten sind. Von den zuvor erwähnten Ausschnitten des Zusammenlebens einer Gemeinschaft betreffen die Beispiele b und e den Anstand (Sitte), d ist der Sittlichkeit zuzuordnen und alle übrigen Verhaltensweisen erfolgen aus rechtlichen Gründen. Sitte, Sittlichkeit und Recht sind oft gemeinsam im Spiel Im alltäglichen Zusammenleben wirken diese Regeln immer gleichzeitig. Beispiel: Bei einem Besuch stösst Claudia im Hause der Eltern ihrer Freundin Ruth versehentlich eine Kaffeekanne um. Auf dem kostbaren Perserteppich entsteht ein hässlicher Fleck. Claudia lässt den Teppich auf ihre Kosten reinigen. Warum tut sie das? Zuerst einmal finden wir es völlig «normal», dass Claudia den Schaden behebt. Dies wäre also mehr auf der Ebene der Sitte gehandelt. Es ist ihr aber auch wichtig, also ein inneres (moralisches) Bedürfnis, einen Schaden, den sie einem anderen Menschen zugefügt hat, wieder gutzumachen. Die Eltern von Ruth haben aber auch einen gesetzlichen Anspruch darauf, dass ihnen der Schaden ersetzt wird. Recht und Ethik Darf man einem Sterbenskranken helfen, sich selber umzubringen, um so sein Leiden zu beenden? Dürfen Eltern oder sogar der Staat das Recht haben, eine Schwangerschaft abzubrechen, wenn der Arzt eine schwere Missbildung oder eine starke geistige Behinderung beim Kind im Mutterleib festgestellt hat? Sind Tierversuche in der medizinischen Forschung vertretbar, selbst wenn dies Tierquälerei bedeutet? Soll es in der Schweiz erlaubt sein, das Klonen (Vervielfältigen) von Tieren und Menschen zu erforschen? Dürfen gentechnisch veränderte Pflanzen in der Schweiz angebaut und genmanipulierte Tiere in der Natur ausgesetzt werden? Soll man einem Unternehmen eine riesige Fläche in einer noch intakten Naturlandschaft für den Bau einer Fabrik überlassen, weil dabei viele dringend benötigte Arbeitsplätze entstehen können? Wer oder was hilft uns, brennend aktuelle Gegenwartsfragen wie diese zu lösen? In immer kürzeren Abständen wird unsere Gesellschaft mit neuen Situationen konfrontiert, für die das gültige Recht noch keine oder nur ungenügende Regelungen kennt. Zentral ist bei den erwähnten Gegenwartsfragen, dass sie Grundsatzentscheide erfordern, die weitreichende Folgen haben oder haben können. Wenn eine Gesellschaft es zulässt, menschliches Leben zu verhindern oder vorzeitig zu beenden, will dies gut überlegt sein. Genauso muss sie darüber wachen, dass Eingriffe in die Natur und den Bauplan des Lebens nur dann erlaubt sind, wenn daraus keine irreparable Schäden für die Menschheit erfolgen. Viele dieser Fragen sind nicht nur sehr komplex, sie rufen auch ein ganzes Heer an Spezialisten unterschiedlichster Fachrichtungen auf den Plan. Nur durch die Vernetzung unterschiedlichster Fachgebiete ist einigermassen Gewähr dafür gegeben, dass die Antworten und letztlich die rechtlichen Regelungen zu brisanten Fragen die Gemeinschaft stärken und nicht das Gegenteil eintrifft. Vor diesem Hintergrund entstand gegen Ende des 20. Jahrhunderts die interdisziplinäre Wissenschaft der Ethik, der auch die Rechtslehre angehört. Die Ethik (altgriech. «ethos = Sittenlehre») befasst sich mit der in den Gesellschaften tief verankerten Moralvorstellungen und den daraus entstandenen Rechtsordnungen. Moral entsteht aus den kulturellen Werten einer Gemeinschaft und ist stark von religiösen Grundsätzen geprägt. Die Ethik beleuchtet und hinterfragt diese moralischen Grundsätze kritisch und damit auch die gültige Rechtsordnung. Die Ethik treibt die dringlich erforderliche Modernisierung des Rechts voran und stellt diese auf eine neue Grundlage. In einer Zeit, in der die religiöse Verwurzelung der Menschen schwindet und andererseits neue globale Herausforderungen und Bedrohungslagen für Mensch, Natur und Umwelt stetig zunehmen, ist eine Besinnung auf die zentralen Werte einer Gemeinschaft dringend vonnöten. Die Ethik leistet diesen Beitrag und stellt den vielfältigen Gegenwartsproblemen drei Ansatzpunkte zu deren Lösung zur Verfügung (vgl. Spalte ganz rechts). Ethische Entscheide sind nötig, wenn rechtliche Lösungen gefunden werden müssen, bei denen Grundwerte (Grundrechte) betroffen sind. Denn üblicherweise stehen bei ethischen Problemen mindestens zwei so genannte Rechtsgüter auf dem Prüfstand. Der Gesetzgeber steckt in einer Dilemma-Situation. Bei der Sterbehilfe beispielsweise gilt es, sich zwischen den beiden Rechtsgütern «Schutz des Lebens» und dem «Recht auf Selbstbestimmung» zu entscheiden. «Welches ist das höhere Rechtsgut?», lautet dann eine der zentralen Fragen. Falls ein Anliegen nicht auf völlige Ablehnung stösst, sehen ethische Lösungen – in Rechtsvorschriften gegossen – dann meist so aus, dass eine Reihe von Bedingungen oder Auflagen formuliert wird, unter welchen die Betroffenen zu handeln haben. Die vom Bundesrat 2001 ins Leben gerufene Nationale Ethikkommission (NEK) prüft regelmässig die anstehenden, ethisch sensiblen Gesetzesvorlagen im Bereich der Humanmedizin und formuliert Lösungsansätze zuhanden des Bundesrates, des Parlamentes und des Volkes (www.nek-cne.ch). In der Ethik sind regelmässig Konfliktsituationen (Dilemmata) zu bewältigen. Die drei ethischen Grundfragen liefern einen allgemeinen Bezugsrahmen, um die Rechtsgüterabwägung zielgerichtet voranzutreiben. 1. Die Frage nach dem guten Leben In der Ethik ist es unbestritten, dass jeder Mensch frei, selbst bestimmend und entsprechend seines Beitrags/seiner Leistung in der Gemeinschaft für sich ein gutes Leben anstreben darf, so lange er dies im Rahmen der gültigen Rechtsordnung tut. 2. Die Frage nach dem gerechten Zusammenleben Im seinem tagtäglichen Streben nach Glück und persönlicher Erfüllung soll der Mensch auch über die gültige Rechtsordnung hinaus allen Mitmenschen dieselben Bedingungen und Möglichkeiten der Entfaltung zubilligen, die er für sich selbst als legitim erachtet und in Anspruch nimmt. Dabei verzichtet er auf jegliche Vorrechte, respektiert den unschätzbaren Wert einer intakten Umwelt und er gesteht auch den Schwächeren in der Gemeinschaft zu, ihr Recht auf ein gutes Leben durchzusetzen. 3. Die Frage nach dem verantwortungsvollen Handeln Der ethisch handelnde Mensch nimmt Rücksicht auf die elementaren Bedürfnisse seiner Mitmenschen wie auch der Umwelt gegenüber. Er trägt Sorge zu den begrenzten Ressourcen der Welt, die er nachhaltig und mit Rücksicht auf kommende Generationen nutzt. Insbesondere ist er darauf bedacht, dass sein Handeln anderen Menschen nicht der freie Zugang zu lebensnotwendigen Gütern versperrt oder eine andere gesundheitsschädigende oder lebensbedrohliche Folge daraus entsteht. Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 18 Was früher tabu war, ist heute «völlig normal» Veränderung der Badesitten: Obenohne-Szene heute Bevor im 19. Jahrhundert das Schwimmen langsam in Mode kam, wurde eigens dazu der Badewagen erfunden, mit dem ein paar Unentwegte in vollständiger Bekleidung bis ins Wasser fuhren und sich so vergnügten. Erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts suchten zur Sommerzeit an den Küsten der Nord- und der Ostsee und am Mittelmeer die ersten noblen Sommergäste in den entsprechenden Anzügen das kühle Nass auf. Was für Kinder und Männer bald die Regel war, blieb den Frauen noch eine Zeitlang verwehrt. Erst Badekleider und die Gewöhnung an diese neue Sitte ebneten ihnen den Weg dazu. Kein Wunder also, sorgte 1946 die Erfindung des Bikinis weltweit für fast ebenso viele Schlagzeilen, wie kurz zuvor die Zündung der ersten Nachkriegs-Atombombe auf dem Südseeatoll, von dem sich das frivole Fetzchen Stoff den Namen geliehen hatte. Trotz geharnischter Proteste und Verbote in öffentlichen Badeanstalten setzte sich der Zweiteiler schliesslich durch. 1964 erneuter Skandal: Ein deutscher Modeschöpfer lancierte den «Monokini», ein Höschen, dessen V-förmige Träger just zwischen den nackten Brüsten hindurchführten. Als die neue Modewelle mit der üblichen Verspätung in die Schweiz – genauer: ins Berner Marzilibad – kam, rief dies alsbald jene auf den Plan, die darin wieder einmal den Untergang des Abendlandes witterten. Es hagelte Beschwerden beim Bademeister, und in Leserbriefen machte sich Empörung Luft. Bis zum Ende der 70er-Jahre galt in den Bädern der Bundeshauptstadt das «ganze oder teilweise Entblössen der weiblichen Brüste in öffentlichen Badeanstalten» als strafbar. Dann wurde das Badereglement gelockert. Doch noch 1980 sammelte ein Berner 14 000 Unterschriften für eine Initiative «gegen die Verwilderung der Badesitten». Ohne Erfolg allerdings, der Grosse Rat schickte das Volksbegehren bachab. Wer heute die Leute darauf anspricht, erhält fast durchwegs dieselbe Antwort: «Sie kommen viel zu spät. Mittlerweile ist barbusiges Baden doch völlig normal. Ganz natürlich. Niemand schaut mehr hin.» «Weltwoche»-Bericht aus den 1990er Jahren Veränderung der Lebensgewohnheiten dank materieller Unabhängigkeit und Fortschritt Während sich das Recht und die ethischen und moralischen Vorstellungen (Sittlichkeit) im Verlaufe des 20. Jahrhunderts in überschaubarem Masse verändert haben, erlebten die Regeln zur Sitte erdrutschartige Verschiebungen. Von den Kleiderordnungen über die Tischgewohnheiten zum Freizeitverhalten: Die westlichen Gesellschaften legen zu Beginn des dritten Jahrtausends ein Verhalten an den Tag, das die Bürger und Bürgerinnen, die das vorige Jahrhundert einläuteten, mehrheitlich in Angst und Schrecken versetzt hätte. Die Regeln des Zusammenlebens veränderten sich zu allen Zeiten, doch nie mit dem Tempo der vergangenen Jahrzehnte. Ständig steigende Einkommen machten die Menschen der westlichen Ländern in der Vergangenheit immer unabhängiger, das Auto, die öffentlichen Verkehrsmittel und die Flugzeuge ermöglichen inzwischen eine beinahe grenzenlose Bewegungsfreiheit, und die ungezählten technischen Erfindungen schaffen ein vielfältiges Angebot, das Leben individuell zu gestalten. Ende der 60er-Jahre gab es die «Hippies», die gegen die materielle Leistungsgesellschaft waren. Ihnen folgten die «Alternativen», die für den weltweiten Frieden und gegen die Atomkraft demonstrierten. Zuerst in England, dann in ganz Europa, schreckten die «Punks» mit ihrem auffälligen Äusseren und der lauten, aufschreienden Musik, die sie in der Öffentlichkeit verbreiteten, die Menschen auf. Heftige Diskussionen über die Verwahrlosung der Jugend machten die Runde. Etwa zur gleichen Zeit schlugen die Berner und Zürcher «Autonomen» starke Wellen in der Bevölkerung. Sie sind inzwischen zu «Chaoten» verkommen, während die «Techno-Szene» der 90er-Jahre inzwischen niemanden mehr an eine Staatskrise denken lässt. Offenbar haben sich die Bürger und Bürgerinnen langsam damit abgefunden, dass in einem Kulturkreis viele Variationen der Lebensgestaltung denkbar sind. Für das Recht besteht die Schwierigkeit, mit der Veränderung Schritt zu halten, da hier auf vielen Ebenen zuerst die Voraussetzungen dafür gegeben sein müssen. Ursprung und Wesen des Rechts – 1.3/1.4 Aufgaben und Eigenschaften des Rechts 19 1.3 Aufgaben des Rechts Die Hauptaufgaben des Rechts bestehen darin, die Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben zu schaffen und in Streitfällen einen Interessensausgleich herbeizuführen. Recht als «Friedensordnung» In jeder Gesellschaft kommt es zu Konflikten. Daraus entsteht das Bedürfnis nach Verfahren zur Lösung und eine Ordnung zur Vermeidung derselben. Das Strassenverkehrsgesetz beispielsweise sichert einen reibungslosen und konfliktfreien Verkehr, wenn es eingehalten wird. Kommt es trotzdem zu einem Konflikt zwischen zwei Verkehrsteilnehmern, hilft das Recht, diesen zu lösen. Insofern sichert es den Frieden unter den Menschen. Recht und Gerechtigkeit Dass das Recht auch gerecht sein muss, ist eine verbreitete Auffassung. In einem demokratischen Staat entspricht das Recht zwar weitgehend den Gerechtigkeitsvorstellungen seiner Bürgerinnen und Bürger, da diese im Gesetzgebungsprozess mitwirken. Doch in vielen Fällen kann ein Gericht gar keine Gerechtigkeit erzielen, auch wenn es dies möchte. Wenn beispielsweise in einem Scheidungsprozess Vater und Mutter das Sorgerecht für das gemeinsame Kind beantragen, gibt es im Normalfall keine «gerechte» Lösung. Deshalb sprechen die Anwälte und Richter statt «vom Herbeiführen einer gerechten Lösung» eher von der «Erwirkung eines Interessenausgleichs». Damit ist gemeint, dass in Fällen wie dem elterlichen Sorgerecht die abgewiesene Partei in anderen strittigen Fragen während des Prozesses einen Ausgleich erhalten soll. Der Begriff «Gerechtigkeit» ist aber nicht grundlegend falsch. Das Recht eines modernen demokratischen Staates sichert die meisten der grundlegenden UNO-Menschenrechte (vgl. nächste Seite). Dazu zählt auch, dass das einzelne, schwächere Glied einer Gesellschaft vor Unterdrückung und Willkür geschützt wird. Beispielsweise gibt es im Miet- und Arbeitsvertragsrecht des Obligationenrechts viele Bestimmungen, die nicht zu Ungunsten des Mieters oder des Arbeitnehmers abgeändert werden dürfen. 1.4 Eigenschaften des Rechts Das Recht weist mehrere Merkmale auf, damit es den Bedürfnissen des Einzelnen, der Gesellschaft und der politischen Ordnung (Staat) gewachsen ist. Recht ist erzwingbar Es macht keinen Sinn, Rechtsnormen auszuarbeiten, die unverbindlich sind. Erst wenn das Recht von den staatlichen Organen durchgesetzt werden kann, entsteht eine gesellschaftliche Ordnung. Wer absichtlich dagegen verstösst, riskiert daher Strafe wie Busse und Gefängnis oder wird zu Schadenersatzleistungen verpflichtet. Sitten werden nicht unter Zwang eingehalten, sondern weil «man» etwas Bestimmtes tut oder nicht tut. Moralisches Handeln (Sittlichkeit) geschieht aus Gewissensgründen. Recht ist veränderlich Die Rechtsordnung bildet einen wichtigen Teil der Umwelt. Die Menschen leben jedoch nicht nur im gesellschaftlichen Bezugsnetz in der sozialen Umwelt, sondern auch in einer ökonomischen (wirtschaftlichen) und technisch-wissenschaftlichen. Wenn sich die Vorstellungen der Menschen zu einer rechtlichen Frage oder etwas Grundlegendes in anderen Teilen dieses System verändern, muss auch das Recht angepasst werden. Beispiele: a. Unsere Vorfahren waren vorwiegend Ackerbauern und Handwerker; aus den Bauern wurden Industriearbeiter; heute arbeitet die Mehrheit in Dienstleistungsbetrieben. b. Als das ZGB 1912 in Kraft gesetzt wurde, bestimmte es: «Der Ehemann ist das Haupt der Familie.» Inzwischen ist dieser Grundsatz der zeitgemässen Auffassung gewichen, dass beide Ehepartner gemeinsam die Verantwortung für die Familie tragen. c. Das international organisierte Verbrechen machte in jüngster Zeit eine Strafrechtsnorm gegen Geldwäscherei nötig. d. Die Gentechnologie ruft nach völlig neuen Rechtsnormen zum Schutz der Menschenwürde, der Gesundheit und der Natur. Die UNO-Menschenrechtserklärung Artikel 1 Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Geschwisterlichkeit begegnen. Artikel 2 1 Jede Person hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. 