Omas Backkünste sind ihr Kapital

MONTAG, 21. DEZEMBER 2015
WIRTSCHAFT
Omas Backkünste sind ihr Kapital
Zwei junge Betriebswirtinnen und 25 backbegeisterte Großmütter
Sind Sie ein Kirchenverein, oder kommen Sie von einem Altersheim? So lautet die
Standardfrage der Münchener Christkindlmarktbesucher, die sich am Stand von
„Kuchentratsch“ ein Stück Zupfkuchen oder Stollen gönnen. Katrin Blaschke klärt dann
freundlich mit ein paar Sätzen über ihr Geschäftskonzept auf: Wir sind ein junges
Unternehmen, für uns backen Omas nach traditionellen Rezepten Kuchen und Plätzchen. Wir
beliefern damit Cafés, Firmen- und Privatkunden. Mit von der Kälte geröteten Wangen fegt
die Jungunternehmerin in die Backstube an der Landsberger Straße im Münchener Westend.
Bis gerade eben hat sie am Sendlinger Christkindlmarkt Kuchen und Kekse verkauft. Zur
Weihnachtszeit brummt der Laden.
Stramm geht es weiter in der angemieteten Großküche, wo an diesem Vormittag sieben Omas
um acht Backöfen wuseln und für Nachschub an Naschwerk sorgen. Der Arbeitsplatz
erscheint angenehm, Vanille- und Kokosduft liegt in der Luft, es wird geplaudert – worauf der
Firmenname „Kuchentratsch“ anspielt – aber auch konzentriert gewogen, gerührt und
gewalzt. Austauschbare Industrieware mit groteskgelbem Chemiepudding und fadem
Einheitsgeschmack gibt es hier nicht.
Die beiden jungen Geschäftsführerinnen sind stolz auf ihre betagte Belegschaft. Die 25
Damen backen gut schmeckende Kuchen und Torten nach bewährten, in ihren Familien
weitergereichten Rezepten, verdienen sich etwas zu einer oft geringen Rente dazu, ernten
Anerkennung und kommen unter Leute – Streuselkuchenbacken gegen die Einsamkeit. Das
gehört zu ihrem Konzept, sagt Katrin Blaschke selbstbewusst: „Wir wollen zeigen, dass sich
gesellschaftliche Probleme mit einem wirtschaftlichen Modell lösen lassen. Das Thema
Altersarmut darf man nicht unterschätzen.“ Dafür arbeiten die 26-Jährigen, die in Innsbruck
einen Bachelorabschluss in Betriebswirtschaft gemacht haben, ziemlich hart und ziemlich gut
gelaunt. Katharina Mayer, die zudem gelernte Hotelfachfrau ist, spricht vom „Schuften bis
zum Umfallen“. Freie Wochenenden gab es bisher nicht. „An unserem Gehalt hapert es
noch“, sagt sie, aber es schwingt wenig Bedauern mit, sondern Freude über das bisher
Erreichte. „Die Verantwortung steigt natürlich, aber wir lernen, mit dem Druck gut
umzugehen.“
Sie scheinen einiges richtig gemacht zu haben. Im April 2014 haben sie ihr Unternehmen
gegründet, im darauffolgenden Juni dann Räume angemietet und einen Tag in der Woche in
einer Kantine backen lassen. Zu dieser Zeit haben beide noch je 20 Stunden als
Werksstudenten gearbeitet, Katrin Blaschke bei Osram, ihre Freundin in einer
Personalvermittlung. Die Omas der ersten Monate stellten ihre Backkünste ehrenamtlich zur
Verfügung. Nach erfolgversprechender Pilotphase sind sie im März dieses Jahres in die
Großküche im Westend gezogen. Dreimal in der Woche wird hier nun gebacken. Die
Handwerkskammer war zurückhaltend, denn schließlich haben die
Wirtschaftswissenschaftlerinnen keine Bäcker- oder Konditorenausbildung. Sie haben dann
eine praktische und theoretische Prüfung vor der Kammer abgelegt und sind jetzt in der
sogenannten „Handwerksrolle“ in einer Nische. Inzwischen beliefert „Kuchentratsch“ Cafés.
Manche Kunden, so berichten die Cafébetreiber, fragen in ihren hippen Läden ausdrücklich
nach den guten Oma-Kuchen. Dieser Geschäftszweig sorge für Mund-zu-Mund-Propaganda,
sei aber gar nicht so lukrativ, erklärt Katharina Mayer: „Wir müssen den Kuchen zu günstig
abgeben.“ Lieber sind ihnen der stetig wachsende Stamm von Privatkunden, die für 25,90
Euro einen klassischen Rührteigkuchen – Renner ist der Rüblikuchen – oder für 39,90 Euro
eine Schwarzwälder Kirschtorte bestellen. Das tun unter anderen Firmenchefs, die ein
Kuchen-Abonnement haben und einmal die Woche Gebäck für ihre Mitarbeiter auffahren
lassen. Gut in der Bilanz macht sich das monatliche süße Catering für die BMW-Stiftung.
Auch die Deutsche Bank und die UBS Bank bestellen Omas Kuchen für manches Meeting.
Muffins und Marmorkuchen werden bis nach Berlin verschickt.
„Wir probieren einiges aus“, berichtet die Schwäbin. Zum Beispiel einen Backkurs für
Kinder. Satte 68 Euro kostet der Nachmittag mit Husarenkrapfen, Vanillekipferl und Oma
Irmgard. Solche Angebote sollen künftig auf Erwachsene ausgedehnt werden. Inzwischen gibt
es auch ein Buch mit Rezepten zum Nachbacken. Bio-Eier, Bio-Mehl und Zutaten regionaler
Zulieferer für die rund 90 Kuchen in der Woche, die müssen schon sein. Aber mit
Investitionen sind die Kuchenfrauen zurückhaltend. Klar haben sie eine Spülmaschine für
Teller, aber die große für Bleche und Töpfe, die kostet 25 000 Euro und sei „noch nicht drin“.
Zum Glück steht heute mal wieder Opa Thomas am Becken und schrubbt was weg, er hat als
Ehemann von Oma Inge ehrenamtlich den Spüldienst übernommen. Auch zwei neue
Backöfen wären angebracht. Nicht nur die Montags-Omas kommen bisweilen ins Schwitzen,
weil alle Öfen belegt sind und der Schmandkuchen eine Warteschleife übelnimmt. Die
Bäckerinnen verdienen 8,50 Euro netto in der Stunde, brutto 11,35 Euro. „Die Personalkosten
sind neben der Miete natürlich der größte Posten“, sagt Katharina Mayer.
Kritische Stimmen sind verstummt. Dabei waren Familie und Freunde der Gründerinnen
anfangs skeptisch. Die Skepsis ist gewichen, was wohl auch an respektablen Umsätzen von
15 000 Euro im November liegen mag. Im Januar werden wieder Gespräche mit
Bewerberinnen geführt, „die beim Schnupperbacken testen können, wie sie sich bei uns
integrieren können“, sagt die blonde Backfrau. Dann werden die Schichten erweitert.
Ursula Kals