2 Des weiteren darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebiets, dem eine Person angehört, gleichgültig ob dieses unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder sonst in seiner Souveränität eingeschränkt ist. Artikel 3 Jede Person hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit. Artikel 4 Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in all ihren Formen verboten. Artikel 5 Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Artikel 6 Jede Person hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden. Artikel 7 Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Alle haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung, die gegen diese Erklärung verstösst, und gegen jede Aufhetzung zu einer derartigen Diskriminierung. Artikel 8 Jede Person hat Anspruch darauf, von den zuständigen innerstaatlichen Gerichten wirksam gegen Handlungen geschützt zu werden, durch die ihre Grundrechte verletzt werden, die ihr nach der Verfassung oder nach dem Gesetz zustehenen. Artikel 9 Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden. Artikel 10 Jede Person hat bei der Feststellung ihrer Rechte und Pflichten sowie bei einer gegen sie erhobenen strafrechtlichen Beschuldigung in voller Gleichheit Anspruch auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht. Artikel 11 1 Jede Person, die wegen einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, hat das Recht, als unschuldig zu gelten, solange ihre Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, in dem sie alle für ihre Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäss dem Gesetz nachgewiesen ist. 2 Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine schwerere Strafe als die zum Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden. Artikel 12 Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. Jede Person hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen. Artikel 13 1 Jede Person hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und ihren Aufenthaltsort frei zu wählen. 2 Jede Person hat das Recht, jedes Land, inklusive ihres eigenen, zu verlassen und in ihr Land zurückzukehren. Artikel 14 1 Jede Person hat das Recht, in anderen Ländern Asyl vor Verfolgung zu suchen und zu geniessen. 2 Dieses Recht kann nicht in Anspruch genommen werden im Falle einer Strafverfolgung, die tatsächlich auf Grund von Verbrechen nichtpolitischer Art oder auf Grund von Handlungen erfolgt, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstossen. Artikel 15 1 Jede Person hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit. 2 Niemandem darf seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen noch das Recht versagt werden, seine Staatsanghörigkeit zu wechseln. Artikel 16 1 Erwachsene Frauen und Männer haben ohne Beschränkung auf Grund der Rasse, der Staatsangehörigkeit oder der Religion das Recht, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Sie haben bei der Eheschliessung, während der Ehe und bei deren Auflösung gleiche Rechte. 2 Eine Ehe darf nur mit der freien und uneingeschränkten Zustimmung beider künftigen Ehegatten geschlossen werden. 3 Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat. Artikel 17 1 Jede Person hat das Recht, sowohl allein als auch in Gemeinschaft mit anderen Eigentum innezuhaben. 2 Niemand darf willkürlich seines Eigentums beraubt werden. Artikel 18 Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissensund Religionsfreiheit; dieses Recht schliesst die Freiheit ein, ihre Religion oder Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, ihre Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen auszudrücken. Artikel 19 Jede Person hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäusserung; dieses Recht schliesst die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhangen, sowie über Medien jeder Art und ungeachtet von Landesgrenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten. Artikel 20 1 Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschliessen. 2 Niemand darf gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören. Artikel 21 1 Jede Person hat das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken. 2 Jede Person hat das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern in seinem Lande. 3 Der Wille des Volkes bildet die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt; dieser Wille muss durch regelmässige, nicht manipulierte, allgemeine und gleiche Wahlen mit geheimer Stimmabgabe oder in einem gleichwertigen freien Wahlverfahren zum Ausdruck kommen. Artikel 22 Jede Person hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Massnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für ihre Würde und die freie Entwicklung ihrer Persönlichkeit unentbehrlich sind. Artikel 23 1 Jede Person hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit. 2 Jede Person, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. 3 Jede Person, die arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlöhnung, die ihr und ihrer Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmassnahmen. 4 Jede Person hat das Recht, zum Schutz ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten. Artikel 24 Jede Person hat das Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmässige bezahlte Ferien. Artikel 25 1 Jede Person hat das Recht auf einen Lebensstandard, der ihr und ihrer Familie Gesundheit und Wohlergehen gewährleistet, inklusive Nahrung, Kleidung, Wohnung, medizinische Versorgung und notwendige soziale Leistungen sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Behinderung oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust ihres Lebensunterhalts durch Umstände, die sie keinen Einfluss hat. 2 Mütter und Kinder haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung. Alle Kinder, eheliche wie aussereheliche, geniessen den gleichen sozialen Schutz. Artikel 26 1 Jede Person hat das Recht auf Bildung. Die Bildung soll unentgeltlich sein, wenigstens auf der Primar- und Sekundarschulstufe. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsausbildung müssen allgemein zugänglich gemacht werden, und der Hochschulunterricht muss allen gleichermassen entsprechend ihren Fähigkeiten offenstehen. 2 Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und der grundlegenden Freiheiten ausgerichtet sein. Sie muss zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Völkern und allen rassischen oder religiösen Gruppen beitragen und die Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Erhaltung des Friedens fördern. 3 Die Eltern haben ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, die ihre Kindern erhalten sollen. Artikel 27 1 Jede Person hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben. 2 Jede Person hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihr als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen. Artikel 28 Jede Person hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können. Artikel 29 1 Jede Person hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entfaltung ihrer Persönlichkeit möglich ist. 2 Bei der Ausübung ihrer Rechte und Freiheiten darf jede Person nur solchen Beschränkungen unterworfen werden, die das Gesetz ausschliesslich zu dem Zweck vorsieht, die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten anderer zu sichern und den gerechtfertigten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen. 3 Diese Rechte und Freiheiten dürfen in keinem Fall im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen ausgeübt werden. Artikel 30 Keine Bestimmung dieser Erklärung darf so ausgelegt werden, dass sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person irgendein Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, welche die Beseitigung der in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten zum Ziel hat. Ursprung und Wesen des Rechts – 1.4 Eigenschaften des Rechts 21 Die Rechtsordnung steht daher in einer ständigen und starken Wechselwirkung mit der wirtschaftlichen, sozialen und technologischen Umwelt, um mit der Entwicklung Schritt zu halten. Die Veränderbarkeit des Rechts hat allerdings ihre Grenzen in der Rechtssicherheit. Wäre das Recht unbeschränkt veränderbar, wüssten die Bürger bald nicht mehr, welche Gesetze zu befolgen sind. Daher ist eine Änderung der Verfassung nur möglich, wenn ihr auch Volk und Stände zugestimmt haben. Noch bedeutungsvoller ist die Tatsache, dass Änderungswünsche, die gegen eine oder mehrere Verfassungsnormen verstossen, erst gar nicht zur Abstimmung zugelassen sind. Die Forderung beispielsweise, religiös ausgerichtete Gemeinschaften (Sekten) ausserhalb der offiziellen Kirchen zu verbieten, ist zwecklos, weil eine Vielzahl von Grundrechten damit in Frage gestellt wären, unter ihnen die Meinungs- und Äusserungsfreiheit, die freie Wahl der Religionszugehörigkeit und die Vereinsfreiheit. Recht ist kulturell verschieden Das Recht ist dann das richtige Recht, wenn es den Wertvorstellungen der betroffenen Menschen entspricht. Insofern kann das Recht, das wir heute in unserem Land als richtig und gut beurteilen, nicht einfach auf frühere Zeiten oder andere Kulturkreise übertragen werden. Das mittelalterliche Rechtssystem, das wir heute zum Teil als grausam empfinden, hatte eine völlig andere Umwelt als die heutige. Recht bedarf korrekter Form Schliesslich legt das Recht fest, wie es geschaffen und angewendet wird. Gesetzgebungs- und Gerichtsverfahren sind geregelt und können nicht willkürlich verändert werden. Das Recht garantiert damit den betroffenen Personen die rechtliche Gleichbehandlung und einen fairen Prozess. Meilensteine zur Entwicklung der schweizerischen Rechtsordnung (Auszug) Antike vor 1291 1291 14.–19.Jh. Die Römer haben im Altertum bereits für das alltägliche Leben eine Rechtsordnung und Rechtsgrundsätze entwickelt, welche heute noch gültig sind (z. B. PACTA SUNT SERVANDA – Verträge müssen erfüllt werden, oder: IN DUBIO PRO REO – im Zweifel für den Angeklagten). Die heutige Schweiz ist Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Die Gerichtsbarkeit wird von kaiserlichen Beamten (Grafen, Vögte) ausgeübt. In reichsunmittelbar erklärten Gebieten, gewährleistet durch Freibrief, sitzt der einheimische Landammann zu Gericht. Aus dem Bundesbrief: «… Wir haben beschlossen, dass wir in unseren Tälern keinen Richter annehmen oder anerkennen wollen, der nicht unser Landsmann ist.» Nach dem 14. Jahrhundert bis ins 19. Jahrhundert zersplittert sich das Recht anfänglich in zahlreiche Land- und Stadtrechte, später in kantonale Rechtsordnungen. 1848 Entstehung des Bundesstaates mit Zentralgewalt, aber noch keine Vereinheitlichung des Rechts. 1874 Totalrevision der Bundesverfassung. Der Bund erhält die Kompetenz zur Schaffung eines einheitlichen Obligationenrechts und Schuldbetreibungs- und Konkursrechts. 1883 Das Obligationenrecht (OR) tritt in Kraft. 1889 Das Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz (SchKG) tritt in Kraft. 1898 Teilrevision der Bundesverfassung. Der Bund erhält die Kompetenz zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des ganzen Privat- und des Strafrechts. 1912 Das Zivilgesetzbuch (ZGB) tritt in Kraft. 1942 Das Strafgesetzbuch (StGB) tritt in Kraft. 1948 Die Schweiz führt die Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) ein. 1966 Das Arbeitsgesetz tritt in Kraft. 1971 Einführung des Frauenstimm- und -Wahlrechts auf Bundesebene. 1999 Die bilateralen Vertäge I mit der EU treten in Kraft. 2000 Revision des 1988 revidierten Eheschliessungs- und Scheidungsrechts. 2000 Die neue Bundesverfassung tritt in Kraft. 2002 Die Schweiz tritt als 190. Mitglied der UNO bei. 2004 Die bilateralen Verträge II mit der EU treten in Kraft. 2008 Als Mitglied des «Schengen-Abkommens» hebt die Schweiz die sytematischen Personenkontrollen an den Grenzen auf. Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 22 1.5 Die Rechtsquellen Mit den Rechtsquellen werden die Fundorte des Rechts bezeichnet. Zu ihnen gehören: Neben dem Bund haben auch alle Kantone ihre eigene Rechtsordnung mit Kantonsverfassung, Gesetzen und Verordnungen. Für das Verhältnis des Bundesrechts zum kantonalen Recht gelten folgende Regeln: Das geschriebene Recht Verhältnis Bundesrecht und kantonales Recht Die Schweiz kennt drei Stufen des geschriebenen Rechts: 1. Bundesrecht bricht kantonales Recht, d. h. Bundesrecht geht dem kantonalen Recht vor. 2. Die Kantone sind souverän (unabhängig), soweit ihre Souveränität durch die Bundesverfassung nicht eingeschränkt ist (Art. 3 der Bundesverfassung). 3. Die Kantone werden in ihren öffentlich-rechtlichen Befugnissen durch das Bundeszivilrecht nicht beschränkt. Verfassungsrecht Die Bundesverfassung (BV) enthält die grundlegenden Regeln, wie der Staat aufgebaut und organisiert ist. Im Weiteren regelt sie das Verhältnis des Staates zu den Bürgern und Bürgerinnen und deren Grundrechte. Eine Verfassungsänderung ist nur gültig, wenn ihr eine Mehrheit des Volkes und der Stände (Kantone) zustimmen (obligatorisches Referendum). Die Anregung dazu kann von National- und Ständerat (parlamentarische Initiative), von den Kantonen (Standesinitiative) oder von der Bevölkerung (Volksinitiative) ausgehen. Gesetzesrecht Viele Verfassungsartikel können nicht unmittelbar angewendet, sondern müssen in Gesetzen genauer ausgeführt werden. Unter einem «Gesetz» ist eine Sammlung von Gesetzesartikeln zu einem bestimmten Rechtsbereich zu verstehen. Gesetze brauchen immer eine Verfassungsgrundlage. Änderungen benötigen die Zustimmung des Parlamentes (gesetzgebende Behörde oder Legislative). Das Volk kann mit dem fakultativen (= freiwilligen) Referendum eine Abstimmung verlangen. Verordnungsrecht Die Verordnungen enthalten konkrete, ins Detail gehende Bestimmungen zur Anwendung der Gesetze. Verordnungen werden durch die Behörden (Exekutive) erlassen und können von diesen ohne Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger auch abgeändert oder ausser Kraft gesetzt werden. Das Gewohnheitsrecht Gewohnheitsrecht beruht auf althergebrachten, langgeübten Bräuchen. Noch heute gelten unter Flumser Bauern alte Tretund Weidrechte. Sobald im Winter der Boden gefriert, ist es den Bauern erlaubt, ihre Holzstämme über die Nachbargrundstücke zu führen, auch gegen den Willen eines Ferienhausbesitzers. Auf solches Gewohnheitsrecht verweist ZGB 695. Die Regeln sind, weil oft sehr alt, nicht schriftlich fixiert, aber sehr wohl von der Gemeinschaft erzwingbar. Im Rechtsalltag wird der Begriff «Gewohnheitsrecht» ab und zu in Anspruch genommen. Tatsächlich hat aber diese Form von Recht durch die zunehmend schriftliche Festlegung von Rechtsnormen ihren früheren Stellenwert verloren. Neue Gewohnheitsrechte entstehen kaum noch, denn Voraussetzung dazu ist, dass es für alle Bewohner gültig ist und jedermann von diesem Recht Gebrauch machen kann. Die Berufung eines Einzelnen auf Gewohnheitsrecht reicht daher nicht aus, auch wenn dieser jahrzehntelang etwas tun durfte. Ursprung und Wesen des Rechts – 1.5 Die Rechtsquellen 23 Als bekanntes Gewohnheitsrecht gelten die Usanzen im kaufmännischen Bereich, die je nach Branche etwas anders aussehen können. Zum Beispiel gehen die Banken bei der Berechnung von Zinsen immer von dreissig Tagen je Kalendermonat aus und Zinssätze ohne nähere Angaben beziehen sich immer auf die Dauer eines Jahres. Das gerichtliche Ermessen Kommt ein Fall, der im geschriebenen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, vor den Richter, ist dieser gezwungen, durch einen Richterspruch die Lücke zu schliessen. Dabei hat er die Pflicht, das geltende Recht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze (siehe nachfolgend) zu beachten und seine berufliche Erfahrung unter Berücksichtigung aller berechtigten Interessen bestmöglich einzusetzen. Die Gerichtspraxis und die allgemein anerkannte Lehre Beispiel: Um schneller und direkter zum Arbeitsplatz zu gelangen, benützt ein Fabrikangestellter während mehr als dreissig Jahren eine Abkürzung über die Wiese seines Nachbarn. Als dieser stirbt, verbieten die Erben dem Arbeiter seine Gepflogenheit. Dagegen klagt der Betroffene mit Berufung auf das Gewohnheitsrecht. Das Gericht lehnt die Klage ab, da es sich hier um eine Duldung des Nachbarn gehandelt habe. Dass kein Gewohnheitsrecht vorliege, so das Gericht weiter, sei aus zwei Gründen ersichtlich: Erstens habe der Grundstückbesitzer nicht jedermann erlaubt, seine Wiese als Durchgangsweg zu benutzen, wie es auch in der Region nicht üblich sei, die Wiesen der Bauern als allgemeine Verbindungswege der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Die Tatsache, dass der Nachbar grosszügig dreissig Jahre nichts gegen die Überquerung eingewendet habe, könne umgekehrt nicht ein Recht bei demjenigen begründen, der davon profitierte. Der Nachbar bzw. dessen Erben seien deshalb berechtigt, jederzeit ihre Eigentumsrechte am Grundstück auszuüben und jeglichen Zutritt zu verbieten. Gerichtsurteile haben eine grosse Bedeutung in der Rechtsordnung, weil sie zu den aktuellen Verhältnissen und Problemen in der Gesellschaft Stellung beziehen. Gerichte können viel schneller auf Neuerungen eintreten, während die Änderung oder die Schaffung neuer Gesetzesbestimmungen viel länger dauert. Grösste Bedeutung haben die Bundesgerichtsentscheide (BGE) und die Entscheide des Eidgenössischen Versicherungsgerichts, weil sie die höchsten gerichtlichen Instanzen in der Schweiz darstellen. Bei Entscheiden auf kantonaler Ebene ist nicht immer klar, ob sie allgemein gültig sind, d. h. ob diese auch vor Bundesgericht bestehen würden. Die Hochschulen und andere Forschungsstätten untersuchen auf wissenschaftlicher Basis die Rechtsordnung. Mit ihren Vorschlägen tragen sie zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung auf allen Ebenen und in allen Bereichen bei. Die theoretischen Beiträge finden in der gerichtlichen Praxis und bei der Schaffung neuer Regelungen Beachtung und gelten deshalb ebenfalls als Rechtsquellen. Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 24 1.6 Die Einteilung des Rechts Die rechtlichen Regeln, welche in ihrer Gesamtheit die Rechtsordnung bilden, werden in öffentliches und privates Recht eingeteilt. Das öffentliche Recht Verhältnis zwischen Bürger und Staat sowie Völkerrecht Das öffentliche Recht regelt das Verhältnis zwischen dem Staat (Bund, Kanton, Gemeinde, öffentliche Institutionen, Behörden) und den Personen im Staatsgebiet. Die Personen sind dem öffentlichen Recht unterstellt (Machtmonopol des Staates). Weiter umfasst das öffentliche Recht im Rahmen des Völkerrechts die internationalen Kontakte, die auf Bundesebene geschlossen werden. Zu ihnen gehören bilaterale (zweiseitige), multilaterale (mehrstaatliche) und internationale Staatsverträge sowie Konventionen wie die der UNO-Menschenrechte. Beispiele von Staatsverträgen: bilateral: Schweiz – Europäische Union (EU) multilateral: Mitgliedschaft in der OSZE, EFTA und WTO international: Beteiligung an UNO-Werken (z. B. Unicef) Das Privat- oder Zivilrecht Verhältnis der Bürger und Bürgerinnen untereinander Das Zivilrecht regelt die Rechtsverhältnisse zwischen Personen. Diese können im Rahmen der Rechtsordnung ihre Rechtsverhältnisse weitgehend frei gestalten. Das Privatrecht ist im Wesentlichen im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) festgehalten, dessen fünfter Teil, Obligationenrecht (OR) genannt, regelmässig separat gedruckt wird. Das ZGB im engeren Sinne (1.–4. Teil) befasst sich mit personen-, familien-, erb- und sachenrechtlichen Fragen. Im OR ist der Vertrag zentrales Thema (z. B. Kaufvertrag, Mietvertrag, Arbeitsvertrag, Gesellschaftsvertrag). Privates Recht wird auch dann angewendet, wenn der Staat beispielsweise als Vermieter einer Wohnung oder Käufer von Möbeln für ein staatliches Gebäude mit gleichberechtigten Personen ein Rechtsgeschäft abschliesst. Ursprung und Wesen des Rechts – 1.6 Die Einteilung des Rechts 25 Das Privatrecht basiert auf dem Prinzip der Gestaltungsfreiheit. Die Parteien, die eine rechtliche Beziehung eingehen wollen, sollen diese möglichst frei gestalten dürfen. Deshalb unterscheidet das Privatrecht zwischen zwingenden, ergänzenden und relativ zwingenden (einseitig abänderbaren) Bestimmungen. Arten von Gesetzesartikeln zwingende Vorschriften und Regelungen Zwingende Bestimmungen müssen von den Parteien in jedem Fall berücksichtigt werden (z. B. Formvorschriften beim Grundstückkauf / bei der Gründung einer AG, gesetzliche Erfordernisse beim Ausstellen eines Checks, Kündigungsrecht beim unbefristeten Arbeitsvertrag usw.). Fehlen sie ganz oder teilweise, gilt die rechtliche Beziehung vor einem Richter in vielen Fällen als nicht-existent. ergänzendes oder dispositives Recht Viele Bestimmungen im ZGB und im OR gelten nur dann, wenn die Parteien keine eigene Verabredung getroffen haben. Diese werden ergänzendes (dispositives) Recht genannt und sind daran zu erkennen, dass sie die Klausel «… wenn nichts anderes vereinbart …» (oder ähnliche Formulierungen) enthalten. relativ zwingende (einseitig abänderbare) Regelungen Gesetzesartikel dieser Art treffen wir vor allem im Arbeitsvertrag an. Sie heissen auch «nur zugunsten von»Bestimmungen, weil sie nur zugunsten einer Partei abänderbar sind. Zum Schutz vor Willkür bestimmt der Gesetzgeber verschiedene Minimalkriterien, die erfüllt sein müssen, damit der Arbeitsvertrag gültig ist. So hat beispielsweise jede/r vollzeitig beschäftigte Arbeitnehmer/in einen Anspruch auf vier Wochen Ferien im Jahr (bis zum zwanzigsten Lebensjahr fünf Wochen). Es können aber auch mehr Ferien verabredet werden, nicht aber weniger als die vier im Gesetz festgelegten Wochen. Öffentlich-rechtliche Vorschriften sind zwingend und unter allen Umständen einzuhalten. Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 26 1.7 Die Anwendung des Rechts Die Festlegung rechtlicher Bestimmungen allein genügt noch nicht, damit Recht gesprochen werden kann. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze in der Einleitung des Zivilgesetzbuches (ZGB Art. 1–10) geben daher verbindlich an, unter welchen grundsätzlichen Gesichtspunkten der Gesetzgeber die privatund öffentlich-rechtlichen Beziehungen beurteilt. Damit die Rechtsfindung systematisch und für alle nachvollziehbar vor sich geht, ist es unter Fachleuten und an Gerichten üblich, einen Fall oder ein Problem in die Aspekte «Sachverhalt, Tatbestand und Rechtsfolge» aufzuteilen und jeden der drei Gesichtspunkte einzeln zu beleuchten. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze Bevor im Zivilgesetzbuch einzelne Bestimmungen zu konkreten Rechtsbereichen wie zum Beispiel das Familienrecht oder der Kaufvertrag zur Sprache kommen, erklärt das Gesetz, nach welchen allgemeinen Rechtsgrundsätzen die Rechtsprechung in der Schweiz erfolgt. Viele Gelehrte und Praktiker des Rechts sind sich einig, dass das tiefe Verständnis dieser zunächst abstrakt tönenden Rechtsnormen ein wichtiger Bestandteil dessen ist, was in der Umgangssprache mit dem «juristischen Gespür» bezeichnet wird. Das hängt damit zusammen, dass alle Titel des ZGB auf dem Grundgerüst der Einleitungsartikel aufbauen. Dies muss so sein, sonst würden sich einzelne Regelungen widersprechen. Die Aussagen dieser Einleitungsartikel gelten zwar für das Privatrecht, ihre Bedeutung geht aber aus Gründen der Vereinheitlichung weit darüber hinaus. Ursprung und Wesen des Rechts – 1.7 Die Anwendung des Rechts 27 ZGB 1 und 4 Bösgläubig ist, wer absichtlich eine Situation ausnutzt, eine Täuschung vornimmt oder lügt, um sich auf Kosten anderer einen Vorteil zu verschaffen. Der Grundsatz schützt zwar den Bürger vor willkürlichen Verdächtigungen. Andererseits entbindet ihn das Gesetz nicht davon, sorgfältig zu prüfen, welche Rechtshandlungen er eingeht. Beispiel: Anwendung der Rechtsquellen Für die Beurteilung von Rechtsfragen stehen den Rechtsanwendern die Rechtsquellen zur Verfügung. Es sind dies der Wortlaut des Gesetzes (geschriebenes Recht), das gerichtliche Ermessen (Lückenfüllung), das Gewohnheits-recht und die allgemeine Lehre (Theorie). ZGB 2, Abs. 1 Handeln nach Treu und Glauben Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. Bei der gesamten Rechtsausübung werden damit die Redlichkeit und das Vertrauensprinzip in den Vorder-grund gerückt. Dies gilt für das allgemeine Verhalten von staatlichen Organen und von Privatpersonen bei Auskünften, Belehrungen, Verhandlungen, für den Abschluss, die Auslegung und Ergänzung von Verträgen und für die Anwendung gesetzlicher Bestimmungen. Sich nach Treu und Glauben (oder in guten Treuen) zu verhalten bedeutet also, sich so zu benehmen, wie es von einem anständigen, pflichtbewussten Menschen erwartet werden darf. ZGB 2, Abs. 2 ZGB 3, Abs. 2 Rechtsunkenntnis schadet Mündige, also selbst verantwortliche Bürger und Bürgerinnen sind verpflichtet, das Gesetz zu kennen. Sich darauf zu berufen, eine Rechtsnorm nicht zu kennen, nützt vor einem Gericht wenig. Wie weit diese Kenntnis gehen muss, ist im Einzelfall verschieden. Gewiss ist, dass nur ganz selten ein Gericht eine Unkenntnis schützt, indem es davon ausgeht, der Betroffene habe «im Prinzip gutgläubig» gehandelt. Deshalb ist es ratsam, bei einer fachkundigen Auskunftsperson Rat einzuholen, bevor man eine wichtige Rechtshandlung unternimmt. Rechtsmissbrauch findet keinen Rechtsschutz Ebenfalls im Artikel 2 ZGB präzisiert der Gesetzgeber, dass das Beharren auf einer Gesetzesnorm dann rechtsmissbräuchlich ist, wenn ein Verstoss gegen den Grundsatz von Treu und Glauben vorliegt. Bekannt ist dieser Umstand unter dem Ausspruch: «Im Recht gibt es keine Buchstaben-gerechtigkeit». Beispiel: Ein Arbeitnehmer kann auf sein Recht für die gesetzlichen Ferien nicht verzichten (vgl. dazu Kapitel 6, «Verträge auf Arbeitsleistung»). Wenn er es trotzdem tut, aber erst viele Jahre später gegen den Arbeitgeber Klage einreicht, müsste er nach dem Gesetzeswortlaut den Prozess gewinnen. Indessen wird allenfalls seine Klage trotzdem abgewiesen, weil sein Vorgehen nach langem Dulden und Zuwarten als rechtsmissbräuchlich angesehen werden muss. ZGB 3, Abs. 1 Wer ein teures Collier mit echten Brillanten auf der Strasse kauft, ist nicht gutgläubig, denn er muss damit rechnen, dass es sich um Diebesgut handelt. Kauft jemand aber dasselbe Collier im Juweliergeschäft, ist der Kauf gültig, denn der Kunde darf davon ausgehen, dass die Ware einwandfrei ist. Er hat also gutgläubig gehandelt. Der gute Glaube wird vermutet Ein Gericht geht grundsätzlich davon aus, dass die Streitparteien gutgläubig, d. h. korrekt und redlich gehandelt haben. Wer dies in Frage stellt, muss einen stichhaltigen Beweis dafür liefern. Damit soll verhindert werden, dass jemand seine Unschuld beweisen muss. ZGB 8 Beweislast Die Frage, wer einen Beweis zu erbringen hat, ist in der Rechtsprechung sehr bedeutsam. Normalerweise behauptet jemand nicht zum Spass etwas, sondern weil er aus der Behauptung einen Nutzen ziehen will. Deshalb gilt im Privatrecht der Grundsatz, dass derjenige, der einen Anspruch auf ein Recht erhebt, diesen auch beweisen muss. ZGB 9 und 10 Beweiskraft öffentlicher Register und Urkunden Gerichte akzeptieren Einträge in öffentliche Register (z. B. Grundbuch, Handelsregister) und Schriftstücke, die z. B. ein Notar unterzeichnet und damit beglaubigt hat, als Beweise. Wer sich ausserhalb der Rechtsordnung bewegt, kann sich nicht auf das Gesetz berufen. Wenn beispielsweise jemand ein illegales Geschäft wie Menschen- oder Drogenhandel tätigt, kann er bei Problemen nicht ans Gericht gelangen, nach der Faustregel: «Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter.» Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 28 Sachverhalt, Tatbestand und Rechtsfolge Viele Rechtsnormen, sowohl des öffentlichen wie des privaten Rechts, sind uns so geläufig, dass wir sie völlig unbewusst befolgen. Es kann aber vorkommen, dass wir doch einmal wissen müssen, welche Rechte und Pflichten wir gemäss Gesetz haben, und deshalb darin nachschlagen. Dann stellen wir fest, dass das Gesetz nicht immer leicht verständlich ist. Sogar die Juristen sind sich über den Gehalt eines Artikels oft nicht einig. Dies kommt zum Teil daher, dass viele Gesetze recht alt sind. Wichtiger aber ist, dass die Gesetzesartikel für möglichst viele Situationen, die im täglichen Leben vorkommen, gelten. Deshalb sind die Texte oft sehr allgemein (abstrakt) formuliert, wie beispielsweise die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts (OR Art. 1–183). Wie Rechtsfälle in der Praxis strukturiert, angegangen und bearbeitet werden, soll die Aufteilung rechtlicher Probleme in «Sachverhalt, Tatbestand und Rechtsfolge» zeigen. Sachverhalt Eine konkrete Situation, ein Lebensvorgang, etwas, das sich ereignet hat und gleichzeitig von rechtlicher Bedeutung ist, wird in der Rechtslehre Sachverhalt genannt. Der Unterschied zu einer blossen Erzählung eines Ereignisses ist der, dass beim Sachverhalt nur interessiert, was für die rechtliche Beurteilung wichtig ist. Wer beispielsweise nach einem Autounfall mit tödlichem Ausgang geweint hat und wie viele Schaulustige dabei gewesen sind, spielt für einen Zeitungsjournalisten eine Rolle, nicht aber für die ermittelnde Polizei. Sie hat die Pflicht, die rechtlich bedeutsamen Tatsachen und Beweise zu sammeln (= den Sachverhalt zu bestimmen), damit ein Gericht die Schuldfrage beurteilen kann. Ursprung und Wesen des Rechts – 1.7 Die Anwendung des Rechts 29 In allen Bereichen des Rechts gibt es eine unendliche Zahl vorhersehbarer und unvorhersehbarer Sachverhalte. Beispielsweise können bei Warenlieferungen unzählige verschiedene Arten von Mängeln auftreten. Alle sollten in der Rechtsordnung erfasst sein. Für jeden einen eigenen Rechtssatz zu schaffen, ist aber unmöglich. Das Gesetz muss sich deshalb allgemein fassen: Mehrere denkbare Sachverhalte werden einem Rechtssatz zugeordnet. Bestimmen von Rechtssätzen: Tatbestand und Rechtsfolge Gesetzesregeln heissen Rechtssätze. Ein Rechtssatz besteht meist aus einem Tatbestand und einer Rechtsfolge. Der Tatbestand formuliert die Bedingungen (wenn ...), damit eine Rechtsfolge (dann ...) eintritt. Ein Tatbestand setzt sich oft aus mehreren Elementen, den Tatbestandsmerkmalen, zusammen. Beispiel: Damit nach OR 21 der Tatbestand einer Übervorteilung erfüllt ist, müssen die folgenden Tatbestandsmerkmale gegeben sein: offenbares Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung Ausbeutung einer Notlage, Unerfahrenheit oder Leichtsinn Bei der Rechtsanwendung geht es darum, für einen gegebenen Sachverhalt den zutreffenden Tatbestand im Gesetz zu finden. Ist der Artikel bestimmt, muss geprüft werden, ob durch den Sachverhalt alle im Rechtssatz genannten Tatbestandsmerkmale erfüllt sind (Tatbestandsermessen). Erst dann kann die im Rechtssatz vorgesehene Rechtsfolge im Rahmen des Rechtsfolgeermessens eintreten. Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 30 1.8 Umgang mit Konflikten Der Prozess Der Zivilprozess Das Verfahrensrecht Wo Menschen zusammenleben, entstehen Konflikte. Die meisten lösen die betroffenen Personen selber. Wenn dies jedoch misslingt, stellt der Staat ein Konfliktlöseverfahren zu Verfügung, das Verfahrensrecht. Es ist nicht nur dazu da, in zivilrechtlichen Fragen Lösungen zu erbringen. Immer wieder kommt es vor, dass Einzelne gegen die Ordnung des öffentlichen Rechts verstossen. In diesen Fällen muss der Staat unter dem Einsatz der ihm zur Verfügung stehenden Mittel das Recht durchsetzen. Der Prozess ist ein Rechtsstreit, der vor einem Gericht oder einer Behörde ausgetragen wird. Das Urteil des Gerichtes entscheidet den Rechtsstreit. Die Gerichtsinstanzen In einem Rechtsstaat können Entscheide unterer Gerichte oder Behörden meistens an ein höheres Gericht zur Neubeurteilung weitergezogen werden. So gibt es Prozesse, die von zwei oder drei Instanzen entschieden werden. Höchste richterliche Instanz in der Schweiz ist das Bundesgericht in Lausanne, für versicherungstechnische Fragen das eidgenössische Versicherungsgericht in Luzern. Strafurteile werden höchstinstanzlich am Bundesstrafgericht in Bellinzona entschieden. Die Entscheide, die ein Bundesgericht fällt, sind endgültig. Die Prozessarten Entsprechend der Gliederung der Rechtsordnung unterscheiden wir grundsätzlich vier Prozessarten: Rechtsstreit zwischen Bürger und Bürger Der Zivilprozess hat zum Ziel, einen privatrechtlichen Streit zu entscheiden. Der Richter soll feststellen, welche Partei Recht hat. Beteiligt sind zwei private Parteien, wobei die eine Partei (Kläger) vom Beklagten ein Tun, ein Unterlassen oder ein Dulden fordert, während dieser die Forderung des Klägers bestreitet. 1.Friedensrichter Vor der Klage beim Zivilgericht ist die Streitsache dem Vermittler (Friedensrichter) vorzulegen. Dieser versucht, mit den Parteien eine einvernehmliche Lösung des Rechtsstreites herbeizuführen. 2.Bezirks-/ Amtsgericht Erst wenn dieser Schlichtungsversuch scheitert, kann der Kläger an das Bezirks- bzw. Amtsgericht gelangen. Die Parteivertreter (Anwälte) des Klägers und des Beklagten haben in ihren Eingaben ihre Klagebegehren (Anträge) vorzubringen und zu begründen. Im Gegensatz zum Strafprozess wird der Sachverhalt nur aufgrund der vorgebrachten und bewiesenen Standpunkte ermittelt; das Gericht darf sich lediglich mit dem befassen, was die Parteien vorbringen. Das Gericht entscheidet aufgrund der Anträge. Es heisst entweder den Antrag der Klagenden gut und weist denjenigen der Beklagten ab, oder es entscheidet zugunsten der Beklagten. 3.Ober-/ Kantonsgericht Beide Parteien haben die Möglichkeit, gegen das Urteil Berufung beim Obergericht (Kantonsgericht) einzulegen, wo der Streit nochmals neu ausgetragen wird. Das Anrufen der höheren Instanz ist auch unter den Fachausdrücken «Appellation» oder «in Revision gehen» bekannt. 4.Bundesgericht Gegen einen Obergerichtsentscheid kann beim Bundesgericht in Lausanne geklagt werden. Die jeweils fünf zuständigen Richter beurteilen einen Streit jedoch nur durch ein Aktenstudium, es gibt also keinen neuerlichen Prozess. Ihr Entscheid ist im Normalfall endgültig und verbindlich. Strafprozess Zivilprozess Verwaltungsverfahren Schuldbetreibungs- und Konkursverfahren Gerichtsstand: für Zivilprozesse im Gerichtsstandsgesetz (GestG) geregelt Zivilrechliche Klagen sind grundsätzlich dort einzuleiten, wo die beklagte Partei wohnt oder ihren Sitz hat. Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, sind abweichende Regelungen schriftlich zu verfassen. Ausnahmen dazu sind unter anderen: 1. Wohnungsmieter müssen zwingend die Schlichtungsstelle anrufen, wo sich das Mietobjekt befindet. 2. Für Klagen aus unerlaubter Handlung ist das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der geschädigten Person oder der beklagten Partei oder am Handlungsort zuständig. Ab und zu wird ein Streit noch vor den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg (Frankreich) gezogen, falls sich eine Partei in ihren Menschenrechten beschnitten sieht. Dessen Urteil ist zwar für die Schweiz nur bindend, wenn die Legislative es kassiert (gutheisst). Auch wenn dies ausbleibt, sind die Urteile in vielen Fällen für die Rechtsprechung wegweisend. Ursprung und Wesen des Rechts – 1.8 Das Verfahrensrecht 31 Der Strafprozess Öffentlich-rechtliche Ahndung strafbarer Handlungen Strafbare Handlungen Der Strafprozess ist eine Auseinandersetzung zwischen Staat und Bürger, also Teil des öffentlichen Rechts. Das zuständige Gericht befasst sich mit den Verstössen gegen die Strafgesetzgebung. Diese ist hauptsächlich im Strafgesetzbuch (StGB) erfasst. Daneben enthalten auch andere Gesetze strafrechtliche Normen (z. B. das Strassenverkehrsgesetz). Das Strafgesetzbuch nennt unter anderen die folgenden strafbaren Handlungen: gegen Leib und Seele (Mord, Totschlag, fahrlässige Tötung, Körperverletzung) gegen das Vermögen (Diebstahl, Entwendung, Raub, Veruntreuung, Unterschlagung, Hehlerei) gegen Ehre und den Geheim- oder Privatbereich (Ehrverletzung: üble Nachrede, Verleumdung) Diebstahl: Bis 300 Franken geringfügig Lausanne sda. Das Bundesgericht hat den Grenzwert für geringfügige Vermögensdelikte bei 300 Franken festgelegt. Bis zu diesem Betrag wird der Griff auf fremdes Hab und Gut grundsätzlich als blosse Übertretung behandelt. delikten und ein Abbau des Unrechtbewusstseins. Bei seinem Entscheid für die 300 Franken-Limite räumt das Bundesgericht ein, einer solchen Grenzziehung möge etwas Zufälliges anhaften. Mit der Limite setzt das oberste Gericht den kantonalen Unterschieden ein Ende. In ihrem Grundsatzentscheid haben die fünf Richter die Grenze der Bagatellkriminalität zwischen die kantonalen Extreme gelegt. Bis zu einem Deliktsbetrag von 500 Franken spielte der Tatbestand des geringfügigen Vermögensdelikts in der Zentralschweiz und in Basel-Stadt. Anderswo lag die praktisch wichtige Limite des 1995 eingefügten Artikels 172ter des Strafgesetzbuches bei 200 Franken oder tiefer. Für die einheitliche Rechtsanwendung sei sie aber unvermeidlich. Im Fall des Lederjackendiebs spielte die Limite eine untergeordnete Rolle. Fällte das Gericht eine achttägige Haftstrafe, so forderte die Staatsanwaltschaft zehn Tage. Am Anfang des klärenden Richterspruchs stand der Diebstahl einer Lederjacke im Wert von 398 Franken in einem Basler Kleidergeschäft. Die Staatsanwaltschaft wehrte sich beim Bundesgericht dagegen, dass dieses Delikt als geringfügig taxiert wurde. Werde der Grenzwert so hoch angesetzt, so drohe eine Bagatellisierung von Vermögens- Der Grenzwert ist nicht so wesentlich für das Strafmass, das auch bei geringfügigen Diebstählen, Veruntreuungen oder Hehlerei bis zu drei Monaten Haft betragen kann. Wichtiger ist in der Praxis, dass geringfügige Vermögensdelikte nur auf Antrag der Geschädigten verfolgt werden. Zudem geht straflos aus, wer einen geringfügigen Diebstahl versucht oder wer sich am Delikt als Gehilfe beteiligt. gegen die Freiheit (Nötigung, Freiheitsberaubung, Entführung, Geiselnahme) gegen Sittlichkeit (Notzucht, Unzucht) gegen den Staat und die Landesverteidigung (Hochverrat, verbotener Nachrichtendienst) Keine Strafe ohne Gesetz Strafbar ist jedoch nur, wer eine Tat begeht, die das Gesetz ausdrücklich mit Strafe bedroht (Art. 1 StGB). Offizialdelikte und Antragsdelikte Zum Strafprozess kommt es, wenn der Staatsanwalt als Vertreter des Staates unter Mithilfe der Behörden (Polizei, Untersuchungsrichter) gegen einen beschuldigten Täter Anklage erhebt. Schwere Delikte, z. B. Mord, Diebstahl, Raub, Landesverrat, muss der Staat von Amtes wegen verfolgen (Offizialdelikte). Leichtere Vergehen, z. B. fahrlässige leichte Körperverletzung, Ehrverletzung, werden nur geahndet, wenn die Betroffenen Anzeige erstatten (Antragsdelikte). Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 32 1.Polizeiliche Ermittlung 2.Voruntersuchung (Untersuchungsrichter) Zweck des Strafprozesses ist die Feststellung der Schuld bzw. Unschuld des Angeklagten. Um auf Schuld oder Unschuld eines Angeklagten schliessen zu können, ermittelt das Gericht von Amtes wegen den Sachverhalt, versucht also, den Tathergang unter anderem mit Hilfe der polizeilichen Erkenntnisse genau zu rekonstruieren (Untersuchungsmaxime). Zu diesem Zweck bringen Staatsanwalt und Verteidiger Beweise, Indizien und Zeugenaussagen vor. Besteht Fluchtgefahr oder der begründete Verdacht, dass der Beschuldigte Beweismaterial beseitigen könnte, wird er schon während der Ermittlung in Untersuchungshaft gesteckt. Nach der Voruntersuchung muss es zur Anklage kommen oder das Verfahren wird eingestellt. 3.Hauptverfahren vor Strafgericht Vor Gericht sind der Staatsanwalt und der Verteidiger des Angeklagten die Streitparteien. Jede Seite hat die Möglichkeit, ihren Standpunkt mittels beweiskräftiger Mittel und Argumente darzulegen. Schliesslich kommt es zum Richterspruch. Erkennt das Gericht auf schuldig, wird der Täter zu der im Gesetz vorgesehenen Strafe (Geld- oder Freiheitsstrafe) verurteilt. Dabei ist zu beachten, dass das Gericht nur dann einen Täter bestrafen darf, wenn dessen Tat als strafbare Handlung im Gesetz erfasst ist. 4.Verurteilung oder Freispruch Bei der Höhe des Strafmasses lässt das Gesetz dem Gericht ein relativ grosses Ermessen: Das Gericht kann deshalb bei der Strafbemessung neben der Schwere der Tat die persönlichen Umstände des Täters (Alter, Erziehung, Reue, Rückfälligkeit usw.) angemessen berücksichtigen. Nicht im Strafprozess, sondern in einem neu zu beantragenden Zivilprozess werden allfällige Entschädigungsansprüche von Verbrechensopfern entschieden. evtl.: 5.Appellation vor Obergericht und Bundesstrafgericht «In dubio pro reo» Wie im Zivilprozess können Staatsanwaltschaft und Verteidigung Urteile beim Obergericht (Kantonsgericht) und anschliessend beim Bundesgericht, dem Bundesstrafgericht in Bellinzona anfechten. Eine Schlüsselrolle im Strafprozess nimmt der Grundsatz «In dubio pro reo» (Im Zweifelsfalle für den Angeklagten) ein. Wenn der Angeklagte kein gültiges Geständnis ablegt, die ihm vorgeworfene Tat begangen zu haben, ist der Staatsanwalt verpflichtet, eindeutige Beweise für die Straftat zu erbringen. Erst dann gilt der Tatverdächtige als überführt. Gelingt dies dem Ankläger nicht, muss das Gericht den Angeklagten freisprechen. Das Jugendstrafrecht Im Jugendstrafrecht sowie in den jeweiligen kantonalen Bestimmungen, die das Jugendstrafverfahren betreffen, ist geregelt, welche rechtliche Folgen es hat, wenn Minderjährige straffällig werden. Bezüglich der Frage, welche Tatbestände überhaupt strafrechtlich sanktioniert werden, gelten für Minderjährige weitgehend dieselben Regelungen wie für Erwachsene. «Das Jugendstrafrecht ist ein Sonderstrafrecht». Beim Jugendstrafrecht handelt sich um ein Täterstrafrecht, bei welchem die Person des Kindes oder des Jugendlichen im Vordergrund steht. Es bezweckt die Rückfallprävention, die Förderung sowie die soziale Eingliederung des Täters. Dies wird in erster Linie mittels angemessener Einflussnahme angestrebt. Welche Reaktionen im Einzelfalle geboten erscheinen, richtet sich nach dem Grundgedanken des Jugendstrafrechts, also nach der Persönlichkeit des betroffenen Jugendlichen und nicht nach der Schwere der begangenen Tat oder des Verschuldens. Das Gesetz unterscheidet zwei verschiedene Tätergruppen minderjährigen Alters: • erzieherisch besonders betreuungsbedürftige oder therapeutisch behandlungsbedürftige StraftäterInnen • erzieherisch ("normale") StraftäterInnen. Aufgrund dieser Regelung unterscheidet das Jugendstrafrecht weiter zwischen Schutzmassnahmen und der Strafe. In der Praxis lässt sich diese Unterscheidung jedoch nicht so klar ziehen.Vielfach erscheint eine Kombination dieser Rechtsfolgen zweckmässig. Bei der überwiegenden Zahl der Bagatellfälle im Jugendstrafrecht – insbesondere im Bereich von Strassenverkehrsübertretungen, beim Schwarzfahren oder bei kleineren einmaligen Ladendiebstählen – ist es in der Praxis schlicht nicht möglich und auch nicht erforderlich, bei jedem einzelnen Jugendlichen eine vertieftere Abklärung zur Person anzuordnen. «Strafe muss sein!» – Das gilt auch für Kinder und Jugendliche. Doch welches ist die «richtige»? Im Jugendstrafrecht gibt es verschiedene Massnahmen, wobei es jedem Kanton vorbehalten ist, eigene Regelungen zu treffen (Strafrechtspflege). Häufig wird aber eine Kombination von Massnahmen als sinnvoll angesehen: Strafen Verweis, Busse, Persönliche Leistung, Freiheitsentzug Ambulante Massnahmen Aufsicht, Persönliche Betreuung, Ambulante Betreuung, Anti-Aggressivitätstraining Stationäre Massnahmen Beobachtungsstation, Unterbringung, Massnahmezentrum für junge Erwachsene, Familienplatzierung Ursprung und Wesen des Rechts – 1.8 Das Verfahrensrecht 33 «Verstehen, was nicht in Ordnung ist!» Grundsätzlich geht es im Jugendstrafrecht darum, dass betroffene Minderjährige verstehen lernen, weshalb ihre Handlungsweise nicht in Ordnung ist, dass ihnen klare Grenzen gesetzt und – falls erforderlich – auch die notwendigen pädagogischen oder therapeutischen Hilfen angeboten werden. Entscheidend dabei ist, dass dieser pädagogische Ansatz nicht ständig auf Kosten von immer mehr juristischen Bestimmungen erschwert oder gar blockiert wird. Seit es den Menschen gibt, existiert auch die Strafe. Die Strafe wurzelt im urmenschlichen Bedürfnis, für erlittenes Unrecht Vergeltung zu üben, sich am Schuldigen zu rächen, ihn aber auch in Bezug auf zukünftiges Verhalten abzuschrecken und die eigene Macht zu demonstrieren. Geändert hat sich im Wandel der Zeit in der westlichen Welt vor allem die Strafkompetenz, also das eigentliche Strafrecht: Lag es ursprünglich beim Verletzten selber oder beim Sippen- resp. Familienoberhaupt (Römer, Germanen), so wurde das Strafen ab dem Mittelalter zunehmend eine staatliche, öffentliche Angelegenheit. 0–9 Jahre Kleinkinder sind grundsätzlich nicht strafmündig. Falls ein Kleinkind eine strafbare Handlung begehen sollte, bei welchem sich Massnahmen aufdrängen, können diese im Rahmen des Vormundschaftsrecht vollzogen werden. 10–14 Jahre Für Jugendliche im Alter von 10-14 Jahren sind die Rechtsfolgen noch weniger gravierend. Teilweise gelten auch andere Verfahrensregelungen 18–25 Jahre Öffentlich-rechtliche Belange und Antragsverfahren Was im Privatrecht Verträge und Lizenzen sind, heisst im öffentlichen Recht Bewilligungen und Konzessionen. Der Staat (je nach Gegenstand oder Anlass Bund, Kanton oder Gemeinde) wacht über die ihm übertragenen Aufgaben. Es ist aber weder sinnvoll noch möglich, mit allen Bürgern individuelle Verträge abzuschliessen. Stattdessen haben die Bürger die Möglichkeit, beim Staat Anträge zu stellen, deren Inhalte zum Teil sehr verschieden sind. Die zuständigen Behörden beurteilen diese und fällen nach genau vorgeschriebenen Kriterien ihre Entscheide, auch Verfügungen genannt: sie veranlagen Steuern, erteilen oder verweigern Baubewilligungen, stellen Führerausweise aus und entziehen sie bei einem Fehlverhalten wieder, sprechen Fürsorgeleistungen zu, befinden über die Erteilung einer Konzession für die Betreibung eines Taxiunternehmens oder eines privaten Radiosenders usw. Rekursmöglichkeit bei vorgesetzten Behörden Die betroffenen Personen können derartige Verfügungen der Behörden mit einem Rekurs oder einer Beschwerde anfechten. Im Gegensatz zum Zivil- und Strafprozess gelangt der Rekurrent (Beschwerdeführer) in den unteren Instanzen nicht an ein Gericht, sondern an eine vorgesetzte Behörde. So kann beispielsweise die Verweigerung einer Baubewilligung durch die Baukommission zuerst beim Gemeinderat und anschliessend beim Regierungsrat angefochten werden. In der Schweiz entstehen die ersten Vorentwürfe für ein gesamtschweizerisches Jugendstrafrecht Ende des 19. Jahrhunderts. Zuerst wurde nur die Strafmündigkeit diskutiert. In der endgültigen Fassung von 1937 (in Kraft seit 1942) regeln dann aber doch rund 20 Bestimmungen die Besonderheiten der Behandlung jugendlicher Delinquenten. Seither wurde das Jugendstrafrecht verschiedentlich revidiert. Das aktuelle Jugendstrafrecht ist seit 2007 in Kraft. Ab wann gilt’s ernst? – Die vier Alterskategorien des Jugendstrafrechts 15–18 Jahre Das Verwaltungsverfahren Bei Jugendlichen zwischen 15-18 Jahren sind aufgrund ihres Alters bereits strengere Rechtsfolgen möglich.. Für junge Erwachsene gilt grundsätzlich das Erwachsenenstrafrecht. Allerdings kann diese Personengruppe in gewissen Bereichen noch nach milderen Massstäben bestraft werden. Verwaltungsgericht und Bundesgericht Erst in dritter Instanz befasst sich das Verwaltungsgericht mit der Angelegenheit. Als letzte Instanz entscheidet das Bundesgericht. Rechtsmittelbelehrung Damit der Beschwerdeführer weiss, wohin er seine Beschwerde richten muss, ist jede Verfügung mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. Innerhalb der dort angegebenen Frist kann eine Einsprache erfolgen. Wer sie versäumt, hat sein Beschwerderecht verwirkt. Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 34 Übersicht zum Verfahrensrecht (Prozessarten) 1.9 Internationales Privatrecht (iPR) Der allgemeinen Entwicklung der letzten Jahrzente folgend haben die internationalen Beziehungen und Verflechtungen auch im Privatrecht zugenommen. Früher standen vor allem Handelsbeziehungen und -geschäfte mit ausländischen Partnern im Vordergrund und betrafen damit hauptsächlich die in der Schweiz im Obligationenrecht OR geregelten Vertragstypen Kauf, Miiete, Werkvertrag und Auftrag. Im internationalen Umfeld stark an Bedeutung gewonnen haben mittlerweile aber auch die im Zivilgesetzbuch ZGB festgehaltenen familien-, ehe-, kindes- und erbrechtlichen Themen. Alle diesbezüglichen Fäden laufen im Bundesamt für Justiz in der «Sektion für internationales Privatrecht» zusammen. Ihrer Homepage entnehmen wir folgende Ausführungen: «Das internationale Privatrecht umfasst die Gesamtheit der Rechtsnormen, welche privatrechtliche Rechtsbeziehungen (Personenrecht, Familienrecht, Erbrecht, Vertragsrecht, Gesellschaftsrecht usw.) mit internationalem Charakter regeln. Es beantwortet hauptsächlich folgende Fragen: welches nationale Recht ist anwendbar?, welches Gericht ist zuständig?, unter welchen Bedingungen kann ein Entscheid, der in einem Staat gefällt wurde, in einem anderen Staat anerkannt und vollstreckt werden?» Im Bundesamt für Justiz nimmt die Sektion internationales Privat- und Zivilprozessrecht (IPR) sowohl auf interner als auch auf internationaler Ebene Gesetzgebungsaufgaben wahr. International nimmt sie an der Aushandlung von Staatsverträgen teil und vertritt die Schweiz im Rahmen verschiedener Gremien wie der Haager Konferenz für internationales Privatrecht, der UNO-Kommission für internationales Handelsrecht (UNCITRAL) oder auch des Europarates. Sie führt zudem das Sekretariat des «Ständigen Ausschusses» des Übereinkommens vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano - Übereinkommen). Daneben betreut die Sektion IPR Rechtsanwendungsaufgaben wie zum Beispiel diejenige als «Zentralbehörde internationale Alimentensachen», oder – in Zusammenarbeit mit der Abteilung Internationale Rechtshilfe – diejenige als «Zentralbehörde internationale Rechtshilfe in Zivilsachen». In ihrem Bereich ist die Sektion Fachinstanz für Gerichte und Verwaltungsbehörden des Bundes und der Kantone und beantwortet entsprechende Anfragen dieser Stellen. Sie ist besonders im Bereiche der internationalen Erbschaften aktiv (vgl. zum Beispiel das in Zusammenarbeit mit dem Eidg. Amt für Grundbuch- und Bodenrecht erstellte Dokument «Ausländische Erbfolgezeugnisse als Ausweis für Eintragungen im schweizerischen Grundbuch»). Soweit es sich um die Behandlung von Fragen betreffend internationale Adoptionen und internationale Kindesentführungen handelt, so ist der «Dienst für internationalen Kindesschutz» als Zentralbehörde in diesen Bereichen tätig ([email protected]). Die Sektion gibt schliesslich in ihrem Zuständigkeitsbereich Auskunft über den Stand der Ratifikation multilateraler Übereinkommen, denen die Schweiz beigetreten ist, sowie über die bilateralen Übereinkommen zwischen der Schweiz und einem Drittstaat.» (www.admin.ch unter dem Suchbegriff «Internationales Privatrecht») Ursprung und Wesen des Rechts – Aufgaben und Übungen – 1.1. Was ist «Recht»? 35 Aufgaben und Übungen zu Kapitel 1 1.1 b) Was ist «Recht» und wie hat es sich entwickelt? Welche Idee, genauer: welche staatspolitische Konstruktion musste sich in einem Staat zuerst durchsetzen, bevor Grund- und Bürgerrechte zur Grundlage der Rechtsordnung werden konnten? Die Gewaltenteilung Lernziele Sie können ▪ die Entstehung einer Rechtsordnung beschreiben c) ▪ den Zusammenhang zwischen Gewaltenteilung und der Durchsetzung der Grundrechte und der Bürgerrechte erkennen 1.1.1 Diejenigen, die die Macht inne hatten, konnten uneingeschränkt selber festlegen, wer zu bestimmen hatte und wem die Güter (der Wohlstand) des Landes zustanden. X b) Das Recht wurde so festgelegt, dass es in erster Linie den Machtinhabern und ihren Nahestehenden, den Verwandten und Freunden, diente. X c) Das Recht wurde von den Machtinhabern so festgelegt, dass Gegner rigoros ausgeschaltet werden konnten, die selber an die Macht gelangen wollten oder die eine andere (gerechtere) Ordnung forderten. X d) Wer die Macht im Staat in Frage stellte, wurde mit Prügelstrafe, Gefängnis, Hinrichtung, Verbannung usw. bestraft. X e) Der Wohlstand eines Landes war ungleich verteilt. Dies gelang unter anderem damit, dass das Recht zwischen «Adeligen», «gewöhnlichen» Bürgern und «Rechtlosen» (Leibeigenen) unterschied. X 1.1.2 a) Legislative = Parlament, Gesetzgebung Exekutive = Regierung (CH: Bundesrat) Judikative = Gerichte Über Jahrtausende war das Recht alleine Sache der Mächtigen im Staat. Warum? Kreuzen Sie die richtigen Antworten an. a) Die Grund- und Bürgerrechte entstanden vor dem Hintergrund der ungerechten Verteilung von Macht und Besitz. Warum dauerte es sehr lange, bis die Grund- und Bürgerrechte in der Rechtsordnung eines Staates Einzug fanden? - Die Mächtigen konnten dabei nur verlieren, weil sie dann Macht und Güter hätten teilen müssen - Privilegien (Vorrechte) wären nicht mehr möglich Benennen Sie die drei Gewalten (Organe), wie sie moderne Rechtsstaaten heute aufweisen. Notieren Sie die Fremdwörter und dazu die jeweiligen deutschen Bezeichnungen. d) Wie und warum schützt die Aufteilung der staatlichen Macht in die drei Gewalten den Einzelnen wie auch die Gemeinschaft? Die Gewalten kontrollieren sich gegenseitig. Machtmissbrauch der Staatsdiener (Politiker, Beamte) oder derjenige einer einzelnen Gruppierung (z.B. einer Partei) wird dadurch stark eingeschränkt. Bei Verstössen gegen Verfassung oder Gesetz greifen die Gerichte, das Parlament oder allenfalls das Volk korrigierend ein e) Moderne Diktaturen geben an, sie seien Demokratien mit entsprechenden Verfassungen. Was klappt nicht in diesen Ländern? Die Gewaltenteilung steht bloss auf dem Papier. Der Diktator / das Regime hält hinter den Kulissen die «Fäden» in fester Hand: Parlament und Gerichte befolgen die (heimlichen) Anweisungen der Machthaber. Das Volk wird mit Repression/brutaler Gewalt von Polizei, Geheimdienst und Armee eingeschüchtert und mit Scheinwahlen besänftigt das recht des stärkeren ist das stärkste unrecht sprichwort Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 36 1.1.3 Der Staat ist nach den Grundsätzen in der Bundesverfassung organisiert. Diese wirken sich im Alltag aus. Ordnen Sie die zutreffenden Grundsätze den aufgeführten Situationen zu. Notieren Sie jeweils den korrekten Buchstaben rechts bei der Aussage (Mehrfachantworten sind teilweise möglich). o) A Das Schulwesen regeln die Kantone zusammen mit ihren ____ Gemeinden. p) Der Bürger darf sich auf Angaben und Mitteilungen des Staates verlassen. q) In der Schweiz gilt ein Folterverbot. M ____ L Legalitätsprinzip, Willkürverbot A Aufgabenteilung zwischen Bund, Kanton, Gemeinde r) Entscheide der Behörden müssen eine Rechtsmittelbelehrung enthalten. L ____ G Gleichbehandlung M Menschenrecht T Gewaltentrennung (Gesetz- H Handeln n. Treu & Glauben gebung, Regierung, Justiz) 1.2 H____ (L) Formen des Zusammenlebens a) Die offiziellen Amtssprachen sind deutsch, französisch, italienisch und rätromanisch. G ____ b) Der Bau von Nationalstrassen fällt in das Hoheitsgebiet des Bundes. A ____ c) Die Kantone sind, soweit sie nicht gegen Bundesrecht verstossen, autonom. A ____ ▪ die Einwirkung der ökologischen, ökonomischen und technologischen Entwicklungen und Veränderungen auf Sitte und Moral sowie das Recht beschreiben d) Für die Strafverfolgung sind ausschliesslich die Gerichte zuständig. T ____ ▪ daraus Gründe für die zunehmende Gesetzesflut ableiten e) Jeder besitzt das Recht auf freie Meinungsäusserung. M ____ f) Die Behörden müssen ihr Handeln ausnahmslos auf das Recht abstützen. L ____ ▪ Alltagssituationen und damit einhergehende Dilemmata anhand der drei Ethik-Fragen analysieren und Lösungsansätze formulieren g) Es gilt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. G ____ h) Das Parlament lehnt einen Antrag des Bundesrates zur Beschaffung neuer Kampfpanzer ab. T ____ i) Der Staat darf einen einzelnen Bürger nicht bevorzugt behandeln. L, G ____ j) Angaben gegenüber staatlichen Behörden gelten grundsätzlich als wahrheitsgemäss. H ____ k) Das Eherecht gilt in der ganzen Schweiz. G ____ l) Für die innere Sicherheit ist die Polizei, in Ausnahmefällen auch die Armee zuständig. T ____ m) Jeder Kanton stellt zwei Ständeräte für das Bundesparlament. G ____ Wegen des Gesetzes tue ich es nicht, weil... n) Schweizer und Schweizerinnen mit Bürgerrecht können Ihren Wohnort selber bestimmen. L, G ____ ich von einem Gericht mit Busse oder Gefängnis bestraft werden könnte Lernziele Sie können ▪ Recht, Sitte und Moral als Regeln des menschlichen Zusammenlebens unterscheiden und Situationen zuordnen 1.2.1 Sie befinden sich in einem Selbstbedienungsladen. Die Gelegenheit wäre günstig, um etwas «mitlaufen» zu lassen. Aus moralischen Gründen tue ich es nicht, weil... mich das schlechte Gewissen plagen würde Aus sittlichen Gründen tue ich es nicht, weil... ich nicht als Dieb dastehen möchte Ursprung und Wesen des Rechts – Aufgaben und Übungen – 1.2 Formen des Zusammenlebens 37 1.2.2 Die folgenden Situationen können Sie in einem Büro beobachten. Was bestimmt das Verhalten der handelnden Personen? Kreuzen Sie die Regel an, welche in diesen Situationen das Verhalten zuerst und am stärksten beeinflusst. Sitte Moral/Ethik Recht X X X X a) Ein Besucher tritt ein und grüsst die Anwesenden. b) Der Abteilungsleiter bietet ihm einen Stuhl an. c) Er gibt der kaufmännischen Angestellten den Auftrag, ihm einen Kaffee zu servieren. d) Er bespricht mit dem Besucher einen Kaufvertrag, den beide unterzeichnen. e) Er lehnt das Angebot des Besuchers ab, bei ihm in St. Moritz auf Kosten des Geschäftspartners ein Wochenende zu verbringen, weil er grundsätzlich keine Schmiergelder entgegennimmt. f) Die Angestellte notiert eine telefonische Bestellung eines Kunden. X g) Die Quartalsabrechnung für die Mehrwertsteuer wird erstellt. X Eine Mitarbeiterin der Revisionsstelle des Unternehmens prüft Buchungsbelege. X h) X X 1.2.3 Im folgenden Text wird die Entstehung einer Rechtsordnung als geschichtlicher Rückblick erläutert. Einige Satzteile wurden aus dem Text entfernt (vgl. die Liste A.- K.). Notieren Sie die Buchstaben der jeweils zutreffenden Passagen an den fehlenden Stellen (Lücken). A Zusammenleben G erzwingbar B Gewohnheitsrecht H Konflikten, Streit C gewisse Regeln I Rechtsordnung D nicht allein leben J soziales Wesen E Sitten, Bräuche und Rituale K Existenzbedürfnisse F soziale Umwelt L Gewalt D Wenn er auf die Welt kommt, ist er auf «Der Mensch kann _____. Menschen, die ihn pflegen, ernähren, schützen und lieben, angewiesen. Ohne sie stirbt er. Aber auch der erwachsene Mensch ist J Die Menauf andere Menschen angewiesen. Er ist ein _____. schen mit denen er zusammen lebt und arbeitet, bilden seine F _____. Menschen, die einem Stammesverband leben, wie beispielsweise Indianer im Amazonasgebiet oder Papuas in Neuguinea A vor allem mit _____ E . regeln ihr _____ Dies funktionierte so lange, als jeder Stamm genügend Land zur K zu decken. Als aber in gewisVerfügung hatte, um seine _____ sen Gebieten, z. B. in Mesopotamien (heutiger Irak) immer mehr Menschen wegen der fruchtbaren Weidegründe leben wollten, H kam es immer häufiger zu ____. Dabei gab es immer wieder Tote und Verwundete, so dass mit der Zeit das Bedürfnis wuchs, Auseinandersetzungen nicht immer L auszutragen. Es begannen sich _____ C heranzubilden, mit _____ an die sich die einzelnen Stämme hielten und damit entstand B . das _____ Schon rund 2'000 v. Chr. liess ein sumerischer Herrscher solche Regeln in Keilschrift auf Tontafeln festhalten. Damit war eine I geschaffen. Im Unterschied zu den Sitten waren diese _____ G .» Regeln _____ kooperatives lernen kann hilfreich sein Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 38 1.2.4 1.2.5 Die Skizze zeigt die Beziehung der Bereiche, welche das menschliches Verhalten regeln. A E B Sitte Moral/Ethik D G F Was bestimmt das Denken/Handeln der Personen in den folgenden Situationen? Ist es der berechtigte Anspruch auf ein persönlich erfülltes Leben (= A)? Oder das Bemühen, das friedliche Miteinander von Mensch und Natur zu fördern/nicht zu zerstören (= B)? Oder aber ist das Verhalten von der festen Überzeugung getragen, selber einen Beitrag zur Verbesserung der Verhältnisse zu leisten (= C)? Ordnen Sie also die soeben erklärten Ethik-Fragen den Beispielen zu. Notieren Sie dazu den jeweils korrekten Buchstaben. C A Frage nach dem guten Leben Recht 1. B Frage nach dem gerechten Zusammenleben C Frage nach dem richtigen (= ethisch korrekten) C Verhalten/Handeln Erklären Sie die Skizze. Das Verhalten der Menschen entsteht oft aus einer Mischung von Sitte, Ethik/Moral und Rechtsbewusstsein. Die einzelnen Regeln beeinflussen des Bürgers Tun (und Lassen) mehr oder weniger stark 2. Welchen Bereichen (A - G) ordnen Sie die folgenden Situationen zu? Notieren Sie jeweils den entsprechenden Buchstaben. a) Sie grüssen jemanden, den Sie eigentlich nicht mögen. A ____ b) Sie grüssen Ihre besten Kollegen. B ____ c) Die Erziehung der Kinder aus Liebe. B ____ d) Die Erziehung der Kinder als Pflicht. C ____ e) Sie danken jemanden, der Ihnen geholfen hat. B ____ f) Sie bezahlen Ihre Rechnungen pünktlich. g) Sie fahren vor- und umsichtig Auto. h) Sie halten mit dem Fahrrad an der Ampel an. i) Sie stehlen das Portemonnaie nicht, das die Lehrerin auf dem Pult liegen gelassen hat. j) Sie leisten Militärdienst. k) Sie leisten freiwillige Mitarbeit beim Roten Kreuz. l) Sie bezahlen Ihre Steuern nicht ungern, denn damit leisten Sie Ihren Beitrag an den staatlichen Aufgaben. D____ (G) F____ (G) C ____ G____ (F) C____ (F) B ____ F ____ a) Frau Lutz achtet beim Einkaufen darauf, woher die Produkte stammen und wie sie hergestellt worden sind. Der faire Handel ist ihr ein Anliegen. C ____ b) Herr Sollberger hat soeben seine Krankenversicherung neu geregelt. Er kann nun auch die halbprivate Abteilung in allen Spitälern der Schweiz benützen, falls er schwer krank wird. A ____ c) Guiliana Boss möchte einen möglichst hohen Lohn erzielen. A ____ d) Ein Bauer hat alle Tierschutzvorschriften auf seinem Hof erfüllt. B ____ e) Der Schüler Yanick hat sich vorgenommen, in den Proben nicht mehr zu spicken. C ____ f) Herr Binder von der SoftTec AG überlegt sich, wie er die soziale Sicherheit in seinem Betrieb verbessern könnte. B/C ____ g) Moni Walder spendet CHF 100 für die Erdbebenopfer in Indien. B/C ____ die sitten, die werthaltungen, die rechtssätze, die sie gelernt haben, bestimmen ihr verhalten Ursprung und Wesen des Rechts – Aufgaben und Übungen – 1.2 Formen des Zusammenlebens 39 1.2.6 Der Einzelne wie auch die Gemeinschaft handeln nach den Regeln zur Sitte, orientieren sich an ihren moralischen Werten (= Ethik) und halten sich im Allgemeinen an die Rechtsordnung. e) Mögliche, aber nicht eindeutige Standpunkte: a) Qualität vor Quantität: «Ja» zu Bio-Produkten b) CO2 kompensieren mit Spende bei «My Climate» c) Die ärztliche Abgabe von Heroin ist okay. Ein «normales» Leben steht über dem Ziel einer drogenfreien Gesellschaft d) Kind zur Adoption freigeben oder es soll evtl. zeitweise bei der/den Grossmüttern aufwachsen weitere: Sterbehilfe, Sportlerkarriere od. Lehre?, neue Skilifte/Autobahnen/Hallenbäder...?, mit dem Motorrad über Pässe flitzen?, Alkoholkonsum?, Schneckengift im Garten?, Sex vor der Ehe?, Fremdgehen?, Ausländerstopp? Ausschaffung straffälliger ausländ. Jugendlicher? usw. Immer wieder entstehen jedoch (Gewissens-)Konflikte, weil es für bestimmte Situationen keine eindeutige Lösung im vorhandenen System des Zusammenlebens gibt. In so einem Fall spricht man von einem Dilemma (Plural: Dilemmata). Erklären Sie anhand der drei Ethik-Fragen, worin das jeweilige Dilemma in den aufgeführten Beispielen besteht. a) Herr Kümmerlis Lohn ist nur knapp über dem Existenzminimum. Bio-Produkte kauft er deshalb nur ganz selten. Einerseits wäre es richtig, nur Bio-Produkte zu kaufen (= C), andererseits möchte sich Herr Kümmerli möglichst viel von seinem Lohn leisten können (= A) b) Tim und Vanessa lieben Badeferien an tropischen Stränden. Ein Flug dorthin dauert mindestens acht Stunden. Ferien in den Tropen bedeuten den beiden viel (= A), das Hin- und Zurückfliegen ist jedoch klimaschädigend (= C) Diskutieren Sie Lösungsansätze zu den obigen Beispielen und nennen Sie weitere Dilemmata aus dem Alltag. 1.2.7 Die Entwicklung der gesellschaftlichen Regeln (Regelsystem) Ergänzen Sie die folgende Darstellung, indem Sie das für die jeweilige Gesellschaft bestimmende Regelsystem des Zusammenlebens eintragen. Gesellschaftliche Entwicklungsstufe c) Jana ist trotz mehrmaligen Entzugtherapien seit zwölf Jahren schwerst heroinsüchtig. Könnte sie sich ihre Drogen beim Arzt spritzen, müsste sie nicht mehr Geld «auf dem Strich» anschaffen. Drogensüchtigen muss man (oft auch mit Nachdruck) helfen (= C). Mit der Heroinabgabe könnte Jana jedoch ein menschenwürdigeres Leben führen (= A), vielleicht sogar normal arbeiten (= B) d) Die siebzehnjährige Olivia ist unerwartet schwanger geworden. Sie ist im Gymnasium und will Anwältin werden. Die Abtreibung tötet das ungeborene Leben (= B). Die ganze berufliche Zukunft ist möglicherweise gefährdet, wenn Olivia das Kind auf die Welt bringt (= A) Regelsystem für das Zusammenleben Jäger, Sammler, Nomaden, die als Grossfamilien und Stämme grosse Territorien als Lebensraum besiedeln Sitten, Bräuche, Rituale Sesshafte Stämme, die Ackerbau betreiben Sitten, Bräuche, Rituale und Gewohnheitsrecht Staaten: Sesshafte Stämme und Völker, die ein eigenes Territorium besitzen Sitte, Ethik/Moral mit einer Rechtsordnung Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 40 1.3 Lernziele Sie können Zu den folgenden Rechtsbestimmungen müssen Sie angeben, welches die wichtigste Aufgabe dieser Bestimmung in der Absicht des Gesetzgebers ist. ▪ das Recht als Friedensordnung und Garant für Gleichheit und Gerechtigkeit beschreiben Entscheiden Sie sich für eine Nennung, auch wenn in den meisten Fällen mehrere durchaus möglich sind. Aufgaben des Rechts 1.3.2 ▪ das Recht als Schutz für die Schwächeren erklären Ordnungsfunktion des Rechts ▪ das Bemühen des Rechts um Interessenausgleich in Konfliktsituationen erkennen Recht sorgt für Gerechtigkeit/Interessenausgleich ▪ die Aufgaben des Rechts mit Beispielen aufzeigen 1.3.1 Recht als Schutz für die Schwächeren a) Bundesverfassung (BV), Art. 8,1: Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich. b) Das Helmtragobligatorium im Strassenverkehrsgesetz (StVG) X c) Gemäss OR können Verträge, welche unter Drohung zustande gekommen sind, vor Gericht angefochten werden und müssen dann nicht eingehalten werden. X «Zwei Automobilisten stehen mit ihrem Auto vor einem freien Parkplatz. Beide möchten parkieren. Wer erhält ihn? Zwischen D Wenn der später angekommene den beiden besteht ein _____. H entsprechend verhalten. den Platz frei gibt, hat er sich den ____ Wenn er sich jedoch vor dem ersten hineinzwängt, dann ist er A gewesen. einfach der _____ d) Zivilgesetzbuch (ZGB), Art. 296 I: Die Kinder stehen, solange sie unmündig sind, unter der elterlichen Gewalt. e) Gemäss Obligationenrecht (OR) muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bei Krankheit während einer beschränkten Zeit den Lohn weiter zahlen.. X Wenn sich der erst dies nicht bieten lässt und deshalb den «Parkplatzräuber» angreift, sein Auto beschädigt und ihm eine saftige Ohrfeige verpasst, kann dies für ihn in der Schweiz böse G zu werden. Folgen haben: Er riskiert dafür vom Richter _____ f) Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist gemäss Strafgesetzbuch strafbar. X g) Die Berechnung der geschuldeten Einkommenssteuern erfolgt nach der Höhe des Einkommens. X h) Das Gericht erteilt in einem Scheidungsprozess das Sorgerecht für die Kinder der Mutter. Der Vater erhält dafür ein wöchentliches Besuchsrecht zugesprochen. X Notieren Sie jeweils den Buchstaben des Satzteils an der Stelle, wo er im Text fehlt. A Stärkere, Frechere E höchste Rechtsgut B gerecht F Wertvorstellungen (Ethik) C Ungerechtigkeit G bestraft D Streit, Interessenkonflikt H Sitten Nun hat aber nach unserem Rechtsempfinden derjenige Anspruch auf den Parkplatz, welcher zuerst anhält, um zu C ? parkieren. Ist das Urteil des Richters nicht eine _____ X X Nein, denn die körperliche Unversehrtheit eines Menschen ist F das _____ E überhaupt. Eine Parklücke hat nach unseren _____ dagegen als Rechtsgut einen geringen Wert. Weil das Recht den Anspruch aller Menschen in einem Staat nach körperlicher Unversehrtheit schützt, sowohl der Starken B wie der Schwachen, ist es _____.» lernen ist ein grundrecht des menschen Ursprung und Wesen des Rechts – Aufgaben und Übungen – 41 1.4 Lernziel d) Auf einem Platz beschimpfen Schweizer ausländische Menschen, welche mit Plakaten auf die Lage in ihrem Land aufmerksam machen, aufs übelste. Sie rufen die Polizei, damit diese die Randalierer stoppen. e) Notieren Sie jeweils den Buchstaben des Satzteils an der Stelle, wo er im Text fehlt. Sie retten einen Menschen, der sich das Leben nehmen wollte, aus einem reissenden Fluss. f) Sie schliessen einen Arbeitsvertrag ab. A kulturell verschieden D das Umfeld g) B korrekten Form E erzwingbar Bevor Sie in den Bus steigen, lassen Sie den aussteigenden Passagieren den Vortritt. Eigenschaften des Rechts Sie können ▪ die Eigenschaften des Rechts charakterisieren 1.4.1 X X C geändert 1.5 «Der Staat braucht finanzielle Mittel, um seine Aufgaben zu E sind. erfüllen. Er erlässt Steuergesetze, weil sie _____ Lernziel Sie können ▪ die hierarchische Ordnung des geschriebenen Rechts beschreiben Im alten ZGB wurde im Familienrecht der Ehemann als das Haupt der ehelichen Gemeinschaft bezeichnet. Am Ende des 20. Jahrhunderts wurde das ZGB geändert. Heute wird alles von den beiden Ehepartnern gemeinsam bestimmt, weil sich die C haben. Vorstellungen von der Ehe in unserer Gesellschaft _____ Bei der Änderung der Bundesverfassung ebenfalls zur Jahrtausendwende wurde heftig diskutiert, ob in der Einleitung noch stehen soll «Im Namen Gottes des Allmächtigen!», weil viele es nicht mehr für zeitgemäss hielten. Diesem Phänomen A sagt man: « Recht ist ____». Die Rechtsquellen ▪ die Bedeutung und Aufgabe von Verfassung, Gesetzen und Verordnungen unterscheiden 1.5.1 Ergänzen Sie diese Grafik eines Baumes mit den Begriffen Verfassung, Gesetz und Verordnung. Verordnungen Damit sich alle Personen, die von einem Gesetz betroffen sind, B darauf verlassen können, braucht das Recht einer _____. Gesetze Gesetze müssen immer wieder ergänzt und revidiert werden, weil D ständig verändert.» sich _____ 1.4.2 Verfassung Kreuzen Sie diejenigen Situationen an, in welchen Ihr Verhalten erzwingbar ist. 1.5.2 a) Weil Sie einen Lehrvertrag abgeschlossen haben, besuchen Sie den Unterricht der Berufsfachschule. b) Auf der Strasse begegnen Sie einem Bekannten und grüssen ihn. c) Sie werden als Zeugin bei der Polizei aufgeboten, nachdem Sie einen Verkehrsunfall beobachtet haben. X X Nennen Sie drei wesentliche Merkmale der Bundesverfassung (BV). 1.Rechtliche Grundordnung des Staates 2.Grundvoraussetzung für jede Demokratie 3.Veränderung nur mit Zustimmung von der Mehrheit von Volk und Ständen (Kantonen) Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 42 1.5.3 a) 1.5.4 Welche der folgenden Aussagen stimmen? Kreuzen Sie diese an. Notieren Sie darunter eine kurze Verbesserung, wenn die Aussage falsch ist (vgl. Beispiel). Verfassung Bundesgesetze können vom Bundesrat geändert werden. Gesetz durch das Parlament (National- u. Ständerät) b) c) d) e) Die Bundesverfassung kann nur mit Zustimmung des Volkes und der Kantone geändert werden. Dies schafft politische Stabilität und Rechtssicherheit. In der Verfassung sollte nur das Grundsätzliche stehen, die Einzelheiten sollten in den Gesetzen und Verordnungen geregelt werden. Verordnung X In der Bundesverfassung stehen viele Einzelheiten, die eigentlich in Gesetze gehörten, weil das Volk mit einem Referendum jedwelche Änderungen in der Verfassung verlangen und in einer Abstimmung beschliessen kann. X a) Änderungen sind nur mit Zustimmung von Volk und Ständen (Kantonen) möglich b) Detaillierte Bestimmungen zu einem Gesetz X c) Erlass, Aufhebung und Änderung sind durch die Regierung (Bundesrat, Regierungsrat eines Kantons, Gemeinderat) möglich X d) Es gibt sie auf Bundes- und auf Kantonsebene. X e) Mit 50'000 Unterschriften kann eine Volksabstimmung (Referendum) über die Inkraftsetzung verlangt werden X X 1.5.5 X Verfassung Da die Kantone souverän sind, können sie in ihrer Kantonsverfassung alles so regeln, wie sie wollen. Gesetz Wenn es ein Bundesgesetz wie beispielsweise das Zivilgesetzbuch (ZGB) gibt, müssen sich auch die Kantone daran halten. X Bestimmen Sie, ob die folgenden Texte aus der Bundesverfassung, einem Gesetz oder aus einer Verordnung stammen. einer Initiative Verordnung soweit sie nicht gegen Bundesrecht verstossen f) Bestimmen Sie, ob die folgenden Aussagen zur Verfassung, zu einem Gesetz und/oder zu einer Verordnung gehören. a) Das Kindesverhältnis entsteht zwischen dem Kind und der Mutter mit der Geburt. b) Dem Bund steht allein das Recht zu, Krieg zu erklären und Frieden zu schliessen. c) X Das Qualifikationsverfahren wird in der Ausbildungsstätte, in einem anderen geeigneten Betrieb oder in einer Berufsfachschule durchgeführt. d) Jeder Kantonsbürger ist Schweizer Bürger. e) Durch den Kaufvertrag verpflichtet sich der Verkäufer, dem Käufer den Kaufgegenstand zu übergeben, und der Käufer, dem Verkäufer den Kaufpreis zu bezahlen. X f) Durch die Trauung werden die Ehegatten zur ehelichen Gemeinschaft verbunden. X X die schulpflicht für alle kinder soll die chancengleichheit gewährleisten X X X Ursprung und Wesen des Rechts – Aufgaben und Übungen – 1.5 Die Rechtsquellen 43 1.5.6 Welche Rechtsquelle dient in den folgenden Fällen als Entscheidungsgrundlage? Tragen Sie die zutreffenden Buchstaben ein. A geschriebenes Recht C Gerichtspraxis (Entscheide) B gerichtliches Ermessen D Gewohnheitsrecht Einem Automobilisten, der in angetrunkenem Zustand einen Verkehrsunfall verursacht hat, wird vom Amtsgericht der Führerausweis gemäss Praxis des Bundesgerichtes während 6 Monaten entzogen. C ____ b) Ein Gericht tritt auf eine Klage nicht ein, weil die Frist für die Einreichung der Klage nicht eingehalten wurde. A ____ c) Die Bundesversammlung ändert aufgrund eines Verfassungsauftrages das Gentechnikgesetz. A ____ d) In einem Scheidungsprozess werden die Unterhaltszahlungen des Ehemannes für die Kinder von der Amtsgerichtspräsidentin auf CHF 1800 je Monat festgesetzt B ____ e) Schweizerische Banken berechnen den Zins auf Sparkonten gemäss der deutschen Usanz, d.h.. das Jahr lediglich zu 360 Tagen, die Monate zu 30 Tagen. D ____ Der Polizist erteilt dem Falschparkierer eine Ordnungsbusse. A ____ a) f) g) h) i) 1.6 Lernziele Aufbau und Gliederung der Rechtsordnung Sie können ▪ öffentliches sowie privates Recht in ihre Teilbereiche gliedern sowie Rechtstatbestände den Bereichen zuordnen ▪ für einen Rechtssatz bestimmen, ob er zwingend, ergänzend oder einseitig abänderbar ist ▪ den Unterschied zwischen zwingenden und ergänzenden Rechtssätzen begründen 1.6.1 a) Die Rechtsordnung ist in Öffentliches Recht und Privatrecht eingeteilt. Beschreiben Sie den grundsätzlichen Unterschied zwischen dem öffentlichen Recht und dem Privatrecht. Öffentliches Recht regelt das Verhältnis zwischen .... Staat (Polizei/Behörden) und Bürger/-innen _____________________________________________ Hier finden wir fast auschliesslich ... X zwingende Vorschriften C Seit einem vor kurzem auf höchster Ebene gefällten Urteil ____ gilt ein Raserunfall mit Todesfolgen neu als vorsätzliche Tötung. Diese kann mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren bestraft werden. Stefan K. (21) hat Dragan D. (16) krankenhausreif geschlagen. Er muss nun die Spitalkosten übernehmen sowie CHF 1‘500 Schmerzensgeld (Genugtuung) dem Opfer bezahlen. B ____ Wegen ungenügender Leistungen löst der Berufsbildner das Lehrverhältnis mit Nicola während der Probezeit auf. A ____ einseitig abänderbare Regeln ergänzende (dispositive) Regeln Das Privatrecht regelt das Verhältnis zwischen .... Bürger/-in und Bürger/-in _____________________________________________ Hier finden wir ... X zwingende Vorschriften X einseitig abänderbare Regeln X ergänzende (dispositive) Regeln das recht ist ein unentbehrlicheres lebensmittel als das brot sprichwort Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 44 b) Zählen Sie vier Rechtsbereiche aus dem öffentlichen Recht auf. 1.6.2 1. Strafrecht 2. Völkerrecht 3. Staatsrecht 4. Sozialversicherungsrecht 5. Strassenverkehrsrecht 6. Arbeitsrecht, Kirchenrecht, Umweltrecht usw. c) Eine 70jährige Frau erzählt einige Ereignisse aus ihrem Leben. In diesen Situationen spielen Gesetze auch eine Rolle. Ordnen Sie diese einem Teil der Rechtsordnung zu. Bestimmen Sie zuerst, ob sie im öffentlichen Recht, im ZGB oder im OR geregelt sind. Schreiben Sie dazu, welches Gesetz des öffentlichen Rechts, bzw. welchem Teil des ZGB oder welcher Abteilung des OR die Situationen zugeordnet werden können (vgl. Beispiel). Öffentliches Recht Zählen Sie vier Gesetze aus dem öffentlichen Recht auf. Zivilgesetzbuch (ZGB) 1. Strafgesetzbuch 2. Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz 3. Berufsbildungsgesetz 4. Tierschutzgesetz 5. Bundesgesetz zur Invalidenversicherung (IV) 6. Urheberrechts-, Naturschutzgesetz usw. Obligationenrecht (OR) a) 1. Teil: Personenrecht b) Zählen Sie die fünf Teile des Zivilgesetzbuches (ZGB) auf. 1. Teil: Das Personenrecht 2. Teil: Das Familienrecht 3. Teil: Das Erbrecht 4. Teil: Das Sachenrecht 5. Teil: Das Obligationenrecht X Mit 6 Jahren trat sie in die Primarschule ein. Kantonales Schulgesetz c) d) X Geboren wurde Sie vor 70 Jahren. Nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit begann Sie eine Lehre als Kauffrau E-Profil. X 2. Abt.: Arbeitsvertrag d) X Mit 18 musste sie erstmals Steuern bezahlen. Kant. und eidg. Steuergesetz e) X Ab diesem Alter wurde ihr auch die AHV-Prämie vom Lohn abgezogen. AHV-Gesetz e) Zählen Sie die fünf Abteilungen des Obligationenrechts (OR) auf. 1. Abteilung: Die allgemeinen Bestimmungen 2. Abteilung: Die einzelnen Vertragsarten 3. Abteilung: Das Gesellschaftsrecht 4. Abteilung: Das Handelsregister, das Firmen recht und die Buchführung 5. Abteilung: Die Wertpapiere f) Das Stimmrecht erhielt sie allerdings erst 1971, als dieses auch für Frauen eingeführt wurde. X Bundesverfassung (BV) g) Nach der Lehre arbeitete sie bei einer Bank. X 2. Abt.: Arbeitsvertrag h) Sie mietete auch ihre erste eigene Wohnung. 2. Abt: Mietvertrag X Ursprung und Wesen des Rechts – Aufgaben und Übungen – 1.6 Die Rechtsquellen 45 1.6.4 Öffentliches Recht Zivilgesetzbuch (ZGB) Obligationenrecht (OR) i) Begründen Sie Ihren Entscheid mit dem Hinweis aus dem Gesetzesartikel, welcher darauf hinweist (vgl. Beispiel). X Im Alter von 25 Jahren heiratete sie. Bestimmen Sie mit Hilfe des Gesetzes für die folgenden Rechtssätze, ob sie zwingenden oder ergänzenden Charakter haben, oder aber einseitig abänderbar sind. 2. Teil: Familienrecht j) zwingend (obligatorisch) X Ein Jahr später kam ihr erstes Kind zur Welt. einseitig abänderbar («zugunsten von») 1.T.: Personenrecht/2.T.: Familienrecht k) Bald danach baute die Familie ein Einfamilienhaus. ergänzend (dispositiv) X X Kant. Baurecht, 2. Abt.: Werkvertrag l) Dafür brauchten sie einen Hypothekarkredit der Bank. X Als Autofahrerin wurde sie zweimal mit einer Parkbusse bestraft. Strassenverkehrsgesetz, Strafrecht n) Nachdem ihr Gatte gestorben war, erbten sie und ihre Kinder sein Vermögen. X 3. Teil: Erbrecht o) Sie erhielten auch eine AHV-Hinterbliebenenrente. X AHV-Gesetz 1.6.3 OR 329a wenigstens 4 Wochen Ferien b) ZGB 11, 1 Rechtsfähig ist jedermann c) ZGB 60, 2 die Statuten müssen enthalten d) ZGB 167 jeder nimmt Rücksicht (= muss) e) ZGB 498 kann eine letzwillige Verfügung ... f) ZGB 656, 1 bedarf es ein Eintrag im Grundbuch X g) OR 5, 1 der Antragsteller bleibt ... gebunden X h) OR 75 die Erfüllung kann ... sofort ... i) OR 189, 1 sofern nichts anderes vereinbart ... j) OR 216 k) OR 266 c können die Parteien l) OR 328a, 2 im 1. Dienstjahr (mind.) 3 Wochen X X X 2. Abt: Dahrlehensvertrag m) X a) X X X X bedürfen der öffentl. Beurkundung X X X Begründen Sie, warum öffentliches Recht meistens zwingend ist. Das öffentliche Recht regelt das Handeln der Organe (Behörden) des Staates Der Staat hat das Machtmonopol und er muss den Grundsatz der Gleichbehandlung beachten Es gelten also für alle dieselben Vorschriften, zwingend! m) OR 394, 3 Vergütung, wenn verabredet n) OR 404 kann jederzeit gekündigt werden o) OR 666 dürfen höchstens... p) OR 671, 1 sind den Reserven zuzuweisen X X X X es gibt auch zwingendes und ergänzendes lernen Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 46 1.7 Lernziele c) F Ein Gläubiger hat im Konkurs einer Gesellschaft einen ____ grossen Verlust erlitten. Er kann einen reichen Teilhaber dieser Gesellschaft nicht belangen, weil dessen Haftung auf einen Betrag, welcher im Handelsregister eingetragen ist, beschränkt wurde. d) Ein Hauseigentümer beruft sich auf das Gewohnheitsrecht, weil er Bäume, welche seit 20 Jahren zu nahe der Grundstücksgrenze stehen, nicht fällen will. Das Gericht lehnt seine Einsprache ab. A ____ e) Ein Hauseigentümer klagte mit Erfolg gegen seinen Nachbarn, weil dieser die Baubewilligung für eine Gartenmauer bekommen hat. Er wollte diese allein mit der Absicht, ihm die Aussicht zu verbauen, errichten. B ____ f) Zwei Geschäftspartner lassen einen wichtigen Kaufvertrag über eine sehr teure, komplizierte Anlage von einem Notar beurkunden. F ____ Welchen allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung gemäss den Einleitungsartikeln des ZGB können die folgenden Situationen oder Gerichtsentscheide zugeordnet werden? Setzen Sie den entsprechenden Buchstaben ein. g) Frau Kunz wird von einer Person auf der Strasse ein neues Velo zu zu einem Drittel des Ladenpreises angeboten. Das Velo ist gestohlen. Wie handelt Frau Kunz, wenn Sie es kauft? C ____ A ZGB 1 und 4 D ZGB 3,2 Anwendung d. Rechtsquellen Rechtsunkenntnis schadet h) In einem schwierigen Fall beruft sich ein Gericht auf eine Expertise eines Rechtsprofessors. A ____ B ZGB 2 E ZGB 8 Handeln nach Treu und Beweislast Glauben – Rechtsmissbrauch F ZGB 9 und 10 Beweiskraft öffentlicher C ZGB 3,1 Register und Urkunden Guter Glaube wird vermutet i) In einem Scheidungsprozess verlangt die Ehefrau vom Ehemann bestimmte Vermögensstücke mit der Begründung, sie habe diese in die Ehe eingebracht. E ____ Die Anwendung des Rechts Sie können ▪ erklären, wie ein Gericht das Gesetz anwenden muss, wenn es einen Fall beurteilen muss ▪ für einfache Situationen bestimmen, wer was beweisen muss ▪ für einzelne Rechtssätze bestimmen, inwiefern gerichtliches Ermessen bei deren Anwendung erforderlich ist ▪ einen rechtlichen Sachverhalt analysieren und die beteiligten Parteien sowie deren Interessen bestimmen ▪ für Rechtssätze Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen bestimmen ▪ Rechtssätze auf gegebene Sachverhalte anwenden und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen 1.7.1 a) Ein Amtsgericht verurteilt einen Autoraser zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten und beruft sich in der Urteilsbegründung auf einen Entscheid des Bundesgerichtes in einem vergleichbaren Fall. A ____ b) Ein Bankangestellter rät einer Kundin, welche ihr Geld sicher anlegen will, zum Kauf von Wertpapieren, obwohl er weiss, dass damit ein hohes Risiko verbunden ist. B ____ handeln nach treu und glauben beim lernen? – gegenüber sich selber! Ursprung und Wesen des Rechts – Aufgaben und Übungen – 1.7 Die Anwendung des Rechts 47 1.7.2 Notieren Sie für die folgenden Sachverhalte, wie die Parteien heissen und bestimmen Sie, wer im Streitfall was beweisen muss (vgl. Beispiel). Sachverhalte Parteien muss beweisen 1.7.3 ZGB 200, 1 Bestimmen Sie Tatbestandsmerkmale und die Rechtsfolge für die folgenden Rechtssätze (vgl. Beispiel). Tatbestandsmerkmale ─ «Wenn ...» a) Ein Versandhaus betreibt Käuferin eine Kundin, weil sie die Rechnung für gekaufte Verkäufer Waren nicht bezahlt hat. dass sie bezahlt hat oder dass sie die Ware nicht bekomme hat Wenn ein Ehegatte behauptet, ein bestimmter Vermögensteil sei sein Eigentum, ... dass er die Ware geliefert hat und dass sie noch nicht bezahlt wurde Rechtsfolge ─ «... dann gilt:» b) Eine Skifahrerin hat im «In-Shop» Skis gemietet. Auf einer Skitour bricht Sie ein Bein. Sie macht geltend, dass das Sportgeschäft die Bindung nicht richtig eingestellt habe. Mieterin Beinbruch ist eine Folge der falsch eingestellten Bindung! c) Ein Angestellter ist mit seiner Lohnabrechnung nicht zufrieden. Er behauptet, dass bei der Anstellung ein Lohn von CHF 4000 netto und nicht brutto vereinbart wurde. Arbeitgeber Bruttolohn war vereinbart! d) Einem Automobilisten wurde sein Fahrzeug gestohlen. Er entdeckt es heute auf dem Occasionsmarkt eines Autohändlers und will es zurück. Eigentümer Auto ist mein Eigentum! ... muss er dafür den Beweis erbringen ZGB 200, 2 Vermieter Tatbestandsmerkmale ─ «Wenn ...» Kann dieser Beweis nicht erbracht werden, ... Bindung war richtig eingestellt! Rechtsfolge ─ «... dann gilt:» Arb.nehmer Nettolohn war vereinbart! ... so wird Miteigentum beider Ehegatten angenommen ZGB 470, 1 Tatbestandsmerkmale ─ «Wenn ...» Wer Nachkommen, Eltern oder den Ehegatten als Erben hinterlässt, ... Rechtsfolge ─ «... dann gilt:» Besitzer Wusste nicht, dass das Auto gestohlen war! ... kann bis zu deren Pflichtteil über sein Vermögen von Todes wegen verfügen Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 48 ZGB 470, 2 ZGB 61, 1 ZGB 61, 2 Tatbestandsmerkmale ─ «Wenn ...» OR 41, 1 Tatbestandsmerkmale ─ «Wenn ...» Wer keine der genannten Erben hinterlässt, ... Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, ... Rechtsfolge ─ «... dann gilt:» Rechtsfolge ─ «... dann gilt:» ... kann über sein ganze Vermögen von Todes wegen verfügen ... wird ihm zum Ersatze verpflichtet (= muss ihm den Schaden ersetzen) Tatbestandsmerkmale ─ «Wenn ...» OR 200, 1 Tatbestandsmerkmale ─ «Wenn ...» Sind die Vereinsstatuten angenommen und ist der Vorstand bestellt, ... Kennt der Käufer Mängel der Kaufsache bereits zum Zeitpunkt des Kaufs, ... Rechtsfolge ─ «... dann gilt:» Rechtsfolge ─ «... dann gilt:» ... so ist der Verein befugt, sich ins Handelsregister eintragen zu lassen ... muss der Verkäufer dafür nicht haften Tatbestandsmerkmale ─ «Wenn ...» OR 259 Tatbestandsmerkmale ─ «Wenn ...» Betreibt der Verein für seinen Zweck ein nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe, ... Mängel, die durch Reinigung oder kleine ... Ausbesserungen behoben werden können, ... Rechtsfolge ─ «... dann gilt:» Rechtsfolge ─ «... dann gilt:» ... so ist er zur Eintragung verpflichtet ... muss der Mieter auf eigene Kosten beseitigen eine facharbeit ohne unerlaubte, fremde hilfe erstellt? – der gute glaube wird vermutet! Ursprung und Wesen des Rechts – Aufgaben und Übungen – 1.7 Die Anwendung des Rechts 49 1.7.4 Herr Gruber ist Vater von drei schulpflichtigen Kindern. Er beauftragt eine Künstlerin, von seinen Kindern Portraits in Ölfarben zu erstellen. Es werden CHF 3’000 je fertiges Gemälde verabredet. Die Kinder müssen in den folgenden Wochen mehrmals im Atelier der Künstlerin Modell stehen. Herr Gruber ist bereit, die Künstlerin pauschal mit CHF 1’000 für das Resultat ihrer Bemühungen zu entschädigen. Die Künstlerin ihrerseits fordert die ganzen CHF 9’000 für die bestellten Portraits. Es sei nicht ihre Sache, wenn er es sich inzwischen anders überlegt habe, teilt sie Herrn Gruber eindringlich mit. Statt wie üblich die Mutter holt heute Herr Gruber eines seiner Kinder nach dem Modellstehen bei der Künstlerin ab. Dabei sieht er erstmals ein bereits fertig erstelltes Portrait sowie das angefangene. Ihm gefallen beide überhaupt nicht, sie entsprechen nicht seinen Vorstellungen. Deshalb teilt Herr Gruber der Künstlerin mit, sie solle die Arbeit an den Bildern sofort einstellen. Aufgabe Prüfen Sie die rechtliche Situation. Wer ist im Recht und was folgt daraus? Wenden Sie für Ihre Analyse das Problemlöseverfahren für rechtliche Fälle an. Ziehen Sie für die Lösung des Falles OR 363 und OR 377 heran. Problemlöseschema 3. Schritt: Vergleichen von Sachverhalt und Tatbestand 1. Schritt: Ermitteln des Sachverhalts Parteien Besteller (Herr Gruber) Unternehmerin (Künstlerin) Sachverhalt Begründung Forderungen, Ansprüche, Interessen Will nur eine kleine Entschädigung von CHF 1’000 bezahlen Beharrt auf dem vollen Entgelt von CHF 9’000 (wie im Werkvertrag vereinbart) trifft zu 4. Schritt: Schlussfolgerung Rechtliche Grundlage(n) OR 363 und OR 377 Entscheid Tatbestand («Wenn ...») OR 363: Wenn jemand bei einem Unternehmer ein Werk bestellt, ... Rechtsfolge («... dann ...») OR 363: ... dann entsteht ein Werkvertrag OR 377: ... kann der Besteller gegen Vergütung der bereits geleisteten Arbeit und gegen volle Schadloshaltung des Unternehmers jederzeit vom Vertrag zurücktreten trifft nicht zu Weder Herr Gruber noch die Künstlerin stellen gesetzeskonforme Ansprüche. Beide liegen jedoch richtig, wenn sie eine Entschädigung für das bisher Geleistete fordern bzw. akzeptieren 2. Schritt: Bestimmen von Tatbestand und Rechtsfolge OR 377: Solange das Werk unvollendet ist, ... X trifft teilweise zu Herr Gruber muss die vollen CHF 3’000 für das fertige Bild bezahlen sowie einen angemessenen Betrag für das angefangene. Ein Gericht würde ausserdem Schadenersatz in der Höhe des entgangenen Gewinnes für das unfertige und das noch nicht angefangene Gemälde der Künstlerin zusprechen Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 50 1.7.5 Thomas Aebi macht in Marokko Urlaub. Sein Arbeitskollege, Benjamin Türler, hat ihm für die Reise eine zwei Jahre alte, teure Spiegelreflexkamera ausgeliehen. Als Thomas am zweitletzten Tag vom Schwimmen im Meer zu seinem Platz zurückkehrt, ist die unter dem Badetuch versteckte Kamera weg. Nach Hause zurück gekehrt melden sowohl Thomas wie auch Benjamin den Diebstahl bei ihren Versicherungen. Beide Gesellschaften lehnen es jedoch ab, den Verlust der Kamera zu ersetzen, weil Thomas grob fahrlässig gehandelt hat. Also verlangt Benjamin nun von Thomas, dass er ihm eine neue Kamera kauft, und zwar exakt die gleiche wie die gestohlene. Thomas weigert sich mit der Begründung, Benjamin hätte seiner Meinung nach eine bessere Versicherung abschliessen sollen, die auch für diesen Fall bezahlen würde. Aufgabe 1. Schritt: Ermitteln des Sachverhalts Parteien Forderungen, Ansprüche, Interessen Ziehen Sie für die Lösung des Falles OR 305 und OR 41, 1 heran. Entlehner (Thomas) Will eine neue Kamera von Thomas als Ersatz für die gestohlene Will keine Entschädigung leisten, weil Benjamin sich nicht gut genug versichert hat 2. Schritt: Bestimmen von Tatbestand und Rechtsfolge Rechtliche Grundlage(n) OR 305 und OR 41, 1 Tatbestand («Wenn ...») OR 305: Wenn eine Gebrauchsleihe besteht, ... Rechtsfolge («... dann ...») OR 305: ... verpflichtet sich der Entlehner, die Sache ... dem Verleiher zurückzugeben. Prüfen Sie die rechtliche Situation. Wer ist im Recht und was folgt daraus? Verwenden Sie für Ihre Analyse das Problemlöseverfahren. Borger (Benjamin) OR 41, 1: Wer einem ... andern Schaden zufügt, sei es mit Absicht oder ... Fahrlässigkeit, ... OR 41, 1: ... wird ihm zum Ersatze verpflichtet 3. Schritt: Vergleichen von Sachverhalt und Tatbestand Sachverhalt Begründung trifft zu X trifft teilweise zu trifft nicht zu Weder Benjamins noch Thomas Forderung entspricht den im Gesetz festgehaltenen Bestimmungen 4. Schritt: Schlussfolgerung Entscheid recht tun lässt sanft ruhn sprichwort Da Thomas die Kamera nicht mehr zurückgeben kann, entstand ein Schaden, für den er haftet. Benjamin hat jedoch keine neue Kamera zugut, sondern den Betrag, der dem aktuellen Wert der bereits zweijährigen Kamera entspricht Ursprung und Wesen des Rechts – Aufgaben und Übungen – 1.7 Die Anwendung des Rechts 51 Problemlöseschema (Kopiervorlage für weitere Fälle) 1. Schritt: Ermitteln des Sachverhalts 1. Schritt: Ermitteln des Sachverhalts Parteien Parteien Forderungen, Ansprüche, Interessen Forderungen, Ansprüche, Interessen 2. Schritt: Bestimmen von Tatbestand und Rechtsfolge 2. Schritt: Bestimmen von Tatbestand und Rechtsfolge Rechtliche Grundlage(n) Rechtliche Grundlage(n) Tatbestand («Wenn ...») Tatbestand («Wenn ...») Rechtsfolge («... dann ...») Rechtsfolge («... dann ...») 3. Schritt: Vergleichen von Sachverhalt und Tatbestand 3. Schritt: Vergleichen von Sachverhalt und Tatbestand Sachverhalt Sachverhalt trifft zu trifft teilweise zu trifft nicht zu trifft zu Begründung Begründung 4. Schritt: Schlussfolgerung 4. Schritt: Schlussfolgerung Entscheid Entscheid trifft teilweise zu trifft nicht zu Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 52 1.8 1.8.2 Das Verfahrensrecht Der Zivilprozess und der Strafprozess Tragen Sie in den beiden Schemata den Instanzenweg für den Straf- und den Zivilprozess ein. Zivilprozess Lernziele Sie können Kläger ▪ Straf- und Zivilprozess nach Parteien, Streitgegenstand, entscheidende Instanzen und Tätigkeit des Gerichtes unterscheiden Friedensrichter ▪ den Ablauf des Straf- und des Zivilprozesses beschreiben ▪ für einzelne Rechtssätze oder Sachverhalte bestimmen, inwiefern richterliches Ermessen bei deren Anwendung erforderlich ist 1.8.1 Amtsgericht / Bezirksgericht Obergericht / Kantonsgericht Bestimmen Sie für die folgenden Begriffe und Aussagen, ob sie zum Straf- und/oder Zivilprozess gehören. Strafprozess Bundesgericht Zivilprozess a) «im Zweifelsfall zugunsten des Angeklagten» X b) Anzeige eines Betroffenen X c) Beweise durch den Verteidiger X d) Schadenersatzforderung e) Ehrverletzung X f) Feststellung einer Schuld X g) Friedensrichter X h) Gericht befasst sich nur mit dem, was Parteien vorbringen X i) Gerichtsentscheid aufgrund der Anträge der Parteien X j) Geschworenengericht X k) Veruntreuung X l) Klage auf Unterlassen Strafprozess Polizei X X X X Untersuchungsrichter / Staatsanwaltschaft Amtsgericht / Bezirksgericht Obergericht / Schwurgericht Bundesgericht m) Staatsanwalt n) Vaterschaftsklage X o) sexuelle Belästigung X ein kläger muss drei säcke haben: einen mit geld, einen mit papier und einen mit geduld p) Körperverletzung und Nötigung X sprichwort X Ursprung und Wesen des Rechts – Aufgaben und Übungen – 1.8 Das Verfahrensrecht 53 1.8.3 Ein Zivilprozess 1.8.4 Ein Ehepaar will sich scheiden lassen. Ein Automobilist wurde in einen Unfall verwickelt. Unten ist dargestellt, welche Schritte nachher unternommen wurden. Die Schritte, welche dazu unternommen werden, sind in alphabetischer Anordnung dargestellt. Setzen Sie jeweils die Nummer für die richtige Reihenfolge dazu. A. Aussöhnungsverhandlung vor dem Friedensrichter. Die Parteien bleiben bei ihrem Entschluss, die Ehe scheiden zu lassen. Die Bedingungen für das getrennte Leben der Ehegatten werden festgelegt. 2 ____ B. 5 Befragung der beiden Ehegatten durch den Amtsgerichts- ____ präsidenten über den Verlauf und Zustand ihrer Ehe. C. Das Paar sucht einen Anwalt auf und bekräftigt seinen Willen, sich scheiden zu lassen. 1 ____ D. Der Anwalt des Paares reicht die Scheidungsklage beim Amtsgericht ein. Er stellt das Begehren, die Ehe sei zu scheiden wegen Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses gemäss ZGB 142, 1. 4 ____ E. Die Ehegatten arbeiten mit dem Anwalt eine Vereinbarung über die vermögensrechtlichen Folgen der Scheidung (Scheidungskonvention) aus. 3 ____ Urteil des Amtsgerichts: Die Ehe wird geschieden. Die vermögensrechtlichen Folgen richten sich nach der Scheidungskonvention. 6 ____ F. Ein Strafprozess Diese Schritte sind wiederum in alphabetisch geordnet. Setzen Sie jeweils die Nummer für die richtige Reihenfolge dazu. A. Aufnahme der Unfallsituation durch die Polizei. 1 ____ B. Das Amtsgericht bestätigt die Strafverfügung und erkennt den Automobilisten für schuldig der Verletzung von Strassenverkehrsrecht und bestätigt die Busse von 400 Franken. 5 ____ C. Das Amtsgericht erlässt gegen den Automobilisten eine Strafverfügung und büsst ihn mit 400 Franken. 2 ____ D. 10 Das Bundesgericht heisst die Nichtigkeitsbeschwerde des ____ Automobilisten gut und weist den Fall zur Freisprechung an das Obergericht zurück. Der Automobilist erhält eine Entschädigung zulasten der Gerichtskasse. E. Der Anwalt des Automobilisten macht eine Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht. 9 ____ F. Der Anwalt des verurteilten Automobilisten ergreift innert 10 Tagen das Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgerichtes und macht eine Kassationsbeschwerde an das Obergericht. 6 ____ G. Einsprache des Automobilisten gegen die Busse. 3 ____ H. 7 In der Verhandlung vor dem Obergericht wird vom Anwalt ____ des Automobilisten dargelegt, warum ihn kein Verschulden trifft und er deshalb freizusprechen sei. 8 ____ Mit seinem Urteil lehnt das Obergericht die Kassations- I. beschwerde des Automobilisten ab. Die Busse von 400 Franken bleibt und die Gerichtskosten sind vom Angeklagten zu tragen. J. Verhandlung des Amtsgerichts am Unfallort. 4 ____ auf die motive kommt es an – nicht nur im strafprozess – auch beim lernen Ein Fall für Sie – Eine Einführung in die Rechtskunde 54 Das Verwaltungsverfahren Lernziele Verwaltungsverfahren Strafprozess Sie können ▪ die Grundsätze der Legalität, des Gleichbehandlungs- und des Willkürverbotes der staatlichen Verwaltungstätigkeit an bürgernahen, einfachen Beispielen anwenden und deren Bedeutung in einem Rechtsstaat beurteilen ▪ den Ablauf eines Verwaltungsverfahrens beschreiben 1.8.5 Die folgenden Situationen stammen aus Rechtsverfahren. Ordnen Sie diese einem der Verfahren zu. Verwaltungsverfahren Zivilprozess Die Prüfungskommission verleiht den erfolgreichen Absolventinnen und Absolventen die Berufsmaturitätsausweise. i) Ein Amtsgericht spricht eine Ehescheidung aus. j) Ein Arzt erhält die Bewilligung zur Führung einer Arztpraxis in einem Kanton. X k) Ein Parksünder wird von einer Polizistin im Ordnungsbussenverfahren gebüsst. X l) lEin Teppichhändler macht einen Rekurs an den Regierungsrat gegen den Entscheid der Handelsund Gewerbepolizei, die ihm die Öffnung seiner Ausstellung am Sonntag verbietet. X m) Eine AHV-Stelle lehnt ein Gesuch um Ergänzungsleistungen zur AHV-Rente ab. X n) Eine steuerpflichtige Person macht eine Einsprache gegen eine Steuerveranlagung. X o) Eine Mieterin ficht eine Mietzinserhöhung beim regionalen Mietamt an. p) Eine Person beantragt bei ihrem Kanton eine Prämienverbilligung für die obligatorische Krankenversicherung. X q) Einem Fahrzeuglenker wird von wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand der Führerausweis entzogen. X Strafprozess Zivilprozess a) Das Berufsbildungsamt erlässt eine Bussenverfügung gegen einen Lernenden wegen unentschuldigter Absenzen. b) Das Bundesgericht entscheidet, dass ein Kind solange Anspruch auf Unterstützungszahlungen von seinem Vater hat, als die Erstausbildung dauert. X X c) Das eidgenössische Versicherungsgericht spricht einer Person eine Invalidenrente (IV) zu. d) Das Gericht entschied «im Zweifel zugunsten des Angeklagten» und sprach ihn frei. X e) Der Gemeinderat heisst eine Beschwerde eines Bauherrn gegen einen Entscheid der Baukommission gut. f) Der Staatsanwalt erhebt Anklage. X g) Der Verteidiger drang mit seinem Antrag auf Freispruch nicht durch. X X X X h) X X wer über gute rechtliche grundkenntnisse verfügt, verhindert prozesse Ursprung und Wesen des Rechts – Aufgaben und Übungen – 1.8 Das Verfahrensrecht 55 1.8.6 Ein abgelehntes Baugesuch c) Der Eigentümer eines Grundstückes möchte ein Einfamilienhaus bauen. Er reicht sein Baugesuch mit allen nötigen Unterlagen bei der Gemeinde ein. In erster Instanz wird es von der Baukommission behandelt. Die nächste Instanz ist der Gemeinderat, nachher kann ein Fall weitergezogen werden an das kantonale Baudepartement und an den Regierungsrat. In diesem Kanton gibt es ein Verwaltungsgericht. Tragen Sie im folgenden Schema den ganzen Instanzenweg ein, der für diese Baubewilligung durchlaufen werden könnte. Baukommission Gemeinderat Die Baukommission weist sein Baugesuch zurück. Hierauf verfasst der Bauherr eine Beschwerde mit folgenden Einwänden: kantonales Baudepartement 1. Die Baukommission bewilligt den Bau nicht, weil der Grenzabstand zum Nachbargrundstück 6 m betragen müsse. Gemäss Baureglement Art. 16 gilt aber für ein Gebäude, wie ich es bauen möchte, ein Abstand von 4 m. Regierungsrat Verwaltungsgericht 2. Sie verlangen, dass die Stützmauer mit Formsteinen gebaut und bepflanzt werden müsse. Meinem Nachbarn haben Sie aber eine kahle Betonwand bewilligt. a) Welche Grundsätze hat die Baukommission in ihrem Entscheid nach Ansicht des Bauherrn und Beschwerdeführers verletzt? Begründen Sie Ihre Antworten kurz. Gemäss Einwand 1 der Beschwerde: Legalitätsprinzip, weil sich die Gemeinde (angeblich) nicht an die Bestimmungen des Baureglements gehalten habe Gemäss Einwand 1 der Beschwerde: Willkürverbot. Nachbar musste kein Auflage bezügl. des zu verwendenden Baumaterials einhalten. Der Beschwerdeführer hingegen schon b) Wer ist der Empfänger der Beschwerde? der Gemeinderat sie stecken in einem lernprozess Bundesgericht 1.8.7 Notieren Sie jeweils den Buchstaben des Satzteils an der Stelle, wo er im Text fehlt. A Grundsatz der Gleichbehandlung B Legalitätsprinzip C Willkürverbot D Grundsätze des Verwaltungsverfahrens «Die Lehrpersonen an den öffentlichen Schulen haben sich bei D zu halten. der Notengebung an die _____ Weil sie sich an die Gesetze und Verordnungen über die NotenB handeln. gebung zu halten haben, müssen sie nach dem _____ Da sie alle Schülerinnen und Schülern nach den gleichen A Kriterien bewerten müssen, gilt auch für sie der _____. Wenn sie einer Schülerin eine bessere Note erteilen, als ihre C Leistungen rechtfertigen, verstossen sie gegen das _____.»
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